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BAG, Ur­teil vom 18.10.2017, 10 AZR 47/17

   
Schlagworte: Schichtarbeit, Weisungsrecht, Arbeitszeit, BEM, Betriebliches Eingliederungsmanagement
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 10 AZR 47/17
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 18.10.2017
   
Leitsätze: Die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements iSv. § 84 Abs. 2 SGB IX ist keine formelle oder unmittelbare materielle Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Versetzung oder einer anderen Ausübung des Weisungsrechts durch den Arbeitgeber. Dies gilt auch in den Fällen, in denen die Anordnung des Arbeitgebers (auch) auf Gründe gestützt wird, die im Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand des Arbeitnehmers stehen.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Pforzheim, Urteil vom 20.08.2016, 6 Ca 154/15
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 22.11.2016, 15 Sa 76/15
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

10 AZR 47/17
15 Sa 76/15
Lan­des­ar­beits­ge­richt
Ba­den-Würt­tem­berg

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am
18. Ok­to­ber 2017

UR­TEIL

Jatz, Ur­kunds­be­am­tin
der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Kläger, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­ons­be­klag­ter,

 

hat der Zehn­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 18. Ok­to­ber 2017 durch den Vi­ze­präsi­den­ten des Bun­des­ar­beits­ge­richts Dr. Linck, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Rein­fel­der und Dr. Schlünder so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Pe­tri und Dr. Klein für Recht er­kannt:

 

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1. Auf die Re­vi­si­on der Be­klag­ten wird das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ba­den-Würt­tem­berg vom 22. No­vem­ber 2016 - 15 Sa 76/15 - auf­ge­ho­ben.

2. Die Sa­che wird zur an­der­wei­ti­gen Ver­hand­lung und Ent­schei­dung, auch über die Kos­ten der Re­vi­si­on, an das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück­ver­wie­sen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über ei­nen An­spruch des Klägers auf Beschäfti­gung in der Nacht­schicht.

Der 1967 ge­bo­re­ne, ver­hei­ra­te­te und vier Kin­dern zum Un­ter­halt ver­pflich­te­te Kläger ist bei der Be­klag­ten, ei­nem Un­ter­neh­men mit et­wa 500 Ar­beit­neh­mern, seit dem 15. Ju­li 1991 beschäftigt, zu­letzt als Ma­schi­nen­be­die­ner. Sein durch­schnitt­li­ches Mo­nats­ge­halt be­trug vor der zwi­schen den Par­tei­en strei­ti­gen Um­set­zung in die Wech­sel­schicht ca. 4.100,00 Eu­ro brut­to. Der Ar­beits­ver­trag vom 12. Ju­li 1991 enthält ua. fol­gen­de Be­stim­mung:

„1. Tätig­keit
Der Mit­ar­bei­ter wird als Schlos­ser-Hel­fer in­ner­halb der Ab­tei­lung Ka­ros­se­rie­bau mit Wir­kung vom 15.07.91 in Nor­mal­schicht beschäftigt.
Die Fir­ma ist be­rech­tigt, dem/der Mit­ar­bei­ter/in auch an­de­re, sei­nen/ih­ren Fähig­kei­ten und Kennt­nis­sen ent­spre­chen­de Auf­ga­ben zu über­tra­gen oder ihn/sie an ei­nen an­de­ren zu­mut­ba­ren Ar­beits­platz oder Tätig­keits­ort zu ver­set­zen.
Der/Die Mit­ar­bei­ter/in ist grundsätz­lich be­reit, auch Schicht­ar­beit zu leis­ten.“

 

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Die Tätig­keit, die der Kläger ausübt, wird bei der Be­klag­ten zum ei­nen im wöchent­li­chen Wech­sel zwi­schen Frühschicht (05:00 Uhr bis 13:00 Uhr) und Spätschicht (13:00 Uhr bis 21:00 Uhr) ge­leis­tet, zum an­de­ren in (Dau­er-)Nacht­schicht (21:00 Uhr bis 05:00 Uhr). In der Wech­sel­schicht sind 17 Ar­beit­neh­mer beschäftigt, in der Nacht­schicht sechs Ar­beit­neh­mer. Der Kläger leis­te­te seit dem Jahr 1994 zunächst Wech­sel­schicht, seit dem Jahr 2005 war er in Nacht­schicht tätig. Im Zeit­raum vom 22. Sep­tem­ber 2014 bis zum 31. Ok­to­ber 2014 war er nach ei­nem Streit mit ei­nem an­de­ren in der Nacht­schicht ein­ge­setz­ten Kol­le­gen zeit­wei­se in Wech­sel­schicht ein­ge­setzt.

In den Jah­ren 2013 und 2014 war der Kläger je­weils an 35 Ar­beits­ta­gen ar­beits­unfähig er­krankt, im Jahr 2015 bis zum 17. April 2015 an 39 Ar­beits­ta­gen. In der Zeit vom 2. De­zem­ber 2014 bis zum 26. Fe­bru­ar 2015 war er auf­grund ei­ner The­ra­pie­maßnah­me, mit der ei­ner Such­ter­kran­kung be­geg­net wer­den soll­te, ar­beits­unfähig. Ab dem 10. März 2015 wur­de er zunächst wie­der in der Nacht­schicht ein­ge­setzt. Am 25. März 2015 fand un­ter Be­tei­li­gung des Geschäftsführers der Be­klag­ten, ih­res Per­so­nal­lei­ters, zwei­er wei­te­rer Mit­ar­bei­ter und ei­nes Be­triebs­rats­mit­glieds ein sog. Kran­kenrück­kehr­gespräch mit dem Kläger statt. Die­ses erfüll­te nicht die Vor­aus­set­zun­gen ei­nes be­trieb­li­chen Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ments iSv. § 84 Abs. 2 SGB IX (BEM).

Noch am sel­ben Tag ord­ne­te die Be­klag­te an, dass der Kläger sei­ne Ar­beit ab dem 7. April 2015 in Wech­sel­schicht er­brin­gen sol­le. Dem bei ihr be­ste­hen­den Be­triebs­rat teil­te sie dies auf ei­nem For­mu­lar „Um­set­zungs­be­nach­rich­ti­gung von Mit­ar­bei­tern an den Be­triebs­rat“ mit Da­tum vom 7. April 2015 mit. Als Be­gründung gab sie an, auf­grund ho­her Krank­heits­zei­ten sei der Kläger in der Wech­sel­schicht leich­ter er­setz­bar als in der Nacht­schicht.

Der Kläger hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, die Ver­set­zung von der Nacht­schicht in die Wech­sel­schicht sei un­wirk­sam, er ha­be ei­nen An­spruch dar­auf, in der Nacht­schicht beschäftigt zu wer­den. Die Ent­schei­dung sei un­bil­lig, da die Be­klag­te nicht berück­sich­tigt ha­be, dass er sich körper­lich auf die Nacht­schicht ein­ge­stellt ha­be. Die Wech­sel­schicht sei ge­sund­heit­lich viel be­las­ten­der für ihn. Sei­ne Er­kran­kun­gen stünden nicht im Zu­sam­men­hang mit der Nacht­schicht, die

 

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En­de 2014 auf­ge­tre­te­nen Fehl­zei­ten sei­en durch ei­ne ärzt­li­cher­seits an­ge­ord­ne­te Sucht­the­ra­pie­maßnah­me ver­ur­sacht wor­den. Die Be­klag­te könne sich zur Be­gründung ih­rer Maßnah­me oh­ne­hin nicht auf ge­sund­heit­li­che As­pek­te be­ru­fen, da sie es un­ter­las­sen ha­be, ein BEM durch­zuführen. Auf­grund der The­ra­pie­maßnah­men ha­be sich sein Ge­sund­heits­zu­stand außer­dem so ver­bes­sert, dass im Jahr 2016 nur zwölf Krank­heits­ta­ge an­ge­fal­len sei­en. Im Übri­gen ha­be die Um­set­zung zur Fol­ge, dass er nicht mehr wöchent­lich an ei­ner nach­sta­ti­onären, am­bu­lan­ten Entwöhnungs­maßnah­me teil­neh­men könne. Die Ar­beit in der Wech­sel­schicht führe zu­dem auf­grund des Weg­falls von Zu­schlägen für die Nacht­ar­beit zu fi­nan­zi­el­len Nach­tei­len iHv. et­wa 1.000,00 Eu­ro brut­to mo­nat­lich. Da es sich um ei­ne Ver­set­zung ge­han­delt ha­be, ha­be der Be­triebs­rat gem. § 99 Abs. 1 Be­trVG zu­stim­men müssen. Ei­ne ord­nungs­gemäße Be­tei­li­gung des Be­triebs­rats ha­be je­doch nicht statt­ge­fun­den.

Der Kläger hat zu­letzt be­an­tragt,

die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, ihn als Ma­schi­nen­be­die­ner in der Nacht­schicht, ar­beitstäglich von 21:00 Uhr bis 05:00 Uhr, zu beschäfti­gen,

hilfs­wei­se

fest­zu­stel­len, dass die durch die Be­klag­te vor­ge­nom­me­ne Um­set­zung des Klägers von der Nacht­schicht in die Wech­sel­schicht Früh-/Spätschicht bzw. Tag­schicht durch An­ord­nung vom 25. März 2015 und mit Wir­kung zum 7. April 2015 rechts­wid­rig und so­mit rechts­un­wirk­sam ist.

Die Be­klag­te hat Kla­ge­ab­wei­sung be­an­tragt. Sie hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, die Um­set­zung des Klägers sei von ih­rem Di­rek­ti­ons­recht ge­deckt. Grund der Wei­sung sei die An­nah­me ge­we­sen, dass die dau­er­haf­te Nacht­ar­beit mögli­cher­wei­se der Ge­sund­heit des Klägers nicht zu­träglich ge­we­sen sein könn­te. Es ha­be fest­ge­stellt wer­den sol­len, ob die Wech­sel­schicht­ar­beit für den Kläger bes­ser sei. Dies ent­spre­che den An­ga­ben des Be­triebs­arz­tes, wo­nach bei Fehl­zei­ten, wie den­je­ni­gen des Klägers, zu prüfen sei, ob die­se mit der Nacht­ar­beit in Zu­sam­men­hang stünden. Ei­ne Dau­er­nacht­schicht sei ge­ne­rell ge­sund­heit­lich be­las­ten­der als je­de an­de­re Ar­beits­zeit. Ein BEM ha­be sie nicht durch­geführt, da sie kei­ne Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses in Erwägung

 

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ge­zo­gen ha­be. Für sie sei es darüber hin­aus schwe­rer, ei­nen häufig feh­len­den Mit­ar­bei­ter in der Nacht­schicht zu er­set­zen, da der Pool der her­an­zu­zie­hen­den Mit­ar­bei­ter ge­rin­ger sei als in der Wech­sel­schicht. Mit­ar­bei­ter aus der Wech­sel­schicht könn­ten we­gen der ein­zu­hal­ten­den Ru­he­zei­ten nicht ein­ge­setzt wer­den. Bei ab­tei­lungs­frem­den Mit­ar­bei­tern bestünden Ein­ar­bei­tungs­schwie­rig­kei­ten. Des­halb sprin­ge der Schichtführer selbst ein, könne dann aber sei­ne ei­gent­li­chen Auf­ga­ben, bei­spiels­wei­se als Ein­stel­ler, nicht wahr­neh­men, was zu er­heb­li­chen Be­triebs­ab­laufstörun­gen führe. Die fi­nan­zi­el­len In­ter­es­sen des Klägers sei­en berück­sich­tigt wor­den, er er­hal­te auch in der Wech­sel­schicht Zeit­zu­schläge. In der Frühschicht fal­le in der St­un­de zwi­schen 05:00 Uhr und 06:00 Uhr ein Nacht­ar­beits­zu­schlag von 30 vH an, in der Spätschicht ein Spätar­beits­zu­schlag von 20 vH, weil die Ar­beit nach 12:00 Uhr be­gin­ne und nach 19:00 Uhr en­de.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen, das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat ihr mit dem Haupt­an­trag statt­ge­ge­ben. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on be­gehrt die Be­klag­te die Ab­wei­sung der Kla­ge.

Ent­schei­dungs­gründe

Die zulässi­ge Re­vi­si­on der Be­klag­ten ist be­gründet. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt ge­ge­be­nen Be­gründung kann der Kla­ge nicht statt­ge­ge­ben wer­den. Man­gels ent­spre­chen­der Fest­stel­lun­gen durch das Lan­des­ar­beits­ge­richt kann der Se­nat in der Sa­che nicht ab­sch­ließend ent­schei­den. Das an­ge­grif­fe­ne Ur­teil ist des­halb auf­zu­he­ben und die Sa­che an das Be­ru­fungs­ge­richt zurück­zu­ver­wei­sen (§ 563 Abs. 1 ZPO). Ob der Kläger über den 6. April 2015 hin­aus ei­nen An­spruch auf Beschäfti­gung in der Nacht­schicht hat­te oder ob er auf­grund der An­ord­nung der Be­klag­ten vom 25. März 2015 rechts­wirk­sam mit Wir­kung ab dem 7. April 2015 in die Wech­sel­schicht um­ge­setzt wur­de, steht noch nicht fest.

 

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I. Die auf ver­trags­gemäße Beschäfti­gung ge­rich­te­te Leis­tungs­kla­ge ist zulässig.

1. Bei ei­nem Streit über die Be­rech­ti­gung ei­ner Ver­set­zung oder ei­ner an de­ren Ausübung des Wei­sungs­rechts be­ste­hen für den Ar­beit­neh­mer zwei Möglich­kei­ten: Er kann zum ei­nen de­ren Be­rech­ti­gung im Rah­men ei­ner Fest­stel­lungs­kla­ge klären las­sen. Zum an­de­ren hat er die Möglich­keit, den An­spruch auf ver­trags­gemäße Beschäfti­gung im Rah­men ei­ner Kla­ge auf künf­ti­ge Leis­tung gem. § 259 ZPO durch­zu­set­zen. Bei der Prüfung des Beschäfti­gungs­an­spruchs ist die Wirk­sam­keit der Ausübung des Wei­sungs­rechts als Vor­fra­ge zu be­ur­tei­len (BAG 25. Au­gust 2010 - 10 AZR 275/09 - Rn. 12 mwN, BA­GE 135, 239 [zur Ver­set­zung]).

2. Der An­trag des Klägers ist hin­rei­chend be­stimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. In Ver­bin­dung mit der Kla­ge­be­gründung ist er­kenn­bar, wel­che kon­kre­te Beschäfti­gung er an­strebt. Die Vor­aus­set­zun­gen nach § 259 ZPO lie­gen vor.

II. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt ge­ge­be­nen Be­gründung durf­te der Kla­ge nicht statt­ge­ge­ben wer­den.

1. Im Ar­beits­verhält­nis be­steht grundsätz­lich ein An­spruch auf ver­trags­gemäße Beschäfti­gung. Im Fal­le ei­ner un­wirk­sa­men Wei­sung des Ar­beit­ge­bers rich­tet sich der Beschäfti­gungs­an­spruch auf die zu­letzt zu­ge­wie­se­ne Tätig­keit (vgl. BAG 25. Au­gust 2010 - 10 AZR 275/09 - Rn. 15, BA­GE 135, 239). Dies gilt auch im Fall ei­ner (nur) un­bil­li­gen Wei­sung. Der Ar­beit­neh­mer ist nach § 106 Satz 1 Ge­wO, § 315 BGB nicht - auch nicht vorläufig - an ei­ne Wei­sung des Ar­beit­ge­bers ge­bun­den, die die Gren­zen bil­li­gen Er­mes­sens nicht wahrt (grund­le­gend BAG 18. Ok­to­ber 2017 - 10 AZR 330/16 - Rn. 58 ff. mwN).

2. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt geht zu­tref­fend da­von aus, dass sich ein An­spruch des Klägers auf Ein­satz in der Nacht­schicht nicht be­reits aus sei­nem Ar­beits­ver­trag er­gibt und auch kei­ne ent­spre­chen­de Kon­kre­ti­sie­rung er­folgt ist (vgl. da­zu zB BAG 13. Ju­ni 2012 - 10 AZR 296/11 - Rn. 24 mwN). Ge­genrügen hat der Kläger nicht er­ho­ben, Rechts­feh­ler sind nicht er­kenn­bar.

 

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3. Der Kläger wen­det sich auch nicht mit Ge­genrügen ge­gen die An­nah­me des Lan­des­ar­beits­ge­richts, ei­ner Be­tei­li­gung des bei der Be­klag­ten be­ste­hen­den Be­triebs­rats nach §§ 99 ff., § 95 Abs. 3 Be­trVG ha­be es nicht be­durft, da es sich bei der streit­ge­genständ­li­chen Maßnah­me nicht um ei­ne Ver­set­zung im be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Sinn han­de­le (vgl. da­zu BAG 23. No­vem­ber 1993 - 1 ABR 38/93 - BA­GE 75, 97). Die dies­bezügli­chen Ausführun­gen des Be­ru­fungs­ge­richts las­sen kei­ne Rechts­feh­ler er­ken­nen. Glei­ches gilt im Hin­blick auf die vor­in­stanz­lich er­ho­be­ne Rüge ei­nes Ver­s­toßes ge­gen das Maßre­ge­lungs­ver­bot gem. § 612a BGB (vgl. da­zu BAG 16. Ok­to­ber 2013 - 10 AZR 9/13 - Rn. 38 mwN).

4. Die wei­te­re An­nah­me des Lan­des­ar­beits­ge­richts, die Be­klag­te ha­be bei der Ausübung ih­res Wei­sungs­rechts die Gren­zen des bil­li­gen Er­mes­sens gem. § 106 Ge­wO, § 315 Abs. 1 BGB über­schrit­ten, weil sie kein be­trieb­li­ches Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ment iSv. § 84 Abs. 2 SGB IX und auch kei­ne gleich­wer­ti­ge Maßnah­me durch­geführt ha­be, ist da­ge­gen rechts­feh­ler­haft.

a) Die Leis­tungs­be­stim­mung nach bil­li­gem Er­mes­sen (§ 106 Satz 1 Ge­wO, § 315 BGB) ver­langt ei­ne Abwägung der wech­sel­sei­ti­gen In­ter­es­sen nach ver­fas­sungs­recht­li­chen und ge­setz­li­chen Wer­tent­schei­dun­gen, den all­ge­mei­nen Wer­tungs­grundsätzen der Verhält­nismäßig­keit und An­ge­mes­sen­heit so­wie der Ver­kehrs­sit­te und Zu­mut­bar­keit. In die Abwägung sind al­le Umstände des Ein­zel­falls ein­zu­be­zie­hen. Dem In­ha­ber des Be­stim­mungs­rechts nach § 106 Ge­wO, § 315 Abs. 1 BGB ver­bleibt auch im Fal­le der Ver­set­zung für die rechts­ge­stal­ten­de Leis­tungs­be­stim­mung ein nach bil­li­gem Er­mes­sen aus­zufüllen­der Spiel­raum. In­ner­halb die­ses Spiel­raums können dem Be­stim­mungs­be­rech­tig­ten meh­re­re Ent­schei­dungsmöglich­kei­ten zur Verfügung ste­hen. Dem Ge­richt ob­liegt nach § 106 Ge­wO, § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB die Prüfung, ob der Ar­beit­ge­ber als Gläubi­ger die Gren­zen sei­nes Be­stim­mungs­rechts be­ach­tet hat. Bei die­ser Prüfung kommt es nicht auf die vom Be­stim­mungs­be­rech­tig­ten an­ge­stell­ten Erwägun­gen an, son­dern dar­auf, ob das Er­geb­nis der ge­trof­fe­nen Ent­schei­dung den ge­setz­li­chen An­for­de­run­gen genügt. Die Dar­le­gungs- und Be­weis­last für die Ein­hal­tung die­ser Gren­zen hat der Be­stim­mungs­be­rech­tig­te.

 

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Maßgeb­li­cher Zeit­punkt für die Ausübungs­kon­trol­le ist der Zeit­punkt, zu dem der Ar­beit­ge­ber die Er­mes­sens­ent­schei­dung zu tref­fen hat­te (st. Rspr., zu­letzt zB BAG 18. Ok­to­ber 2017 - 10 AZR 330/16 - Rn. 45).

b) Der Be­griff des bil­li­gen Er­mes­sens bei der Ausübung des Wei­sungs­rechts iSv. § 106 Satz 1 Ge­wO, § 315 BGB ist ein un­be­stimm­ter Rechts­be­griff. Bei des­sen An­wen­dung steht dem Tat­sa­chen­ge­richt ein Be­ur­tei­lungs­spiel­raum zu. Dies gilt auch im Fall der Kon­trol­le der Ausübung des Wei­sungs­rechts nach § 106 Satz 1 Ge­wO, § 315 BGB. Der Be­ur­tei­lungs­spiel­raum des Tat­sa­chen­ge­richts ist vom Re­vi­si­ons­ge­richt nur dar­auf zu über­prüfen, ob das Be­ru­fungs­ge­richt den Rechts­be­griff selbst ver­kannt hat, ob es bei der Un­ter­ord­nung des Sach­ver­halts un­ter die Rechts­norm Denk­ge­set­ze oder all­ge­mei­ne Er­fah­rungssätze ver­letzt hat, ob es al­le we­sent­li­chen Umstände berück­sich­tigt hat und ob das Ur­teil in sich wi­der­spruchs­frei ist (grund­le­gend BAG 18. Ok­to­ber 2017 - 10 AZR 330/16 - Rn. 46 ff. mwN).

c) Die Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts hält ei­ner sol­chen ein­ge­schränk­ten Über­prüfung nicht stand. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt ist von ei­nem Fehl­verständ­nis der Rechts­wir­kun­gen des § 84 Abs. 2 SGB IX aus­ge­gan­gen. In­fol­ge­des­sen hat es we­sent­li­chen Vor­trag der Be­klag­ten außer Acht ge­las­sen, da es die Be­ru­fung der Be­klag­ten auf ge­sund­heit­li­che As­pek­te der Um­set­zung an die Durchführung ei­nes BEM oder ei­ner gleich­wer­ti­gen Maßnah­me ge­knüpft hat.

aa) Die Be­klag­te war ver­pflich­tet, ein BEM gem. § 84 Abs. 2 SGB IX durch zuführen. Dies gilt ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Re­vi­si­on un­abhängig da­von, ob die Be­klag­te die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses in Erwägung ge­zo­gen hat.

(1) Nach § 84 Abs. 2 SGB IX hat der Ar­beit­ge­ber bei ei­nem Beschäftig­ten, der in­ner­halb ei­nes Jah­res länger als sechs Wo­chen un­un­ter­bro­chen oder wie­der­holt ar­beits­unfähig ge­we­sen ist, mit der zuständi­gen In­ter­es­sen­ver­tre­tung mit Zu­stim­mung und Be­tei­li­gung der be­trof­fe­nen Per­son die Möglich­kei­ten zu klären, wie die Ar­beits­unfähig­keit möglichst über­wun­den wer­den und mit wel-

 

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chen Leis­tun­gen oder Hil­fen er­neu­ter Ar­beits­unfähig­keit vor­ge­beugt und der Ar­beits­platz er­hal­ten wer­den kann. Die­ses Er­for­der­nis ei­nes BEM be­steht für al­le Ar­beit­neh­mer und nicht nur für be­hin­der­te Men­schen (st. Rspr., zu­letzt zB BAG 13. Mai 2015 - 2 AZR 565/14 - Rn. 25; grund­le­gend BAG 12. Ju­li 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 35, BA­GE 123, 234). Es ist Sa­che des Ar­beit­ge­bers, die Initia­ti­ve zur Durchführung des BEM zu er­grei­fen (BAG 20. No­vem­ber 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 31 mwN, BA­GE 150, 117).

(2) Be­reits nach dem Wort­laut des § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX kommt es für die Pflicht zur Durchführung ei­nes BEM al­lein dar­auf an, dass ein Ar­beit­neh­mer in­ner­halb ei­nes Jah­res ent­spre­chen­de Krank­heits­zei­ten auf­weist, un­abhängig da­von, ob die­se Krank­heits­zei­ten in ei­ner oder meh­re­ren Pe­ri­oden der Ar­beits­unfähig­keit er­reicht wur­den (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 170/10 - Rn. 19 mwN) und ob es sich um ei­ne lang an­dau­ern­de Er­kran­kung oder um häufi­ge Kurz­er­kran­kun­gen mit ver­schie­de­nen Ur­sa­chen han­delt (BAG 20. No­vem­ber 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 42, BA­GE 150, 117). Sub­jek­ti­ve Erwägun­gen des Ar­beit­ge­bers, die auf ei­ne Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses zie­len oder der Ent­schluss zur Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses sind hin­ge­gen nach der Norm nicht Vor­aus­set­zung für die­se Ver­pflich­tung des Ar­beit­ge­bers. Ein sol­ches Verständ­nis würde auch dem Sinn und Zweck des BEM wi­der­spre­chen. Durch die dem Ar­beit­ge­ber auf­er­leg­ten be­son­de­ren Ver­hal­tens­pflich­ten soll möglichst frühzei­tig ei­ner Gefähr­dung des Ar­beits­verhält­nis­ses ei­nes kran­ken Men­schen be­geg­net und die dau­er­haf­te Fort­set­zung der Beschäfti­gung er­reicht wer­den (Düwell in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 84 Rn. 32: „Ermögli­chen ak­ti­ver Beschäfti­gung“). Ziel des BEM ist - wie das der ge­setz­li­chen Präven­ti­on nach § 84 Abs. 1 SGB IX - die frühzei­ti­ge Klärung, ob und ggf. wel­che Maßnah­men zu er­grei­fen sind, um ei­ne möglichst dau­er­haf­te Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses zu fördern. Die in § 84 Abs. 2 SGB IX ge­nann­ten Maßnah­men die­nen da­mit letzt­lich der Ver­mei­dung ei­ner Kündi­gung und der Ver­hin­de­rung von Ar­beits­lo­sig­keit er­krank­ter und kran­ker Men­schen (vgl. BAG 30. Sep­tem­ber 2010 - 2 AZR 88/09 - Rn. 32 mwN, BA­GE 135, 361; vgl. auch die Be­gründung zum Re­gie­rungs­ent­wurf BT-Drs. 15/1783 S. 16). Um den Zie­len des BEM zu genügen, ist ein un­ver­stell­ter, ver­laufs- und er­geb­nis­of­fe­ner Such­pro­zess er­for­der­lich (vgl.

 

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BAG 22. März 2016 - 1 ABR 14/14 - Rn. 11 mwN, BA­GE 154, 329; 20. No­vem­ber 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 30 mwN, BA­GE 150, 117). Auf ei­ne kon­kre­te Gefähr­dung des Beschäfti­gungs­verhält­nis­ses kommt es nicht an (Cra­mer/Ritz/Schi­an SGB IX 6. Aufl. § 84 Rn. 20). Dem stünde ent­ge­gen, das BEM im­mer erst dann durch­zuführen, wenn ei­ne Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses vom Ar­beit­ge­ber be­reits in Erwägung ge­zo­gen wird.

(3) Nach den nicht an­ge­grif­fe­nen Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts war der Kläger in der Zeit vom 2. De­zem­ber 2014 bis zum 26. Fe­bru­ar 2015 ar­beits­unfähig er­krankt, mit­hin länger als sechs Wo­chen. Als die Be­klag­te im Zu­sam­men­hang mit dem sog. Kran­kenrück­kehr­gespräch am 25. März 2015 die Um­set­zung des Klägers in die Wech­sel­schicht an­ord­ne­te, la­gen die Vor­aus­set­zun­gen nach § 84 Abs. 2 SGB IX vor, so dass die Be­klag­te ei­ne ent­spre­chen­de Initia­ti­ve hätte er­grei­fen müssen. Dies ist je­doch nicht ge­sche­hen. Das Kran­kenrück­kehr­gespräch erfüll­te un­strei­tig die ge­setz­li­chen An­for­de­run­gen an ein BEM nicht (vgl. da­zu BAG 20. No­vem­ber 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 32 mwN, BA­GE 150, 117).

bb) Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Lan­des­ar­beits­ge­richts führt die Un­ter­las­sung ei­nes BEM oder ei­ner gleich­wer­ti­gen Maßnah­me aber nicht da­zu, dass ei­ne Ausübung des Wei­sungs­rechts durch den Ar­beit­ge­ber, die (auch) auf Gründe gestützt wird, die im Zu­sam­men­hang mit dem Ge­sund­heits­zu­stand des Ar­beit­neh­mers ste­hen, be­reits des­we­gen for­mell oder ma­te­ri­ell un­mit­tel­bar un­wirk­sam wäre. Eben­so we­nig ist der Ar­beit­ge­ber in ei­ner sol­chen Si­tua­ti­on durch § 84 Abs. 2 SGB IX ge­hin­dert, sich im Rah­men der ge­richt­li­chen Über­prüfung der Wah­rung der Gren­zen des bil­li­gen Er­mes­sens nach § 106 Satz 1 Ge­wO, § 315 BGB auf Gründe für die Maßnah­me zu be­ru­fen, die im Zu­sam­men­hang mit dem Ge­sund­heits­zu­stand oder der Ar­beits­unfähig­keit des Ar­beit­neh­mers ste­hen.

(1) § 84 Abs. 2 SGB IX selbst gibt kei­nen An­halts­punkt für die An­nah­me, die un­ter­las­se­ne Durchführung des BEM führe un­mit­tel­bar zur Un­wirk­sam­keit ei­ner Ver­set­zung oder ei­ner an­de­ren Ausübung des Wei­sungs­rechts durch den Ar­beit­ge­ber.

 

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(2) Wie dar­ge­legt, dient das BEM dem Ziel, krank­heits­be­ding­ten Gefähr­dun­gen des Ar­beits­verhält­nis­ses möglichst frühzei­tig ent­ge­gen­zu­tre­ten und im Rah­men ei­nes er­geb­nis­of­fe­nen Such­pro­zes­ses We­ge zu fin­den, um er­neu­ter Ar­beits­unfähig­keit vor­zu­beu­gen und da­mit das Ar­beits­verhält­nis zu er­hal­ten. Durch das BEM können ggf. mil­de­re Mit­tel ge­genüber dem Aus­spruch ei­ner Kündi­gung ge­fun­den wer­den; das BEM selbst ist aber kein sol­ches mil­de­res Mit­tel ge­genüber an­de­ren Maßnah­men (vgl. BAG 12. Ju­li 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 41 mwN, BA­GE 123, 234; aA wohl oh­ne Be­gründung LAG Köln 12. De­zem­ber 2013 - 7 Sa 537/13 - zu II 1 b der Gründe).

(3) Nach ständi­ger Recht­spre­chung ist die Durchführung des BEM kei­ne for­mel­le Wirk­sam­keits­vor­aus­set­zung für ei­ne krank­heits­be­ding­te Kündi­gung. § 84 Abs. 2 SGB IX ist aber auch kein bloßer Pro­gramm­satz. Die Norm kon­kre­ti­siert viel­mehr den Verhält­nismäßig­keits­grund­satz. Mit Hil­fe ei­nes BEM können mil­de­re Mit­tel als die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses, wie zB die Um­ge­stal­tung des Ar­beits­plat­zes oder die Wei­ter­beschäfti­gung zu geänder­ten Ar­beits­be­din­gun­gen auf ei­nem an­de­ren, ggf. durch Um­set­zun­gen „frei­zu­ma­chen­den“ Ar­beits­platz er­kannt und ent­wi­ckelt wer­den. Nur wenn auch die Durchführung des BEM kei­ne po­si­ti­ven Er­geb­nis­se hätte zei­ti­gen können, ist sein Feh­len unschädlich. Um dar­zu­tun, dass die Kündi­gung dem Verhält­nismäßig­keits­grund­satz genügt und ihm kei­ne mil­de­ren Mit­tel zur Über­win­dung der krank­heits­be­ding­ten Störung des Ar­beits­verhält­nis­ses als die Kündi­gung of­fen­stan­den, muss der Ar­beit­ge­ber die ob­jek­ti­ve Nutz­lo­sig­keit des BEM dar­le­gen (zu­letzt zB BAG 13. Mai 2015 - 2 AZR 565/14 - Rn. 28 mwN).

(4) Das BEM ist auch im Fall ei­ner Ver­set­zung oder ei­ner an­de­ren Ausübung des Di­rek­ti­ons­rechts, die (auch) auf ge­sund­heit­li­che Gründe gestützt wird, kei­ne for­mel­le oder un­mit­tel­ba­re ma­te­ri­el­le Wirk­sam­keits­vor­aus­set­zung für die Maßnah­me. Das Ge­setz be­stimmt dies nicht aus­drück­lich, viel­mehr sieht es im Fall der Un­ter­las­sung des BEM gar kei­ne Rechts­fol­ge vor. Um ein Ver­bots­ge­setz iSd. § 134 BGB han­delt es sich nicht (BAG 12. Ju­li 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 36, BA­GE 123, 234). Von ei­ner for­mel­len Wirk­sam­keits­vor­aus­set­zung geht wohl auch das Lan­des­ar­beits­ge­richt nicht aus­drück­lich aus. Als sol-

 

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che würde die Un­ter­las­sung des BEM aber fak­tisch wir­ken, wenn dem Ar­beit­ge­ber - wie das Lan­des­ar­beits­ge­richt of­fen­bar an­nimmt - ver­wehrt wäre, sich auf die Ar­beits­unfähig­keit des Ar­beit­neh­mers oder an­de­re mit sei­nem Ge­sund­heits­zu­stand in Zu­sam­men­hang ste­hen­de Gründe zur Be­gründung ei­ner Ausübung des Wei­sungs­rechts zu be­ru­fen. Ei­ne sol­che Vor­rang­stel­lung des § 84 Abs. 2 SGB IX ge­genüber dem Wei­sungs­recht nach § 106 Satz 1 Ge­wO lässt sich der Norm eben­so we­nig wie im Verhält­nis zu § 1 KSchG ent­neh­men.

(5) Da­bei ist auch zu be­ach­ten, dass sich der auf die Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses zie­len­de Aus­spruch ei­ner Kündi­gung und die der Aus­ge­stal­tung des Ar­beits­verhält­nis­ses die­nen­de Ausübung des Wei­sungs­rechts durch den Ar­beit­ge­ber nach Vor­aus­set­zun­gen und Wir­kun­gen deut­lich un­ter­schei­den. Mit sei­nem Wei­sungs­recht kon­kre­ti­siert der Ar­beit­ge­ber die ar­beits­ver­trag­lich häufig nur rah­menmäßig be­stimm­te Ar­beits­pflicht und schafft da­mit re­gelmäßig erst die Vor­aus­set­zung, dass der Ar­beit­neh­mer die­se erfüllen und das Ar­beits­verhält­nis prak­tisch durch­geführt wer­den kann (BAG 18. Ok­to­ber 2017 - 10 AZR 330/16 - Rn. 60). Des­halb sind für die Über­prüfung der Wirk­sam­keit ei­ner Wei­sung auch kei­ne kündi­gungs­recht­li­chen Maßstäbe an­zu­le­gen, die­se be­stim­men sich viel­mehr ent­spre­chend der ge­setz­li­chen Vor­ga­be nach § 106 Ge­wO, § 315 BGB (vgl. BAG 28. Au­gust 2013 - 10 AZR 569/12 - Rn. 41 [zur Be­deu­tung ei­ner un­ter­neh­me­ri­schen Ent­schei­dung für ei­ne Ver­set­zung]).

(6) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt un­ter­schei­det mit sei­nen An­nah­men auch nicht aus­rei­chend zwi­schen dem BEM und den Maßnah­men, die auf­grund des BEM in Be­tracht kom­men (vgl. BAG 12. Ju­li 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 41, BA­GE 123, 234). Wird als Maßnah­me aus ei­nem BEM ei­ne Ver­set­zung oder an­de­re Ausübung des Wei­sungs­rechts in Erwägung ge­zo­gen, rich­tet sich die Ver­bind­lich­keit der ar­beit­ge­ber­sei­ti­gen Wei­sung nach § 106 Ge­wO, § 315 BGB. Der Ar­beit­neh­mer kann sich - un­abhängig von mögli­chen Fol­gen in ei­nem Streit über ei­ne späte­re krank­heits­be­ding­te Kündi­gung - ge­gen ei­ne sol­che Maßnah­me wen­den, ei­ne Bin­dung an die Er­geb­nis­se des BEM be­steht nicht. Um­ge­kehrt würde es dem in § 84 Abs. 2 SGB IX zum Aus­druck kom­men­den Präven­ti­ons­ge­dan­ken wi­der­spre­chen, wenn der Ar­beit­ge­ber ei­ne aus ge­sund­heit­li­chen

 

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Gründen ge­bo­te­ne Um­set­zung, die auch an­sons­ten bil­li­gem Er­mes­sen ent­spricht, nicht vor­neh­men dürf­te, nur weil er kein BEM durch­geführt hat. So­weit § 84 Abs. 2 SGB IX in­so­weit vom Er­halt des „Ar­beits­plat­zes“ spricht, han­delt es sich um ei­nen of­fen­sicht­li­chen Re­dak­ti­ons­feh­ler (BAG 20. No­vem­ber 2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 32, BA­GE 150, 117; Düwell in LPK-SGB IX § 84 Rn. 32; aA wohl Cra­mer/Ritz/Schi­an SGB IX § 84 Rn. 20).

(7) Darüber hin­aus über­sieht das Lan­des­ar­beits­ge­richt, dass es im Rah­men der ge­richt­li­chen Über­prüfung ei­ner Ver­set­zung oder ei­ner an­de­ren Ausübung des Wei­sungs­rechts nach § 106 Ge­wO, § 315 BGB nicht auf die vom Be­stim­mungs­be­rech­tig­ten an­ge­stell­ten Erwägun­gen an­kommt, son­dern dar­auf, ob das Er­geb­nis der ge­trof­fe­nen Ent­schei­dung die Gren­zen bil­li­gen Er­mes­sens wahrt (BAG 18. Ok­to­ber 2017 - 10 AZR 330/16 - Rn. 35 mwN). Dies hat der Ar­beit­ge­ber dar­zu­le­gen und zu be­wei­sen. Auch wenn es dem Ar­beit­ge­ber - wie mögli­cher­wei­se hier - um die Su­che nach der un­ter ge­sund­heit­li­chen As­pek­ten bes­ten Ein­satzmöglich­keit für ei­nen Ar­beit­neh­mer geht, ver­langt der Zweck des BEM nicht, die Maßnah­me nur des­halb als un­wirk­sam an­zu­se­hen, weil der Ar­beit­neh­mer sei­ne In­ter­es­sen nicht zu­vor selbst ein­ge­bracht hat. Ent­schei­dend ist viel­mehr, ob die Ausübung des Wei­sungs­rechts auch die­se In­ter­es­sen des Ar­beit­neh­mers im Rah­men der not­wen­di­gen Abwägung wahrt. Wenn der Ar­beit­ge­ber we­gen des feh­len­den BEM er­heb­li­che Be­lan­ge des Ar­beit­neh­mers hin­ge­gen nicht hin­rei­chend berück­sich­tigt hat, weil er sie des­we­gen bei­spiel­wei­se gar nicht kann­te, wird sich die Maßnah­me im Rah­men der ge­richt­li­chen Über­prüfung re­gelmäßig als un­wirk­sam er­wei­sen, so­fern nicht gleich­wohl die von ihm an­geführ­ten Abwägungs­ge­sichts­punk­te die Wah­rung bil­li­gen Er­mes­sens be­gründen können (vgl. im Hin­blick auf ei­ne ta­rif­ver­trag­li­che Ver­pflich­tung zur Anhörung des Ar­beit­neh­mers vor ei­ner Ver­set­zung BAG 18. Ok­to­ber 2017 - 10 AZR 330/16 - Rn. 35). In­so­fern kann das un­ter­las­se­ne BEM auch im Rah­men der Ausübung des Wei­sungs­rechts zu Rechts­nach­tei­len für den Ar­beit­ge­ber führen (vgl. da­zu Koh­te/Liebsch ju­ris-PR-ArbR 36/17 Anm. 5 [al­ler­dings un­ter Hin­weis auf den Verhält­nismäßig­keits­grund­satz]).

 

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d) Die Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts er­weist sich darüber hin aus als rechts­feh­ler­haft, weil es we­sent­li­chen Vor­trag der Be­klag­ten zur Be­gründung der Um­set­zung des Klägers über­g­an­gen hat. Die von der Be­kla­gen zulässig nach § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO er­ho­be­ne Ver­fah­rensrüge hat Er­folg. Auch dies führt zur Auf­he­bung der an­ge­grif­fe­nen Ent­schei­dung (§ 562 Abs. 1 ZPO).

aa) Die Be­klag­te hat­te in den Vor­in­stan­zen mehr­fach vor­ge­tra­gen, dass es für sie in der Nacht­schicht schwie­ri­ger als in der Wech­sel­schicht sei, ei­nen häufig feh­len­den Mit­ar­bei­ter zu er­set­zen, da der Pool der her­an­zu­zie­hen­den Mit­ar­bei­ter ge­genüber der Wech­sel­schicht ge­rin­ger sei. Mit­ar­bei­ter aus der Wech­sel­schicht könn­ten nicht in der Nacht­schicht ein­ge­setzt wer­den, weil dann die Ru­he­zei­ten nicht ein­ge­hal­ten wer­den könn­ten. Sprin­ge der Schichtführer ein, könne er sei­nen ei­gent­li­chen Auf­ga­ben nicht mehr nach­kom­men. Die­se be­trieb­li­chen Umstände hat sie aus­drück­lich als wei­te­ren Grund für die streit­ge­genständ­li­che Maßnah­me an­geführt.

bb) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die­sen Vor­trag der Be­klag­ten im strei­ti­gen Tat­be­stand aus­drück­lich wie­der­ge­ge­ben. In sei­nen Ent­schei­dungs­gründen führt es hin­ge­gen aus, die Be­klag­te ha­be „sons­ti­ge be­trieb­li­che In­ter­es­sen“ nicht dar­ge­legt und sol­che hätten im Zeit­punkt der Maßnah­me ob­jek­tiv auch nicht be­stan­den. An an­de­rer Stel­le be­nennt das Lan­des­ar­beits­ge­richt die Fra­ge der ge­sund­heit­li­chen Fol­gen der Um­set­zung in die Wech­sel­schicht als „das ein­zi­ge [von der Be­klag­ten] ins Feld geführ­te be­trieb­li­che In­ter­es­se“. Mit dem ge­nann­ten Vor­trag der Be­klag­ten setzt sich das Lan­des­ar­beits­ge­richt nicht aus­ein­an­der. Den Ur­teils­gründen ist auch nicht zu ent­neh­men, dass das Lan­des­ar­beits­ge­richt den dies­bezügli­chen Vor­trag - un­abhängig von der Fra­ge et­wai­ger Hin­weis­pflich­ten nach § 139 ZPO - als un­sub­stan­zi­iert oder aus an­de­ren pro­zes­sua­len Gründen als nicht ver­wert­bar an­ge­se­hen hat.

III. Der Se­nat kann in der Sa­che nicht selbst ent­schei­den, da das Lan­des­ar­beits­ge­richt nicht al­le er­for­der­li­chen Fest­stel­lun­gen ge­trof­fen hat. Im Übri­gen ist es re­gelmäßig Sa­che der Tat­sa­chen­in­stan­zen fest­zu­stel­len, ob ei­ne kon­kre­te Maßnah­me bil­li­gem Er­mes­sen ent­spricht oder nicht (vgl. BAG 30. No­vem­ber

 

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2016 - 10 AZR 805/15 - Rn. 34). Die Sa­che ist des­halb zur neu­en Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das Be­ru­fungs­ge­richt zurück­zu­ver­wei­sen (§ 563 Abs. 1 ZPO).

1. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt wird un­ter Zu­grun­de­le­gung der obi­gen Grundsätze zu prüfen ha­ben, ob die Wei­sung vom 25. März 2015 bil­li­gem Er­mes­sen ent­sprach. Den Par­tei­en wird Ge­le­gen­heit zu ge­ben sein, ih­ren Vor­trag hin­sicht­lich der für und ge­gen die Wirk­sam­keit der Wei­sung spre­chen­den tatsächli­chen Umstände zu ergänzen, so­weit das Lan­des­ar­beits­ge­richt die­sen als nicht aus­rei­chend sub­stan­zi­iert an­sieht. Maßgeb­lich kann es da­bei aber aus­sch­ließlich auf Umstände an­kom­men, die zum Zeit­punkt der streit­ge­genständ­li­chen Maßnah­me be­reits vor­la­gen; späte­re Ent­wick­lun­gen (zB der Ar­beits­unfähig­keits­zei­ten) können kei­ne Berück­sich­ti­gung fin­den. Eben­so we­nig kommt es im Rah­men der ge­richt­li­chen Über­prüfung der Ausübung ei­nes Wei­sungs­rechts auf die vom Be­stim­mungs­be­rech­tig­ten an­ge­stell­ten Erwägun­gen an, son­dern al­lein dar­auf, ob das Er­geb­nis der ge­trof­fe­nen Ent­schei­dung den ver­trag­li­chen, ta­rif­ver­trag­li­chen oder ge­setz­li­chen An­for­de­run­gen genügt (vgl. BAG 30. No­vem­ber 2016 - 10 AZR 11/16 - Rn. 28).

2. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt wird bei sei­ner Ent­schei­dung zu berück­sich­ti­gen ha­ben, dass es ge­si­cher­ten ar­beits­wis­sen­schaft­li­chen Er­kennt­nis­sen ent­spricht, dass Nacht­ar­beit grundsätz­lich für je­den Men­schen schädlich ist und ne­ga­ti­ve ge­sund­heit­li­che Aus­wir­kun­gen hat (BAG 9. De­zem­ber 2015 - 10 AZR 423/14 - Rn. 17 mwN, BA­GE 153, 378). Es ist da­her nicht aus­ge­schlos­sen, dass die­se Er­kennt­nis ei­ne Um­set­zung in die Wech­sel­schicht recht­fer­ti­gen kann. Der all­ge­mei­ne Vor­trag des Klägers, ge­ra­de für ihn sei ei­ne dau­er­haf­te Nacht­schicht ge­sund­heit­lich bes­ser als die Wech­sel­schicht mit den wech­seln­den Ar­beits­zei­ten, dürf­te nicht genügen, um die­se Er­kennt­nis in­fra­ge zu stel­len. Al­ler­dings wird zu berück­sich­ti­gen sein, dass im Be­trieb der Be­klag­ten wei­ter­hin ei­ne (Dau­er-)Nacht­schicht ein­ge­rich­tet ist. Es be­darf da­her be­son­de­rer Umstände in der Per­son des Klägers - wie bei­spiels­wei­se deut­lich über­durch­schnitt­li­che Ar­beits­unfähig­keits­zei­ten - um die­se all­ge­mei­ne Er­kennt­nis ge­ra­de als (ei­nen) hin­rei­chen­den Grund für des­sen Um­set­zung an­zu­se­hen. Kon­kret auf

 

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die in­di­vi­du­el­le ge­sund­heit­li­che Si­tua­ti­on des Klägers be­zo­ge­ne Gründe für die Maßnah­me - die ggf. im Rah­men der Durchführung ei­nes be­trieb­li­chen Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ments hätten fest­ge­stellt wer­den können - hat die Be­klag­te bis­her je­den­falls nicht vor­ge­tra­gen.

3. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt wird wei­ter dem Vor­trag der Be­klag­ten zur ein­fa­che­ren Er­setz­bar­keit des Klägers in der Wech­sel­schicht bei krank­heits­be­ding­ten Ausfällen nach­zu­ge­hen und die­sen zu be­wer­ten ha­ben. Glei­ches gilt für die bis­her sehr all­ge­mei­ne Be­haup­tung des Klägers zu Nach­tei­len bei sei­ner Sucht­the­ra­pie (vgl. zu sol­chen Erwägun­gen auch BAG 2. No­vem­ber 2016 - 10 AZR 596/15 - Rn. 32, BA­GE 157, 153) und sei­nen im Hin­blick auf den ge­genläufi­gen Vor­trag der Be­klag­ten bis­her we­nig sub­stan­zi­ier­ten Vor­trag zu fi­nan­zi­el­len Ein­bußen durch den Weg­fall von Zu­schlägen und Zu­la­gen. Bei der Be­wer­tung des letzt­ge­nann­ten As­pekts ist zu berück­sich­ti­gen, dass sol­che Zu­schläge und Zu­la­gen die be­son­de­ren Er­schwer­nis­se durch die Nacht­ar­beit aus­glei­chen sol­len und die­se Er­schwer­nis­se mit dem feh­len­den Ein­satz in der Nacht­schicht eben­falls ent­fal­len (vgl. BAG 10. De­zem­ber 2014 - 10 AZR 63/14 - Rn. 32). Von wei­te­ren Hin­wei­sen sieht der Se­nat ab.

Linck
Schlünder
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Pe­tri
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