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ARBEITSRECHT AKTUELL // 17/022

Be­triebs­rat­s­tä­tig­keit als Ar­beits­zeit im Sin­ne des Ar­beits­zeit­ge­set­zes?

Zwi­schen dem Schich­ten­de und ei­ner Be­triebs­rats­sit­zung, die am nächs­ten Tag wäh­rend der Frei­zeit statt­fin­det, muss ei­ne elf­stün­di­ge Ru­he­zeit ge­mäß § 5 Abs.1 Arb­ZG lie­gen: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 18.01.2017, 7 AZR 224/15
Uhr elf Stunden Erholungszeit zwischen Schichten

19.01.2016. Ge­mäß § 37 Abs.1 Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG) füh­ren die Mit­glie­der des Be­triebs­rats ihr Amt oh­ne Be­zah­lung als Eh­ren­amt.

Trotz­dem kön­nen län­ge­re Be­triebs­rats­sit­zun­gen stres­sig sein, vor al­lem wenn sie au­ßer­halb der Ar­beits­zeit statt­fin­den. Denn das geht zu­las­ten der not­wen­di­gen Frei­zeit, die auch Be­triebs­rats­mit­glie­dern zu­steht.

Mit ei­nem vor­ges­tern er­gan­ge­nen Grund­satz­ur­teil hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) die­se zeit­li­che Dop­pel­be­las­tung von Be­triebs­rats­mit­glie­dern be­grenzt: BAG, Ur­teil vom 18.01.2017, 7 AZR 224/15 (BAG-Pres­se­mel­dung).

Sind Ar­beit und Be­triebs­ratstätig­keit zu­sam­men­zu­rech­nen, wenn es um die Ein­hal­tung der ge­setz­li­chen Ar­beits­zeit­gren­zen geht?

§ 5 Abs.1 Ar­beits­zeit­ge­setz (Arb­ZG) schreibt vor, dass Ar­beit­neh­mer nach Be­en­di­gung ih­rer tägli­chen Ar­beits­zeit ei­ne un­un­ter­bro­che­ne Ru­he­zeit von min­des­tens elf St­un­den ha­ben müssen. Wer z.B. in ei­ner Nacht­schicht von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr früh ar­bei­tet, kann vor 17:00 Uhr des Fol­ge­tags nicht er­neut zur Ar­beit ein­ge­teilt wer­den.

Aber gilt das auch dann, wenn der Ar­beit­neh­mer Be­triebs­rats­mit­glied ist und am Tag nach ei­ner Nacht­schicht vor Ab­lauf von elf St­un­den an ei­ner Be­triebs­rats­sit­zung teil­neh­men möch­te? Die­se Fra­ge könn­te man mit „ja“ be­ant­wor­ten, wenn Be­triebs­ratstätig­keit als Ar­beits­zeit im Sin­ne des Arb­ZG zählen würde. Das al­ler­dings ist un­ter Ar­beits­recht­lern um­strit­ten.

Ge­gen die Be­wer­tung der Be­triebs­ratstätig­keit als Ar­beits­zeit spricht, dass der Ar­beit­ge­ber die Ein­hal­tung von Ar­beits­zeit­gren­zen über­wa­chen muss, dies aber bei der Be­triebs­ratstätig­keit recht­lich nicht kann, da der Be­triebs­rat nach ei­ge­nem Er­mes­sen sei­ne Geschäfte führt. An­de­rer­seits kann es nicht sein, dass Be­triebs­rats­mit­glie­der um Ih­re Ru­he­zei­ten ge­bracht wer­den, wenn Ma­ra­thon-Be­triebs­rats­sit­zun­gen aus be­triebs­be­ding­ten Gründen außer­halb ih­rer Ar­beits­zeit statt­fin­den.

Der Streit­fall: Be­triebs­rats­mit­glied bricht ei­ne Nacht­schicht vor­zei­tig ab, um am nächs­ten Tag während sei­ner Frei­zeit aus­ge­schla­fen zur Be­triebs­rats­sit­zung ge­hen zu können

Ge­klagt hat­te ein An­la­gen­be­die­ner, der im Drei­schicht­be­trieb ar­bei­te­te und Mit­glied des Be­triebs­rats war. Er war im Ju­li 2013 für ei­ne Nacht­schicht von 22.00 Uhr bis 06.00 Uhr ein­ge­teilt, bei ei­ner Pau­se von 02:30 Uhr bis 03:00 Uhr. Am nächs­ten Tag fand in sei­ner Frei­zeit ei­ne Be­triebs­rats­sit­zung statt, und zwar von 13:00 Uhr bis 15:30 Uhr.

Um we­nigs­tens 10,5 St­un­den sei­ner elfstündi­gen Ru­he­zeit zu be­kom­men (02:30 Uhr bis 13:00 Uhr), ging er be­reits zu Be­ginn der Pau­se um 02:30 Uhr nach Hau­se, d.h. er brach sei­ne Schicht vor­zei­tig ab.

Der Ar­beit­ge­ber mein­te, dass die ge­setz­li­che Ru­he­zeit gemäß § 5 Abs.1 Arb­ZG auf Be­triebs­ratstätig­kei­ten nicht an­zu­wen­den sei, dass aber ei­ne Pau­se von acht St­un­den zwi­schen dem Schich­ten­de und der Be­triebs­rats­sit­zung schon in Ord­nung wäre. Da­her hätte der Kläger um 05:00 Uhr die Schicht be­en­den können, so dass er ihm ei­ne Ar­beits­stun­de (von 05:00 Uhr bis 06:00 Uhr) gut­schrieb.

Der Kläger ar­gu­men­tier­te, ei­ne Ar­beits­be­frei­ung ab 02.30 Uhr sei not­wen­dig ge­we­sen, um die Ge­samt­be­las­tung durch Ar­beits- und Amtstätig­keit in Gren­zen zu hal­ten. Er ver­lang­te da­her, dass ihm auch wei­te­re zwei St­un­den (von 03:00 Uhr bis 05:00 Uhr) als Ar­beits­zeit gut­ge­schrie­ben würden.

Das Ar­beits­ge­richt Ha­gen wies die Kla­ge ab (Ur­teil vom 14.08.2014, 4 Ca 2022/13), während das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Hamm dem Kläger recht gab (LAG Hamm, Ur­teil vom 20.02.2015, 13 Sa 1386/14). § 5 Abs.1 Arb­ZG gilt zwar laut LAG für Be­triebs­ratstätig­kei­ten nicht, doch ist sein Schutz­zweck sinn­gemäß zu be­ach­ten, so dass dem Kläger ei­ne Verkürzung sei­ner Frei­zeit auf un­ter zehn St­un­den nicht zu­zu­mu­ten war. Er durf­te die Nacht­schicht da­her je­den­falls um 03:00 Uhr ab­bre­chen, um ei­ne zehnstündi­ge Ru­he­zeit vor Be­ginn der Be­triebs­rats­sit­zung zu er­hal­ten, so das LAG.

BAG: Zwi­schen dem Schich­ten­de und ei­ner Be­triebs­rats­sit­zung, die am nächs­ten Tag während der Frei­zeit statt­fin­det, muss ei­ne elfstündi­ge Ru­he­zeit gemäß § 5 Abs.1 Arb­ZG lie­gen

Das BAG wies die Re­vi­si­on des Ar­beit­ge­bers zurück und stell­te un­ter Ver­weis auf § 5 Abs.1 Arb­ZG klar, dass Be­triebs­rats­mit­glie­der zu ei­ner Verkürzung ih­rer Schich­ten be­rech­tigt sind, wenn das er­for­der­lich ist, um ei­ne Er­ho­lungs­zeit von elf St­un­den zwi­schen dem Schich­ten­de und dem Be­ginn ei­ner Be­triebs­rats­sit­zung zu gewähr­leis­ten. An­ders als das LAG macht das BAG hier kei­ne Ab­stri­che von den vol­len elf St­un­den, die zwi­schen Ar­beits­en­de und Be­ginn ei­ner Be­triebs­ratstätig­keit lie­gen müssen.

§ 37 Abs.2 Be­trVG schreibt vor, dass Be­triebs­rats­mit­glie­der während ih­rer Ar­beits­zeit von der Ar­beits­pflicht be­zahlt frei­zu­stel­len sind, wenn die Ar­beits­be­frei­ung für die Er­le­di­gung von Be­triebs­rats­auf­ga­ben er­for­der­lich ist. Die­se Vor­schrift gilt auch dann, so das BAG, wenn not­wen­di­ge Be­triebs­ratstätig­kei­ten zwar außer­halb der Ar­beits­zeit lie­gen, aber da­zu führen, dass die Ar­beits­leis­tung dem Be­triebs­rats­mit­glied „unmöglich oder un­zu­mut­bar“ ist.

Ein sol­cher Fall der Un­zu­mut­bar­keit lag hier vor. Da­her war der Kläger be­rech­tigt, sei­ne Schicht vor­zei­tig ab­zu­bre­chen, „weil ihm bei Fort­set­zung sei­ner Ar­beit zwi­schen den Ar­beits­schich­ten kei­ne durch­ge­hen­de Er­ho­lungs­zeit von elf St­un­den zur Verfügung ge­stan­den hätte.“ Aus­drück­lich of­fen lässt das BAG al­ler­dings, ob Be­triebs­ratstätig­kei­ten als Ar­beits­zeit im Sin­ne des Arb­ZG zu wer­ten sind. Denn je­den­falls führt ei­ne Un­ter­schrei­tung der elfstündi­gen Ru­he­zeit zur Un­zu­mut­bar­keit der da­vor oder da­nach lie­gen­den Ar­beit.

Fa­zit: Der Kläger hätte am Vor­tag der Be­triebs­rats­sit­zung sei­ne Schicht in­fol­ge des BAG-Ur­teils be­reits um 02:00 Uhr ab­bre­chen können und nicht erst um 03:00 Uhr, wie das LAG mein­te. So­weit der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mel­dung zu ent­neh­men ist, überträgt das BAG die Ar­beits­zeit­schran­ken des Arb­ZG zwar nur sinn­gemäß, im Übri­gen aber eins zu eins auf das Zu­sam­men­tref­fen von Ar­beit und Be­triebs­ratstätig­keit.

Das Ur­teil des BAG führt zu kla­ren und rechts­si­che­ren Ar­beits­zeit­gren­zen für Be­triebs­rats­mit­glie­der. Dafür ist es nicht er­for­der­lich, Be­triebs­rats­ar­beit oh­ne Ab­stri­che ju­ris­tisch als „Ar­beit“ im Sin­ne von § 2 Abs.1 Arb­ZG an­zu­se­hen.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das BAG sei­ne Ent­schei­dungs­grün­de ver­öf­fent­licht. Das voll­stän­dig be­grün­de­te Ur­teil des BAG fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 21. Juni 2019

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