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BAG, Ur­teil vom 12.12.2012, 10 AZR 718/11

   
Schlagworte: Sonderzahlung, Gratifikation, Tarifvertrag
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 10 AZR 718/11
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 12.12.2012
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht München, Urteil vom 03.02.2011, 22 Ca 10139/10
Landesarbeitsgericht München, Urteil vom 28.06.2011, 6 Sa 252/11
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

10 AZR 718/11
6 Sa 252/11
Lan­des­ar­beits­ge­richt
München 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am
12. De­zem­ber 2012

UR­TEIL

Jatz, Ur­kunds­be­am­tin
der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläger, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­onskläger,

pp.

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

 

hat der Zehn­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 12. De­zem­ber 2012 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Prof. Dr. Mi­kosch, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Rein­fel­der und Mest­werdt so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­te­rin­nen Schürmann und Fie­back für Recht er­kannt:

 

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1. Die Re­vi­si­on des Klägers ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts München vom 28. Ju­ni 2011 - 6 Sa 252/11 - wird zurück­ge­wie­sen.

2. Der Kläger hat die Kos­ten der Re­vi­si­on zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über ei­ne ta­rif­li­che Jah­res­son­der­zah­lung für das Jahr 2009.

Der am 22. Ok­to­ber 1944 ge­bo­re­ne Kläger war bei der be­klag­ten Stadt seit 1968 als An­ge­stell­ter im tech­ni­schen Dienst beschäftigt. Auf das Ar­beits­verhält­nis fand zu­letzt der Ta­rif­ver­trag für den öffent­li­chen Dienst (TVöD) in der für kom­mu­na­le Ar­beit­ge­ber gel­ten­den Fas­sung (VKA) kraft ar­beits­ver­trag­li­cher Be­zug­nah­me An­wen­dung. Zum 31. Ok­to­ber 2009 schied der Kläger gemäß § 33 Abs. 1 Buchst. a TVöD we­gen Er­rei­chens der ge­setz­li­chen Re­gel­al­ters­gren­ze aus dem Ar­beits­verhält­nis aus.

§ 20 TVöD lau­tet aus­zugs­wei­se:

㤠20
Jah­res­son­der­zah­lung
(1) Beschäftig­te, die am 1. De­zem­ber im Ar­beits­verhält­nis ste­hen, ha­ben An­spruch auf ei­ne Jah­res­son­der­zah­lung.
(2) Die Jah­res­son­der­zah­lung beträgt bei Beschäftig­ten, ...“

Für das Jahr 2009 gewähr­te die Be­klag­te dem Kläger we­gen des­sen Aus­schei­dens kei­ne Jah­res­son­der­zah­lung.

Der Kläger hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, die Stich­tags­re­ge­lung in § 20 Abs. 1 TVöD be­nach­tei­li­ge ihn auf­grund sei­nes Al­ters. Es lie­ge be­reits ei­ne

 

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un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung vor, weil Ar­beit­neh­mer, die we­gen Er­rei­chens der Al­ters­gren­ze vor dem 1. De­zem­ber ei­nes Jah­res aus dem Ar­beits­verhält­nis aus­schei­den, die Vor­aus­set­zun­gen des § 20 Abs. 1 TVöD nicht erfüllen könn­ten. Je­den­falls führe die Re­ge­lung zu ei­ner mit­tel­ba­ren Be­nach­tei­li­gung älte­rer Ar­beit­neh­mer. Die­se könn­ten die Jah­res­son­der­zah­lung im letz­ten Beschäfti­gungs­jahr in deut­lich we­ni­ger Fällen be­an­spru­chen als jünge­re Ar­beit­neh­mer. An­ders als jünge­re Ar­beit­neh­mer, die ei­ne Ei­genkündi­gung aus­spre­chen oder ei­nen Auf­he­bungs­ver­trag ab­sch­ließen, könn­ten älte­re Ar­beit­neh­mer den Zeit­punkt der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses we­gen Er­rei­chens der Re­gel­al­ters­gren­ze nicht selbst steu­ern. Auch würden Stel­len im öffent­li­chen Dienst ganz über­wie­gend nicht nach­be­setzt. Darüber hin­aus be­nach­tei­li­ge § 20 Abs. 1 TVöD älte­re Ar­beit­neh­mer, die vor dem 1. De­zem­ber ei­nes Jah­res al­ters­be­dingt aus­schei­den, ge­genüber an­de­ren älte­ren Ar­beit­neh­mern, de­ren Ar­beits­verhält­nis erst nach dem 1. De­zem­ber al­ters­be­dingt en­det. Zu­dem fol­ge der An­spruch aus dem all­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­grund­satz. Durch die Stich­tags­re­ge­lung würden Ar­beit­neh­mer in ver­gleich­ba­rer La­ge un­ter­schied­lich be­han­delt.

Der Kläger hat be­an­tragt, 

die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an ihn 2.310,38 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen in Höhe von fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit Rechtshängig­keit zu zah­len.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen. Die Stich­tags­re­ge­lung in § 20 Abs. 1 TVöD sei wirk­sam. Die Norm be­nach­tei­li­ge älte­re Ar­beit­neh­mer nicht un­mit­tel­bar, weil sie nicht auf das Al­ter, son­dern auf den Be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses als dif­fe­ren­zie­ren­des Kri­te­ri­um ab­stel­le. Sie führe auch nicht zu ei­ner mit­tel­ba­ren Be­nach­tei­li­gung älte­rer Ar­beit­neh­mer. Je­den­falls sei ei­ne et­wai­ge Un­gleich­be­hand­lung ge­recht­fer­tigt. Da mit der Jah­res­son­der­zah-lung Be­triebs­treue be­lohnt wer­den sol­le, dürfe zwi­schen be­en­de­ten und be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis­sen dif­fe­ren­ziert wer­den.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­ru­fung des Klägers zurück­ge­wie­sen. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge-

 

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richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt der Kläger sein Kla­ge­be­geh­ren wei­ter.

Ent­schei­dungs­gründe

Die zulässi­ge Re­vi­si­on ist un­be­gründet. Der Kläger hat kei­nen An­spruch auf ei­ne ta­rif­li­che Jah­res­son­der­zah­lung aus § 20 Abs. 1 TVöD für das Jahr 2009. Die Ta­rif­norm ist wirk­sam. Eben­so we­nig be­steht ein Scha­dens­er­satz­an­spruch in ent­spre­chen­der Höhe oder ein An­spruch aus dem ar­beits­recht­li­chen Gleich­be­hand­lungs­grund­satz.

I. Ein An­spruch des Klägers folgt nicht aus § 20 Abs. 1 TVöD. Die in § 20 Abs. 1 TVöD ent­hal­te­ne Stich­tags­re­ge­lung ist wirk­sam. Sie verstößt nicht ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot des § 7 Abs. 1 AGG. Sie ist auch mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG ver­ein­bar.

1. Die An­spruchs­vor­aus­set­zun­gen des § 20 Abs. 1 TVöD wa­ren im Jahr 11 2009 nicht erfüllt, weil der Kläger am 1. De­zem­ber 2009 nicht mehr in ei­nem Ar­beits­verhält­nis zur Be­klag­ten stand. Die­ses en­de­te gemäß § 33 Abs. 1 Buchst. a TVöD am 31. Ok­to­ber 2009, nach­dem der Kläger am 22. Ok­to­ber 2009 das 65. Le­bens­jahr voll­endet und so­mit die Re­gel­al­ters­gren­ze (§ 235 Abs. 2 Satz 1 SGB VI) er­reicht hat­te. Die Be­fris­tung des Ar­beits­ver­trags auf­grund der ta­rif­li­chen Al­ters­gren­ze gilt schon des­halb nach § 17 Satz 2 Tz­B­fG iVm. § 7 Halbs. 1 KSchG als wirk­sam, weil der Kläger kei­ne Be­fris­tungs­kon­troll­kla­ge er­ho­ben hat (vgl. zur An­wend­bar­keit von § 17 Satz 2 Tz­B­fG iVm. § 7 Halbs. 1 KSchG im Fal­le ta­rif­li­cher Al­ters­gren­zen: BAG 18. Ja­nu­ar 2012 - 7 AZR 211/09 - Rn. 13 ff., AP Tz­B­fG § 14 Nr. 92 = EzA Tz­B­fG § 17 Nr. 16). Die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses zum 31. Ok­to­ber 2009 wird vom Kläger auch nicht in Fra­ge ge­stellt.

2. Die in § 20 Abs. 1 TVöD ent­hal­te­ne Stich­tags­re­ge­lung ist nicht gemäß § 7 AGG un­wirk­sam.

 

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a) Gemäß § 7 Abs. 1 Halbs. 1 iVm. § 1 AGG dürfen Beschäftig­te nicht we­gen des Al­ters be­nach­tei­ligt wer­den. Nach § 7 Abs. 2 AGG sind Be­stim­mun­gen in Ver­ein­ba­run­gen, die ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot des § 7 Abs. 1 AGG ver­s­toßen, un­wirk­sam. § 7 Abs. 2 AGG gilt auch für Ta­rif­verträge (BAG 11. Au­gust 2009 - 3 AZR 23/08 - Rn. 33, BA­GE 131, 298). Wenn ge­setz­li­che oder ta­rif­ver­trag­li­che Re­ge­lun­gen ei­ne mit ei­ner Richt­li­nie un­ver­ein­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung vor­se­hen, sind die na­tio­na­len Ge­rich­te ge­hal­ten, die Dis­kri­mi­nie­rung auf je­de denk­ba­re Wei­se und ins­be­son­de­re da­durch aus­zu­sch­ließen, dass sie die Re­ge­lung für die nicht be­nach­tei­lig­te Grup­pe auch auf die be­nach­tei­lig­te Grup­pe an­wen­den, oh­ne die Be­sei­ti­gung der Dis­kri­mi­nie­rung durch den Ge­setz­ge­ber, die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en oder in an­de­rer Wei­se ab­zu­war­ten (vgl. BAG 20. März 2012 - 9 AZR 529/10 - Rn. 28 mwN, EzA AGG § 10 Nr. 5; zur Fra­ge der Be­sei­ti­gung der Dis­kri­mi­nie­rung für die Zu­kunft: vgl. auch BAG 10. No­vem­ber 2011 - 6 AZR 148/09 - Rn. 28, AP BAT § 27 Nr. 12 = EzA EG-Ver­trag 1999 Richt­li­nie 2000/78 Nr. 25). Ein Ver­s­toß der Stich­tags­re­ge­lung ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot hätte da­nach zur Fol­ge, dass die in § 20 Abs. 1 TVöD ent­hal­te­ne Stich­tags­re­ge­lung er­satz­los ent­fie­le und der Kläger ei­nen An­spruch auf ei­ne Jah­res­son­der­zah­lung hätte, de­ren Höhe sich nach den in § 20 Abs. 4 TVöD nie­der­ge­leg­ten Grundsätzen rich­ten würde.

b) § 20 Abs. 1 TVöD ist am Maßstab des AGG zu mes­sen.

aa) Nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG gel­ten die Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bo­te der §§ 1, 7 AGG auch für Beschäfti­gungs- und Ar­beits­be­din­gun­gen ein­sch­ließlich des Ar­beits­ent­gelts. Zum Ar­beits­ent­gelt in die­sem Sin­ne zählen Gra­ti­fi­ka­tio­nen und Son­der­vergütun­gen (Schleu­se­ner in Schleu­se­ner/Suckow/Voigt AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 9).

bb) § 20 TVöD trat gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a TVöD zum 1. Ja­nu­ar 2007 und da­mit nach In­kraft­tre­ten des AGG am 18. Au­gust 2006 in Kraft. Im Übri­gen ist die hier gel­tend ge­mach­te Be­nach­tei­li­gung erst im Jahr 2009 ein­ge­tre­ten. Für die An­wend­bar­keit des AGG ist nicht der Zeit­punkt des Ab­schlus­ses des Ta­rif­ver­trags, son­dern der Zeit­punkt der Be­nach­tei­li­gungs-

 

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hand­lung maßgeb­lich (BAG 20. März 2012 - 9 AZR 529/10 - Rn. 12, EzA AGG § 10 Nr. 5; 16. De­zem­ber 2008 - 9 AZR 985/07 - Rn. 33, BA­GE 129, 72).

c) Ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung iSd. § 3 Abs. 1 AGG liegt nicht vor.

aa) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG liegt ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung vor, wenn ei­ne Per­son we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des ei­ne we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung erfährt, als ei­ne an­de­re Per­son in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on erfährt, er­fah­ren hat oder er­fah­ren würde. Der für ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung er­for­der­li­che Kau­sal­zu­sam­men­hang ist ge­ge­ben, wenn die Be­nach­tei­li­gung an ei­nen oder meh­re­re in § 1 AGG ge­nann­te Gründe an­knüpft oder da­durch mo­ti­viert ist (BAG 20. März 2012 - 9 AZR 529/10 - Rn. 14 mwN, EzA AGG § 10 Nr. 5). Ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung we­gen des Al­ters liegt vor, wenn die Beschäfti­gungs­be­din­gun­gen un­ter Be­zug auf ein be­stimm­tes Le­bens­al­ter oder ein Kri­te­ri­um, das un­trenn­bar mit dem Le­bens­al­ter ver­bun­den ist, un­ter­schied­lich aus­ge­stal­tet wer­den (BAG 20. März 2012 - 9 AZR 529/10 - Rn. 14 f. aaO; 30. No­vem­ber 2010 - 3 AZR 754/08 - Rn. 25, AP Be­trAVG § 16 Nr. 72 = EzA Be­trAVG § 16 Nr. 57; vgl. EuGH 12. Ok­to­ber 2010 - C-499/08 - [An­der­sen] Rn. 23, Slg. 2010, I-9343).

bb) Nach die­sen Grundsätzen führt die Dif­fe­ren­zie­rung in § 20 Abs. 1 TVöD nicht zu ei­ner un­mit­tel­ba­ren Be­nach­tei­li­gung we­gen des Al­ters. Die Vor­schrift knüpft nicht an ein be­stimm­tes Le­bens­al­ter an; sie stützt sich auch nicht auf ein Kri­te­ri­um, das un­trenn­bar mit dem Le­bens­al­ter ver­bun­den ist. An­knüpfungs­tat­be­stand ist viel­mehr der Be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses an ei­nem be­stimm­ten Stich­tag. § 20 Abs. 1 TVöD un­ter­schei­det zwi­schen Mit­ar­bei­tern, de­ren Ar­beits­verhält­nis am 1. De­zem­ber ei­nes Jah­res be­steht, und sol­chen Mit­ar­bei­tern, de­ren Ar­beits­verhält­nis nach die­sem Zeit­punkt be­ginnt oder vor die­sem Zeit­punkt ge­en­det hat. Der Grund für die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ist da­bei nicht maßgeb­lich. Be­en­di­gun­gen gemäß § 33 Abs. 1 Buchst. a TVöD we­gen Er­rei­chens der Re­gel­al­ters­gren­ze führen eben­so zum Ver­lust des An­spruchs auf die Jah­res­son­der­zah­lung wie die Be­en­di­gung aus an­de­ren Gründen, bei­spiels­wei­se auf­grund Ei­genkündi­gung des Ar­beit­neh­mers, Kündi-

 

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gung des Ar­beit­ge­bers oder Er­rei­chens des Be­fris­tungs­en­des gemäß § 15 Abs. 1 Tz­B­fG.

d) Die Stich­tags­re­ge­lung in § 20 Abs. 1 TVöD führt auch nicht zu ei­ner mit­tel­ba­ren Be­nach­tei­li­gung älte­rer Ar­beit­neh­mer gemäß § 3 Abs. 2 AGG.

aa) Ei­ne mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung liegt vor, wenn dem An­schein nach neu­tra­le Vor­schrif­ten ih­rem We­sen nach ge­eig­net sind, Per­so­nen oder Per­so­nen­grup­pen aus den in § 1 AGG ge­nann­ten Gründen in be­son­de­rer Wei­se zu be­nach­tei­li­gen. Dies kann der Fall sein, wenn Vor­schrif­ten im We­sent­li­chen oder ganz über­wie­gend Per­so­nen, die ei­nes der verpönten Merk­ma­le erfüllen, be­tref­fen, wenn sie an Vor­aus­set­zun­gen knüpfen, die von Per­so­nen, die von § 1 AGG nicht er­fasst sind, leich­ter erfüllt wer­den oder wenn sich die Tat­be­stands­vor­aus­set­zun­gen ei­ner Norm be­son­ders zum Nach­teil von Per­so­nen, für die ein Merk­mal des § 1 AGG gilt, aus­wir­ken (BAG 27. Ja­nu­ar 2011 - 6 AZR 526/09 - Rn. 27, BA­GE 137, 80; 22. April 2010 - 6 AZR 966/08 - Rn. 21, BA­GE 134, 160). Für die An­nah­me ei­ner mit­tel­ba­ren Be­nach­tei­li­gung iSv. § 3 Abs. 2 AGG ist nicht zwin­gend ein sta­tis­ti­scher Nach­weis er­for­der­lich, dass Träger ei­nes der Merk­ma­le des § 1 AGG zah­lenmäßig we­sent­lich stärker von ei­ner Vor­schrift be­nach­tei­ligt wer­den als Per­so­nen, bei de­nen die­ses Merk­mal nicht vor­liegt. Mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­run­gen können sta­tis­tisch nach­ge­wie­sen wer­den, können sich aber auch aus an­de­ren Umständen er­ge­ben (BAG 27. Ja­nu­ar 2011 - 6 AZR 526/09 - aaO; 22. April 2010 - 6 AZR 966/08 - Rn. 20, aaO).

Zur Fest­stel­lung, ob ei­ne mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung vor­liegt, sind Ver­gleichs­grup­pen zu bil­den, die dem persönli­chen Gel­tungs­be­reich der Dif­fe­ren­zie­rungs­re­gel ent­spre­chend zu­sam­men­ge­setzt sind. Bei Ta­rif­verträgen ist des­halb auf den ge­sam­ten Kreis der von der frag­li­chen Be­stim­mung er­fass­ten Nor­mun­ter­wor­fe­nen ab­zu­stel­len. Der Ge­samt­heit der Per­so­nen, die von der Re­ge­lung er­fasst wer­den, ist die Ge­samt­heit der Per­so­nen ge­genüber­zu­stel­len, die durch die Re­ge­lung be­nach­tei­ligt wer­den. Im Ver­gleich die­ser Grup­pen ist zu prüfen, ob die Träger ei­nes Merk­mals des § 1 AGG im oben ge­nann­ten Sinn

 

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be­son­ders be­nach­tei­ligt sind (BAG 27. Ja­nu­ar 2011 - 6 AZR 526/09 - Rn. 28 mwN, BA­GE 137, 80).

bb) Die Kau­sa­lität zwi­schen Be­nach­tei­li­gung und verpöntem Merk­mal hat der Beschäftig­te als An­spruch­stel­ler dar­zu­le­gen (vgl. allg. Zöller/Gre­ger ZPO 29. Aufl. Vor § 284 Rn. 17a; Voigt in Schleu­se­ner/Suckow/Voigt § 22 Rn. 21). Er genügt sei­ner Dar­le­gungs­last gemäß § 22 AGG, wenn er Tat­sa­chen vorträgt, die ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes verpönten Merk­mals ver­mu­ten las­sen. Dies ist der Fall, wenn die vor­ge­tra­ge­nen Tat­sa­chen aus ob­jek­ti­ver Sicht nach all­ge­mei­ner Le­bens­er­fah­rung mit über­wie­gen­der Wahr­schein­lich­keit dar­auf schließen las­sen, dass die Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­nes verpönten Merk­mals er­folg­te (vgl. BAG 17. Au­gust 2010 - 9 AZR 839/08 - Rn. 32, AP AGG § 15 Nr. 4 = EzA SGB IX § 81 Nr. 21; 22. Ju­li 2010 - 8 AZR 1012/08 - Rn. 65, AP AGG § 22 Nr. 2 = EzA AGG § 22 Nr. 2). Die vom Lan­des­ar­beits­ge­richt vor­ge­nom­me­ne Würdi­gung, ob die kla­gen­de Par­tei ih­rer Dar­le­gungs­last nach § 22 AGG genügt hat, ist re­vi­si­ons­recht­lich nur dar­auf­hin über­prüfbar, ob sie möglich und in sich wi­der­spruchs­frei ist und nicht ge­gen Denk­ge­set­ze, Er­fah­rungssätze oder an­de­re Rechtssätze verstößt (BAG 17. Au­gust 2010 - 9 AZR 839/08 - Rn. 34, aaO; 22. Ju­li 2010 - 8 AZR 1012/08 - Rn. 64, aaO).

cc) Ge­mes­sen an die­sen Grundsätzen ist die Auf­fas­sung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, der Kläger ha­be ei­ne mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung nicht hin­rei­chend dar­ge­legt, re­vi­si­ons­recht­lich nicht zu be­an­stan­den.

(1) Zu ver­glei­chen ist vor­lie­gend die Grup­pe al­ler Ar­beit­neh­mer, de­ren Ar­beits­verhält­nis­se dem TVöD un­ter­lie­gen, mit der Grup­pe der­je­ni­gen Ar­beit­neh­mer, de­ren Ar­beits­verhält­nis­se vor dem 1. De­zem­ber ei­nes Jah­res en­den und die da­her gemäß § 20 Abs. 1 TVöD kei­nen An­spruch auf die Jah­res­son-der­zah­lung ha­ben.

(2) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat nicht fest­ge­stellt, dass im Ver­gleich die­ser Grup­pen älte­re Ar­beit­neh­mer, de­ren Ar­beits­verhält­nis­se gemäß § 33 Abs. 1 Buchst. a TVöD auf­grund des Er­rei­chens der Re­gel­al­ters­gren­ze en­den,

 

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von der Stich­tags­re­ge­lung des § 20 Abs. 1 TVöD in be­son­de­rer Wei­se be­trof­fen sind. Ei­ne be­son­ders nach­tei­li­ge Be­trof­fen­heit die­ser Ar­beit­neh­mer ist auch nicht of­fen­kun­dig. § 20 Abs. 1 TVöD un­ter­schei­det nicht nach dem Grund für die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses. Ar­beit­neh­mer, de­ren Ar­beits­verhält­nis­se aus an­de­ren Gründen als dem Er­rei­chen der Re­gel­al­ters­gren­ze vor dem 1. De­zem­ber ei­nes Jah­res en­den, ha­ben eben­falls kei­nen An­spruch auf die Jah­res­son­der­zah­lung. Es ist nicht er­kenn­bar, dass die dem TVöD un­ter­fal­len­den Ar­beits­verhält­nis­se ganz über­wie­gend gemäß § 33 Abs. 1 Buchst. a TVöD en­den. Ar­beits­verhält­nis­se im öffent­li­chen Dienst wer­den re­gelmäßig auch auf an­de­rem We­ge be­en­det. Dies be­legt der TVöD selbst, der ne­ben der Re­ge­lung des § 33 Abs. 1 Buchst. a Be­stim­mun­gen über die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses durch Auflösungs­ver­trag (§ 33 Abs. 1 Buchst. b TVöD), Kündi­gung (§ 34 TVöD) und Be­fris­tung (§ 30 TVöD) so­wie bei Be­zug ei­ner Er­werbs­min­de-rungs­ren­te (§ 33 Abs. 2 TVöD) enthält. An­ge­sichts der Viel­zahl mögli­cher Be­en­di­gungs­gründe kann nicht mit über­wie­gen­der Wahr­schein­lich­keit da­von aus­ge­gan­gen wer­den, dass Ar­beit­neh­mer, de­ren Ar­beits­verhält­nis gemäß § 33 Abs. 1 Buchst. a TVöD en­det, die Jah­res­son­der­zah­lung ty­pi­scher­wei­se häufi­ger ver­lie­ren als (jünge­re) Ar­beit­neh­mer, de­ren Ar­beits­verhält­nis­se aus an­de­ren Gründen en­den.

(3) Der Kläger hat auch kei­ne aus­rei­chen­den In­di­zi­en für die­se Be­haup­tung vor­ge­tra­gen. Sein Vor­brin­gen, Stel­len im öffent­li­chen Dienst würden über­wie­gend nicht neu be­setzt, ist nicht zielführend, weil es kei­nen Schluss dar­auf zulässt, auf wel­che Wei­se die be­tref­fen­den Ar­beits­verhält­nis­se be­en­det wur­den. Der Hin­weis, im Ge­gen­satz zu Ar­beit­neh­mern, die nach § 33 Abs. 1 Buchst. a TVöD aus dem Ar­beits­verhält­nis aus­schei­den, könn­ten jünge­re Ar­beit­neh­mer, de­ren Ar­beits­verhält­nis­se durch Ei­genkündi­gung oder Auf­he­bungs­ver­trag en­den, den Be­en­di­gungs­zeit­punkt steu­ern, in­di­ziert kei­ne Be­nach­tei­li­gung älte­rer Ar­beit­neh­mer. Zum ei­nen han­delt es sich bei der Be­en­di­gung durch Ei­genkündi­gung oder Auf­he­bungs­ver­trag nur um ei­nen Teil der mögli­chen Be­en­di­gungs­gründe; bei an­de­ren Be­en­di­gungs­tat­beständen wie zB ei­ner ar­beit­ge­ber­sei­ti­gen Kündi­gung oder ei­ner Be­fris­tung können auch jünge­re

 

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Ar­beit­neh­mer den Zeit­punkt ih­res Aus­schei­dens nicht steu­ern. Darüber hin­aus ist nicht of­fen­kun­dig, und der Kläger hat dies selbst nicht be­haup­tet, dass jünge­re Ar­beit­neh­mer bei Ei­genkündi­gun­gen und Auf­he­bungs­verträgen in der Pra­xis tatsächlich von der Möglich­keit Ge­brauch ma­chen, das En­de des Ar­beits­verhält­nis­ses im Hin­blick auf die Stich­tags­re­ge­lung in § 20 Abs. 1 TVöD zu steu­ern. Da­bei ist zu berück­sich­ti­gen, dass ein Ar­beit­neh­mer den Aus­spruch ei­ner Kündi­gung und den Ab­schluss ei­nes Auf­he­bungs­ver­trags in der Re­gel nur in be­son­de­ren Si­tua­tio­nen, wie zB bei Auf­nah­me ei­ner neu­en Tätig­keit bei ei­nem an­de­ren Ar­beit­ge­ber, in Be­tracht zie­hen wird. Hier fehlt dem Ar­beit­neh­mer aber ty­pi­scher­wei­se die Fle­xi­bi­lität, das En­de des Ar­beits­verhält­nis­ses mit Blick auf die in § 20 Abs. 1 TVöD sta­tu­ier­te Vor­aus­set­zung für den Er­halt der Jah­res­son­der­zah­lung fest­zu­le­gen.

(4) Die vom Kläger gel­tend ge­mach­te Be­nach­tei­li­gung der Ar­beit­neh­mer, die vor dem 1. De­zem­ber ei­nes Jah­res al­ters­be­dingt aus­schei­den, ge­genüber Ar­beit­neh­mern, de­ren Ar­beits­verhält­nis erst nach dem 1. De­zem­ber al­ters­be­dingt en­det, kann ei­ne mit­tel­bar dis­kri­mi­nie­ren­de Wir­kung des § 20 Abs. 1 TVöD eben­falls nicht be­gründen. Nach den oben dar­ge­leg­ten Grundsätzen müssen die Ver­gleichs­grup­pen dem persönli­chen Gel­tungs­be­reich der Dif­fe­ren­zie­rungs­re­gel ent­spre­chend zu­sam­men­ge­setzt sein. Bei Ta­rif­verträgen ist des­halb auf den ge­sam­ten Kreis der von der frag­li­chen Be­stim­mung er­fass­ten Nor­mun­ter­wor­fe­nen ab­zu­stel­len. Die­sen An­for­de­run­gen genügt die vom Kläger vor­ge­nom­me­ne Grup­pen­bil­dung nicht, weil sie die eben­falls von § 20 Abs. 1 TVöD er­fass­te Be­en­di­gung von Ar­beits­verhält­nis­sen aus an­de­ren Gründen als dem Er­rei­chen der Re­gel­al­ters­gren­ze des § 33 Abs. 1 Buchst. a TVöD außer Be­tracht lässt.

dd) Es kann da­hin­ste­hen, ob die vom Kläger in die­sem Zu­sam­men­hang er­ho­be­nen Ver­fah­rensrügen zulässig sind, da sie in der Sa­che oh­ne Er­folg blei­ben. Auch der Vor­trag in der Re­vi­si­ons­be­gründung ist aus den oben ge­nann­ten Gründen nicht ge­eig­net, An­halts­punk­te für ei­ne mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung zu be­gründen, so­dass es auf die be­haup­te­te Ver­let­zung der Hin­weis­pflicht

 

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nach § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO durch das Lan­des­ar­beits­ge­richt nicht an­kommt. Glei­ches gilt im Hin­blick auf den in der münd­li­chen Ver­hand­lung vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt ge­stell­ten Be­weis­an­trag. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt ist zu Recht da­von aus­ge­gan­gen, dass es auf die Be­haup­tung, frei wer­den­de Stel­len im öffent­li­chen Dienst würden über­wie­gend nicht nach­be­setzt, nicht an­kommt, weil sie kei­nen Schluss dar­auf zulässt, dass älte­re Ar­beit­neh­mer durch die Stich­tags­re­ge­lung be­son­ders nach­tei­lig be­trof­fen sind.

3. Die in § 20 Abs. 1 TVöD ent­hal­te­ne Stich­tags­re­ge­lung verstößt nicht ge­gen Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG.

a) Es kann da­hin­ste­hen, ob die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en bei der ta­rif­li­chen Norm­set­zung un­mit­tel­bar grund­rechts­ge­bun­den sind. Je­den­falls ver­pflich­tet die Schutz­pflicht­funk­ti­on der Grund­rech­te da­zu, den ein­zel­nen Grund­recht­sträger vor ei­ner un­verhält­nismäßigen Be­schränkung sei­ner Frei­heits­rech­te und ei­ner gleich­heits­wid­ri­gen Re­gel­bil­dung auch durch pri­vat­au­to­nom le­gi­ti­mier­te Norm­set­zung zu be­wah­ren. Die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ha­ben da­her bei der ta­rif­li­chen Norm­set­zung so­wohl den all­ge­mei­nen Gleich­heits­grund­satz des Art. 3 Abs. 1 GG und die Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bo­te des Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG als auch die Frei­heits­grund­rech­te wie Art. 12 GG zu be­ach­ten (BAG 23. März 2011 - 10 AZR 701/09 - Rn. 21, AP TVG § 1 Ta­rif­verträge: Ver­kehrs­ge­wer­be Nr. 19; 8. De­zem­ber 2010 - 7 AZR 438/09 - Rn. 29, BA­GE 136, 270; 27. Mai 2004 - 6 AZR 129/03 - zu II 2 der Gründe, BA­GE 111, 8).

aa) Al­ler­dings steht den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en bei ih­rer Norm­set­zung auf­grund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschütz­ten Ta­rif­au­to­no­mie ein wei­ter Ge­stal­tungs­spiel­raum zu, über den Ar­beits­ver­trags- und Be­triebs­par­tei­en nicht in glei­chem Maße verfügen. Ih­nen kommt ei­ne Einschätzungs­präro­ga­ti­ve zu, so­weit die tatsächli­chen Ge­ge­ben­hei­ten, die be­trof­fe­nen In­ter­es­sen und die Re­ge­lungs­fol­gen zu be­ur­tei­len sind (BAG 23. März 2011 - 10 AZR 701/09 - Rn. 21, AP TVG § 1 Ta­rif­verträge: Ver­kehrs­ge­wer­be Nr. 19; 8. De­zem­ber 2010 - 7 AZR 438/09 - Rn. 29, BA­GE 136, 270). Darüber hin­aus verfügen sie über ei­nen Be­ur­tei­lungs- und Er­mes­sens­spiel­raum hin­sicht­lich der in­halt­li­chen

 

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Ge­stal­tung der Re­ge­lung (BAG 8. De­zem­ber 2010 - 7 AZR 438/09 - aaO; 4. Mai 2010 - 9 AZR 181/09 - Rn. 23, AP TVG § 1 Al­ters­teil­zeit Nr. 46 = EzA GG Art. 3 Nr. 110). Die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en sind nicht ver­pflich­tet, die je­weils zweckmäßigs­te, vernünf­tigs­te oder ge­rech­tes­te Lösung zu wählen. Es genügt, wenn für die ge­trof­fe­ne Re­ge­lung ein sach­lich ver­tret­ba­rer Grund vor­liegt (BAG 23. März 2011 - 10 AZR 701/09 - aaO).

bb) Ein Ver­s­toß ge­gen den Gleich­heits­satz ist vor die­sem Hin­ter­grund erst dann an­zu­neh­men, wenn die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en es versäumt ha­ben, tatsächli­che Ge­mein­sam­kei­ten oder Un­ter­schie­de der zu ord­nen­den Le­bens­verhält­nis­se zu berück­sich­ti­gen, die so be­deut­sam sind, dass sie bei ei­ner am Ge­rech­tig­keits­ge­dan­ken ori­en­tier­ten Be­trach­tungs­wei­se hätten be­ach­tet wer­den müssen (BAG 23. März 2011 - 10 AZR 701/09 - Rn. 21, AP TVG § 1 Ta­rif­verträge: Ver­kehrs­ge­wer­be Nr. 19; 21. Sep­tem­ber 2010 - 9 AZR 442/09 - Rn. 27, AP GG Art. 3 Nr. 323). Die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en dürfen bei der Grup­pen­bil­dung ge­ne­ra­li­sie­ren und ty­pi­sie­ren. Die Dif­fe­ren­zie­rungs­merk­ma­le müssen al­ler­dings im Norm­zweck an­ge­legt sein und dürfen ihm nicht wi­der­spre­chen (BAG 23. März 2011 - 10 AZR 701/09 - Rn. 22 mwN, aaO).

cc) Auch bei der Prüfung, ob ei­ne Ta­rif­norm ge­gen Art. 12 Abs. 1 GG verstößt, ist der wei­te Ge­stal­tungs­spiel­raum der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en zu berück­sich­ti­gen. Die­ser ist erst über­schrit­ten, wenn die Re­ge­lung auch un­ter Berück­sich­ti­gung der grund­ge­setz­lich gewähr­leis­te­ten Ta­rif­au­to­no­mie (Art. 9 Abs. 3 GG) und der dar­aus re­sul­tie­ren­den Einschätzungs­präro­ga­ti­ve der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en die be­ruf­li­che Frei­heit der Ar­beit­neh­mer un­verhält­nismäßig ein­schränkt (vgl. BAG 19. De­zem­ber 2006 - 9 AZR 356/06 - Rn. 35, 37, AP Tz­B­fG § 8 Nr. 20 = EzA TVG § 4 Ein­zel­han­del Nr. 56).

b) Ge­mes­sen an die­sen Grundsätzen ist die in § 20 Abs. 1 TVöD ent­hal­te­ne Bin­dung des An­spruchs auf ei­ne Jah­res­son­der­zah­lung an ei­nen Stich­tag im Be­zugs­zeit­raum mit Art. 3 Abs. 1 GG ver­ein­bar.

 

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aa) Die Jah­res­son­der­zah­lung nach § 20 TVöD stellt ei­ne Ge­gen­leis­tung für die vom Ar­beit­neh­mer er­brach­te Ar­beits­leis­tung dar und hat Vergütungs­cha­rak­ter (zum in­so­weit gleich­lau­ten­den § 20 TV-L: BAG 12. De­zem­ber 2012 - 10 AZR 922/11 -; 10. No­vem­ber 2010 - 5 AZR 633/09 - Rn. 28, ZTR 2011, 150; Spo­ner/St­ein­herr TVöD Stand Ok­to­ber 2012 (Gey­er) Ord­ner 3 § 20 Rn. 138; zu § 44 BT-S: BAG 14. März 2012 - 10 AZR 778/10 - Rn. 17, EzA ZPO 2002 § 850a Nr. 2). Dies zeigt die Kürzungs­vor­schrift des § 20 Abs. 4 TVöD. Hat ein Ar­beit­neh­mer ganzjährig kei­nen An­spruch auf Ent­gelt, erhält er, so­fern nicht die Aus­nah­men des § 20 Abs. 4 Satz 2 TVöD grei­fen, kei­ne Jah­res­son-der­zah­lung. Gleich­zei­tig wird mit der Jah­res­son­der­zah­lung Be­triebs­treue ho­no­riert (vgl. zu § 44 BT-S: BAG 14. März 2012 - 10 AZR 778/10 - Rn. 18, aaO; vgl. zum TV Zu­wen­dung: BAG 18. Au­gust 1999 - 10 AZR 424/98 - zu II 2 c bb der Gründe, BA­GE 92, 218). Dies be­legt die Stich­tags­re­ge­lung in § 20 Abs. 1 TVöD, die ei­nen Be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses am 1. De­zem­ber ver­langt. Darüber hin­aus sol­len die Mit­ar­bei­ter durch die Jah­res­son­der­zah­lung auch für die Zu­kunft zu re­ger und en­ga­gier­ter Mit­ar­beit mo­ti­viert wer­den (Spo­ner/St­ein­herr § 20 Rn. 80; vgl. zu die­sem Mo­ti­va­ti­ons­ge­dan­ken auch: BAG 23. Mai 2007 - 10 AZR 363/06 - Rn. 27, AP TVG § 1 Ta­rif­verträge: Großhan­del Nr. 24; 8. März 1995 - 10 AZR 208/94 - zu I 2 b der Gründe, AP BGB § 611 Gra­ti­fi­ka­ti­on Nr. 184 = EzA BGB § 611 Gra­ti­fi­ka­ti­on, Prämie Nr. 131; 26. Ok­to­ber 1994 - 10 AZR 109/93 - zu II 3 der Gründe, AP BGB § 611 Gra­ti­fi­ka­ti­on Nr. 167 = EzA BGB § 611 Gra­ti­fi­ka­ti­on, Prämie Nr. 115).

bb) An­ge­sichts die­ser Zwe­cke, die mit der Jah­res­son­der­zah­lung ver­folgt wer­den, ist die Dif­fe­ren­zie­rung zwi­schen Beschäftig­ten, die vor dem 1. De­zem­ber ei­nes Jah­res aus­schei­den, und Beschäftig­ten, de­ren Ar­beits­verhält­nis am 1. De­zem­ber ei­nes Jah­res noch be­steht, sach­lich ge­recht­fer­tigt. Ih­ren Zweck, Be­triebs­treue zu be­loh­nen und die Mit­ar­bei­ter auch für die Zu­kunft zu re­ger und en­ga­gier­ter Mit­ar­beit zu mo­ti­vie­ren, kann die Jah­res­son­der­zah-lung bei be­reits aus­ge­schie­de­nen Ar­beit­neh­mern nicht erfüllen. Der Ge­stal­tungs­spiel­raum der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en wird da­mit nicht über­schrit­ten.

 

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cc) Ei­ne an­de­re Be­ur­tei­lung ist nicht we­gen der vom Kläger in den Vor­in­stan­zen be­an­stan­de­ten Re­ge­lung in § 20 Abs. 6 TVöD ge­recht­fer­tigt. Die Be­vor­zu­gung von Ar­beit­neh­mern, die bis zum 31. März 2005 Al­ters­teil­zeit ver­ein­bart hat­ten, in­ner­halb der Grup­pe von Ar­beit­neh­mern, de­ren Ar­beits­verhält­nis we­gen Ren­ten­be­zugs vor dem 1. De­zem­ber en­det, ist aus Gründen des Ver­trau­ens­schut­zes sach­lich ge­recht­fer­tigt. Nach­dem die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en am 9. Fe­bru­ar 2005 ei­ne Grund­satz­ei­ni­gung über den Ta­rif­ver­trag er­zielt hat­ten, soll­te mit der Re­ge­lung Rück­sicht ge­nom­men wer­den auf die­je­ni­gen Beschäftig­ten, die nach bis­he­ri­gem Recht beim Über­tritt von der Al­ters­teil­zeit in die Ren­te ei­ne Teil­zu­wen­dung er­war­ten konn­ten und hier­auf ggf. ih­re Al­ters­teil­zeit­ver­ein­ba­rung gestützt hat­ten (Cle­mens/Scheu­ring/St­ein­gen/Wie­se TVöD Stand Ju­li 2012 Ord­ner 3 § 20 Rn. 178). Ar­beit­neh­mer, die oh­ne Al­ters­teil­zeit­ver­ein­ba­rung we­gen Ren­ten­be­zugs aus dem Ar­beits­verhält­nis aus­schei­den, be­fin­den sich nicht in ei­ner ver­gleich­ba­ren La­ge.

c) Eben­so we­nig verstößt die Stich­tags­re­ge­lung ge­gen Art. 12 Abs. 1 GG. 

aa) Die Re­ge­lung greift al­ler­dings in die Be­rufs­frei­heit der Ar­beit­neh­mer ein.

Art. 12 Abs. 1 GG schützt mit der Frei­heit der Ar­beits­platz­wahl auch den Ent­schluss des ein­zel­nen Ar­beit­neh­mers, an wel­cher Stel­le er dem gewähl­ten Be­ruf nach­ge­hen möch­te. Dies um­fasst sei­ne Ent­schei­dung, ei­ne kon­kre­te Beschäfti­gungsmöglich­keit in ei­nem gewähl­ten Be­ruf bei­zu­be­hal­ten oder auf­zu­ge­ben (BVerfG 24. April 1991 - 1 BvR 1341/90 - zu C III 1 der Gründe, BVerfGE 84, 133). Die­se Frei­heit wird durch § 20 Abs. 1 TVöD be­ein­träch­tigt, weil mit die­ser Re­ge­lung die selbst­be­stimm­te Ar­beits­platz­auf­ga­be des Ar­beit­neh­mers verzögert oder ver­hin­dert wer­den soll (vgl. zu Stich­tags­re­ge­lun­gen außer­halb des Be­zugs­zeit­raums in All­ge­mei­nen Geschäfts­be­din­gun­gen: BAG 18. Ja­nu­ar 2012 - 10 AZR 612/10 - Rn. 27, EzA BGB 2002 § 611 Gra­ti­fi­ka­ti­on, Prämie Nr. 31; vgl. zu Stich­tags­re­ge­lun­gen außer­halb des Be­zugs­zeit­raums in Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen: BAG 12. April 2011 - 1 AZR 412/09 - Rn. 30, BA­GE 137, 300).

 

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bb) Der Ein­griff in Art. 12 Abs. 1 GG ist je­doch sach­lich ge­recht­fer­tigt. Mit der Re­ge­lung des § 20 Abs. 1 TVöD ha­ben die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en den ih­nen zu­ste­hen­den Ge­stal­tungs­spiel­raum nicht über­schrit­ten. Der Stich­tags­re­ge­lung liegt ein be­rech­tig­tes In­ter­es­se der Ar­beit­ge­ber zu­grun­de. Sie ver­folgt das le­gi­ti­me Ziel, die Ar­beit­neh­mer zur Be­triebs­treue an­zu­hal­ten. Sie ist zur Er­rei­chung die­ses Ziels ge­eig­net, denn sie schafft ei­nen An­reiz für Ar­beit­neh­mer, von ei­ner an sich statt­haf­ten Kündi­gungsmöglich­keit kei­nen oder nur verzöger­ten Ge­brauch zu ma­chen. Es ist auch kein an­de­res, gleich wirk­sa­mes, aber die Be­rufs­frei­heit des be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mers we­ni­ger ein­schränken­des Mit­tel er­sicht­lich, um die­sen an der Ar­beits­platz­auf­ga­be zu hin­dern (vgl. zu Stich­tags­re­ge­lun­gen außer­halb des Be­zugs­zeit­raums in Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen: BAG 12. April 2011 - 1 AZR 412/09 - Rn. 30, BA­GE 137, 300). Die Ein­schränkung der Be­rufs­frei­heit der Ar­beit­neh­mer ist an­ge­mes­sen. Die Stich­tags­re­ge­lung ent­fal­tet ei­ne ver­gleichs­wei­se kur­ze Bin­dungs­wir­kung, weil sie le­dig­lich das Be­ste­hen, nicht aber den un­gekündig­ten Fort­be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses am 1. De­zem­ber ver­langt (vgl. Cle­mens/Scheu­ring/St­ein­gen/Wie­se § 20 Rn. 45). Da das Ar­beits­verhält­nis gemäß § 34 Abs. 1 TVöD je­weils zum Mo­nats­en­de bzw. zum En­de des Ka­len­der­vier­tel­jah­res gekündigt wer­den kann, kann der Ar­beit­neh­mer so­mit zum 31. De­zem­ber ei­nes Jah­res kündi­gen, oh­ne die Jah­res­son­der­zah­lung zu ver­lie­ren. Ei­ne sol­che Bin­dung ist auch des­halb nicht zu be­an­stan­den, weil es sich beim 31. De­zem­ber um das En­de des Zeit­raums han­delt, für den die Jah­res­son­der­zah­lung gewährt wird. Der An­ge­mes­sen­heit der Stich­tags­re­ge­lung steht nicht ent­ge­gen, dass mit der Jah­res­son­der­zah­lung nicht nur Be­triebs­treue ho­no­riert, son­dern auch die vom Ar­beit­neh­mer er­brach­te Ar­beits­leis­tung vergütet wer­den soll. Die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en über­schrei­ten den ih­nen zu­ste­hen­den Ge­stal­tungs­spiel­raum nicht, wenn sie Son­der­zah­lun­gen, die so­wohl ei­ne Ge­gen­leis­tung für die er­brach­te Ar­beits­leis­tung dar­stel­len als auch der Ho­no­rie­rung von Be­triebs­treue die­nen, vom Be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses an ei­nem be­stimm­ten Stich­tag im Be­zugs­zeit­raum abhängig ma­chen (vgl. zum TV Zu­wen­dung: BAG 18. Au­gust 1999 - 10 AZR 424/98 - BA­GE 92, 218). Ihr Ge­stal­tungs­spiel­raum ist da­bei so­wohl ge­genüber den Be­triebs­par­tei­en (vgl. zu Stich­tags­re­ge­lun­gen außer­halb

 

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des Be­zugs­zeit­raums in Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen: BAG 12. April 2011 - 1 AZR 412/09 - BA­GE 137, 300; 7. Ju­ni 2011 - 1 AZR 807/09 - AP Be­trVG 1972 § 77 Be­triebs­ver­ein­ba­rung Nr. 55 = EzA Be­trVG 2001 § 88 Nr. 3; 5. Ju­li 2011 - 1 AZR 94/10 -) als auch ge­genüber den ein­sei­ti­gen Ge­stal­tungsmöglich­kei­ten des Ar­beit­ge­bers in All­ge­mei­nen Geschäfts­be­din­gun­gen (vgl. da­zu BAG 18. Ja­nu­ar 2012 - 10 AZR 612/10 - EzA BGB 2002 § 611 Gra­ti­fi­ka­ti­on, Prämie Nr. 31) er­wei­tert. Ins­be­son­de­re be­durf­te es kei­ner Aus­nah­me für die Ar­beit­neh­mer, die nicht auf ei­ge­ne Ver­an­las­sung, son­dern aus an­de­ren Gründen vor dem Stich­tag aus dem Ar­beits­verhält­nis aus­ge­schie­den sind. Viel­mehr ist es noch ge­recht­fer­tigt, wenn die Ta­rif­re­ge­lung in­so­weit nicht dif­fe­ren­ziert, son­dern pau­scha­liert.

II. Ein Scha­dens­er­satz­an­spruch des Klägers gemäß § 15 Abs. 1 AGG kommt aus den ge­nann­ten Gründen man­gels Ver­s­toß ge­gen ein Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot nicht in Be­tracht.

III. Auch ein An­spruch auf Gewährung ei­ner Son­der­zah­lung auf­grund des all­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes schei­det aus.

1. Der ar­beits­recht­li­che Gleich­be­hand­lungs­grund­satz greift we­gen sei­nes Schutz­cha­rak­ters ge­genüber der Ge­stal­tungs­macht des Ar­beit­ge­bers nur dort ein, wo die­ser durch ge­stal­ten­des Ver­hal­ten ein ei­ge­nes Re­gel­werk bzw. ei­ne ei­ge­ne Ord­nung schafft, nicht hin­ge­gen bei bloßem - auch ver­meint­li­chem - Nor­men­voll­zug (BAG 22. De­zem­ber 2009 - 3 AZR 895/07 - Rn. 20, BA­GE 133, 33). In­ner­halb des An­wen­dungs­be­reichs kol­lek­tiv-recht­lich ge­schaf­fe­ner Nor­men ist ei­ne An­wen­dung des Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes nicht möglich (BAG 26. April 2000 - 4 AZR 177/99 - zu II 3 b der Gründe, BA­GE 94, 273). Dies gilt auch dann, wenn der Ta­rif­ver­trag man­gels Ta­rif­ge­bun­den­heit des Ar­beit­neh­mers nicht un­mit­tel­bar und zwin­gend, son­dern le­dig­lich auf­grund ei­ner ar­beits­ver­trag­li­chen In­be­zug­nah­me An­wen­dung fin­det (BAG 22. De­zem­ber 2009 - 3 AZR 895/07 - Rn. 21, aaO).

 

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2. Ein sol­cher, die An­wen­dung des ar­beits­recht­li­chen Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes aus­sch­ließen­der Nor­men­voll­zug liegt vor. Die Be­klag­te hat le­dig­lich die Nor­men des TVöD an­ge­wen­det, oh­ne die Vor­aus­set­zun­gen für den Er­halt der Jah­res­son­der­zah­lung selbst fest­zu­le­gen.

IV. Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Mi­kosch
W. Rein­fel­der
Mest­werdt
Schürmann
Fie­back

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