HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 01/06

An­nah­me­ver­zugs­lohn bei In­sol­venz

Kei­ne Leis­tungs­kla­ge ge­gen den Ver­wal­ter bei Un­zu­läng­lich­keit der Mas­se: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 11.12.2001, 9 AZR 459/00
Ausgestülpte leere Hosentasche mit Hand Bei Mas­seun­zu­läng­lich­keit ge­hen auch vie­le Mas­segläu­bi­ger leer aus

15.12.2001. An­nah­me­ver­zugs­lohn steht Ar­beit­neh­mern ge­mäß § 615 Satz 1 Bür­ger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) für die Zeit zu, wäh­rend der ihr Ar­beit­ge­ber die Ar­beits­leis­tung zu­rück­weist, ob­wohl er sie ei­gent­lich en­ge­gen­neh­men müß­te, d.h. dem Ar­beit­neh­mer Auf­ga­ben zu­wei­se müß­te. Ty­pi­scher Fall ist die Frei­stel­lung von der Ar­beit, die oft für die Zeit zwi­schen ei­ner Kün­di­gung und dem Ab­lauf der Kün­di­gungs­fris­ten er­klärt wird.

Da die Lohn­an­sprü­che für die Zeit nach Er­öff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens kei­ne blo­ßen In­sol­venz­for­de­run­gen sind (die nur an­tei­lig ent­spre­chend der In­sol­venz­quo­te be­gli­chen wer­den), son­der "gu­te" Mas­se­for­de­run­gen, die vor­ab aus der Mas­se zu er­fül­len sind, trifft das im Prin­zip auch auf An­nah­me­ver­zugs­an­sprü­che zu, die für die Zeit nach Ver­fah­rens­er­öff­nung ent­ste­hen.

Die­se gu­te ge­setz­li­che Ab­si­che­rung von An­nah­me­ver­zugs­an­sprü­chen wird aber wie­der zu­nich­te ge­macht, wenn der Ver­wal­ter die sog. "Un­zu­läng­lich­keit" der Mas­se an­ge­zeigt hat, denn das be­deu­tet, dass die Mas­se noch nicht ein­mal zur voll­stän­di­gen Er­fül­lung der be­vor­rech­tig­ten Mas­se­for­de­run­gen aus­reicht. In ei­nem sol­chen Fall ist nach ei­nem ak­tu­el­len Ur­teil des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) ei­ne Leis­tungs­kla­ge ge­gen den Ver­wal­ter un­zu­läs­sig: BAG, Ur­teil vom 11.12.2001, 9 AZR 459/00.

Lohn­kla­ge ge­gen den Ver­wal­ter - auch nach Frei­stel­lung von der Ar­beit und An­zei­ge der Mas­se­ar­mut?

Im All­ge­mei­nen ha­ben Ar­beit­neh­mer, de­ren Ar­beits­verhält­nis die Eröff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens über das Vermögen ih­res Ar­beit­ge­bers über­steht, für die Zeit nach Ver­fah­ren­seröff­nung ei­nen pri­vi­le­gier­ten Lohn­an­spruch. Denn der Lohn­an­spruch nach In­sol­ven­zeröff­nung ist ei­ne sog. Mas­se­for­de­rung, die vor­ab bzw. vor den gewöhn­li­chen In­sol­venz­for­de­run­gen aus der Mas­se zu erfüllen ist, wo­hin­ge­gen Lohn­ansprüche aus der Zeit da­vor In­sol­venz­for­de­run­gen sind, die nur an­tei­lig nach Maßga­be der Ver­tei­lungs­quo­te erfüllt wer­den.

Al­le­rings: Im Fal­le ei­ner vom In­sol­venz­ver­wal­ter an­ge­zeig­ten "Mas­se­ar­mut" ist nicht je­de Mas­se­for­de­rung in glei­cher Wei­se pri­vi­le­giert.

Mit der An­zei­ge der Mas­seun­zuläng­lich­keit macht der In­sol­venz­ver­wal­ter nämlich öffent­lich, daß die vor­han­de­ne Mas­se nach sei­ner Einschätzung noch nicht ein­mal zur Erfüllung der Mas­se­for­de­run­gen aus­reicht. Wer­den jetzt, d.h. nach An­zei­ge der Mas­se­ar­mut, neue Mas­se­for­de­run­gen be­gründet (zum Bei­spiel durch neue Auf­träge des In­sol­venz­ver­wal­ters), dann sind die­se "Neu­mas­se­for­de­run­gen" ge­genüber den sons­ti­gen Mas­se­for­de­run­gen noch­mals be­vor­rech­tigt. Neu­mas­se­for­de­run­gen können ge­gen den In­sol­venz­ver­wal­ter ein­ge­klagt wer­den, und ein dem­ent­spre­chen­des Zah­lungs­ur­teil kann ge­gen den In­sol­venz­ver­wal­ter voll­streckt wer­den. Dies folgt aus § 209 Abs.1 Nr.2 In­sol­venz­ord­nung (In­sO) und aus § 210 In­sO.

For­de­run­gen auf Ar­beits­lohn für die Zeit nach Eröff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens sind da­her zwar, wie ge­sagt, im Prin­zip gu­te Ansprüche bzw. Mas­se­for­de­run­gen, doch kann der In­sol­venz­ver­wal­ter die Voll­streck­bar­keit die­se Ansprüche be­sei­ti­gen, in­dem er die Mas­se­ar­mut an­zeigt. Dann können Lohn­for­de­run­gen nur noch un­ter zwei in § 209 Abs.2 Nr.1 und Nr.2 In­sO ge­nann­ten Fällen voll­streckt wer­den, nämlich

  • ers­tens dann, wenn der Ver­wal­ter nach An­zei­ge der Mas­seun­zuläng­lich­keit die Ar­beits­leis­tung ein­for­dert, so­wie
  • zwei­tens dann, wenn der Ver­wal­ter nach An­zei­ge der Mas­seun­zuläng­lich­keit den frühestmögli­chen Ter­min zur Kündi­gung des Ar­beits­ver­tra­ges versäumt hat und das Ar­beits­verhält­nis da­her auf­grund die­ser "Un­ter­las­sung" sei­tens des Ver­wal­ters noch länger dau­ert, als es hätte dau­ern müssen.

Frag­lich ist, ob ein vom Ver­wal­ter nach Ver­fah­ren­seröff­nung frei­ge­stell­ter Ar­beit­neh­mer sei­nen An­spruch auf An­nah­me­ver­zugs­lohn we­nigs­tens noch im We­ge der Leis­tungs­kla­ge ge­gen den Ver­wal­ter ein­kla­gen kann oder ob ein sol­che Kla­ge nach An­zei­ge der Mas­se­ar­mut von vorn­her­ein un­zulässig ist.

Der Streit­fall: Vom Ver­wal­ter frei­ge­stell­ter Ar­beit­neh­mer klagt trotz Mas­se­ar­mut An­nah­me­ver­zugs­lohn ein

Der Kläger war bei ei­ner GmbH beschäftigt. Über de­ren Vermögen wur­de am 01.07.1999 das In­sol­venz­ver­fah­ren eröff­net. Der be­klag­te In­sol­venz­ver­wal­ter stell­te den Kläger mit In­sol­ven­zeröff­nung von der Ar­beit frei und zeig­te im Au­gust 1999 beim In­sol­venz­ge­richt Mas­seun­zuläng­lich­keit an. Darüber hin­aus kündig­te er das Ar­beits­verhält­nis mit dem Kläger zum erstmögli­chen Ter­min, dem 31.01.2000. Gleich­zei­tig nahm er die Ar­beits­leis­tung des (be­reits gekündig­ten) Ar­beit­neh­mers bis zum En­de des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht mehr in An­spruch.

Der Kläger ver­lang­te gemäß § 615 Satz 1 BGB Zah­lung von An­nah­me­ver­zugs­lohn für die Zeit der Frei­stel­lung während der Kündi­gungs­frist. Die Vor­in­stan­zen ha­ben die Kla­ge als un­zulässig ab­ge­wie­sen.

BAG: Kla­gen ge­gen den In­sol­venz­ver­wal­ter auf An­nah­me­ver­zugs­lohn nach an­ge­zeig­ter Mas­se­ar­mut sind un­zulässig

Auch das Bun­des­ar­beits­ge­richt hat im Sin­ne der Un­zulässig­keit ei­ner sol­chen Leis­tungs­kla­ge ent­schie­den und da­her die Re­vi­si­on des Klägers in Übe­rein­stim­mung mit den Vor­in­stan­zen zurück­ge­wie­sen.

Nach An­sicht des BAG wa­ren die Vergütungs­for­de­run­gen des Klägers ab Ju­li 1999 so­ge­nann­te "Alt­mas­se­ver­bind­lich­kei­ten" im Sin­ne des § 209 Abs.1 Nr.3 In­sO. Die Voll­stre­ckung sol­cher For­de­run­gen ist nach § 210 In­sO un­zulässig, so­bald der In­sol­venz­ver­wal­ter die Mas­seun­zuläng­lich­keit gemäß § 208 Abs.1 In­sO beim In­sol­venz­ge­richt an­ge­zeigt hat.

Aus dem Voll­stre­ckungs­ver­bot folgt nach An­sicht des Bun­des­ar­beits­ge­richts, daß auch für ent­spre­chen­de Leis­tungs­kla­gen das Rechts­schutz­bedürf­nis fehlt. Der Alt­mas­segläubi­ger kann ge­genüber dem In­sol­venz­ver­wal­ter le­dig­lich die Fest­stel­lung sei­ner For­de­run­gen ver­lan­gen.

Sind Lohn­kla­gen ge­gen ei­nen In­sol­venz­ver­wal­ter künf­tig noch sinn­voll?

Die prak­ti­sche Be­deu­tung des Ur­teils des Bun­des­ar­beits­ge­richts ist groß, da In­sol­venz­ver­wal­ter häufig die sog. Un­zuläsng­lich­keit der Mas­se an­zei­gen. Die­se Erklärung be­deu­tet wie ge­sagt, daß die Mas­se nach An­sicht des Ver­wal­ters noch nicht ein­mal zur Erfüllung der sog. Mas­se­ver­bind­lich­kei­ten aus­reicht. Zu die­sen Mas­se­ver­bind­lich­kei­ten gehören un­ter an­de­rem die Kos­ten des Ver­fah­rens so­wie die­je­ni­gen Ansprüche von Gläubi­gern, die nach Eröff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens ent­stan­den sind, al­so z.B. nach­in­sol­venz­li­che Lohn­ansprüche.

Die recht­li­che Kon­se­quenz ei­ner An­zei­ge der Mas­seun­zuläng­lich­keit be­steht im we­sent­li­chen dar­in, daß die vor­han­de­ne Mas­se auf die ver­schie­de­nen Mas­segläubi­ger, d.h. auf die In­ha­ber pri­vi­le­gier­ter Mas­se­for­de­run­gen, ver­teilt wer­den muß, wo­bei auf­grund der Mas­seun­zuläng­lich­keit auch die Mas­segläubi­ger Ab­stri­che von ih­ren For­de­run­gen ge­fal­len las­sen müssen. Die ei­gent­li­chen In­sol­venzgläubi­ger ge­hen im Fal­le ei­nes mas­se­ar­men In­sol­venz­ver­fah­rens in der Re­gel völlig leer aus, d.h. sie ste­hen sich noch schlech­ter, als sie sich "nor­ma­ler­wei­se" ste­hen würden.

Während es nach bis­he­ri­ger Rechts­la­ge nicht ganz klar war, ob man als Ar­beit­neh­mer in Fällen von hier durch das BAG ent­schie­de­nen Art den In­sol­venz­ver­wal­ter auf Zah­lung ver­kla­gen konn­te, ist dies nun nicht mehr möglich.

Da­mit wird ein ge­wis­se Rechts­un­si­cher­heit für den Ar­beit­neh­mer ge­schaf­fen, da die­ser jetzt je­der­zeit da­mit rech­nen muß, daß sei­ne Lohn­kla­ge, die er ge­gen den In­sol­venz­ver­wal­ter er­ho­ben hat, durch An­zei­ge der Mas­seun­zuläng­lich­keit im nach­hin­ein un­zulässig wird:

So­lan­ge der Ver­wal­ter noch kei­ne Mas­se­unläng­lich­keit an­ge­zeigt hat, soll­te man auf Zah­lung der Lohn­ansprüche für die Zeit nach Ver­fah­ren­seröff­nung kla­gen, da man schließlich zu­se­hen muß, daß man an sein Geld kommt.

Hat man al­ler­dings ei­nen Zah­lungs­ti­tel ge­gen den Ver­wal­ter erstrit­ten (oder steht nach lan­gem Rechts­streit kurz da­vor), kann es ei­nem je­der­zeit pas­sie­ren, daß der Ver­wal­ter durch An­zei­ge der Mas­se­ar­mut all die­se Bemühun­gen zu­nich­te macht. Man muß sich in ei­nem sol­chen Fall mit der bloßen "Fest­stel­lung" sei­nes An­spruchs be­gnügen und im übri­gen dar­auf war­ten, bis der Ver­wal­ter das In­sol­venz­ver­fah­ren ir­gend­wann ein­mal ab­ge­schlos­sen hat und im Zu­ge der Ver­tei­lung der Mas­se an die Mas­segläubi­ger den Mas­se­an­spruch nach Maßga­be der sich dann er­rech­nen­den Quo­te erfüllt.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 17. März 2020

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de
Bewertung: 5.0 von 5 Sternen (1 Bewertung)

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de