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LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 20.07.2016, 20 Sa 639/16 20 Sa 975/16

   
Schlagworte: Unpfändbarkeit von Zulagen
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen: 20 Sa 639/16
20 Sa 975/16
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 20.07.2016
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 18.03.2016, 31 Ca 1437/16
nachgehend:
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.08.2017, 10 AZR 859/16
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt
Ber­lin-Bran­den­burg

Geschäfts­zei­chen (bit­te im­mer an­ge­ben)
20 Sa 639/16
20 Sa 975/16

31 Ca 1437/16
Ar­beits­ge­richt Ber­lin

Verkündet am

20. Ju­li 2016

….
als Ur­kunds­be­am­ter
der Geschäfts­stel­le

Im Na­men des Vol­kes

Ur­teil

In Sa­chen

- Be­klag­te, Be­ru­fungskläge­rin und
An­schluss­be­ru­fungs­be­klag­te -

 

- Kläge­rin, Be­ru­fungs­be­klag­te und
An­schluss­be­ru­fungskläge­rin -

 

hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, 20. Kam­mer, auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 20. Ju­li 2016 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt R. als Vor­sit­zen­den so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Frau H. und Frau W.

für Recht er­kannt:

I. Die Be­ru­fung der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil ge­gen das Ar­beits­ge­richts Ber­lin vom 18.03.2016 - 31 Ca 1437/16 - wird zurück­ge­wie­sen.

II. Auf die An­schluss­be­ru­fung der Kläge­rin wird die Be­klag­te ver­ur­teilt, an die Kläge­rin 175,00 EUR net­to nebst Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz aus 147,00 EUR net­to seit dem 01.03.2016 und aus 28,00 EUR net­to seit dem 01.04.2016 zu zah­len.

III. Die Be­klag­te hat die Kos­ten des Be­ru­fungs­ver­fah­rens zu tra­gen.

IV. Die Re­vi­si­on wird für die Be­klag­te zu­ge­las­sen.

- 2 -

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten darüber, ob Ansprüche des Klägers auf Zah­lung der Wech­sel­schicht­zu­la­ge und auf Zah­lung der Zu­schläge für Sonn­tags-, Fei­er­tags- und Nacht­ar­beit und zu­letzt auch Sams­tags­ar­beit von ei­ner Ab­tre­tungs­erklärung er­fasst sind und im Zu­sam­men­hang da­mit, ob sie unpfänd­bar sind.

Die Kläge­rin ist bei der Be­klag­ten seit dem 15.03.2010 in der So­zi­al­sta­ti­on M. H. als Haus­pfle­ge­rin 32 Wo­chen­stun­den tätig. Auf den Ar­beits­ver­trag der Par­tei­en (vgl. Bl. 5-6 d. A.) wird Be­zug ge­nom­men. Gem. Zif­fer 2 des Ver­tra­ges gilt der Ta­rif­ver­trag des Lan­des­ver­ban­des der V. und der So­zi­al­diens­te der V..

Der Ta­rif­ver­trag vom 16.11.2009 zwi­schen dem V. Lan­des­ver­band Ber­lin, der So­zi­al­diens­te der V. und ver.di (im wei­te­ren TV VS 2009) sieht gem. § 8 Aus­gleich für Son­der­for­men der Ar­beit Zu­schläge für Über­stun­den (25%), Nacht­ar­beit (20%), Sonn­tags­ar­beit (40%), Ar­beit an Fei­er­ta­gen (oh­ne Frei­zeit­aus­gleich 140%, mit Frei­zeit­aus­gleich 40%) und Ruf­be­reit­schaft (25%). Wei­ter be­steht ein An­spruch auf Wech­sel­schicht­zu­la­ge (§ 8 Abs. 2 TV VS 2009) und ei­ner Zu­la­ge für Diens­te mit Un­ter­bre­chung von mehr als 2 St­un­den (§ 8 Abs. 3 in Ver­bin­dung mit § 7 Abs. 8 TV VS 2009). Hin­sicht­lich der wei­te­ren Re­ge­lun­gen des TV VS 2009 wird auf Blatt 7 – 15R der Ak­ten ver­wie­sen. Am 05.01.2016 wur­de der Ände­rungs­ta­rif­ver­trag Nr. 2 zum TV VS 2009 zwi­schen den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ver­ein­bart. Dort ist ein Zu­schlag für Ar­beit an Sams­ta­gen von 6:00 Uhr bis 21.00 Uhr in Höhe von 7,5% ver­ein­bart.

Über das Vermögen der Kläge­rin wur­de am 08.06.2010 durch Be­schluss des Amts­ge­richts Frank­furt (Oder) zum Ak­ten­zei­chen - 3 IN 312/10 - we­gen Zah­lungs­unfähig­keit das In­sol­venz­ver­fah­ren eröff­net. Das In­sol­venz­ver­fah­ren wur­de zwi­schen­zeit­lich auf­ge­ho­ben. Im Zeit­raum der streit­be­fan­ge­nen Zah­lun­gen be­fand sich die Kläge­rin in der Wohl­ver­hal­tens­pha­se.

Min­des­tens seit No­vem­ber 2015 zahl­te die Be­klag­te auf Grund der Ab­tre­tungs­erklärung mo­nat­lich die pfänd­ba­ren Bezüge der Kläge­rin an den be­stell­ten Treuhänder aus. Die Be­klag­te hat in den von ihm er­rech­ne­ten Pfändungs­be­trag, den sie dann an den Treuhänder mo­nat­lich über­wie­sen hat, die Wech­sel­schicht­zu­la­gen und die Zu­schläge für Sonn­tags-, Fei­er­tags- und Nacht­ar­beit ein­be­zo­gen. In­so­weit zahl­te der Be­klag­te in dem Zeit­raum von Mai 2015 bis März 2016
fol­gen­de Beträge:

Mo­nat Ab­ge­rech.
Brut­to/
Ab­ge­rech.
Net­to
Nacht-
zu­schlag
Sonn­tags-
zu­schlag
Wech­sel-
schicht/
Fei­er­tags-
zusch.
Sams­tags-
Zu­schlag/
Vor­fest-
zu­schlag
Mehr-
ar­beit
Als
pfänd­bar
von Bekl.
ab­geführt
05/2015 1447,69 €/
1075,59
€ 2,84 € 89,33 € - -/
- -
- -/
- -
- - 185,41 €
07/2015 1465,11 €/
1085,59 €
58,18 € 95,59 € 114,94 € - -/
- -
165,28 €
08/2015 1441,10 € 107,02 € 66,50 € 180 € - -/
- -
238,00 €
09/2015 1441,10 €/
1071,83
50,91 € 8,31 € 90,00 € - -/
- -
77,00 €
10/2015 1441,10 €/
1071,83 €
60,26 € 99,74 € 90,00 € - -/
- -
144,28 €
11/2015 2429,54 € 49,87 € 8,31 € 90,00 € - - 173,84 €
01/2016 1566,98 €/
1143,40 €
56,11 € 83,12 € 90,00 € - -/
- -
179,28 €
02/2016 1518,49 €/
1080,29 €
49,87 € 61,30 € 90,00 € - -/
33,25 €
186,28 €
03/2016 1528,70 €/
1123,49 €
3,18 33,92 € 6,36 81,28 €

- 3 -

Die Be­klag­te zahl­te die Wech­sel­schicht­zu­la­ge und die Zu­schläge für Sonn­tags-, Fei­er­tags- und Nacht­ar­beit nicht an den Kläger aus, son­dern be­zog sie in die Be­rech­nung des pfänd­ba­ren Ein­kom­mens ein.

Mit Schrei­ben vom 14. De­zem­ber 2015 ver­lang­te die Kläge­rin, ver­tre­ten durch ih­ren jet­zi­gen Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten un­ter Be­zug­nah­me auf die Ent­schei­dung des LAG Ber­lin-Bran­den­burg vom 09.01.2015 – 3 Sa 1335/14 - die Nach­zah­lung der Zu­schläge, da die­se ent­spre­chend § 850a Nr. 3 ZPO unpfänd­bar sei­en und des­halb zu Un­recht in die Be­rech­nung des pfändungs­frei­en ab­ge­tre­te­nen Ein­kom­mens ein­be­zo­gen wor­den sei. Sie ver­lang­te ei­ne wei­te­re Zah­lung von Mai 2015 bis No­vem­ber 2015 (oh­ne Ju­ni 2015). We­gen des wei­te­ren In­halts des Schrei­bens vom 3. Ju­li 2013 wird auf die An­la­ge K4 zur Kla­ge­schrift, Bl. 34 - 35 der Ak­te, Be­zug ge­nom­men. Die Be­klag­te teil­te dem Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten des Klägers mit Schrei­ben vom 12. Ja­nu­ar 2016 (An­la­ge K5 zur Kla­ge­schrift, Bl. 36 - 38 der Ak­te) un­ter an­de­rem mit, er be­trach­te nach Prüfung der Sach- und Rechts­la­ge die Zu­la­gen wei­ter­hin als pfänd­bar. Da ge­gen die Ent­schei­dung des LAG Ber­lin-Bran­den­burg vom 09.01.2015 die zu­ge­las­se­ne Re­vi­si­on nicht ein­ge­legt wor­den sei, lägen un­ter­schied­li­che Rechts­an­sich­ten zu der Fra­ge der Pfänd­bar­keit von Zu­la­gen vor, die die Be­klag­te ei­ner höchst­rich­ter­li­chen Klärung zuführen wol­le.

Mit der am 29.01.2016 beim Ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nen und der Be­klag­ten am 05.02.2016 zu­ge­stell­ten Kla­ge hat die Kläge­rin be­an­tragt, die Be­klag­ten zu ver­ur­tei­len, den für die Zeit vom 1. Mai 2015 bis 30. No­vem­ber 2015 noch of­fe­nen Dif­fe­renz­be­trag der Net­to­bezüge für die Wech­sel­schicht­zu­la­ge und die Zu­la­ge für den Dienst zu ungüns­ti­gen Zei­ten zu zah­len. Die­se be­zif­fert er un­ter Berück­sich­ti­gung sei­ner An­sicht nach zu­tref­fend ab­geführ­ter Beträge mit 864,91 €. Mit ih­rer Kla­ge­er­wei­te­rung vom 9. Fe­bru­ar 2016 ver­lang­te die Kläge­rin ei­ne wei­te­re Zah­lung für den Mo­nat Ja­nu­ar 2016 in Höhe von 105,00 Eu­ro (vgl. 48 – 49 der Ak­te). Die Kläge­rin be­an­sprucht Net­to­zah­lun­gen, die sie aus den Brut­to­beträgen un­ter Ab­zug ih­res Ar­beit­neh­mer­an­teils aus der Ge­samt­so­zi­al­ver­si­che­rung und ei­nes Lohn­steu­er­an­teils von 11 % be­rech­net, un­ter Ab­zug die­ser Beträge ei­nen pfändungs­frei­en Be­trag be­rech­net und die­sen mit dem an den In­sol­venz­ver­wal­ter ge­zahl­ten Be­trag ver­rech­net.

Die Kläge­rin hat die An­sicht ver­tre­ten, bei der Wech­sel­schicht­zu­la­ge und den Zu­la­gen für den Dienst zu ungüns­ti­gen Zei­ten han­de­le es sich um Er­schwer­nis­zu­la­gen im Sin­ne des § 850a Nr. 3 ZPO, die­se Zu­la­gen sei­en da­her nicht wirk­sam an den Treuhänder ab­ge­tre­ten wor­den.

Die Kläge­rin hat be­an­tragt,

1. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an die Kläge­rin 864,91 Eu­ro nebst Zin­sen hier­auf in Höhe von fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 16. Ja­nu­ar 2016 zu zah­len;

2. die Be­klag­te wei­ter zu ver­ur­tei­len, an die Kläge­rin 105,00 Eu­ro nebst Zin­sen hier­auf in Höhe von fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 1. Fe­bru­ar 2016 zu zah­len;


Die Be­klag­te hat be­an­tragt,

- 4 -

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.


Die Be­klag­te hat die An­sicht ver­tre­ten, die Wech­sel­schicht­zu­la­ge und die Zu­schläge für Sonn­tags- und Nacht­ar­beit sei­en kei­ne Er­schwer­nis­zu­la­gen im Sin­ne des § 850a Nr. 3 ZPO. Sol­che sei­en nur Zu­la­gen, die als Entschädi­gung für ei­ne in der Ar­beit be­gründe­te Er­schwer­nis ge­zahlt würden; nicht er­fasst sei­en Zu­la­gen für ei­ne in der Ar­beits­zeit lie­gen­de Er­schwer­nis. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg (09.01.2015 – 3 Sa 1335/14 -) le­ge die Be­stim­mung des § 850 Nr. 3 ZPO in an­de­rer Wei­se aus als die als die bis­he­ri­ge Recht­spre­chung und je­den­falls Tei­le der Li­te­ra­tur.

Das Ar­beits­ge­richt hat durch Ur­teil vom 18.03.2016 den Anträgen der Kläge­rin statt­ge­ge­ben und zur Be­gründung zu­sam­men­ge­fasst aus­geführt: Die Kläge­rin ha­be ei­nen An­spruch auf die be­gehr­te Vergütung gem. § 611 BGB in Ver­bin­dung mit § 8 des TV VS 2009. Die ge­leis­te­ten Zei­ten in Wech­sel­schicht, Sonn­tags-, Fei­er­tags- und Nacht­diens­te und die sich dar­aus er­ge­ben­den Zu­schläge sei­en zwi­schen den Par­tei­en un­strei­tig. Durch die Zah­lung an den Treuhänder sei die­ser An­spruch nicht erfüllt. Die Kläge­rin ha­be nur die pfänd­ba­ren Be­stand­tei­le ih­res Ein­kom­mens an den Treuhänder ab­ge­tre­ten. Zu­la­gen für Nacht­ar­beit, Sonn­tags­ar­beit, Fei­er­tags­ar­beit und Wech­sel­schicht­zu­la­gen sei­en gem. 850a Nr. 3 ZPO unpfänd­bar. Das Ar­beits­ge­richt schließe sich im vol­lem Um­fang der Be­gründung des LAG Ber­lin-Bran­den­burg in der Ent­schei­dung vom 9. Ja­nu­ar 2015 (3 Sa 1335/14 – ju­ris) an.

Ge­gen das der Be­klag­ten am 14.04.2016 zu­ge­stell­te Ur­teil hat die­se mit ei­nem beim Lan­des­ar­beits­ge­richt am 21.04.2016 ein­ge­gan­ge­nen Schrift­satz Be­ru­fung ein­ge­legt und die­se mit ei­nem beim Lan­des­ar­beits­ge­richt am 13.06.2016 ein­ge­gan­ge­nen Schrift­satz be­gründet. Die Be­ru­fungs­be­gründung wur­de der Kläge­rin am 20.06.2016 zu­ge­stellt. Mit dem am 13.06.2016 bei Ge­richt ein­ge­gan­ge­nen Schrift­satz er­hob die Kläge­rin An­schluss­be­ru­fung.

Sie trägt vor, die der Kla­ge zu­grun­de­lie­gen­den Tat­sa­chen sei­en un­strei­tig. Die Be­klag­te ist wei­ter der Auf­fas­sung, Schicht­zu­la­gen so­wie Zu­schläge für Sonn- und Fei­er­tags- so­wie Nacht­ar­beit sei­en kei­ne Er­schwer­nis­zu­la­gen im Sin­ne des § 850a Nr. 3 ZPO. Die Ent­schei­dung des Ar­beits­ge­richts und mit­hin auch die des LAG Ber­lin-Bran­den­burg fas­se den Be­griff der Er­schwer­nis­se im Sin­ne des § 850a Nr. 3 ZPO zu weit. Aus dem Wort­laut „Ge­fah­ren­zu­la­ge so­wie Schmutz- und Er­schwer­nis­zu­la­gen“ ergäbe sich, dass ge­ra­de nicht von den zeit­li­chen Umständen der Er­brin­gung der Ar­beits­leis­tung aus­ge­gan­gen wer­den könne. So­wohl die „Ge­fahr“ als auch der „Schmutz“ sei­en Be­stand­teil der Tätig­keit an sich. Mit der frühe­ren Recht­spre­chung des BAG müsse da­von aus­ge­gan­gen wer­den, dass nach dem all­ge­mei­nen Wort­sinn be­las­ten­de Be­gleit­umstände wie Schmutz, Staub, Lärm, Hit­ze und Erschütte­run­gen ge­meint sei­en. Der Be­griff der Er­schwer­nis im § 850 a Nr. 3 sei kein Ein­falls­tor dafür, dass jeg­li­cher Aus­gleich für Be­las­tun­gen ei­ner Pfändung ent­zo­gen sei. Führe man die­sen Ge­dan­ken wei­ter müsse jeg­li­che über­ob­li­ga­to­ri­sche Leis­tung pfändungs­frei sein.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ber­lin vom 18.03.2016 – 31 Ca 1437/16 – ab­zuändern und die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Die Kläge­rin be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen und

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die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an die Kläge­rin wei­te­re 175,00 Eu­ro net­to nebst Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz aus 147,00 Eu­ro seit dem 01.03.2016 und aus 28,00 Eu­ro seit dem 01.04.2016 zu zah­len.

Die Be­klag­te be­an­tragt wei­ter,

die An­schluss­be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Die Kläge­rin ver­tei­digt das erst­in­stanz­li­che Ur­teil und macht wei­ter Zah­lung von Zu­la­gen, die ih­rer An­sicht nach unpfänd­bar sei­en, für die Mo­na­te Fe­bru­ar und März 2016 in Höhe von ins­ge­samt 175,00 € (147,00 € für Fe­bru­ar und 28,00 € für März) gel­tend. Da­bei berück­sich­tigt die Kläge­rin wei­ter­hin gem. dem 2. Ergänzungs­ta­rif­ver­trag ge­zahl­te Zu­schläge für Ar­beit an Sams­ta­gen. We­gen der Be­rech­nung im Ein­zel­nen wird auf die Be­gründung der An­schluss­be­ru­fung vom 09.06.2016, Bl. 101 -102 der Ak­te, Be­zug ge­nom­men. Sie ist der An­sicht, auch Ar­beit an Sams­ta­gen sei ei­ne Er­schwer­nis im Sin­ne des § 850a Nr. 3 ZPO und des­halb unpfänd­bar.

Die Be­klag­te wen­det sich eben­falls ge­gen die An­schluss­be­ru­fung und ist der An­sicht, dass je­den­falls der von den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ver­ein­bar­te Zu­schlag für Ar­beit an Sams­ta­gen kei­ne Er­schwer­nis im Sin­ne der ge­setz­li­chen Re­ge­lung sei. Die von der Kläge­rin dar­ge­leg­ten Be­rech­nun­gen und Tat­sa­chen sei­en un­strei­tig. Al­ler­dings sei die Kla­ge­for­de­rung von 28,00 Eu­ro nicht für Fe­bru­ar 2016 son­dern März 2016 zu­grun­de zu le­gen.

We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des Sach- und Streit­stan­des wird auf die zwi­schen den Par­tei­en ge­wech­sel­ten Schriftsätze nebst An­la­gen so­wie auf den Tat­be­stand der an­ge­foch­te­nen Ent­schei­dung und die Sit­zungs­nie­der­schrif­ten bei­der In­stan­zen Be­zug ge­nom­men.

 

Ent­schei­dungs­gründe

1. Die Be­ru­fung ist zulässig. Sie ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. b ArbGG statt­haft und gemäß §§ 66 Abs. 1 Satz 1 und 2 ArbGG, 519 Abs. 1 und Abs. 2, 520 Abs. 1 und Abs. 3 ZPO frist- und form­ge­recht ein­ge­legt und be­gründet wor­den. Eben­so er­weist sich die An­schluss­be­ru­fung der Kläge­rin als zulässig (§ 524 ZPO).

2. Die Be­ru­fung der Be­klag­ten ist un­be­gründet. Das Ar­beits­ge­richt hat zu Recht und mit zu­tref­fen­der Be­gründung die Be­klag­ten ver­ur­teilt, an die Kläge­rin 864,91 Eu­ro und wei­te­re 105,00 Eu­ro nebst den gel­tend ge­mach­ten Zin­sen zu zah­len. Die An­schluss­be­ru­fung der Kläge­rin ist be­gründet.

2.1. Zu­tref­fend hat das Ar­beits­ge­richt ent­schie­den, dass die Kläge­rin ge­gen die Be­klag­te ei­nen An­spruch auf Zah­lung rest­li­cher Vergütung für die No­vem­ber 2015 bis Mai 2015 in Höhe von ins­ge­samt 969,91 Eu­ro nebst Zin­sen in Höhe von fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz gemäß § 247 BGB in Ver­bin­dung mit § 291 BGB hat.

2.1.1. Der An­spruch auf Zah­lung der rest­li­chen Vergütung für die Mo­na­te Ja­nu­ar 2013 bis Fe­bru­ar 2014 er­gibt sich aus § 8 TV VS 2009 in Ver­bin­dung mit den Ände­rungs­ta­rif­verträgen Nr. 1 und Nr. 2 vom 15.10.2013 und 05.01.2016. Der TV VS 2009 fin­det in sei­ner je­wei­li­gen Fas­sung kraft ein­zel­ver­trag­li­cher Ver­ein­ba­rung auf das Ar­beits­verhält­nis An­wen­dung. Zwi­schen den Par­tei­en ist un­strei­tig, dass für von der Kläge­rin ge­leis­te­te Wech­sel­schicht­ar­beit und für von ihr ge­leis­te­te Sonn­tags-, Fei­er­tags- und Nacht­ar­beit Ansprüche auf Zah­lung von Wech­sel­schicht­zu­la­gen und Ansprüche auf Zah­lung von

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Zu­schlägen für Sonn­tags-, Fei­er­tags- und Nacht­ar­beit in den streit­be­fan­ge­nen Mo­na­ten je­den­falls in Höhe der je­wei­li­gen Net­to­beträge ent­stan­den sind, die die Kläge­rin in ih­rer Auf­stel­lung im Kla­ge­schrift­satz vom 26. Ja­nu­ar 2016 und dem Kla­ge­er­wei­te­rungs­schrift­satz vom 09. Fe­bru­ar 2016 auf­geführt hat

2.1.2 Die Be­klag­te hat die­se Net­to­beträge un­strei­tig nicht an die Kläge­rin aus­ge­zahlt, son­dern die­se Beträge an den be­stell­ten Treuhänder aus­ge­kehrt. Durch die Zah­lung an den Treuhänder trat kei­ne Erfüllung gemäß § 362 Abs. 1 BGB ein. Die Kläge­rin ist wei­ter In­ha­ber der For­de­run­gen, weil die Ansprüche auf Zah­lung von Wech­sel­schicht­zu­la­gen nach § 8 Abs. 2 TV VS 2009 und die Ansprüche auf Zah­lung von Zu­schlägen gemäß § 8 Abs. 1 TV VS 2009 nicht von der Ab­tre­tungs­erklärung gemäß § 287 Abs. 2 In­sO der Kläge­rin um­fasst wa­ren, sie hat auch nicht in die Über­wei­sung die­ser Beträge an den Treuhänder ein­ge­wil­ligt, so dass auch kei­ne Erfüllung nach § 362 Abs. 2 BGB ein­ge­tre­ten ist. Es be­steht Ei­nig­keit zwi­schen den Par­tei­en, dass die Kläge­rin nur die pfänd­ba­ren Be­stand­tei­le ih­rer Vergütung aus dem Ar­beits­verhält­nis ab­ge­tre­ten hat. Darüber hin­aus kann gemäß § 400 BGB ei­ne For­de­rung nicht ab­ge­tre­ten wer­den, so­weit sie nicht der Pfändung un­ter­wor­fen ist.

2.1.3 Die Ansprüche auf Zah­lung ei­ner Wech­sel­schicht­zu­la­ge und die Ansprüche auf Zah­lung von Zu­schlägen für Nacht­ar­beit-, Sonn­tags- und Fei­er­tags­ar­beit gemäß § 8 Abs. 1 und 2 TV VS 2009 sind kei­ne pfänd­ba­ren For­de­run­gen; sie sind gemäß § 850a Nr. 3 ZPO unpfänd­bar. Bei den streit­ge­genständ­li­chen Ansprüchen han­delt es sich um Er­schwer­nis­zu­la­gen im Sin­ne der Vor­schrift der ZPO. Da­bei schließt sich die er­ken­nen­de Kam­mer der Be­gründung der 3. Kam­mer des LAG Ber­lin-Bran­den­burg vom 9. Ja­nu­ar 2015 (- 3 Sa 1335/14 – ju­ris) in vol­lem Um­fang an. Zu­tref­fend führt die 3. Kam­mer des LAG Ber­lin-Bran­den­burg in der ge­nann­ten Ent­schei­dung aus, dass gem. § 850a Nr. 3 ZPO, Auf­wands­entschädi­gun­gen, Auslösungs­gel­der und sons­ti­ge so­zia­le Zu­la­gen für auswärti­ge Beschäfti­gun­gen, das Ent­gelt für selbst­ge­stell­tes Ar­beits­ma­te­ri­al, Ge­fah­ren­zu­la­gen so­wie Schmutz- und Er­schwer­nis­zu­la­gen, so­weit die­se Bezüge den Rah­men des Übli­chen nicht über­stei­gen, unpfänd­bar sind. Er­schwer­nis­zu­la­gen im Sin­ne die­ser Vor­schrift sind auch Zu­la­gen bzw. Zu­schläge, die ge­zahlt wer­den, weil die La­ge der Ar­beits­zeit mit Er­schwer­nis­sen für den Ar­beit­neh­mer ver­bun­den ist (eben­so OVG Lüne­burg 17. Sep­tem­ber 2009 – 5 ME 186/09 – ZBR 2010, 60; VG Kas­sel 3. Ju­ni 2013 – 1 K 1496/12 KS - , JurBüro 2013, 599; VG Stutt­gart 11. Ju­ni 2012 – 3 K 878/12 – VuR 2013, 34; VG Düssel­dorf 4. Mai 2012 – 13 K 5526/10 - , ZIn­sO 2012, 1900; LG Han­no­ver 21. März 2012 - 11 T 6/12 - , VuR 2013, 32; Mu­sielak/Be­cker 11. Aufl. § 850a ZPO Rn. 5a; Sa­en­ger/Kem­per 6. Aufl. § 850a ZPO Rn. 5; Be­ckOK/Rie­del § 850a ZPO Rn. 14, Stand 1. Ja­nu­ar 2015; a. .A. Hes­si­sches LAG 25. No­vem­ber 1988 – 13 Sa 359/88 -; Baum­bach/Lau­ter­bach/Al­bers/Hart­mann 73. Aufl. § 850a ZPO Rn. 10; Zöller/Stöber 30. Aufl. § 850a ZPO Rn. 10; Stöber For­de­rungspfändung 16. Aufl. Rn. 997; St­ein/Jo­nas/Brehm 22. Aufl. § 850a ZPO Rn. 24; Wiec­zo­rek/Schütze/Lüke 3. Aufl. § 850a ZPO Rn. 27; MüKo/Smid 4. Aufl. § 850a ZPO Rn. 15). Dies er­ge­be die Aus­le­gung der Norm. Dem Wort­sinn des § 850a Nr. 3 ZPO kann nicht ent­nom­men wer­den, dass Er­schwer­nis­zu­la­gen im Sin­ne die­ser Vor­schrift nur sol­che Zu­la­gen sind, durch die ei­ne Er­schwer­nis ab­ge­gol­ten wer­den soll, die durch die Art der Ar­beit, ih­re Ei­gentümlich­keit ver­ur­sacht wird, da­ge­gen sol­che Zu­la­gen, die ge­zahlt wer­den, weil die ungüns­ti­ge La­ge der Ar­beits­zeit Er­schwer­nis­se für den Ar­beit­neh­mer ver­ur­sacht, nicht hier­von er­fasst wer­den. Für ei­ne sol­che Dif­fe­ren­zie­rung gibt der Wort­laut kei­ne An­halts­punk­te (LAG Ber­lin-Bran­den­burg vom 09.01.2015 – 3 Sa 1335/14 - ju­ris), denn die Vor­schrift des § 850a Nr. 3 ZPO un­ter­schei­det ge­ra­de nicht da­nach, aus wel­chem Grund die Er­schwer­nis­zu­la­ge ge­zahlt wird und wo­durch die Er­schwer­nis ver­ur­sacht wird, son­dern erklärt all­ge­mein, Er­schwer­nis­zu­schläge als unpfänd­ba­re Ein­kom­men für ei­nen Ar­beit­neh­mer können sich so­wohl auf Grund der Art der aus­zuüben­den Tätig­keit, aber auch auf­grund sons­ti­ger Umstände er­ge­ben, nämlich zum Bei­spiel we­gen re­gelmäßig wech­seln­der Dienst­schich­ten oder we­gen der Ver­pflich­tung, nachts oder an sol­chen Ta­gen, an de­nen übli­cher Wei­se kei­ne Ar­beitstätig­kei­ten zu er­brin­gen sind, ar­bei­ten zu müssen. So wirkt ein re­gelmäßiger Wech­sel der tägli­chen Ar­beits­zeit er­heb­lich auf den Le­bens­rhyth­mus ein und führt da­durch

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zu Er­schwe­run­gen (LAG Ber­lin-Bran­den­burg vom 09.01.2015 – 3 Sa 1335/14 – ju­ris, mwN). Eben­falls zu Be­las­tun­gen und Er­schwer­nis­sen führt der Um­stand, dass bei ge­leis­te­ter Wech­sel­schicht oder Schicht­ar­beit der Be­ginn und das En­de der Ar­beits­zeit außer­halb der all­ge­mein übli­chen Ar­beits- und Geschäfts­zei­ten lie­gen. Die ständi­ge Um­stel­lung des Ar­beits- und Le­bens­rhyth­mus ist mit ge­sund­heit­li­chen und so­zia­len Aus­wir­kun­gen ver­bun­den. Aber auch die Ver­pflich­tung, an Sonn­ta­gen, Fei­er­ta­gen und nachts zu ar­bei­ten, ver­ur­sacht für den Ar­beit­neh­mer Er­schwer­nis­se. Denn ihm wird da­mit die Teil­nah­me am ge­sell­schaft­li­chen Le­ben er­schwert. So er­ge­ben sich ins­be­son­de­re im fa­mi­liären und so­zia­len Be­reich Be­las­tun­gen für den Ar­beit­neh­mer, weil er zu Zei­ten ar­bei­ten muss, in de­nen die Mehr­zahl der Ar­beit­neh­mer ge­ra­de nicht ar­bei­tet, son­dern ih­re Frei­zeit ge­stal­ten kann. (LAG Ber­lin-Bran­den­burg vom 09.01.2015 – 3 Sa 1335/14 – ju­ris, mwN).

Auch die Sys­te­ma­tik und der Ge­samt­zu­sam­men­hang der Re­ge­lung in § 850a Nr. 3 ZPO spre­chen nicht für ei­ne ein­schränken­de Aus­le­gung des Be­griffs „Er­schwer­nis­zu­la­ge“.
Da­bei ist zu be­ach­ten, dass § 850a Nr. 3 ZPO ver­schie­de­ne Bezüge aufzählt, die aus völlig un­ter­schied­li­chen Gründen ge­leis­tet wer­den. So wer­den hier ei­ner­seits ech­te Auf­wands­entschädi­gun­gen auf­geführt, mit der tatsächli­che Auf­wen­dun­gen des Ar­beit­neh­mers aus­ge­gli­chen wer­den, darüber hin­aus auch so­zia­le Zu­la­gen für auswärti­ge Beschäfti­gun­gen. Die Aufzählung die­ser un­ter­schied­li­chen Bezüge lässt dem­nach ge­ra­de nicht dar­auf schließen, dass Er­schwer­nis­zu­la­gen nur sol­che sind, die ih­ren Grund ge­ra­de in der Art der Tätig­keit ha­ben (LAG Ber­lin-Bran­den­burg vom 09.01.2015 – 3 Sa 1335/14 – ju­ris). Die Auf­lis­tung der un­ter­schied­li­chen unpfänd­ba­ren Bezüge­be­stand­tei­le in § 850a Nr. 3 ZPO ver­deut­licht viel­mehr den Zweck der Vor­schrift, nämlich dem Ar­beit­neh­mer die Bezüge zu be­las­sen, die er vom Ar­beit­ge­ber we­gen ei­ge­ner fi­nan­zi­el­ler, so­zia­ler, ge­sund­heit­li­cher oder sons­ti­ger persönli­cher Be­las­tun­gen auf­grund der Er­brin­gung der Ar­beits­leis­tung erhält. Die­ser er­kenn­bar ver­folg­ten Zweck­set­zung würde es aber wi­der­spre­chen, wenn der Be­griff Er­schwer­nis­zu­la­gen ein­schränkend aus­ge­legt wird. Es gibt nämlich kei­ne plau­si­blen Gründe, wes­halb Zu­la­gen für Er­schwer­nis­se, die ih­ren Grund in der Art bzw. Ei­gentümlich­keit der Ar­beit ha­ben, unpfänd­bar sein sol­len, da­ge­gen Zu­la­gen, die ei­nen Aus­gleich für die Er­schwer­nis­se auf­grund der ungüns­ti­gen La­ge der Ar­beits­zeit bzw. den ständi­gen Wech­sel der Ar­beits­zeit gewähren, nicht. Die Be­las­tun­gen für den Ar­beit­neh­mer können in bei­den Fällen gleich hoch sein. Der Ar­beit­neh­mer soll über den fi­nan­zi­el­len Aus­gleich für die Er­schwer­nis­se, so­weit sich die­ser im Rah­men des Übli­chen hält, frei verfügen können und die­sen für sich be­hal­ten dürfen. Durch die Unpfänd­bar­keit kann der Ar­beit­neh­mer zu­dem mo­ti­viert wer­den, die für ihn mit Er­schwer­nis­sen ver­bun­de­nen Tätig­kei­ten aus­zuüben, was dem Ar­beit­ge­ber zu­gu­te­kommt (LAG Ber­lin-Bran­den­burg vom 09.01.2015 – 3 Sa 1335/14 – ju­ris, mwN).

Nach der zu­tref­fen­den An­sicht der 3. Kam­mer des LAG Ber­lin-Bran­den­burg kann ei­ne ein­schränken­de Aus­le­gung des Be­griffs „Er­schwer­nis­zu­la­ge“ auch nicht mit ei­nem Be­scheid des Bun­des­mi­nis­ters der Jus­tiz vom 13. Au­gust 1952 (- 3742 – 13 281/52 -) be­gründet wer­den, in dem die­ser aus­weis­lich ei­nes in der Zeit­schrift „Der Be­triebs-Be­ra­ter“ (Jahr­gang 1952, S. 859) ent­hal­te­nen Hin­wei­ses im Ein­ver­neh­men mit dem Bun­des­mi­nis­ter für Ar­beit den Be­griff der Schmutz- und Er­schwer­nis­zu­la­ge im Sin­ne des § 3 Nr. 3 der Ver­ord­nung zur ein­heit­li­chen Re­ge­lung des Pfändungs­schut­zes für Ar­beits­ein­kom­men - Lohnpfändungs­ver­ord­nung 1940 - vom 30. Ok­to­ber 1940 (RGBl. I S. 1451) in der Fas­sung des Ge­set­zes vom 22. April 1952 (BGBl. I S. 247) da­hin erläutert hat, dass "dar­un­ter nur sol­che Lohn­zu­schläge zu ver­ste­hen sind, die zur Ab­gel­tung ei­ner durch die Ei­gentümlich­keit der Ar­beit ver­ur­sach­ten Er­schwer­nis gewährt wer­den." Da­zu gehörten, so der in der Zeit­schrift BB 1952, 859 wie­der­ge­ge­be­ne Hin­weis, "Zu­schläge für Hit­ze-, Was­ser-, Säure-, Staub-, Schacht- und Tun­nel-, Druck­luft- und Tau­cher- so­wie St­a­chel­draht­ar­beit". Zu­schläge für Nacht-, Sonn- und Fei­er­tags­ar­beit könn­ten hin­ge­gen nicht als Er­schwer­nis­zu­la­gen an­ge­se­hen wer­den, die­se Auf­fas­sung ent­spre­che, so die Veröffent­li­chung, "auch der ta­rif­li­chen Pra­xis, die Er­schwer­nis­zu­la­gen von Nacht-, Sonn- und Fei­er­tags- und ähn­li­chen Zu­schlägen" klar un­ter­schei­de (vgl. hier­zu BB 1952, 859). Die Ausführun­gen

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des Bun­des­mi­nis­ters der Jus­tiz vom 13. Au­gust 1952 sind be­reits nicht zu § 850a Nr. 3 ZPO er­gan­gen. Es ist auch nicht er­kenn­bar, dass die­se Erwägun­gen ex­pli­zit in das Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­ren zu § 850a Nr. 3 ZPO ein­ge­flos­sen sind (LAG Ber­lin-Bran­den­burg vom 09.01.2015 – 3 Sa 1335/14 - ju­ris ,vgl. hier­zu auch OVG Lüne­burg 17. Sep­tem­ber 2009 – 5 ME 186/09 – Ju­ris-Rn. 10f, ZBR 2010, 60). Im Übri­gen hat die­se In­ter­pre­ta­ti­on kei­nen Aus­druck in § 850a Nr. 3 ZPO ge­fun­den. Für die Aus­le­gung die­ser Vor­schrift kann es auch nicht maßgeb­lich dar­auf an­kom­men, wie Zu­la­gen in Ta­rif­verträgen be­zeich­net wer­den. Denn von der Be­stim­mung sind nicht nur sol­che Zu­la­gen er­fasst, die auf der Grund­la­ge von Ta­rif­verträgen ge­zahlt wer­den. Wie sich be­reits aus dem Be­griff der Er­schwer­nis­zu­la­ge er­gibt, kommt es al­lein dar­auf an, ob ei­ne Zu­la­ge für tatsächlich mit der Ausübung der Ar­beit ver­bun­de­ne Er­schwer­nis­se ge­zahlt wird (LAG Ber­lin-Bran­den­burg vom 09.01.2015 – 3 Sa 1335/14 – ju­ris)

Da­nach sind so­wohl die Wech­sel­schicht­zu­la­ge nach § 8 Abs. 5 TVöD als auch die Zu­schläge, die gemäß § 8 Abs. 1 Buchst. b, c und d TVöD für Nacht-, Sonn­tags- und Fei­er­tags­ar­beit ge­zahlt wer­den, Er­schwer­nis­zu­la­gen im Sin­ne des § 850a Nr. 3 ZPO. Die Wech­sel­schicht­zu­la­ge gewährt ei­nen fi­nan­zi­el­len Aus­gleich dafür, dass Wech­sel­schicht­ar­beit er­heb­lich auf den Le­bens­rhyth­mus ein­wirkt und ihr Be­ginn und En­de außer­halb der übli­chen Ar­beits- und Geschäfts­zei­ten liegt. Die mit der Ausübung der Wech­sel­schicht­ar­beit ver­bun­de­nen Be­las­tun­gen und Er­schwer­nis­se sol­len aus­ge­gli­chen wer­den. Da­mit han­delt es sich um ei­ne Er­schwer­nis­zu­la­ge (vgl. auch BAG 24. Sep­tem­ber 2008 - 10 AZR 770/07 – Rn. 39, BA­GE 128, 42; 24. März 2010 – 10 AZR 58/08 – Rn. 24, 32, BA­GE 134, 34). Durch die Zah­lung der Zu­schläge für Nacht-, Sonn­tags- und Fei­er­tags­ar­beit sol­len die Er­schwer­nis­se und Be­las­tun­gen aus­ge­gli­chen wer­den, die da­durch ent­ste­hen, dass die Ar­beitstätig­keit zu ungüns­ti­gen Ar­beits­zei­ten auf den Le­bens­rhyth­mus ein­wirkt und die Nacht und der Sonn­tag bzw. Fei­er­tag nicht der Re­ge­ne­ra­ti­on die­nen kann, bzw. die Sonn- und Fei­er­ta­ge zum Bei­spiel nicht dem Zu­sam­men­sein mit der Fa­mi­lie und für Vor­nah­me von re­li­giösen Hand­lun­gen ge­nutzt wer­den können (LAG Ber­lin-Bran­den­burg vom 09.01.2015 – 3 Sa 1335/14 – ju­ris; mwN).

Auch ist je­den­falls im Rah­men der Nacht­schicht und Wech­sel­schicht­zu­la­gen be­son­ders zu be­ach­ten, dass sich in An­be­tracht neue­rer ar­beits­me­di­zi­ni­scher Er­kennt­nis­se, die sich auch in der Recht­set­zung der Eu­ropäischen Uni­on nie­der­ge­schla­gen ha­ben, die Auf­fas­sung durch­ge­setzt hat, dass lan­ge Nacht­ar­beits­zei­ten für die Ge­sund­heit der Ar­beit­neh­mer ge­ne­rell nach­tei­lig sind und Maßnah­men zum Schutz und zur Si­cher­heit der Ar­beit­neh­mer er­for­dern (vgl. Richt­li­nie 2003/88/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 4. No­vem­ber 2003 über be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung, ABl. L 299 vom 18. No­vem­ber 2003, S. 9 ff., Erwägungs­grund 7; Richt­li­nie 93/104/EG des Ra­tes vom 23. No­vem­ber 1993 über be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung, ABl. L 307 vom 13. De­zem­ber 1993, S. 18 ff., Erwägungs­gründe) Da­mit ist nicht ge­recht­fer­tigt, für Nacht­ar­beit und Wech­sel­schich­ten gewähr­te Zu­schläge zum Grund­ge­halt nur dann nach § 850a Nr. 3 ZPO als Er­schwer­nis­zu­la­gen von der Pfänd­bar­keit aus­zu­neh­men, wenn mit der Leis­tung der Nacht­ar­beit be­son­de­re, über die La­ge der Ar­beits­zeit zur Nacht­zeit hin­aus­ge­hen­de Er­schwer­nis­se ver­bun­den sind. Viel­mehr stellt die Leis­tung von Ar­beit zur Nacht­zeit und zu wech­seln­den Schicht­zei­ten ei­ne ge­ne­rell mit ge­sund­heit­li­chen Ri­si­ken für den Ar­beit­neh­mer ver­bun­de­ne Er­schwer­nis sei­ner Ar­beit dar, die es recht­fer­tigt, zur Ab­gel­tung die­ser Er­schwer­nis ge­zahl­te Nacht­ar­beits­zu­schläge als nach § 850a Nr. 3 ZPO unpfänd­ba­re Er­schwer­nis­zu­la­gen zu qua­li­fi­zie­ren, so­weit die­se den Rah­men des Übli­chen nicht über­stei­gen (so je­den­falls für Nacht­ar­beits­zu­schläge BGH, Be­schluss vom 29. Ju­ni 2016 – VII ZB 4/15 –, Rn. 13, ju­ris).

Da­bei kommt es nach An­sicht der Kam­mer nicht auf die steu­er­recht­li­che Be­wer­tung der Zu­schläge an. Mag dies im Rah­men der Nacht­zu­schläge ein Kri­te­ri­um dar­stel­len in­wie­weit die Zu­schläge das Maß des Übli­chen über­schrei­ten. Denn um­ge­kehrt wer­den Zu­schläge für Sonn- und Fei­er­tags­ar­beit steu­er­recht­lich begüns­tigt, doch geht die­se

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Ar­beit ty­pi­scher­wei­se nicht mit be­son­de­ren ge­sund­heit­li­chen Be­las­tun­gen ein­her. Trotz­dem ist auch hier ein zwangs­voll­stre­ckungs­recht­lich re­le­van­ter Schutz­ge­dan­ke zu­grun­de zu le­gen. Aus­ge­gli­chen wer­den mit die­sen Zah­lun­gen fa­mi­liäre Be­las­tun­gen und so­zio-kul­tu­rel­le Be­nach­tei­li­gun­gen. Die Zu­schläge kom­pen­sie­ren die durch die La­ge der Ar­beits­zeit ein­ge­schränk­ten, voll­stre­ckungs­recht­lich be­acht­li­chen Teil­ha­be­chan­cen am so­zia­len und fa­mi­liären Le­ben. Glei­ches gilt nach An­sicht der Kam­mer auch für die steu­er­recht­lich nicht pri­vi­le­gier­ten Zu­la­gen für Sonn­abend­ar­beit. Bei Zu­schlägen für Diens­te zu ungüns­ti­gen Zei­ten ver­mi­schen sich die Ziel­set­zun­gen. So­weit sie Be­las­tun­gen durch Nacht- und Schicht­ar­beit aus­glei­chen, die­nen sie dem Ge­sund­heits­schutz, im Übri­gen dem fa­mi­liären und so­zio-kul­tu­rel­len Aus­gleich (NJW 2016, 2812, beck-on­line).

Auch über­stei­gen vor­lie­gend die ta­rif­li­chen Zu­la­gen nicht den Rah­men des Übli­chen. Dies wird von dem Be­klag­ten auch nicht gel­tend ge­macht.

So­weit die Be­klag­te vorträgt, die mit der An­schluss­be­ru­fung gel­tend ge­mach­te Zah­lung von 28,00 Eu­ro be­zie­he sich auf März 2016, ist dies nicht nach­voll­zieh­bar. Die ein­zel­nen, von der Kläge­rin dar­ge­leg­ten Zu­schlags­zah­lun­gen, aus de­nen die­se den ge­for­der­ten Be­trag von 28,00 Eu­ro be­rech­net, sind nicht be­strit­ten. Aus wel­chen Gründen die Be­klag­te meint, die For­de­rung sei auf März zu be­zie­hen, ist nicht nach­voll­zieh­bar. Die Kam­mer weist al­ler­dings dar­auf hin, dass sie bei der Ent­schei­dungs­fin­dung den für den Mo­nat Fe­bru­ar be­rech­ne­ten von der Kläge­rin gel­tend ge­mach­ten „Vor­fest­zu­schlag“ ver­se­hent­lich mit­berück­sich­tigt hat. Dafür ist we­der ei­ne ta­rif­li­che Grund­la­ge noch ei­ne be­son­de­re Er­schwer­nis im Sin­ne des § 850a Nr. 3 ZPO er­kenn­bar.

2.2. Die hier streit­ge­genständ­li­chen Ansprüche wur­den recht­zei­tig im Sin­ne von § 20 TV VS 2009 gel­tend ge­macht und sind nicht ver­fal­len.

3. Die Kläge­rin hat An­spruch auf die gel­tend ge­mach­ten Zin­sen (§ 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1, § 288 Abs. 1 BGB).


5. Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 97 Abs. 1 ZPO. Der Be­klag­te hat die Kos­ten des er­folg­lo­sen Rechts­mit­tels zu tra­gen.

6. Die Re­vi­si­on wur­de gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 ArbGG zu­ge­las­sen.

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