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LAG Schles­wig-Hol­stein, Ur­teil vom 29.06.2017, 5 Sa 5/17

   
Schlagworte: Abmahnung, vorweggenommene Abmahnung
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
Aktenzeichen: 5 Sa 5/17
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 29.06.2017
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Kiel, Urteil vom 07.12.2016, 2 Ca 707d/16
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt Schles­wig-Hol­stein

Ak­ten­zei­chen: 5 Sa 5/17
ö. D. 2 Ca 707 d/16 ArbG Kiel
(Bit­te bei al­len Schrei­ben an­ge­ben!)

Verkündet am 29.06.2017

gez. ...
als Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

Ur­teil

Im Na­men des Vol­kes

In dem Rechts­streit pp.

hat die 5. Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Schles­wig-Hol­stein auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 29.06.2017 durch die Vor­sit­zen­de Rich­te­rin am Lan­des­ar­beits­ge­richt ... als Vor­sit­zen­de und die eh­ren­amt­li­chen Rich­te­rin­nen ... und ... als Bei­sit­ze­rin­nen

für Recht er­kannt:

 

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1. Die Be­ru­fung der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Kiel vom 07.12.2017, Az.: ö.D. 2 Ca 707 d/16, wird ins­ge­samt ab­ge­wie­sen.

2. Die Kos­ten des Be­ru­fungs­ver­fah­rens trägt die Be­klag­te.

3. Die Re­vi­si­on wird nicht zu­ge­las­sen.


Rechts­mit­tel­be­leh­rung

Ge­gen die­ses Ur­teil ist das Rechts­mit­tel der Re­vi­si­on nicht ge­ge­ben; im Übri­gen wird auf § 72 a ArbGG ver­wie­sen.


 

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Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten im Be­ru­fungs­ver­fah­ren um die Wirk­sam­keit ei­ner außer­or­dent­li­chen und or­dent­li­chen Kündi­gung so­wie um ei­nen Auflösungs­an­trag der Be­klag­ten.

Der 37-jähri­ge, ver­hei­ra­te­te und zwei Kin­dern ge­genüber un­ter­halts­ver­pflich­te­te Kläger ist bei der Be­klag­ten seit dem 07.04.2014 zu­letzt als Lei­ter der Dienst­stel­le in K. und F. zu ei­nem Mo­nats­ge­halt von ca. 4.000,00 € brut­to beschäftigt. Re­gelmäßiger Ar­beits­ort ist die Dienst­stel­le K.. Der Kläger un­ter­schrieb am 08.04.2014 die „Ver­pflich­tungs­erklärung zur Ein­hal­tung des Ver­bots der Pri­vat­nut­zung von Dienst­fahr­zeu­gen“, die u. a. fol­gen­den Wort­laut hat (Bl. 27 d. A.):

„Ich ver­pflich­te mich,
dienst­lich über­las­sen­de Fahr­zeu­ge aus­sch­ließlich für dienst­li­che Zwe­cke zu nut­zen. Pri­va­te Fah­ren, d. h. Fahr­ten oh­ne dienst­li­che Ver­an­las­sung, sind mit Dienst­fahr­zeu­gen strengs­tens un­ter­sagt.

...

Ich bin darüber be­lehrt wor­den, dass ein Ver­s­toß ge­gen die­se An­ord­nung ar­beits­recht­li­che Fol­gen (Er­mah­nung / Ab­mah­nung / Kündi­gung / o. a.) ha­ben wird. ...

Im Rah­men von Be­reit­schafts­diens­ten wer­den Pri­vat­fahr­ten to­le­riert, so­weit sie die Durchführung die­ses Diens­tes nicht be­ein­träch­ti­gen und sie un­trenn­bar mit dem Be­reit­schafts­dienst ein­her­ge­hen.

Nähe­res zum zulässi­gen Um­fang der to­le­rier­ten Pri­vat­fahr­ten ent­neh­men Sie aus der an­lie­gen­den Über­sicht „An­halts­punk­te zur Be­hand­lung von Fahr­ten mit ei­nem Dienst-/ Pool­fahr­zeug als Dienst-/Pri­vat­fahrt“ (Do­ku Nr. P 39). Wir wei­sen Sie dar­auf hin, dass die­ses Do­ku­ment im­mer wie­der und fort­lau­fend ak­tua­li­siert wird. Die je­wei­li­ge ak­tu­el­le und gülti­ge Fas­sung ent­neh­men Sie bit­te aus dem In­tra­net.

...“

Am 03.03.2016 hol­te der Bun­des­frei­wil­li­gen­dienst­leis­ten­de B. anläss­lich ei­ner dienst­lich ver­an­lass­ten Fahrt mit ei­nem Dienst­fahr­zeug ein pri­va­tes Sak­ko des Klägers aus ei­ner Rei­ni­gung in F. mit Bil­li­gung des Klägers ab. Hier­von er­lang­te die Be­klag­te am 28.04.2016 Kennt­nis. Vom 18.04.2016 bis zum 30.04.2016 be­fand sich der Kläger in Ur­laub. Am Mon­tag, 02.05.2016, ver­rich­te­te er sei­nen Dienst in K.. Am Diens­tag, 03.05.2016, ließ sich der Kläger von dem Aus­zu­bil­den­den G. mor­gens von sei­nem

 

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Wohn­sitz in S. aus ab­ho­len und am Nach­mit­tag wie­der nach Hau­se fah­ren. Das Dienst­fahr­zeug wur­de auf die­se Wei­se vier­mal auf der Stre­cke K. - S. be­wegt, so­dass ins­ge­samt ei­ne Fahrt­stre­cke von et­wa 112 km zurück­ge­legt wur­de. Es ist strei­tig, ob der Kläger den Zeu­gen G. be­reits te­le­fo­nisch am 28.05.2016 an­wies ihn ab­zu­ho­len oder erst im Lau­fe des 02.05.2016. Hier­von er­lang­te die Be­klag­te am 04.05.2016 Kennt­nis. Mit Schrei­ben vom 09.05.2016 hörte die Be­klag­te die Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung zur be­ab­sich­tig­ten außer­or­dent­li­chen Kündi­gung des Klägers an (Bl. 22 ff. d. A.). Am 10.05.2016 stimm­te die Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung der be­ab­sich­tig­ten außer­or­dent­li­chen Kündi­gung zu (Bl. 22 f. d. A.). Mit Schrei­ben vom 11.05.2016 kündig­te die Be­klag­te das Ar­beits­verhält­nis des Klägers außer­or­dent­lich frist­los mit so­for­ti­ger Wir­kung (Bl. 12 d. A.). Mit Schrei­ben vom 19.05.2016 kündig­te die Be­klag­te das Ar­beits­verhält­nis hilfs­wei­se er­neut or­dent­lich zum 30.06.2016.

Der Kläger hat vor­ge­tra­gen,

er ha­be das Sak­ko am 03.03.2016 selbst auf dem Rück­weg von der Dienst­stel­le in F. nach K. im C.-Park F. ab­ho­len und des­halb auch früher auf­bre­chen wol­len. Die stell­ver­tre­ten­de Dienst­stel­len­lei­te­rin P. ha­be des­halb vor­ge­schla­gen, dass der Zeu­ge B. das Sak­ko auf des­sen Rück­weg von ei­nem Ter­min ab­ho­len könne, da es so­wohl räum­lich als auch zeit­lich pas­sen würde. Dem ha­be er, der Kläger, zu­ge­stimmt und ha­be so­mit bis ca. 16.00 Uhr in der Dienst­stel­le blei­ben und dort ar­bei­ten können, oh­ne frühzei­ti­ger los­fah­ren müssen. Nach Ur­laubsrück­kehr En­de April 2016 sei sein Au­to de­fekt ge­we­sen, so­dass er be­reits am 02.05.2016 mit dem de­fek­ten Au­to zum Dienst ge­fah­ren sei. Da auf­grund sei­nes zweiwöchi­gen Ur­laubs ei­ne Men­ge Ar­beit lie­gen ge­blie­ben, sei­ne Ehe­frau mit dem Zweit­wa­gen in der Schweiz ge­we­sen sei und er, der Kläger, bei Be­nut­zung öffent­li­cher Ver­kehrs­mit­tel erst um 11:45 Uhr am Haupt­bahn­hof ge­we­sen wäre und er zu­dem auch noch Ruf­be­reit­schaft ge­habt ha­be, ha­be er den Aus­zu­bil­den­den aus­nahms­wei­se be­auf­tragt, ihn am 03.05.2016 aus S. ab­zu­ho­len und nach Dienst­schluss wie­der zurück­zu­fah­ren, da sein Au­to an die­sem Tag in der Werk­statt re­pa­riert wor­den sei. Gemäß der Ver­pflich­tungs­erklärung zur Ein­hal­tung des Ver­bots der Pri­vat­nut­zung von Dienst­fahr­zeu­gen sei es während der Ruf­be­reit­schaft er­laubt, das Dienst­fahr­zeug für Pri­vat­fahr­ten zu nut­zen. Im Übri­gen sei­en die Kündi­gun­gen un­verhält­nismäßig ge­we­sen. Die Be­klag­te hätte zu­min­dest zunächst ei­ne Ab­mah­nung aus­spre­chen müssen.

 

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Der Kläger hat be­an­tragt,

1. fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis durch die Kündi­gung vom 11.05.2016 nicht auf­gelöst wor­den ist;

2. fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en nicht durch die Kündi­gung vom 19.05.2016 auf­gelöst wor­den ist;

3. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, den Kläger über den 11.05.2016 zu un­veränder­ten Be­din­gun­gen auf dem­sel­ben Ar­beits­platz wei­ter zu beschäfti­gen.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Die Be­klag­te hat ge­meint,

die außer­or­dent­li­che, je­den­falls aber die or­dent­li­che Kündi­gung sei­en wirk­sam und be­en­de­ten das Ar­beits­verhält­nis. Der Kläger ha­be wie­der­holt ge­gen die Nut­zungs­ver­ein­ba­rung für Dienst­wa­gen ver­s­toßen. Am 03.03.2016 ha­be der Kläger den Bun­des­frei­wil­li­gen­dienst­leis­ten­den B. während sei­ner, des Klägers, Ar­beits­zeit be­auf­tragt, pri­va­te Klei­dung mit ei­nem Dienst­fahr­zeug aus der Rei­ni­gung ab­zu­ho­len. Der Dienst­leis­ten­de B. sei der Wei­sung sei­nes Vor­ge­setz­ten nach­ge­kom­men und ha­be den Auf­trag un­strei­tig er­le­digt. Des Wei­te­ren ha­be der Kläger be­reits am 28.04.2016 un­ter miss­bräuch­li­cher Aus­nut­zung sei­ner Vor­ge­setz­ten­stel­lung den Aus­zu­bil­den­den G. te­le­fo­nisch an­ge­wie­sen, ihn am 03.05.2016 aus S. ab­zu­ho­len und her­nach auch wie­der zurück­zu­fah­ren. Der Um­stand, dass der Kläger nicht selbst ge­fah­ren sei, son­dern die Fahr­ten von un­ter­stell­ten Mit­ar­bei­tern ha­be durchführen las­sen, sei un­er­heb­lich. Denn die Pri­vat­fahr­ten sei­en auf sei­ne Ver­an­las­sung und aus­sch­ließlich zum ei­ge­nen Nut­zen des Klägers durch­geführt wor­den. Durch die Pflicht­ver­let­zun­gen des Klägers sei ihr, der Be­klag­ten, ein fi­nan­zi­el­ler Scha­den ent­stan­den. Zusätz­lich sei­en die Ar­beits­zei­ten des Aus­zu­bil­den­den G. und des Bun­des­frei­wil­li­gen­dienst­leis­ten­den B. für pri­va­te Zwe­cke des Klägers auf­ge­wen­det wor­den. Ne­ben dem ent­stan­de­nen fi­nan­zi­el­len Scha­den sei das Ver­trau­ens­verhält­nis zum Kläger durch das ei­gen­wirt­schaft­li­che Aus­nut­zen sei­ner Vor­ge­setz­ten­funk­ti­on für pri­va­te Zwe­cke un­wie­der­bring­lich zerstört. Ei­ne Ab­mah­nung sei ent­behr­lich ge­we­sen, weil der Kläger nicht

 

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ha­be da­mit rech­nen dürfen, dass sie, die Be­klag­te, sei­ne von Ei­gen­nutz und un­ter Aus­nut­zung sei­ner Lei­tungs­funk­ti­on be­stimm­te Hand­lungs­wei­se hin­neh­men würde.

Das Ar­beits­ge­richt hat mit Ur­teil vom 07.12.2016 der Kla­ge in vol­lem Um­fang statt­ge­ge­ben. Der Vor­fall vom 03.03.2016 recht­fer­ti­ge we­der ei­ne frist­lo­se noch ei­ne or­dent­li­che ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung. Der Kläger ha­be sich dar­auf be­ru­fen, dass der Zeu­ge B. sein Sak­ko beiläufig auf dem Rück­weg von ei­ner Dienst­fahrt von der Rei­ni­gung ab­ge­holt ha­be, es sich mit­hin nicht um ei­ne ver­bo­te­ne Pri­vat­fahrt ge­han­delt ha­be. Die­se Ein­las­sung des Klägers ha­be Aus­wir­kun­gen auf das Maß der ihm vor­ge­wor­fe­nen Pflicht­ver­let­zung. So­weit die Be­klag­te die­se Ein­las­sung be­strit­ten und sich erst im Kam­mer­ter­min vom 07.12.2016 auf das Zeug­nis des Zeu­gen B. be­ru­fen ha­be, sei die­ses Be­weis­an­ge­bot als ver­spätet zurück­zu­wei­sen ge­we­sen. Aber auch der Vor­fall vom 03.05.2016 recht­fer­ti­ge we­der ei­ne frist­lo­se noch ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung. Der Kläger ha­be zwar ge­gen das Ver­bot der Pri­vat­nut­zung von Dienst­fahr­zeu­gen ver­s­toßen, in­dem er sich von dem Aus­zu­bil­den­den G. von zu Hau­se ab­ho­len und wie­der zurück­brin­gen las­sen ha­be. Aber auf­grund der Ein­las­sun­gen des Klägers sei da­von aus­zu­ge­hen, dass er nach ei­ner ent­spre­chen­den Ab­mah­nung der­glei­chen Pflicht­verstöße nicht wie­der be­ge­hen wer­de. Da die Ver­pflich­tungs­erklärung vom 08.04.2014 als Rechts­fol­ge von Verstößen auch nicht Er­mah­nung und Ab­mah­nung ent­hal­te, ha­be der Kläger auch nicht mit ei­ner so­for­ti­gen Kündi­gung rech­nen müssen.

Ge­gen das ihr am 29.12.2016 zu­ge­stell­te Ur­teil hat die Be­klag­te am 06.01.2017 beim Lan­des­ar­beits­ge­richt Schles­wig-Hol­stein Be­ru­fung ein­ge­legt und die­se nach gewähr­ter Frist­verlänge­rung bis zum 14.03.2017 am 10.03.2017 be­gründet.

Die Be­klag­te wie­der­holt und ver­tieft ih­ren erst­in­stanz­li­chen Vor­trag. Das Ar­beits­ge­richt ha­be nicht gewürdigt, dass der Kläger so­wohl am 03.03.2016 als auch am 03.05.2016 die „schwächs­ten Glie­der“ in­ner­halb der Hier­ar­chie an­ge­wie­sen ha­be, für ihn un­er­laub­te Pri­vat­fahr­ten mit Dienst­fahr­zeu­gen durch­zuführen. Dass die pri­va­te Nut­zung von Dienst­fahr­zeu­gen strengs­tens un­ter­sagt ge­we­sen sei, ha­be der Kläger eben­so ge­wusst wie die ar­beits­recht­li­che Sank­tio­nie­rung ent­spre­chen­der Verstöße. Es sei auch un­er­heb­lich, ob der

 

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Kläger ei­gen­in­itia­tiv den Zeu­gen B. am 03.03.2016 be­auf­tragt ha­be, das Sak­ko aus der Rei­ni­gung ab­zu­ho­len oder ob die ihm un­ter­stell­te Mit­ar­bei­te­rin P. den Vor­schlag ge­macht ha­be, der Zeu­ge B. könne das Ja­ckett ab­ho­len. Im letz­te­ren Fall hätte er als Dienst­stel­len­lei­ter zu­ge­las­sen, dass ihm un­ter­stell­te Mit­ar­bei­ter ge­gen das Ver­bot der Pri­vat­nut­zung von Dienst­fahr­zeu­gen ver­s­toßen. Zu­dem tra­ge der Kläger die Dar­le­gungs- und Be­weis­last für ei­nen ihn ent­las­ten­den Sach­ver­halt. Der Kläger ha­be un­strei­tig auch am 03.05.2016 ge­gen das Ver­bot der Pri­vat­nut­zung von Dienst­fahr­zeu­gen ver­s­toßen. Er ha­be die Ar­beits­kraft ei­nes Aus­zu­bil­den­den für gan­ze zwei St­un­den zweck­wid­rig ein­ge­setzt und zu­dem ge­gen das aus­drück­li­che Ver­bot vom 08.04.2014 ver­s­toßen. Die­se Pri­vat­fahr­ten sei­en durch nichts ge­recht­fer­tigt ge­we­sen. Die Ein­las­sun­gen des Klägers zum de­fek­ten Au­to sei­en in sich wi­dersprüchlich. Der Kläger ha­be auch kei­ne Ruf­be­reit­schaft ge­habt. Der Kläger hätte zu­dem die Möglich­keit ge­habt, mit öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­teln zum Dienst zu fah­ren, z. B. mit dem Bus um 6:27 Uhr oder um 7:03 Uhr. Die­se Fak­ten ha­be das Ar­beits­ge­richt nicht gewürdigt. Die außer­or­dent­li­che Kündi­gung sei auch nicht we­gen ei­ner feh­len­den Ab­mah­nung un­verhält­nismäßig ge­we­sen. Ei­ner vor­he­ri­gen Ab­mah­nung ha­be es an­ge­sichts der ein­deu­tig for­mu­lier­ten Ver­bots­ver­ein­ba­rung nicht be­durft. In die­ser Ver­bots­ver­ein­ba­rung sei der Kläger zu­dem auf die ar­beits­recht­li­chen Sank­tio­nen bei ei­nem Ver­s­toß ge­gen das Ver­bot der Pri­vat­nut­zung von Dienst­fahr­zeu­gen aus­drück­lich hin­ge­wie­sen wor­den. Da­mit sei die Warn­funk­ti­on ei­ner Ab­mah­nung erfüllt und zwar für die ge­sam­te Dau­er des Ar­beits­verhält­nis­ses.

Das Ar­beits­verhält­nis sei hilfs­wei­se auf­zulösen. Ihr, der Be­klag­ten, sei auf­grund des Ver­hal­tens des Klägers die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses un­zu­mut­bar. Der Kläger ha­be sich im Pro­zess da­mit ge­recht­fer­tigt, dass er auf „Ver­an­las­sung“ sei­ner Stell­ver­tre­te­rin P., am 03.03.2016 das Sak­ko aus der Rei­ni­gung ha­be ab­ho­len las­sen. Zu­dem ha­be er in Be­zug auf die Ab­fahr­zei­ten der Bus­se am 03.05.2016 in der ei­des­statt­li­chen Ver­si­che­rung fal­sche An­ga­ben ge­macht. Außer­dem ha­be er im Pro­zess wahr­heits­wid­rig be­haup­tet, am 03.05.2016 Be­reit­schafts­dienst ge­habt zu ha­ben. Der Kläger ha­be kein Un­rechts­be­wusst­sein ge­zeigt. Er ha­be schließlich sei­nen Vor­setz­ten, den Be­zirks­geschäftsführer, des Macht­miss­brauchs be­schul­digt, weil sie, die Be­klag­te, die­ses Be­ru­fungs­ver­fah­ren durchführe und ihm die Er­tei­lung ei­nes Zwi­schen­zeug­nis­ses ver­wei­ge­re. Dem Kläger sei des­we­gen er­neut gekündigt wor­den (ArbG Kiel, 2 Ca 293 d/17).

Seit An­fang 2017 kon­tak­tie­re er Mit­ar­bei­ter und ehe­ma­li-

 

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ge Mit­ar­bei­ter über so­zia­le Netz­wer­ke und fra­ge nach den Ge­pflo­gen­hei­ten zur Dienst­wa­gen­nut­zung. Ein sol­ches Ver­hal­ten ent­beh­re je­der Kol­le­gia­lität und sei als Dienst­stel­len­lei­ter un­ent­schuld­bar.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Kiel vom 07.12.2016, Az. Ö.D. 2 Ca 707 d/16, ab­zuändern und die Kla­ge ab­zu­wei­sen,

hilfs­wei­se,

das Ar­beits­verhält­nis ge­gen Zah­lung ei­ner Ab­fin­dung, de­ren Höhe in das Er­mes­sen des Ge­richts ge­stellt wird, aber 4.000,00 € nicht über­schrei­ten soll­te, zum 30.06.2016 auf­zulösen.

Der Kläger be­an­tragt,

die Be­ru­fung ins­ge­samt zurück­zu­wei­sen.

Der Kläger ver­tei­digt

das an­ge­foch­te­ne Ur­teil. Die Kündi­gung sei be­reits aus for­mel­len Gründen un­wirk­sam, weil die Un­ter­zeich­ne­rin, Frau K. R., nicht kündi­gungs­be­rech­tigt ge­we­sen sei. Fer­ner be­strei­tet der Kläger die Ord­nungs­gemäßheit der Anhörung der Mit­ar­bei­ter­ver­tre­tung. Zu­dem sei vor­lie­gend ei­ne vor­he­ri­ge Ab­mah­nung nicht ent­behr­lich ge­we­sen. In der Ver­pflich­tungs­erklärung vom 08.04.2016 ha­be die Be­klag­te selbst auf ab­ge­stuf­te Sank­tio­nen von der Er­mah­nung bis zur Kündi­gung im Fal­le ei­nes Ver­s­toßes hin­ge­wie­sen. Hier­an ha­be sich die Be­klag­te aber nicht ge­hal­ten. Sch­ließlich ha­be es die Be­klag­te zu­min­dest seit 2014 ge­dul­det, dass An­ge­stell­te die Dienst­fahr­zeu­ge auch in ähn­li­cher Wei­se zu pri­va­ten Zwe­cken nutz­ten. Da sich die un­ter­ge­ord­ne­ten Dienst­stel­len je­der­zeit auch außer­halb sei­ner Dienst­zei­ten an ihn ge­wandt hätten, ha­be er so­zu­sa­gen per­ma­nent Be­reit­schafts­dienst ge­habt.

We­gen des wei­te­ren Vor­brin­gens der Par­tei­en in der Be­ru­fungs­in­stanz wird auf den In­halt ih­rer wech­sel­sei­ti­gen Schriftsätze nebst An­la­gen so­wie den In­halt der Sit­zungs­nie­der­schrift vom 29.06.2017 ver­wie­sen.

 

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Ent­schei­dungs­gründe

Die Be­ru­fung der Be­klag­ten ist zulässig. Sie ist nach § 64 Abs. 2 lit. c ArbGG statt­haft so­wie form- und frist­ge­recht ein­ge­legt und be­gründet wor­den, §§ 66 Abs. 1 ArbGG; § 519 ZPO.

Die in zwei­ter In­stanz sei­tens der Be­klag­ten er­ho­be­ne hilfs­wei­se Wi­der­kla­ge (Auflösungs­an­trag) ist eben­falls zulässig. Der Auflösungs­an­trag kann nach § 9 Abs. 1 S. 3 KSchG bis zum Schluss der letz­ten münd­li­chen Ver­hand­lung in der Be­ru­fungs­in­stanz ge­stellt wer­den. Er kann des­halb we­der in ers­ter noch in zwei­ter In­stanz als ver­spätet zurück­ge­wie­sen wer­den. § 9 Abs. 1 Satz 3 KSchG ist lex spe­cia­les ge­genüber § 533 ZPO. (KR-Spil­ger, 11. Aufl., § 9 KSchG, Rz. 20; LAG Bre­men, Urt. v. 29.06.2006 - 3 Sa 222/05 -, Rn. 45, ju­ris).

In der Sa­che selbst ha­ben we­der die Be­ru­fung (I.) noch der hilfs­wei­se ge­stell­te Auflösungs­an­trag (II.) Er­folg, da sie un­be­gründet sind.

I. Das Ar­beits­ge­richt hat dem Kündi­gungs­fest­stel­lungs­an­trag zu Recht statt­ge­ge­ben. Die hier­ge­gen von der Be­ru­fung er­ho­be­nen Einwände recht­fer­ti­gen kein an­de­res Er­geb­nis. Das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en en­de­te we­der durch die außer­or­dent­li­che Kündi­gung vom 11.05.2016 frist­los (1.) noch durch die or­dent­li­che Kündi­gung vom 19.05.2016 frist­ge­recht zum 30.06.2016 (2.).

1. Die Vor­aus­set­zun­gen für den Aus­spruch ei­ner frist­lo­sen Kündi­gung la­gen hier nicht vor.

a) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Ar­beits­verhält­nis aus wich­ti­gem Grund oh­ne Ein­hal­tung ei­ner Kündi­gungs­frist gekündigt wer­den, wenn Tat­sa­chen vor­lie­gen, auf­grund de­rer dem Kündi­gen­den un­ter Berück­sich­ti­gung al­ler Umstände des Ein­zel­falls und bei Abwägung der In­ter­es­sen bei­der Ver­trags­tei­le die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses selbst bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist nicht zu­ge­mu­tet wer­den kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sach­ver­halt oh­ne sei­ne be­son­de­ren Umstände „an sich“, d. h. ty­pi­scher­wei­se als wich­ti­ger Grund ge­eig­net ist. Als­dann be-

 

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darf es der Prüfung, ob dem Kündi­gen­den die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses un­ter Berück­sich­ti­gung der kon­kre­ten Umstände des Falls - je­den­falls bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist - zu­mut­bar ist oder nicht (BAG, 20. No­vem­ber 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 13; 21. No­vem­ber 2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 15, BA­GE 146, 303).212.

Bei der Prüfung, ob dem Ar­beit­ge­ber ei­ne Wei­ter­beschäfti­gung des Ar­beit­neh­mers trotz Vor­lie­gens ei­ner er­heb­li­chen Pflicht­ver­let­zung je­den­falls bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist zu­mut­bar ist, ist in ei­ner Ge­samtwürdi­gung das In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers an der so­for­ti­gen Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ge­gen das In­ter­es­se des Ar­beit­neh­mers an des­sen Fort­be­stand ab­zuwägen. Es hat ei­ne Be­wer­tung des Ein­zel­falls un­ter Be­ach­tung des Verhält­nismäßig­keits­grund­sat­zes zu er­fol­gen. Da­bei las­sen sich die Umstände, an­hand de­rer zu be­ur­tei­len ist, ob dem Ar­beit­ge­ber die Wei­ter­beschäfti­gung zu­min­dest bis zum En­de der Frist für ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung zu­mut­bar war oder nicht, nicht ab­sch­ließend fest­le­gen. Zu berück­sich­ti­gen sind aber re­gelmäßig das Ge­wicht und die Aus­wir­kun­gen ei­ner Ver­trags­pflicht­ver­let­zung, der Grad des Ver­schul­dens des Ar­beit­neh­mers, ei­ne mögli­che Wie­der­ho­lungs­ge­fahr so­wie die Dau­er des Ar­beits­verhält­nis­ses und des­sen störungs­frei­er Ver­lauf. Ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung kommt nur in Be­tracht, wenn es kei­nen an­ge­mes­se­nen Weg gibt, das Ar­beits­verhält­nis fort­zu­set­zen, weil dem Ar­beit­ge­ber sämt­li­che mil­de­ren Re­ak­ti­onsmöglich­kei­ten un­zu­mut­bar sind (BAG, Urt. v. 09.06.2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 27, ju­ris; BAG, Urt. v. 16.12.2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24, ju­ris). Im Ver­gleich zu ei­ner außer­or­dent­li­chen frist­lo­sen Kündi­gung kom­men als mil­de­re Mit­tel ins­be­son­de­re ei­ne Ab­mah­nung oder ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung in Be­tracht. Sie sind dann al­ter­na­ti­ve Ge­stal­tungs­mit­tel, wenn schon sie ge­eig­net sind, den mit der außer­or­dent­li­chen Kündi­gung ver­folg­ten Zweck - nicht die Sank­ti­on pflicht­wid­ri­gen Ver­hal­tens, son­dern die Ver­mei­dung des Ri­si­kos künf­ti­ger Störun­gen des Ar­beits­verhält­nis­ses - zu er­rei­chen (BAG, Urt. v. 10.06.2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, ju­ris).

b) Ge­mes­sen an die­sen Vor­aus­set­zun­gen war die Be­klag­te nicht be­rech­tigt, das Ar­beits­verhält­nis des Klägers frist­los zu kündi­gen. Die Be­klag­te wirft dem Kläger vor, er ha­be so­wohl am 03.03.2016 als auch am 03.05.2016 ge­gen das Ver­bot, Dienst­fahr­zeu­ge zu pri­va­ten Zwe­cken zu nut­zen, ver­s­toßen. We­der die ein­zel­nen Ver-

 

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trags­verstöße noch die Sum­me der­sel­ben recht­fer­ti­gen vor­lie­gend ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung gemäß § 626 abs. 1 BGB.

aa) Mit der Be­klag­ten geht al­ler­dings auch die Be­ru­fungs­kam­mer da­von aus, dass der Kläger so­wohl am 03.03.2016 als auch am 03.05.2016 ge­gen das Ver­bot der Pri­vat­nut­zung von Dienst­fahr­zeu­gen ver­s­toßen hat. Es han­delt sich hier­bei um die Ver­let­zung ei­ner ver­trag­li­chen Ne­ben­pflicht. Der Ar­beit­neh­mer ist grundsätz­lich ver­pflich­tet, auf die be­rech­tig­ten In­ter­es­sen des Ar­beit­ge­bers Rück­sicht zu neh­men (§ 241 Abs. 2 BGB). Die­se Pflicht dient dem Schutz und der Förde­rung des Ver­trags­zwecks (BAG, Urt. v. 08.05.2014 - 2 AZR 249/13 -, Rn. 19 ju­ris). Auch die Ver­let­zung sol­cher ver­trag­li­cher Ne­ben­pflich­ten kann je nach der Art der Ne­ben­pflicht und dem da­mit ver­bun­de­nen Schutz­in­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers und dem Schwe­re­grad der Ver­let­zung ei­nen wich­ti­gen Grund zur frist­lo­sen Kündi­gung dar­stel­len.

Der Kläger hat so­wohl am 03.03.2016 als auch am 03.05.2016 ge­gen das aus­drück­lich erklärte Ver­bot, Dienst­fahr­zeu­ge für pri­va­te Zwe­cke zu be­nut­zen ver­s­toßen. Er hat es als Dienst­stel­len­lei­ter zu­min­dest zu­ge­las­sen, dass ein Bun­des­frei­wil­li­gen­dienst­leis­ten­der am 03.03.2016 mit ei­nem Dienst­fahr­zeug ein pri­va­tes Sak­ko für ihn aus der Rei­ni­gung ab­holt und am 03.05.2016 hat er sich von ei­nem Aus­zu­bil­den­den mit ei­nem Dienst­fahr­zeug von dem Dienst­ort K. aus von sei­nem Wohn­ort in S. ab­ho­len und nach Dienst­schluss wie­der zurück­fah­ren las­sen. Die Kam­mer hat kei­nen Zwei­fel dar­an, dass die­se vom Kläger in­iti­ier­ten Pri­vat­fahr­ten mit Dienst­fahr­zeu­gen auch un­ter Berück­sich­ti­gung des Um­stan­des, dass pri­va­te Fahr­ten mit Dienst­fahr­zeu­gen ge­ra­de nicht ab­so­lut ver­bo­ten wa­ren, vor­lie­gend nicht un­ter ir­gend­ei­nen Er­laub­nistat­be­stand fie­len. Dies be­haup­tet der Kläger auch nicht. Ins­be­son­de­re hat­te der Kläger am 03.05.2016 kei­nen Be­reit­schafts­dienst im ar­beits­recht­li­chen Sin­ne. Hier­an ändert auch der Um­stand nichts, dass der Kläger auch außer­halb sei­ner Dienst­zei­ten von den Mit­ar­bei­tern der ver­schie­de­nen Dienst­stel­len te­le­fo­nisch kon­tak­tiert wor­den ist. Er kann sich mit­hin nicht auf den Er­laub­nistat­be­stand des Ab­sat­zes vier der Ver­pflich­tungs­erklärung vom 08.04.2014 be­ru­fen. Da die Be­klag­te ein fun­da­men­tal be­rech­tig­tes In­ter­es­se dar­an hat, dass die Dienst­fahr­zeu­ge je­der­zeit für dienst­li­che Zwe­cke zur Verfügung ste­hen und da­mit ge­ra­de nicht pri­vat ge­nutzt wer­den, ist der Ver­s­toß ge­gen das Ver­bot der Pri­vat­nut­zung von Dienst­fahr­zeu­gen und

 

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da­mit die Ver­let­zung die­ser kon­kre­ten Ne­ben­pflicht an sich ge­eig­net, ei­nen wich­ti­gen Grund zur frist­lo­sen Kündi­gung gemäß § 626 Abs. 1 BGB dar­zu­stel­len.

bb) Al­ler­dings ver­stieß vor­lie­gend die außer­or­dent­li­che Kündi­gung ge­gen den Grund­satz der Verhält­nismäßig­keit. Es war der Be­klag­ten aus der Sicht ei­nes be­son­nen agie­ren­den Ar­beit­ge­bers ge­ra­de nicht un­zu­mut­bar, den Kläger wei­ter­zu­beschäfti­gen. Viel­mehr hätte die Be­klag­te den Kläger vor Aus­spruch der außer­or­dent­li­chen Kündi­gung ab­mah­nen müssen.

(1) Be­ruht die Ver­trags­pflicht­ver­let­zung - wie vor­lie­gend - auf steu­er­ba­rem Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers, ist grundsätz­lich da­von aus­zu­ge­hen, dass sein künf­ti­ges Ver­hal­ten schon durch die An­dro­hung von Fol­gen für den Be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses po­si­tiv be­ein­flusst wer­den kann (BAG, Urt. v. 19.04.2012 - 2 AZR 186/11 - Rn. 22, ju­ris). Or­dent­li­che und außer­or­dent­li­che Kündi­gung we­gen ei­ner Ver­trags­pflicht­ver­let­zung set­zen des­halb re­gelmäßig ei­ne Ab­mah­nung vor­aus. Ei­ner sol­chen be­darf es nach Maßga­be des auch in § 314 Abs. 2 i. V. m. § 323 Abs. 2 BGB zum Aus­druck kom­men­den Verhält­nismäßig­keits­grund­sat­zes nur dann nicht, wenn be­reits ex an­te er­kenn­bar ist, dass ei­ne Ver­hal­tensände­rung in Zu­kunft auch nach Ab­mah­nung nicht zu er­war­ten steht, oder es sich um ei­ne so schwe­re Pflicht­ver­let­zung han­delt, dass selbst de­ren erst­ma­li­ge Hin­nah­me dem Ar­beit­ge­ber nach ob­jek­ti­ven Maßstäben un­zu­mut­bar und da­mit of­fen­sicht­lich - auch für den Ar­beit­neh­mer er­kenn­bar - aus­ge­schlos­sen ist (BAG, Urt. v. 25.10.2012 - 2 AZR 495/11 -, Rn. 17, ju­ris).

(2) Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Be­klag­ten han­delt es sich bei den Pflicht­ver­let­zun­gen vom 03.03.2016 und vom 03.05.2016 auch nicht um der­art schwer­wie­gen­de Verstöße ge­gen das Ver­bot der Pri­vat­nut­zung von Dienst­fahr­zeu­gen, dass dem Kläger von vorn­her­ein hätte be­wusst sein müssen, dass es der Be­klag­ten kei­nes­falls zu­mut­bar war, das Ar­beits­verhält­nis mit ihm fort­zu­set­zen.

(a) Dies gilt ins­be­son­de­re für den Vor­fall vom 03.03.2016. Die Be­klag­te ist dem kläge­ri­schen Vor­trag, dass der Bun­des­frei­wil­li­gen­dienst­leis­ten­de das pri­va­te Sak­ko des Klägers auf dem Rück­weg ei­ner Dienst­fahrt oh­ne nen­nens­wer­ten Um­weg ab­ge­holt hat, auch in der zwei­ten In­stanz nicht ent­ge­gen­ge­tre­ten. Es han­del­te sich mit­hin

 

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nicht um ei­ne aus­sch­ließlich zu pri­va­ten Zwe­cken getätig­te Dienst­fahrt des Bun­des­frei­wil­li­gen­dienst­leis­ten­den. Dass der Be­klag­ten in­fol­ge des durch den Kläger ver­ur­sa­chen pri­va­ten Um­we­ges, den der Bun­des­frei­wil­li­gen­dienst­leis­ten­de ge­macht hat, ir­gend­ein Scha­den ent­stan­den ist, ist we­der von der Be­klag­ten vor­ge­tra­gen wor­den noch sonst er­sicht­lich. Hier­an ändert auch die Vor­ge­setz­ten­funk­ti­on des Klägers nichts. Al­lein der Um­stand, dass der Kläger mögli­cher­wei­se sei­ne Vor­ge­setz­ten­stel­lung aus­ge­nutzt hat, um Pri­vat­fahr­ten mit Dienst­fahr­zeu­gen für sich durchführen zu las­sen, macht nicht jed­we­den Ver­s­toß ge­gen die Ver­pflich­tungs­erklärung vom 08.04.2016 gleich­sam zu ei­nem der­art schwer­wie­gen­den Ver­s­toß, dass es der Be­klag­ten auch oh­ne vor­he­ri­ge Ab­mah­nung von vorn­her­ein nicht zu­mut­bar ist, ihn wei­ter zu beschäfti­gen. Bei dem Vor­fall vom 03.03.2016 hat die Kam­mer be­reits Zwei­fel dar­an, ob die­ser Ver­s­toß über­haupt „an sich“ ge­eig­net ist, ei­nen wich­ti­gen Grund zur frist­lo­sen Kündi­gung dar­zu­stel­len. Dies gilt ins­be­son­de­re vor dem Hin­ter­grund, dass die Ver­pflich­tungs­erklärung vom 08.04.2014 ge­ra­de kein ab­so­lu­tes Ver­bot jed­we­der pri­va­ten Nut­zung der Dienst­fahr­zeu­ge enthält. Viel­mehr enthält die­se Ver­pflich­tungs­erklärung so­wohl im vier­ten Ab­satz als auch im fünf­ten und da­mit letz­ten Ab­satz Aus­nah­men, nach de­nen un­ter be­stimm­ten Umständen Pri­vat­fahr­ten mit Dienst­fahr­zeu­gen to­le­riert wer­den. Wenn anläss­lich ei­ner Dienst­fahrt ein kur­zer pri­va­ter Stopp oder klei­ner Um­weg ge­macht wird, um ei­ne kur­ze pri­va­te An­ge­le­gen­heit zu er­le­di­gen, verstößt dies er­sicht­lich nicht ge­gen den Sinn und Zweck des hier in Re­de ste­hen­den Ver­bo­tes, d. h. der Si­cher­stel­lung, dass die Dienst­fahr­zeu­ge je­der­zeit für dienst­li­che Einsätze zur Verfügung ste­hen.

(b) Aber auch der aus Sicht der Kam­mer we­sent­lich gra­vie­ren­de­re Vor­fall vom 03.05.2016 ist nicht der­art schwer­wie­gend, dass es der Be­klag­ten schlech­ter­dings auch oh­ne vor­he­ri­ge Ab­mah­nung nicht zu­zu­mu­ten war, den Kläger auch nur bis zum Ab­lauf der or­dent­li­chen Kündi­gungs­frist wei­ter­zu­beschäfti­gen. Da­bei ver­kennt die Kam­mer nicht, dass der Kläger das Dienst­fahr­zeug so­wohl in zeit­li­cher als auch in quan­ti­ta­ti­ver Hin­sicht in nicht un­er­heb­li­chem Um­fang für pri­va­te Zwe­cke ein­ge­setzt hat. Im Fal­le des Klägers zählen die­se Fahr­ten zum Dienst und wie­der nach Hau­se (We­ge­zei­ten) im Un­ter­schied zu Dienst­rei­se­zei­ten un­strei­tig nicht zur Ar­beits­zeit und sind mit­hin aus­sch­ließlich der pri­va­ten Sphäre zu­zu­rech­nen. Es ist in­des­sen nicht er­sicht­lich, dass in­fol­ge der vom Kläger ver­an­lass­ten Pri­vat­fahr­ten am 03.05.2016

 

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dienst­lich er­for­der­li­che Fahr­ten ge­ra­de mit die­sem Fahr­zeug nicht hätten durch­geführt wer­den können oder dass ein an­de­res Dienst­fahr­zeug für er­for­der­lich wer­den­de Dienst­fahr­ten nicht mehr zur Verfügung ge­stan­den hätte. Die Be­klag­te hat nicht vor­ge­tra­gen, dass es über­haupt auf­grund der strit­ti­gen Pri­vat­fahr­ten am 03.05.2016 zu kon­kre­ten Störun­gen im Be­triebs­ab­lauf ge­kom­men ist oder sol­che Störun­gen zu­min­dest zu befürch­ten ge­we­sen sind. Der Vor­fall vom 03.05.2016 er­weist sich mit­hin nicht als ei­ne so schwe­re Pflicht­ver­let­zung, dass selbst de­ren erst­ma­li­ge Hin­nah­me der Be­klag­ten nach ob­jek­ti­ven Maßstäben un­zu­mut­bar und da­mit lich - auch für den Kläger aus der ex an­te Sicht er­kenn­bar - aus­ge­schlos­sen war. Dies gilt ins­be­son­de­re auch vor dem Hin­ter­grund, dass der Kläger die­se Pri­vat­fahr­ten al­lein des­halb in­iti­iert hat, um zum Dienst zu kom­men. Es macht aus Sicht der Kam­mer ei­nen Un­ter­schied, ob die ver­bo­te­nen Pri­vat­fahr­ten mit Dienst­fahr­zeu­gen ei­nen dienst­li­chen Be­zug - wie vor­lie­gend - in Form von so­ge­nann­ten We­ge­zei­ten ha­ben oder aus­sch­ließlich pri­va­ten In­ter­es­sen (Aus­flugs- oder Ur­laubs­zei­ten) die­nen. Der Schwe­re­grad der Pflicht­ver­let­zung und da­mit die Be­ur­tei­lung der Zu­mut­bar­keit der Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses hängen mit­hin auch maßgeb­lich von der Art der Pri­vat­fahrt ab. Zwar recht­fer­ti­gen we­der das de­fek­te Pri­vat­au­to des Klägers noch der Um­stand, dass auf­grund des vor­an­ge­gan­ge­nen Ur­laubs viel Ar­beit auf den Kläger war­te­te, die ver­bo­te­nen Pri­vat­fahr­ten am 03.05.2016; denn der Kläger hätte auch mit öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­teln zum Dienst ge­lan­gen können. Die Re­pa­ra­tur sei­nes pri­va­ten Au­tos ist al­lein sei­ne Pri­vat­an­ge­le­gen­heit. Vor­lie­gend kann aber nicht außer Acht ge­las­sen wer­den, dass sich der Kläger aus S. hat ab­ho­len und nach Dienst­schluss wie­der hat zurück­fah­ren las­sen, um in K. sei­nen Dienst ausüben zu können. Die Pri­vat­nut­zung des Dienst­fahr­zeugs hat­te mit­hin ei­nen dienst­li­chen Be­zug. Vor die­sem Hin­ter­grund war auch die nicht ge­ringfügi­ge Pri­vat­nut­zung ei­nes Dienst­fahr­zeugs nicht der­art schwer­wie­gend, dass es der Be­klag­ten schlech­ter­dings nicht mehr zu­mut­bar war, das Ar­beits­verhält­nis mit dem Kläger fort­zu­set­zen. Viel­mehr hätte die Be­klag­te den Kläger vor Aus­spruch der frist­lo­sen Kündi­gung zu­vor ab­mah­nen müssen.

Es gibt auch kei­ne An­halts­punk­te dafür, dass sich der Kläger ei­ne Ab­mah­nung nicht hätte zur War­nung die­nen las­sen. Hierfür spricht auch nicht, dass der Kläger im vor­lie­gen­den Pro­zess die bei­den pri­vat ver­an­lass­ten Fahr­ten mit ei­nem Dienst­fahr­zeug

 

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aus sei­ner Sicht zu recht­fer­ti­gen ver­sucht hat. Der Kläger hat in sei­nen Schriftsätzen le­dig­lich sach­lich auf die Umstände hin­ge­wie­sen, die zu den strit­ti­gen Pri­vat­fahr­ten führ­ten und war­um aus sei­ner Sicht sein Ver­hal­ten kein wich­ti­ger Grund für ei­ne frist­lo­se Kündi­gung dar­stell­te. Dem Pro­zess­ver­hal­ten des Klägers kann in­des­sen nicht ent­nom­men wer­den, dass der Kläger im Fal­le ei­ner Ab­mah­nung gleich­wohl wie­der in glei­cher Wei­se Dienst­fahr­zeu­ge für pri­va­te Zwe­cke ein­set­zen würde.

(3) Un­strei­tig hat die Be­klag­te ge­genüber dem Kläger noch gar kei­ne Ab­mah­nung we­gen ir­gend­ei­ner Ver­trags­ver­let­zung aus­ge­spro­chen, ge­schwei­ge denn ihn we­gen ei­ner gleich­ar­ti­gen Pflicht­ver­let­zung ab­ge­mahnt.

(a) Bei Pflicht­ver­let­zun­gen, die auf steu­er­ba­rem Ver­hal­ten be­ru­hen, be­gründet der Aus­spruch ei­ner in­fol­ge ei­ner Pflicht­ver­let­zung aus­ge­spro­che­nen kon­kre­ten Ab­mah­nung im Wie­der­ho­lungs­fal­le in der Re­gel die ne­ga­ti­ve Pro­gno­se. Ei­ne Ab­mah­nung liegt vor, wenn der Ar­beit­ge­ber in ei­ner für den Ar­beit­neh­mer hin­rei­chend deut­lich er­kenn­ba­ren Art und Wei­se kon­kre­te Leis­tungsmängel be­an­stan­det und da­mit den Hin­weis ver­bin­det, im Wie­der­ho­lungs­fal­le sei­en In­halt oder Be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses gefähr­det. Mit der Ab­mah­nung soll der Ar­beit­neh­mer an die ord­nungs­gemäße Erfüllung sei­ner ver­trag­li­chen Pflich­ten er­in­nert (Hin­weis­funk­ti­on) und vor Kon­se­quen­zen bei wei­te­rem Fehl­ver­hal­ten ge­warnt wer­den (Warn­funk­ti­on).

Ei­ne so­ge­nann­te vor­weg­ge­nom­me­ne Ab­mah­nung durch Aus­hang am „Schwar­zen Brett“, Rund­schrei­ben oder im Ar­beits­ver­trag, mit wel­chem der Ar­beit­ge­ber dar­auf hin­weist, dass er ein be­stimm­tes, näher be­zeich­ne­tes Ver­hal­ten nicht dul­det und für den Fall der Pflicht­wid­rig­keit die Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ankündigt, genügt grundsätz­lich nicht den An­for­de­run­gen ei­ner Ab­mah­nung (Schaub/Linck, ArbR-Hdb, 15. Aufl., § 132, Rn. 18). Die vor­weg­ge­nom­me­ne Ab­mah­nung enthält le­dig­lich den ge­ne­rel­len Hin­weis des Ar­beit­ge­bers, dass be­stimm­te, in der Re­gel ge­nau be­zeich­ne­te Pflicht­ver­let­zun­gen, zu ar­beits­recht­li­chen Kon­se­quen­zen von ei­ner Er­mah­nung bis hin zur frist­lo­sen Kündi­gung führen können. Die von ei­ner vor­weg­ge­nom­me­nen Ab­mah­nung aus­ge­hen­de Warn- und Hin­weis­funk­ti­on ist nicht ver­gleich­bar mit der­je­ni­gen, die von ei­ner kon­kre­ten förm­li­chen Ab­mah­nung aus­geht. Dies wird auch dar­an deut­lich, dass mit zu­neh­men­der Dau­er und be­an­stan­dungs­lo­ser

 

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Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses die Warn­funk­ti­on ei­ner Ab­mah­nung an Ge­wicht ver­liert. So kann es nach ei­ner länge­ren Zeit ein­wand­frei­er Führung ei­ner er­neu­ten Ab­mah­nung bedürfen, be­vor ei­ne ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung we­gen ei­ner er­neu­ten gleich­ar­ti­gen Pflicht­ver­let­zung ge­recht­fer­tigt wäre (BAG, Urt. v. 19.07.2012 - 2 AZR 782/11 -, Rn. 20, ju­ris; BAG. Urt. v. 02.11.2016 - 10 AZR 596/15 -, Rn. 10, ju­ris). An­ders als bei ei­ner förm­li­chen Ab­mah­nung kann im An­schluss an ei­ne vor­weg­ge­nom­me­ne Ab­mah­nung in der Re­gel ge­ra­de nicht da­von aus­ge­gan­gen wer­den, dass bei ei­ner da­nach be­gan­ge­nen er­neu­ten Pflicht­ver­let­zung ei­ne ne­ga­ti­ve Pro­gno­se ge­ge­ben ist (LAG Düssel­dorf, Urt. v. 15.08.2012 - 12 Sa 697/12 -, ju­ris). Ei­ne sol­che vor­weg­ge­nom­me­ne Ab­mah­nung kann ei­ne Ab­mah­nung nach Tat­be­ge­hung aus­nahms­wei­se dann er­set­zen, wenn sich die Pflicht­ver­let­zung letzt­lich un­ter Berück­sich­ti­gung des vor­weg­ge­nom­me­nen Fin­ger­zeigs als be­harr­li­che Ar­beits­ver­wei­ge­rung her­aus­stellt (LAG Hamm (West­fa­len), Urt. v. 21.10.1997 - 4 Sa 707/97 -, ju­ris).

(b) Auch wenn man da­von aus­geht, dass in Ab­satz 3 Satz 1 der Ver­pflich­tungs­erklärung vom 08.04.2014 ei­ne so­ge­nann­te vor­weg­ge­nom­me­ne Ab­mah­nung ent­hal­ten ist, ist im vor­lie­gen­den Fal­le ei­ne auf die kon­kret be­gan­ge­nen Pflicht­ver­let­zun­gen vom 03.03.2016 und 03.05.2016 be­zo­ge­ne Ab­mah­nung ge­ra­de nicht ent­behr­lich. Un­ter Berück­sich­ti­gung der Wer­tun­gen des § 323 Abs. 2 BGB i. V. m. § 314 Abs. 2 BGB sind an die An­for­de­run­gen der Ent­behr­lich­keit ei­ner förm­li­chen Ab­mah­nung auf­grund ei­ner vor­weg­ge­nom­me­nen Ab­mah­nung stren­ge An­for­de­run­gen zu stel­len (LAG Düssel­dorf, Urt. v. 15.08.2012 - 12 Sa 697/12 -, Rn. 53, ju­ris). Ei­ne vor­weg­ge­nom­me­ne Ab­mah­nung kann nur dann ei­ne kon­kre­te Ab­mah­nung nach Tat­be­ge­hung er­set­zen, wenn der Ar­beit­ge­ber die­se be­reits in An­se­hung ei­ner mögli­cher­wei­se be­vor­ste­hen­den Pflicht­ver­let­zung aus­spricht, so­dass die dann tatsächlich zeit­nah fol­gen­de Pflicht­ver­let­zung des Ar­beit­neh­mers aus Sicht ei­nes be­son­ne­nen Ar­beit­ge­bers als be­harr­li­che Ar­beits­ver­wei­ge­rung an­ge­se­hen wer­den muss.

Die­se Vor­aus­set­zun­gen lie­gen hier in­des­sen nicht vor. Von ei­ner ne­ga­ti­ven Pro­gno­se hätte nur dann aus­ge­gan­gen wer­den können, wenn der Aus­zu­bil­den­de die Be­klag­te be­reits am 02.05.2016 von der An­wei­sung des Klägers, ihn aus S. mit dem Dienst­fahr­zeug ab­zu­ho­len, un­ter­rich­tet hätte, und die Be­klag­te dem Kläger un­verzüglich noch­mals un­ter kon­kre­ten Hin­weis auf den In­halt des Ab­sat­zes 3 der Ver-

 

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pflich­tungs­erklärung vom 08.04.2014 ver­bo­ten hätte, sich mit ei­nem Dienst­fahr­zeug am 03.05.2016 von zu Hau­se aus zum Dienst in K. ab­ho­len zu las­sen und der Kläger in An­se­hung die­ser er­neu­ten War­nung gleich­wohl am 03.05.2016 ge­gen das strit­ti­ge Ver­bot ver­s­toßen hätte. We­der der Vor­fall vom 03.03.2016 noch der­je­ni­ge vom 03.05.2016 können als be­harr­li­che Ar­beits­ver­wei­ge­rung ge­wer­tet wer­den.

(4) Dem­ent­spre­chend hat die außer­or­dent­li­che Kündi­gung vom 11.05.2016 das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en nicht frist­los be­en­det.

2. Das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en en­de­te aber auch nicht auf­grund der or­dent­li­chen Kündi­gung vom 19.05.2016 zum 30.06.2016.

Die auf die glei­chen Kündi­gungs­gründe gestütz­te ver­hal­tens­be­ding­te or­dent­li­che Kündi­gung ist gemäß § 1 Abs. 2 KSchG so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt. Auch die streit­ge­genständ­li­che or­dent­li­che Kündi­gung verstößt vor­lie­gend ge­gen den das Kündi­gungs­recht be­herr­schen­den Grund­satz der Verhält­nismäßig­keit. Für die Fra­ge, ob das Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers i.S.v. § 1 Abs. 2 S 1 KSchG ei­ne Kündi­gung "be­dingt", gilt ein ob­jek­ti­ver Maßstab. Maßgeb­lich ist nicht, ob ein be­stimm­ter Ar­beit­ge­ber meint, ihm sei die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht zu­zu­mu­ten, und ob er wei­ter­hin hin­rei­chen­des Ver­trau­en in ei­nen Ar­beit­neh­mer hat. Es kommt viel­mehr dar­auf an, ob dem Kündi­gen­den die Wei­ter­beschäfti­gung - bei der or­dent­li­chen Kündi­gung auch über den Ab­lauf der Kündi­gungs­frist hin­aus - aus der Sicht ei­nes ob­jek­ti­ven und verständi­gen Be­trach­ters un­ter Berück­sich­ti­gung der Umstände des Ein­zel­falls zu­mut­bar ist oder nicht (BAG, Urt. v. 19.11.2015 - 2 AZR 217/15 -, Rn. 34, ju­ris).

Vor Aus­spruch der or­dent­li­chen Kündi­gung vom 19.05.2016 hätte die Be­klag­te den Kläger ab­mah­nen müssen. Auch bei der Pro­gno­se­ent­schei­dung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG gilt, dass es vor Aus­spruch ei­ner auf steu­er­ba­res Ver­hal­ten gestütz­ten or­dent­li­chen Kündi­gung ei­ner vor­he­ri­gen Ab­mah­nung nur dann nicht be­darf, wenn be­reits ex an­te er­kenn­bar ist, dass ei­ne Ver­hal­tensände­rung in Zu­kunft auch nach Ab­mah­nung nicht zu er­war­ten steht, oder es sich um ei­ne so schwe­re Pflicht­ver­let­zung han­delt, dass selbst de­ren erst­ma­li­ge Hin­nah­me dem Ar­beit­ge­ber nach ob­jek­ti­ven Maßstäben un­zu­mut­bar und da­mit of­fen­sicht­lich - auch für den Ar­beit­neh­mer er-

 

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kenn­bar -aus­ge­schlos­sen ist (BAG, Urt. v. 09.06.2011 - 2 AZR 284/10 -, Rn. 35, ju-ris).

Die­se Vor­aus­set­zun­gen zum Ver­zicht ei­ner vor­he­ri­gen Ab­mah­nung lie­gen hier in­des­sen nicht vor. In­so­weit kann und soll zur Ver­mei­dung von Wie­der­ho­lun­gen auf die Ent­schei­dungs­gründe un­ter Ziff. I. 1. ver­wie­sen wer­den. Die or­dent­li­che Kündi­gung vom 19.05.2016 hat das Ar­beits­verhält­nis man­gels so­zia­ler Recht­fer­ti­gung nicht zum 30.06.2016 be­en­det.

II. Da die Be­ru­fung der Be­klag­ten in Be­zug auf die Statt­ga­be der Kündi­gungs­fest­stel­lungs­anträge un­be­gründet war, muss­te über den in zwei­ter In­stanz sei­tens der Be­klag­ten hilfs­wei­se ge­stell­ten Auflösungs­an­trag ent­schie­den wer­den. Der Auflösungs­an­trag ist nicht be­gründet. Die Be­klag­te hat kei­nen An­spruch auf ge­richt­li­che Auflösung des Ar­beits­verhält­nis­ses gemäß §§ 9, 10 KSchG.

1. Un­ter Be­ach­tung der auf Be­stands­schutz ge­rich­te­ten In­ten­ti­on des Kündi­gungs­schutz­ge­set­zes kommt auf An­trag des Ar­beit­ge­bers ei­ne Auflösung des Ar­beits­verhält­nis­ses nach § 9 Abs. 1 Satz 2 ArbGG nur in Be­tracht, wenn Gründe vor­lie­gen, die ei­ne den Be­triebs­zwe­cken dien­li­che wei­te­re Zu­sam­men­ar­beit zwi­schen Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer nicht er­war­ten las­sen. Da­bei sind an die Gründe stren­ge Vor­aus­set­zun­gen zu stel­len. Auflösungs­gründe i. S. v. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG können sol­che Umstände sein, die das persönli­che Verhält­nis zum Ar­beit­neh­mer, die Wer­tung sei­ner Persönlich­keit, sei­ner Leis­tung oder sei­ner Eig­nung für die ihm ge­stell­ten Auf­ga­ben und sein Verhält­nis zu den übri­gen Mit­ar­bei­tern be­tref­fen. Die Gründe, die ei­ne den Be­triebs­zwe­cken dien­li­che wei­te­re Zu­sam­men­ar­beit zwi­schen den Ver­trags­part­nern nicht er­war­ten las­sen, müssen nicht im Ver­hal­ten, ins­be­son­de­re nicht im schuld­haf­ten Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers lie­gen. Ent­schei­dend ist, ob die ob­jek­ti­ve La­ge die Be­sorg­nis recht­fer­tigt, dass die wei­te­re ge­deih­li­che Zu­sam­men­ar­beit mit dem Ar­beit­neh­mer gefähr­det ist. In die­sem Sin­ne als Auflösungs­grund ge­eig­net sind et­wa Be­lei­di­gun­gen, sons­ti­ge ehr­ver­let­zen­de Äußerun­gen oder persönli­che An­grif­fe des Ar­beit­neh­mers ge­gen den Ar­beit­ge­ber, Vor­ge­setz­te oder Kol­le­gen (BAG 24.03.2011 - 2 AZR 674/09 -, Rn. 21, ju­ris). Auch Erklärun­gen des Ar­beit­neh­mers oder von ihm ver­an­lass­te Erklärun­gen sei­nes Pro­zess­be­vollmäch­tig­ten, wenn er sie

 

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sich zu ei­gen ge­macht hat, können re­le­vant sein. Al­ler­dings ist da­bei zu berück­sich­ti­gen, dass ge­ra­de Erklärun­gen im lau­fen­den Kündi­gungs­schutz­ver­fah­ren durch ein be­rech­tig­tes In­ter­es­se ge­deckt sein können. Par­tei­en dürfen zur Ver­tei­di­gung ih­rer Rech­te schon im Hin­blick auf den An­spruch auf Gewährung recht­li­chen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) al­les vor­tra­gen, was als rechts-, ein­wen­dungs- oder ein­re­de­be­gründe­ter Um­stand pro­zes­s­er­heb­lich sein kann. Ein Pro­zess­be­tei­lig­ter darf da­bei auch star­ke, ein­dring­li­che Aus­drücke und sinnfälli­ge Schlag­wor­te be­nut­zen, um sei­ne Rechts­po­si­ti­on zu un­ter­strei­chen, selbst wenn er sei­nen Stand­punkt vor­sich­ti­ger hätte for­mu­lie­ren können (vgl. BAG 29.08.2013 - 2 AZR 419/12 -, Rn. 37, ju­ris; LAG Schles­wig-Hol­stein, Urt. v. 09.03.2016 - 6 Sa 415/15 -, Rn. 79, ju­ris).

2. Hier­an ge­mes­sen lie­gen die stren­gen Vor­aus­set­zun­gen für die Auflösung des Ar­beits­verhält­nis­ses hier nicht vor.

a) Die Be­klag­te kann sich ins­be­son­de­re nicht dar­auf be­ru­fen, dass der Kläger kein Un­rechts­be­wusst­sein ge­zeigt hat. Hier­bei ver­kennt die Be­klag­te be­reits, dass der Kläger im Kündi­gungs­rechts­streit nach Art. 103 GG das Recht hat, die von ihm sub­jek­tiv an­ge­nom­me­nen Recht­fer­ti­gungs­gründe für das ihm zur Last ge­leg­te Ver­hal­ten vor­zu­tra­gen. Al­lein der Um­stand, dass sich der Kläger nicht für die strit­ti­gen Pri­vat­fahr­ten mit dem Dienst­fahr­zeug am 03.03.2016 und 03.05.2016 bei der Be­klag­ten ent­schul­digt hat oder die­se ar­beits­ver­trag­li­chen Pflicht­verstöße ihr ge­genüber ein­geräumt hat, be­gründet kei­nen Auflösungs­an­trag.

b) Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Be­klag­ten be­legt die ver­bo­te­ne Pri­vat­nut­zung der Dienst­fahr­zeu­ge am 03.03.2016 und 03.05.2016 auch nicht von vorn­her­ein die Un­ge­eig­net­heit des Klägers als Dienst­stel­len­lei­ter. Dies gilt ins­be­son­de­re vor dem Hin­ter­grund, dass die Pri­vat­nut­zung von Dienst­fahr­zeu­gen in Zu­sam­men­hang mit der Ausübung des Diens­tes ge­ra­de nicht aus­nahms­los ver­bo­ten war. So gibt es un­strei­tig so­ge­nann­te „to­le­rier­te Pri­vat­fah­ren“, die der re­gelmäßig ak­tua­li­sier­ten Über­sicht in dem Do­ku Nr. P 39 „An­halts­punk­te zur Be­hand­lung von Fahr­ten mit ei­nem Dienst-/Pool­fahr­zeug als Dienst-/Pri­vat­fahrt“ zu ent­neh­men sind (vgl. letz­ter Ab­satz der Ver­pflich­tungs­erklärung vom 08.04.2014).

 

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c) Auch die ob­jek­tiv feh­ler­haf­ten An­ga­ben zu den Ab­fahrts­zei­ten der Bus­se in der ei­des­statt­li­chen Ver­si­che­rung des Klägers vom 07.07.2016 recht­fer­ti­gen nicht die Auflösung des Ar­beits­verhält­nis­ses gemäß §§ 9, 10 KSchG. Der Kläger hat aus­geführt, dass der ers­te Bus um 9:04 Uhr und der nächs­te um 11:04 Uhr für ihn „verfügbar“ ge­we­sen wären. Die­se Aus­sa­ge stand er­sicht­lich mit der Not­wen­dig­keit, zu­vor noch das Au­to zur Re­pa­ra­tur in der Werk­statt ab­zu­ge­ben, in Ver­bin­dung. Dies er­gibt sich aus dem vor­ste­hen­den In­halt der ei­des­statt­li­chen Ver­si­che­rung. Denn dort hat­te der Kläger aus­geführt, dass der Zeu­ge H. zunächst an­ge­bo­ten hat­te, ihn am 03.05.2016 von der Werk­statt ab­zu­ho­len. Die­sen Zu­sam­men­hang hat der Kläger auch noch ein­mal in der Be­ru­fungs­ver­hand­lung klar ge­stellt, in dem er dar­auf hin­ge­wie­sen hat, dass die Werk­statt erst um 9:00 Uhr öff­net. Die ge­nann­ten Ab­fahrt­zei­ten be­zo­gen sich auf den „ers­ten Bus“ nach Öff­nung der Werk­statt. Ei­ne be­wuss­te Täuschung oder gar ein Pro­zess­be­trug kann hier­in nicht er­blickt wer­den.

d) Auch der Vor­wurf der Be­klag­ten, der Kläger ha­be sei­nem Vor­ge­setz­ten Macht­miss­brauch vor­ge­wor­fen, recht­fer­tigt nicht die Auflösung des Ar­beits­verhält­nis­ses. Die­ser Vor­trag ist be­reits un­sub­stan­ti­iert (wann, wo, bei wel­cher Ge­le­gen­heit) und er­weist sich im Übri­gen nicht als gro­be Be­lei­di­gung. Die Kam­mer kann nicht be­ur­tei­len, ob der Kläger durch das Ver­hal­ten des Be­zirks­geschäftsführers mögli­cher­wei­se durch un­ge­recht­fer­tig­tes Vor­ent­hal­ten ei­nes Zwi­schen­zeug­nis­ses pro­vo­ziert wor­den ist.

e) Un­ge­ach­tet der feh­len­den Sub­stan­ti­ie­rung kann aber auch ein Auflösungs­an­spruch nach §§ 9, 10 KSchG nicht dar­in er­blickt wer­den, dass der Kläger seit An­fang 2017 Mit­ar­bei­ter und ehe­ma­li­ge Mit­ar­bei­ter (wen ge­nau, wann?) über so­zia­le Netz­wer­ke zu den Ge­pflo­gen­hei­ten zur pri­va­ten Nut­zung von Dienst­fahr­zeu­gen be­fragt hat. Es kann ei­nem Ar­beit­neh­mer im Rah­men des Kündi­gungs­schutz­ver­fah­rens nicht ver­wehrt wer­den, ent­las­ten­de Tat­sa­chen selbst zu er­mit­teln. Dies ge­bie­tet die „Waf­fen­gleich­heit“. Al­lein der Um­stand, dass der Kläger die Mit­ar­bei­ter zu ei­ner der Ver­pflich­tungs­erklärung vom 08.04.2014 ent­ge­gen­ste­hen­den be­trieb­li­chen Übung zur Pri­vat­nut­zung von Dienst­fahr­zeu­gen be­fragt hat, macht es der Be­klag­ten nicht un­zu­mut­bar, ihn wei­ter­zu­beschäfti­gen. Dies gilt ins­be­son­de­re dann, wenn er bei sei­nen Be­fra­gun­gen kei­nen Druck auf die Mit­ar­bei­ter aus­geübt hat. In der Be­ru­fungs­er­wi­de-

 

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rung vom 14.04.2017 hat der Kläger die (un­sub­stan­ti­ier­te) Be­haup­tung auf­ge­stellt, dass sich für die Nut­zung der Dienst­wa­gen zu pri­va­ten Zwe­cken bei der Be­klag­ten ei­ne be­trieb­li­che Übung ge­bil­det ha­be. Es ist durch nichts be­legt, dass die strit­ti­gen Fra­gen al­lein dem Nach­weis von Fehl­ver­hal­ten an­de­rer Mit­ar­bei­ter und der nach­fol­gen­den Sank­tio­nie­rung der­sel­ben dien­ten.

f) Die Be­klag­te hat mit­hin be­reits kei­ne schlüssi­gen Gründe vor­ge­tra­gen, die ei­ne Auflösung des Ar­beits­verhält­nis­ses nach §§ 9, 10 KSchG be­din­gen. Ei­nes Schrift­satz­nach­las­ses für den Kläger be­durf­te es nicht. Der Auflösungs­an­trag der Be­klag­ten ist nicht be­gründet.

III. Nach al­le­dem war die Be­ru­fung der Be­klag­ten ins­ge­samt zurück­zu­wei­sen.

Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 97 ZPO i. V. m. § 64 Abs. 6 ArbGG.

Ein ge­setz­lich be­gründ­ba­rer An­lass zur Zu­las­sung der Re­vi­si­on lag nicht vor, § 72 Abs. 2 ArbGG. Die Fra­ge ei­ner vor­he­ri­gen Ab­mah­nung im Fal­le ei­ner ver­hal­tens­be­ding­ten außer­or­dent­li­chen oder or­dent­li­chen Kündi­gung ist höchst­rich­ter­lich geklärt. Von die­sen höchst­rich­ter­lich ent­wi­ckel­ten Grundsätzen weicht die vor­lie­gen­de Ein­zel­fall­ent­schei­dung nicht ab.

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