HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

EuGH, Ur­teil vom 17.04.2018, C-414/16 - Egen­ber­ger

   
Schlagworte: Religion, Bewerbung, Diskriminierung: Religion
   
Gericht: Europäischer Gerichtshof
Aktenzeichen: C-414/16
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 17.04.2018
   
Leitsätze: 1. Art.4 Abs.2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist in Verbindung mit deren Art.9 und 10 sowie mit Art.47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass für den Fall, dass eine Kirche oder eine andere Organisation, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, zur Begründung einer Handlung oder Entscheidung wie der Ablehnung einer Bewerbung auf eine bei ihr zu besetzende Stelle geltend macht, die Religion sei nach der Art der betreffenden Tätigkeiten oder den vorgesehenen Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos dieser Kirche oder Organisation, ein solches Vorbringen gegebenenfalls Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein können muss, damit sichergestellt wird, dass die in Art.4 Abs.2 dieser Richtlinie genannten Kriterien im konkreten Fall erfüllt sind.

2. Art.4 Abs.2 der Richtlinie 2000/78 ist dahin auszulegen, dass es sich bei der dort genannten wesentlichen, rechtmäßigen und gerechtfertigten beruflichen Anforderung um eine Anforderung handelt, die notwendig und angesichts des Ethos der betreffenden Kirche oder Organisation aufgrund der Art der in Rede stehenden beruflichen Tätigkeit oder der Umstände ihrer Ausübung objektiv geboten ist und keine sachfremden Erwägungen ohne Bezug zu diesem Ethos oder dem Recht dieser Kirche oder Organisation auf Autonomie umfassen darf. Die Anforderung muss mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang stehen.

3. Ein mit einem Rechtsstreit zwischen zwei Privatpersonen befasstes nationales Gericht ist, wenn es ihm nicht möglich ist, das einschlägige nationale Recht im Einklang mit Art.4 Abs.2 der Richtlinie 2000/78 auszulegen, verpflichtet, im Rahmen seiner Befugnisse den dem Einzelnen aus den Art.21 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union erwachsenden Rechtsschutz zu gewährleisten und für die volle Wirksamkeit dieser Bestimmungen zu sorgen, indem es erforderlichenfalls jede entgegenstehende nationale Vorschrift unangewendet lässt.

Vorinstanzen: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 17.03.2016, 8 AZR 501/14 (A)
   

UR­TEIL DES GERICH­TSHOFS (Große Kam­mer)

17. April 2018(*)

„Vor­la­ge zur Vor­ab­ent­schei­dung – So­zi­al­po­li­tik – Richt­li­nie 2000/78/EG – Gleich­be­hand­lung – Un­gleich­be­hand­lung we­gen der Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung – Be­ruf­li­che Tätig­kei­ten in­ner­halb von Kir­chen oder an­de­ren Or­ga­ni­sa­tio­nen, de­ren Ethos auf re­li­giösen Grundsätzen oder Welt­an­schau­un­gen be­ruht – Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung, die ei­ne we­sent­li­che, rechtmäßige und ge­recht­fer­tig­te be­ruf­li­che An­for­de­rung an­ge­sichts des Ethos der Or­ga­ni­sa­ti­on dar­stellt – Be­griff – Art der Tätig­kei­ten und Umstände ih­rer Ausübung – Art. 17 AEUV – Art. 10, 21 und 47 der Char­ta der Grund­rech­te der Eu­ropäischen Uni­on“

In der Rechts­sa­che C-414/16

be­tref­fend ein Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen nach Art. 267 AEUV, ein­ge­reicht vom Bun­des­ar­beits­ge­richt (Deutsch­land) mit Ent­schei­dung vom 17. März 2016, beim Ge­richts­hof ein­ge­gan­gen am 27. Ju­li 2016, in dem Ver­fah­ren

Ve­ra Egen­ber­ger

ge­gen

Evan­ge­li­sches Werk für Dia­ko­nie und Ent­wick­lung e. V.

erlässt

DER GERICH­TSHOF (Große Kam­mer)

un­ter Mit­wir­kung des Präsi­den­ten K. Lena­erts, des Vi­ze­präsi­den­ten A. Tiz­za­no, der Kam­mer­präsi­den­tin R. Sil­va de La­pu­er­ta, der Kam­mer­präsi­den­ten T. von Dan­witz, J. L. da Cruz Vi­laça und A. Ro­sas, der Rich­ter E. Juhász, M. Saf­jan und D. Šváby, der Rich­te­rin­nen M. Ber­ger und A. Prechal so­wie der Rich­ter E. Ja­rašiūnas, F. Bilt­gen (Be­richt­er­stat­ter), M. Vil­a­ras und E. Re­gan,

Ge­ne­ral­an­walt: E. Tan­chev,

Kanz­ler: K. Ma­lacek, Ver­wal­tungs­rat,

auf­grund des schrift­li­chen Ver­fah­rens und auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 18. Ju­li 2017,

un­ter Berück­sich­ti­gung der Erklärun­gen

von Frau V. Egen­ber­ger, ver­tre­ten durch Rechts­an­walt K. Ber­tels­mann im Bei­stand von P. St­ein,

des Evan­ge­li­schen Werks für Dia­ko­nie und Ent­wick­lung e. V., ver­tre­ten durch Rechts­an­walt M. Sand­mai­er so­wie durch M. Ruf­fert und G. Thüsing,

der deut­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch T. Hen­ze und J. Möller als Be­vollmäch­tig­te,

Ir­lands, ver­tre­ten durch E. Cree­don, M. Brow­ne, L. Wil­liams und A. Joy­ce als Be­vollmäch­tig­te im Bei­stand von C. To­land, SC, und S. Kings­ton, BL,

der Eu­ropäischen Kom­mis­si­on, ver­tre­ten durch D. Mar­tin und B.‑R. Kill­mann als Be­vollmäch­tig­te,

nach Anhörung der Schluss­anträge des Ge­ne­ral­an­walts in der Sit­zung vom 9. No­vem­ber 2017

fol­gen­des

Ur­teil

1 Das Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen be­trifft die Aus­le­gung von Art.4 Abs.2 der Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27. No­vem­ber 2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf (ABl. 2000, L 303, S. 16).
2 Es er­geht im Rah­men ei­nes Rechts­streits zwi­schen Frau Ve­ra Egen­ber­ger und dem Evan­ge­li­schen Werk für Dia­ko­nie und Ent­wick­lung e. V. (im Fol­gen­den: Evan­ge­li­sches Werk) über ei­ne von Frau Egen­ber­ger er­ho­be­ne Kla­ge auf Entschädi­gung für ei­ne Be­nach­tei­li­gung aus Gründen der Re­li­gi­on, die sie nach ih­rem Vor­brin­gen im Rah­men ei­nes Be­wer­bungs­ver­fah­rens er­lit­ten hat.

Recht­li­cher Rah­men

Uni­ons­recht

3 Die Erwägungs­gründe 4, 23, 24 und 29 der Richt­li­nie 2000/78 lau­ten:

„(4) Die Gleich­heit al­ler Men­schen vor dem Ge­setz und der Schutz vor Dis­kri­mi­nie­rung ist ein all­ge­mei­nes Men­schen­recht; die­ses Recht wur­de in der All­ge­mei­nen Erklärung der Men­schen­rech­te, im VN-Übe­r­ein­kom­men zur Be­sei­ti­gung al­ler For­men der Dis­kri­mi­nie­rung von Frau­en, im In­ter­na­tio­na­len Pakt der VN über bürger­li­che und po­li­ti­sche Rech­te, im In­ter­na­tio­na­len Pakt der VN über wirt­schaft­li­che, so­zia­le und kul­tu­rel­le Rech­te so­wie in der Eu­ropäischen Kon­ven­ti­on zum Schut­ze der Men­schen­rech­te und Grund­frei­hei­ten an­er­kannt, die von al­len Mit­glied­staa­ten un­ter­zeich­net wur­den. Das Übe­r­ein­kom­men 111 der In­ter­na­tio­na­len Ar­beits­or­ga­ni­sa­ti­on un­ter­sagt Dis­kri­mi­nie­run­gen in Beschäfti­gung und Be­ruf.


(23) Un­ter sehr be­grenz­ten Be­din­gun­gen kann ei­ne un­ter­schied­li­che Be­hand­lung ge­recht­fer­tigt sein, wenn ein Merk­mal, das mit der Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung, ei­ner Be­hin­de­rung, dem Al­ter oder der se­xu­el­len Aus­rich­tung zu­sam­menhängt, ei­ne we­sent­li­che und ent­schei­den­de be­ruf­li­che An­for­de­rung dar­stellt, so­fern es sich um ei­nen rechtmäßigen Zweck und ei­ne an­ge­mes­se­ne An­for­de­rung han­delt. Die­se Be­din­gun­gen soll­ten in die In­for­ma­tio­nen auf­ge­nom­men wer­den, die die Mit­glied­staa­ten der Kom­mis­si­on über­mit­teln.

(24) Die Eu­ropäische Uni­on hat in ih­rer der Schluss­ak­te zum Ver­trag von Ams­ter­dam bei­gefügten Erklärung Nr. 11 zum Sta­tus der Kir­chen und welt­an­schau­li­chen Ge­mein­schaf­ten aus­drück­lich an­er­kannt, dass sie den Sta­tus, den Kir­chen und re­li­giöse Ver­ei­ni­gun­gen oder Ge­mein­schaf­ten in den Mit­glied­staa­ten nach de­ren Rechts­vor­schrif­ten ge­nießen, ach­tet und ihn nicht be­ein­träch­tigt und dass dies in glei­cher Wei­se für den Sta­tus von welt­an­schau­li­chen Ge­mein­schaf­ten gilt. Die Mit­glied­staa­ten können in die­ser Hin­sicht spe­zi­fi­sche Be­stim­mun­gen über die we­sent­li­chen, rechtmäßigen und ge­recht­fer­tig­ten be­ruf­li­chen An­for­de­run­gen bei­be­hal­ten oder vor­se­hen, die Vor­aus­set­zung für die Ausübung ei­ner dies­bezügli­chen be­ruf­li­chen Tätig­keit sein können.

(29) Op­fer von Dis­kri­mi­nie­run­gen we­gen der Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung, ei­ner Be­hin­de­rung, des Al­ters oder der se­xu­el­len Aus­rich­tung soll­ten über ei­nen an­ge­mes­se­nen Rechts­schutz verfügen. Um ei­nen ef­fek­ti­ve­ren Schutz zu gewähr­leis­ten, soll­te auch die Möglich­keit be­ste­hen, dass sich Verbände oder an­de­re ju­ris­ti­sche Per­so­nen un­be­scha­det der na­tio­na­len Ver­fah­rens­ord­nung bezüglich der Ver­tre­tung und Ver­tei­di­gung vor Ge­richt bei ei­nem ent­spre­chen­den Be­schluss der Mit­glied­staa­ten im Na­men ei­nes Op­fers oder zu sei­ner Un­terstützung an ei­nem Ver­fah­ren be­tei­li­gen.“

4 Art.1 der Richt­li­nie 2000/78 be­stimmt:

„Zweck die­ser Richt­li­nie ist die Schaf­fung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens zur Bekämp­fung der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen der Re­li­gi­on oder der Welt­an­schau­ung, ei­ner Be­hin­de­rung, des Al­ters oder der se­xu­el­len Aus­rich­tung in Beschäfti­gung und Be­ruf im Hin­blick auf die Ver­wirk­li­chung des Grund­sat­zes der Gleich­be­hand­lung in den Mit­glied­staa­ten.“

5 In Art.2 Abs. 1, 2 und 5 der Richt­li­nie heißt es:

„(1) Im Sin­ne die­ser Richt­li­nie be­deu­tet ‚Gleich­be­hand­lungs­grund­satz‘, dass es kei­ne un­mit­tel­ba­re oder mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung we­gen ei­nes der in Ar­ti­kel 1 ge­nann­ten Gründe ge­ben darf.

(2) Im Sin­ne des Ab­sat­zes 1

a) liegt ei­ne un­mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung vor, wenn ei­ne Per­son we­gen ei­nes der in Ar­ti­kel 1 ge­nann­ten Gründe in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on ei­ne we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung erfährt, als ei­ne an­de­re Per­son erfährt, er­fah­ren hat oder er­fah­ren würde;

(5) Die­se Richt­li­nie berührt nicht die im ein­zel­staat­li­chen Recht vor­ge­se­he­nen Maßnah­men, die in ei­ner de­mo­kra­ti­schen Ge­sell­schaft für die Gewähr­leis­tung der öffent­li­chen Si­cher­heit, die Ver­tei­di­gung der Ord­nung und die Verhütung von Straf­ta­ten, zum Schutz der Ge­sund­heit und zum Schutz der Rech­te und Frei­hei­ten an­de­rer not­wen­dig sind.“

6 Art. 4 der Richt­li­nie lau­tet:

„(1) Un­ge­ach­tet des Ar­ti­kels 2 Absätze 1 und 2 können die Mit­glied­staa­ten vor­se­hen, dass ei­ne Un­gleich­be­hand­lung we­gen ei­nes Merk­mals, das im Zu­sam­men­hang mit ei­nem der in Ar­ti­kel 1 ge­nann­ten Dis­kri­mi­nie­rungs­gründe steht, kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung dar­stellt, wenn das be­tref­fen­de Merk­mal auf­grund der Art ei­ner be­stimm­ten be­ruf­li­chen Tätig­keit oder der Be­din­gun­gen ih­rer Ausübung ei­ne we­sent­li­che und ent­schei­den­de be­ruf­li­che An­for­de­rung dar­stellt, so­fern es sich um ei­nen rechtmäßigen Zweck und ei­ne an­ge­mes­se­ne An­for­de­rung han­delt.

(2) Die Mit­glied­staa­ten können in Be­zug auf be­ruf­li­che Tätig­kei­ten in­ner­halb von Kir­chen und an­de­ren öffent­li­chen oder pri­va­ten Or­ga­ni­sa­tio­nen, de­ren Ethos auf re­li­giösen Grundsätzen oder Welt­an­schau­un­gen be­ruht, Be­stim­mun­gen in ih­ren zum Zeit­punkt der An­nah­me die­ser Richt­li­nie gel­ten­den Rechts­vor­schrif­ten bei­be­hal­ten oder in künf­ti­gen Rechts­vor­schrif­ten Be­stim­mun­gen vor­se­hen, die zum Zeit­punkt der An­nah­me die­ser Richt­li­nie be­ste­hen­de ein­zel­staat­li­che Ge­pflo­gen­hei­ten wi­der­spie­geln und wo­nach ei­ne Un­gleich­be­hand­lung we­gen der Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung ei­ner Per­son kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung dar­stellt, wenn die Re­li­gi­on oder die Welt­an­schau­ung die­ser Per­son nach der Art die­ser Tätig­kei­ten oder de[n] Umstände[n] ih­rer Ausübung ei­ne we­sent­li­che, rechtmäßige und ge­recht­fer­tig­te be­ruf­li­che An­for­de­rung an­ge­sichts des Ethos der Or­ga­ni­sa­ti­on dar­stellt. Ei­ne sol­che Un­gleich­be­hand­lung muss die ver­fas­sungs­recht­li­chen Be­stim­mun­gen und Grundsätze der Mit­glied­staa­ten so­wie die all­ge­mei­nen Grundsätze des Ge­mein­schafts­rechts be­ach­ten und recht­fer­tigt kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung aus ei­nem an­de­ren Grund.

So­fern die Be­stim­mun­gen die­ser Richt­li­nie im Übri­gen ein­ge­hal­ten wer­den, können die Kir­chen und an­de­ren öffent­li­chen oder pri­va­ten Or­ga­ni­sa­tio­nen, de­ren Ethos auf re­li­giösen Grundsätzen oder Welt­an­schau­un­gen be­ruht, im Ein­klang mit den ein­zel­staat­li­chen ver­fas­sungs­recht­li­chen Be­stim­mun­gen und Rechts­vor­schrif­ten von den für sie ar­bei­ten­den Per­so­nen ver­lan­gen, dass sie sich loy­al und auf­rich­tig im Sin­ne des Ethos der Or­ga­ni­sa­ti­on ver­hal­ten.“

7 Art. 9 Abs. 1 der Richt­li­nie sieht vor:

„Die Mit­glied­staa­ten stel­len si­cher, dass al­le Per­so­nen, die sich durch die Nicht­an­wen­dung des Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes in ih­ren Rech­ten für ver­letzt hal­ten, ih­re Ansprüche aus die­ser Richt­li­nie auf dem Ge­richts- und/oder Ver­wal­tungs­weg so­wie, wenn die Mit­glied­staa­ten es für an­ge­zeigt hal­ten, in Sch­lich­tungs­ver­fah­ren gel­tend ma­chen können, selbst wenn das Verhält­nis, während des­sen die Dis­kri­mi­nie­rung vor­ge­kom­men sein soll, be­reits be­en­det ist.“

8

Art. 10 Abs. 1 der Richt­li­nie be­stimmt:

„Die Mit­glied­staa­ten er­grei­fen im Ein­klang mit ih­rem na­tio­na­len Ge­richts­we­sen die er­for­der­li­chen Maßnah­men, um zu gewähr­leis­ten, dass im­mer dann, wenn Per­so­nen, die sich durch die Nicht­an­wen­dung des Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes für ver­letzt hal­ten und bei ei­nem Ge­richt oder ei­ner an­de­ren zuständi­gen Stel­le Tat­sa­chen glaub­haft ma­chen, die das Vor­lie­gen ei­ner un­mit­tel­ba­ren oder mit­tel­ba­ren Dis­kri­mi­nie­rung ver­mu­ten las­sen, es dem Be­klag­ten ob­liegt zu be­wei­sen, dass kei­ne Ver­let­zung des Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes vor­ge­le­gen hat.“

Deut­sches Recht

Grund­ge­setz

9

Art.4 Abs.1 und 2 des Grund­ge­set­zes für die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land (im Fol­gen­den: GG) be­stimmt:

„(1) Die Frei­heit des Glau­bens, des Ge­wis­sens und die Frei­heit des re­li­giösen und welt­an­schau­li­chen Be­kennt­nis­ses sind un­ver­letz­lich.

(2) Die un­gestörte Re­li­gi­ons­ausübung wird gewähr­leis­tet.“

10 Gemäß Art.140 GG sind die Be­stim­mun­gen der Art.136 bis 139 und 141 der Wei­ma­rer Reichs­ver­fas­sung vom 11. Au­gust 1919 (im Fol­gen­den: WRV) Be­stand­teil des GG.
11 Art.137 WRV sieht vor:

,,(1) Es be­steht kei­ne Staats­kir­che.

(2) Die Frei­heit der Ver­ei­ni­gung zu Re­li­gi­ons­ge­sell­schaf­ten wird gewähr­leis­tet. Der Zu­sam­men­schluss von Re­li­gi­ons­ge­sell­schaf­ten in­ner­halb des Reichs­ge­biets un­ter­liegt kei­nen Be­schränkun­gen.

(3) Je­de Re­li­gi­ons­ge­sell­schaft ord­net und ver­wal­tet ih­re An­ge­le­gen­hei­ten selbständig in­ner­halb der Schran­ken des für al­le gel­ten­den Ge­set­zes. Sie ver­leiht ih­re Ämter oh­ne Mit­wir­kung des Staa­tes oder der bürger­li­chen Ge­mein­de.

(7) Den Re­li­gi­ons­ge­sell­schaf­ten wer­den die Ver­ei­ni­gun­gen gleich­ge­stellt, die sich die ge­mein­schaft­li­che Pfle­ge ei­ner Welt­an­schau­ung zur Auf­ga­be ma­chen.“

12 Nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts (Deutsch­land) sind Träger des durch Art. 140 GG in Ver­bin­dung mit Art. 137 Abs. 3 WRV ga­ran­tier­ten kirch­li­chen Selbst­be­stim­mungs­rechts nicht nur die Kir­chen selbst als Re­li­gi­ons­ge­mein­schaf­ten, son­dern auch al­le ih­nen in be­stimm­ter Wei­se zu­ge­ord­ne­ten Ein­rich­tun­gen, wenn und so­weit sie nach dem glau­bens­de­fi­nier­ten Selbst­verständ­nis der Kir­chen ih­rem Zweck oder ih­rer Auf­ga­be ent­spre­chend be­ru­fen sind, Auf­trag und Sen­dung der Kir­chen wahr­zu­neh­men und zu erfüllen.

All­ge­mei­nes Gleich­be­hand­lungs­ge­setz

13 Das All­ge­mei­ne Gleich­be­hand­lungs­ge­setz vom 14. Au­gust 2006 (BGBl. 2006 I S. 1897, im Fol­gen­den: AGG) dient zur Um­set­zung der Richt­li­nie 2000/78 in das deut­sche Recht.
14 § 1 AGG, in dem des­sen Ziel de­fi­niert wird, lau­tet:

„Ziel des Ge­set­zes ist, Be­nach­tei­li­gun­gen aus Gründen der Ras­se oder we­gen der eth­ni­schen Her­kunft, des Ge­schlechts, der Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung, ei­ner Be­hin­de­rung, des Al­ters oder der se­xu­el­len Iden­tität zu ver­hin­dern oder zu be­sei­ti­gen.“

15 § 7 Abs.1 AGG be­stimmt:

„Beschäftig­te dürfen nicht we­gen ei­nes in § 1 ge­nann­ten Grun­des be­nach­tei­ligt wer­den; dies gilt auch, wenn die Per­son, die die Be­nach­tei­li­gung be­geht, das Vor­lie­gen ei­nes in § 1 ge­nann­ten Grun­des bei der Be­nach­tei­li­gung nur an­nimmt.“

16 Nach § 9 AGG gilt:

„(1) Un­ge­ach­tet des § 8 [des vor­lie­gen­den Ge­set­zes] ist ei­ne un­ter­schied­li­che Be­hand­lung we­gen der Re­li­gi­on oder der Welt­an­schau­ung bei der Beschäfti­gung durch Re­li­gi­ons­ge­mein­schaf­ten, die ih­nen zu­ge­ord­ne­ten Ein­rich­tun­gen oh­ne Rück­sicht auf ih­re Rechts­form oder durch Ver­ei­ni­gun­gen, die sich die ge­mein­schaft­li­che Pfle­ge ei­ner Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung zur Auf­ga­be ma­chen, auch zulässig, wenn ei­ne be­stimm­te Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung un­ter Be­ach­tung des Selbst­verständ­nis­ses der je­wei­li­gen Re­li­gi­ons­ge­mein­schaft oder Ver­ei­ni­gung im Hin­blick auf ihr Selbst­be­stim­mungs­recht oder nach der Art der Tätig­keit ei­ne ge­recht­fer­tig­te be­ruf­li­che An­for­de­rung dar­stellt.

(2) Das Ver­bot un­ter­schied­li­cher Be­hand­lung we­gen der Re­li­gi­on oder der Welt­an­schau­ung berührt nicht das Recht der in Ab­satz 1 ge­nann­ten Re­li­gi­ons­ge­mein­schaf­ten, der ih­nen zu­ge­ord­ne­ten Ein­rich­tun­gen oh­ne Rück­sicht auf ih­re Rechts­form oder der Ver­ei­ni­gun­gen, die sich die ge­mein­schaft­li­che Pfle­ge ei­ner Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung zur Auf­ga­be ma­chen, von ih­ren Beschäftig­ten ein loya­les und auf­rich­ti­ges Ver­hal­ten im Sin­ne ih­res je­wei­li­gen Selbst­verständ­nis­ses ver­lan­gen zu können.“

17 In § 15 AGG heißt es:

„(1) Bei ei­nem Ver­s­toß ge­gen das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot ist der Ar­beit­ge­ber ver­pflich­tet, den hier­durch ent­stan­de­nen Scha­den zu er­set­zen. Dies gilt nicht, wenn der Ar­beit­ge­ber die Pflicht­ver­let­zung nicht zu ver­tre­ten hat.

(2) We­gen ei­nes Scha­dens, der nicht Vermögens­scha­den ist, kann der oder die Beschäftig­te ei­ne an­ge­mes­se­ne Entschädi­gung in Geld ver­lan­gen. Die Entschädi­gung darf bei ei­ner Nicht­ein­stel­lung drei Mo­nats­gehälter nicht über­stei­gen, wenn der oder die Beschäftig­te auch bei be­nach­tei­li­gungs­frei­er Aus­wahl nicht ein­ge­stellt wor­den wäre.

…“

Kir­chen­recht der Evan­ge­li­schen Kir­che in Deutsch­land

18 Die Grund­ord­nung der Evan­ge­li­schen Kir­che in Deutsch­land vom 13. Ju­li 1948, zu­letzt geändert durch Kir­chen­ge­setz vom 12. No­vem­ber 2013, stellt die Grund­la­ge des Kir­chen­rechts der Evan­ge­li­schen Kir­che in Deutsch­land (im Fol­gen­den: EKD) dar.
19 Die nach Art. 9 Buchst. b die­ser Grund­ord­nung in geänder­ter Fas­sung er­las­se­ne Richt­li­nie des Ra­tes der EKD vom 1. Ju­li 2005 über die An­for­de­run­gen der pri­vat­recht­li­chen be­ruf­li­chen Mit­ar­beit in der Evan­ge­li­schen Kir­che in Deutsch­land und des Dia­ko­ni­schen Wer­kes (im Fol­gen­den: Richt­li­nie über die be­ruf­li­che Mit­ar­beit in der EKD) sieht in § 2 Abs. 1 vor:

„Der Dienst der Kir­che ist durch den Auf­trag be­stimmt, das Evan­ge­li­um in Wort und Tat zu be­zeu­gen. Al­le Frau­en und Männer, die in An­stel­lungs­verhält­nis­sen in Kir­che und Dia­ko­nie tätig sind, tra­gen in un­ter­schied­li­cher Wei­se da­zu bei, dass die­ser Auf­trag erfüllt wer­den kann. Die­ser Auf­trag ist die Grund­la­ge der Rech­te und Pflich­ten von An­stel­lungs­trägern so­wie Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­tern.“

20 § 3 der Richt­li­nie über die be­ruf­li­che Mit­ar­beit in der EKD be­stimmt:

„(1) Die be­ruf­li­che Mit­ar­beit in der evan­ge­li­schen Kir­che und ih­rer Dia­ko­nie setzt grundsätz­lich die Zu­gehörig­keit zu ei­ner Glied­kir­che der [EKD] oder ei­ner Kir­che vor­aus, mit der die [EKD] in Kir­chen­ge­mein­schaft ver­bun­den ist.

(2) Für Auf­ga­ben, die nicht der Verkündi­gung, Seel­sor­ge, Un­ter­wei­sung oder Lei­tung zu­zu­ord­nen sind, kann von Ab­satz 1 ab­ge­wi­chen wer­den, wenn an­de­re ge­eig­ne­te Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter nicht zu ge­win­nen sind. In die­sem Fall können auch Per­so­nen ein­ge­stellt wer­den, die ei­ner an­de­ren Mit­glieds­kir­che der Ar­beits­ge­mein­schaft Christ­li­cher Kir­chen in Deutsch­land oder der Ver­ei­ni­gung Evan­ge­li­scher Frei­kir­chen an­gehören sol­len. Die Ein­stel­lung von Per­so­nen, die die Vor­aus­set­zun­gen des Ab­sat­zes 1 nicht erfüllen, muss im Ein­zel­fall un­ter Be­ach­tung der Größe der Dienst­stel­le oder Ein­rich­tung und ih­rer sons­ti­gen Mit­ar­bei­ter­schaft so­wie der wahr­zu­neh­men­den Auf­ga­ben und des je­wei­li­gen Um­fel­des ge­prüft wer­den. § 2 Ab­satz 1 Satz 2 bleibt un­berührt.“

21 § 2 („Kirch­lich-dia­ko­ni­scher Auf­trag“) der Dienst­ver­trags­ord­nung der EKD vom 25. Au­gust 2008, die die all­ge­mei­nen Ar­beits­be­din­gun­gen der pri­vat­recht­lich beschäftig­ten Mit­ar­bei­ter der EKD, der Haupt­geschäfts­stel­le des Dia­ko­ni­schen Wer­kes so­wie wei­te­rer Wer­ke und Ein­rich­tun­gen re­gelt, lau­tet:

„Kirch­li­cher Dienst ist durch den Auf­trag be­stimmt, das Evan­ge­li­um Je­su Chris­ti in Wort und Tat zu verkündi­gen. Der dia­ko­ni­sche Dienst ist Le­bens- und We­sensäußerung der evan­ge­li­schen Kir­che.“

22

Nach § 4 („All­ge­mei­ne Pflich­ten“) der Dienst­ver­trags­ord­nung der EKD gilt:

„Die Mit­ar­bei­te­rin­nen und Mit­ar­bei­ter tra­gen nach ih­ren Ga­ben, Auf­ga­ben und Ver­ant­wor­tungs­be­rei­chen zur Erfüllung ih­res kirch­li­chen und dia­ko­ni­schen Auf­tra­ges bei. Ihr ge­sam­tes Ver­hal­ten im Dienst und außer­halb des Diens­tes muss der Ver­ant­wor­tung ent­spre­chen, die sie als Mit­ar­bei­te­rin oder Mit­ar­bei­ter im Dienst der Kir­che über­nom­men ha­ben.“

23 Für das Evan­ge­li­sche Werk gilt so­wohl die Richt­li­nie über die be­ruf­li­che Mit­ar­beit in der EKD als auch die Dienst­ver­trags­ord­nung der EKD.

Aus­gangs­rechts­streit und Vor­la­ge­fra­gen

24 Im No­vem­ber 2012 schrieb das Evan­ge­li­sche Werk ei­ne be­fris­te­te Re­fe­ren­ten­stel­le für ein Pro­jekt aus, das die Er­stel­lung des Par­al­lel­be­richts zum In­ter­na­tio­na­len Übe­r­ein­kom­men der Ver­ein­ten Na­tio­nen zur Be­sei­ti­gung je­der Form von ras­sis­ti­scher Dis­kri­mi­nie­rung zum Ge­gen­stand hat­te. Nach der Stel­len­aus­schrei­bung um­fass­te das Auf­ga­ben­ge­biet die Be­glei­tung des Pro­zes­ses zur Staa­ten­be­richt­er­stat­tung zum ge­nann­ten Übe­r­ein­kom­men in Be­zug auf die Zeit von 2012 bis 2014, die Er­ar­bei­tung des Par­al­lel­be­richts zum deut­schen Staa­ten­be­richt so­wie von Stel­lung­nah­men und Fach­beiträgen, die pro­jekt­be­zo­ge­ne Ver­tre­tung der Dia­ko­nie Deutsch­land ge­genüber der Po­li­tik, der Öffent­lich­keit und Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen so­wie die Mit­ar­beit in Gre­mi­en, die In­for­ma­ti­on und Ko­or­di­na­ti­on des Mei­nungs­bil­dungs­pro­zes­ses im Ver­bands­be­reich so­wie die Or­ga­ni­sa­ti­on, Ver­wal­tung und Sach­be­richt­er­stat­tung zum Ar­beits­be­reich.
25 Außer­dem wur­den in der Stel­len­aus­schrei­bung die von den Be­wer­bern zu erfüllen­den Vor­aus­set­zun­gen ge­nannt. Ei­ne von ih­nen lau­te­te:

„Die Mit­glied­schaft in ei­ner evan­ge­li­schen oder der [Ar­beits­ge­mein­schaft Christ­li­cher Kir­chen in Deutsch­land] an­gehören­den Kir­che und die Iden­ti­fi­ka­ti­on mit dem dia­ko­ni­schen Auf­trag set­zen wir vor­aus. Bit­te ge­ben Sie Ih­re Kon­fes­si­on im Le­bens­lauf an.“

26 Frau Egen­ber­ger, die kei­ner Kon­fes­si­on an­gehört, be­warb sich auf die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le. Ob­wohl ih­re Be­wer­bung nach ei­ner ers­ten Be­wer­bungs­sich­tung des Evan­ge­li­schen Wer­kes noch im Aus­wahl­ver­fah­ren ver­blie­ben war, wur­de sie nicht zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ein­ge­la­den. Der letzt­lich ein­ge­stell­te Be­wer­ber hat­te zu sei­ner Kon­fes­si­ons­zu­gehörig­keit an­ge­ge­ben, er sei ein „in der Ber­li­ner Lan­des­kir­che so­zia­li­sier­ter evan­ge­li­scher Christ“.
27 In der An­nah­me, ih­re Be­wer­bung sei we­gen ih­rer Kon­fes­si­ons­lo­sig­keit ab­ge­lehnt wor­den, er­hob Frau Egen­ber­ger Kla­ge beim Ar­beits­ge­richt Ber­lin (Deutsch­land) und be­an­trag­te, das Evan­ge­li­sche Werk zu ver­ur­tei­len, ihr nach § 15 Abs. 2 AGG ei­nen Be­trag von 9 788,65 Eu­ro zu zah­len. Sie mach­te gel­tend, die aus der frag­li­chen Stel­len­aus­schrei­bung her­vor­ge­hen­de Berück­sich­ti­gung der Re­li­gi­on im Be­wer­bungs­ver­fah­ren sei nicht mit dem Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bot des AGG – in uni­ons­rechts­kon­for­mer Aus­le­gung – ver­ein­bar; § 9 Abs. 1 AGG könne die Be­nach­tei­li­gung, die sie er­lit­ten ha­be, nicht recht­fer­ti­gen.
28 Das Evan­ge­li­sche Werk trug vor, ei­ne un­ter­schied­li­che Be­hand­lung we­gen der Re­li­gi­on sei in die­sem Fall nach § 9 Abs. 1 AGG ge­recht­fer­tigt. Das Recht, die Zu­gehörig­keit zu ei­ner christ­li­chen Kir­che zu ver­lan­gen, sei Aus­fluss des durch Art. 140 GG in Ver­bin­dung mit Art. 137 Abs. 3 WRV geschütz­ten kirch­li­chen Selbst­be­stim­mungs­rechts. Die­ses Recht sei, ins­be­son­de­re im Hin­blick auf Art. 17 AEUV, mit dem Uni­ons­recht ver­ein­bar. Zu­dem stel­le die Re­li­gi­ons­zu­gehörig­keit un­ter Be­ach­tung des Selbst­verständ­nis­ses des Evan­ge­li­schen Wer­kes nach der Art der Tätig­keit, um die es in der frag­li­chen Stel­len­aus­schrei­bung ge­he, ei­ne ge­recht­fer­tig­te be­ruf­li­che An­for­de­rung dar.
29 Das Ar­beits­ge­richt Ber­lin gab der Kla­ge von Frau Egen­ber­ger teil­wei­se statt. Es stell­te fest, dass sie be­nach­tei­ligt wor­den sei, be­grenz­te aber die Höhe der Entschädi­gung auf 1 957,73 Eu­ro. Nach­dem ih­re Be­ru­fung ge­gen die­se Ent­schei­dung vom Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg (Deutsch­land) zurück­ge­wie­sen wor­den war, leg­te Frau Egen­ber­ger beim vor­le­gen­den Ge­richt Re­vi­si­on ein, um ihr Be­geh­ren nach Zah­lung ei­ner an­ge­mes­se­nen Entschädi­gung wei­ter­zu­ver­fol­gen.
30 Das Bun­des­ar­beits­ge­richt (Deutsch­land) ist der Auf­fas­sung, die Ent­schei­dung über den Aus­gangs­rechts­streit hänge da­von ab, ob die vom Evan­ge­li­schen Werk vor­ge­nom­me­ne Dif­fe­ren­zie­rung nach der Re­li­gi­ons­zu­gehörig­keit gemäß § 9 Abs.1 AGG zulässig sei. Die­se Vor­schrift sei uni­ons­rechts­kon­form aus­zu­le­gen. Da­her kom­me es für den Aus­gang des Rechts­streits auf die Aus­le­gung von Art.4 Abs.2 der Richt­li­nie 2000/78 an, der mit § 9 AGG in na­tio­na­les Recht ha­be um­ge­setzt wer­den sol­len. Zu­dem müsse ei­ne sol­che Un­gleich­be­hand­lung die ver­fas­sungs­recht­li­chen Be­stim­mun­gen und Grundsätze der Mit­glied­staa­ten so­wie die all­ge­mei­nen Grundsätze des Uni­ons­rechts und Art.17 AEUV be­ach­ten.
31 Das vor­le­gen­de Ge­richt weist ers­tens dar­auf hin, dass Art.4 Abs.2 der Richt­li­nie 2000/78 nach dem aus­drück­li­chen Wil­len des deut­schen Ge­setz­ge­bers mit § 9 AGG in der Wei­se in deut­sches Recht ha­be um­ge­setzt wer­den sol­len, dass die bei Er­lass die­ser Richt­li­nie gel­ten­den Rechts­vor­schrif­ten und Ge­pflo­gen­hei­ten bei­be­hal­ten würden. Die­se Ent­schei­dung ha­be der Ge­setz­ge­ber im Hin­blick auf die Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts zum kirch­li­chen Pri­vi­leg der Selbst­be­stim­mung ge­trof­fen. Nach die­ser Recht­spre­chung müsse sich die ge­richt­li­che Kon­trol­le auf ei­ne Plau­si­bi­litätskon­trol­le auf der Grund­la­ge des glau­bens­de­fi­nier­ten Selbst­verständ­nis­ses be­schränken. Dem­zu­fol­ge wäre in dem Fall, dass das kirch­li­che Selbst­verständ­nis selbst zwi­schen „verkündi­gungs­na­her“ und „verkündi­gungs­fer­ner“ Tätig­keit un­ter­schei­de, nicht zu über­prüfen, ob und in­wie­weit die­se Dif­fe­ren­zie­rung ge­recht­fer­tigt sei. Selbst wenn ein kirch­li­ches Selbst­verständ­nis be­inhal­ten würde, dass sämt­li­che Ar­beitsplätze un­abhängig von ih­rer Art nach der Re­li­gi­ons­zu­gehörig­keit zu be­set­zen wären, wäre dies oh­ne wei­ter ge­hen­de ge­richt­li­che Kon­trol­le hin­zu­neh­men. Frag­lich sei je­doch, ob die­se Aus­le­gung von § 9 Abs.1 AGG mit dem Uni­ons­recht ver­ein­bar sei.
32 We­der dem Wort­laut von Art.4 Abs.2 der Richt­li­nie 2000/78 noch de­ren Erwägungs­gründen las­se sich nämlich ent­neh­men, dass ein Ar­beit­ge­ber wie das Evan­ge­li­sche Werk ver­bind­lich selbst be­stim­men könne, dass die Re­li­gi­on un­ge­ach­tet der Art der frag­li­chen Tätig­keit ei­ne ge­recht­fer­tig­te be­ruf­li­che An­for­de­rung an­ge­sichts des Ethos die­ses Ar­beit­ge­bers dar­stel­le und dass die staat­li­chen Ge­rich­te in­so­weit le­dig­lich ei­ne Plau­si­bi­litätskon­trol­le vor­neh­men dürf­ten. Viel­mehr könn­te der in die­ser Vor­schrift ent­hal­te­ne Ver­weis dar­auf, dass die Re­li­gi­on ei­ne „we­sent­li­che, rechtmäßige und ge­recht­fer­tig­te be­ruf­li­che An­for­de­rung an­ge­sichts des Ethos der Or­ga­ni­sa­ti­on“ dar­stel­len müsse, für ei­ne über ei­ne rei­ne Plau­si­bi­litätskon­trol­le hin­aus­ge­hen­de Prüfungs­kom­pe­tenz und -ver­pflich­tung der staat­li­chen Ge­rich­te spre­chen.
33 Al­ler­dings wer­de in der deut­schen Rechts­dis­kus­si­on teil­wei­se ver­tre­ten, dass Art.4 Abs.2 der Richt­li­nie 2000/78 im Ein­klang mit dem Primärrecht aus­zu­le­gen sei, ins­be­son­de­re mit der der Schluss­ak­te des Ver­trags von Ams­ter­dam bei­gefügten Erklärung Nr.11 zum Sta­tus der Kir­chen und welt­an­schau­li­chen Ge­mein­schaf­ten (im Fol­gen­den: Erklärung Nr.11) oder mit Art.17 AEUV.
34 Zwei­tens weist das vor­le­gen­de Ge­richt dar­auf hin, dass es ihm ge­ge­be­nen­falls ob­lie­gen wer­de, un­ter Berück­sich­ti­gung des ge­sam­ten in­ner­staat­li­chen Rechts und in An­wen­dung der da­nach an­er­kann­ten Aus­le­gungs­me­tho­den zu ent­schei­den, ob und in­wie­weit § 9 Abs.1 AGG im Ein­klang mit Art. 4 Abs. 2 der Richt­li­nie 2000/78 - in sei­ner Aus­le­gung durch den Ge­richts­hof - aus­ge­legt wer­den könne, oh­ne ei­ne Aus­le­gung con­tra le­gem zu er­for­dern, oder ob die­se Be­stim­mung des AGG un­an­ge­wen­det zu las­sen sei.
35 In­so­weit sei zum ei­nen frag­lich, ob das in Art.21 Abs.1 der Char­ta der Grund­rech­te der Eu­ropäischen Uni­on (im Fol­gen­den: Char­ta) nie­der­ge­leg­te Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen der Re­li­gi­on oder der Welt­an­schau­ung dem Ein­zel­nen ein sub­jek­ti­ves Recht ver­lei­he, das er vor den na­tio­na­len Ge­rich­ten gel­tend ma­chen könne und das die­se Ge­rich­te in Rechts­strei­tig­kei­ten zwi­schen Pri­vat­per­so­nen ver­pflich­te, von der An­wen­dung nicht mit die­sem Ver­bot im Ein­klang ste­hen­der na­tio­na­ler Vor­schrif­ten ab­zu­se­hen.
36 Zum an­de­ren sei dar­auf hin­zu­wei­sen, dass der Ge­richts­hof noch nicht geklärt ha­be, ob die Ver­pflich­tung, von der An­wen­dung nicht mit dem in Art.21 Abs.1 der Char­ta nie­der­ge­leg­ten Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen der Re­li­gi­on oder der Welt­an­schau­ung im Ein­klang ste­hen­der na­tio­na­ler Vor­schrif­ten ab­zu­se­hen, auch dann gel­te, wenn sich ein Ar­beit­ge­ber wie das Evan­ge­li­sche Werk zur Recht­fer­ti­gung ei­ner Be­nach­tei­li­gung we­gen der Re­li­gi­on nicht nur auf Be­stim­mun­gen des na­tio­na­len Ver­fas­sungs­rechts be­ru­fe, son­dern auch auf Primärrecht der Uni­on, wie hier auf Art.17 AEUV.
37 Drit­tens führt das vor­le­gen­de Ge­richt aus, es wer­de ge­ge­be­nen­falls auch klären müssen, wel­che mit der Re­li­gi­on zu­sam­menhängen­den An­for­de­run­gen in ei­nem Fall wie dem im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­den nach der Art der frag­li­chen Tätig­keit oder den Umständen ih­rer Ausübung als ei­ne we­sent­li­che, rechtmäßige und ge­recht­fer­tig­te be­ruf­li­che An­for­de­rung an­ge­sichts des Ethos der Or­ga­ni­sa­ti­on im Sin­ne von Art.4 Abs.2 der Richt­li­nie 2000/78 an­ge­se­hen wer­den könn­ten.
38 Der Eu­ropäische Ge­richts­hof für Men­schen­rech­te ha­be zwar in Rechts­sa­chen, in de­nen es um Loya­litätskon­flik­te ge­gan­gen sei, ein­zel­ne Kri­te­ri­en her­aus­ge­ar­bei­tet - auch un­ter Be­zug­nah­me auf die Richt­li­nie 2000/78 -, doch hätten die­se Kri­te­ri­en be­ste­hen­de Ar­beits­verhält­nis­se be­trof­fen und hätten sich im We­sent­li­chen auf den Ein­zel­fall be­zo­gen.
39 Un­ter die­sen Umständen sei ins­be­son­de­re frag­lich, ob der­ar­ti­ge Kri­te­ri­en für die Aus­le­gung von Art.4 Abs.2 der Richt­li­nie 2000/78 von Be­deu­tung sei­en, wenn die Un­gleich­be­hand­lung we­gen der Re­li­gi­on im Be­wer­bungs­ver­fah­ren er­fol­ge, und ob sich Art.17 AEUV auf die Aus­le­gung die­ser Be­stim­mung aus­wir­ke.
40 Fer­ner stel­le sich die Fra­ge, ob die staat­li­chen Ge­rich­te ei­ne um­fas­sen­de Kon­trol­le, ei­ne bloße Plau­si­bi­litätskon­trol­le oder ei­ne rei­ne Miss­brauchs­kon­trol­le vor­zu­neh­men hätten, wenn sie zu prüfen hätten, ob die Re­li­gi­on nach der Art der frag­li­chen Tätig­keit oder den Umständen ih­rer Ausübung ei­ne we­sent­li­che, rechtmäßige und ge­recht­fer­tig­te be­ruf­li­che An­for­de­rung an­ge­sichts des Ethos der Or­ga­ni­sa­ti­on im Sin­ne von Art. 4 Abs. 2 der Richt­li­nie 2000/78 dar­stel­le.
41 Un­ter die­sen Umständen hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt be­schlos­sen, das Ver­fah­ren aus­zu­set­zen und dem Ge­richts­hof fol­gen­de Fra­gen zur Vor­ab­ent­schei­dung vor­zu­le­gen:

1. Ist Art. 4 Abs. 2 der Richt­li­nie 2000/78 da­hin aus­zu­le­gen, dass ein Ar­beit­ge­ber wie der Be­klag­te des vor­lie­gen­den Fal­les – bzw. die Kir­che für ihn – ver­bind­lich selbst be­stim­men kann, ob ei­ne be­stimm­te Re­li­gi­on ei­nes Be­wer­bers nach der Art der Tätig­keit oder den Umständen ih­rer Ausübung ei­ne we­sent­li­che, rechtmäßige und ge­recht­fer­tig­te be­ruf­li­che An­for­de­rung an­ge­sichts sei­nes/ih­res Ethos dar­stellt?

2. So­fern die ers­te Fra­ge ver­neint wird:

Muss ei­ne Be­stim­mung des na­tio­na­len Rechts – wie hier § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG –, wo­nach ei­ne un­ter­schied­li­che Be­hand­lung we­gen der Re­li­gi­on bei der Beschäfti­gung durch Re­li­gi­ons­ge­mein­schaf­ten und die ih­nen zu­ge­ord­ne­ten Ein­rich­tun­gen auch zulässig ist, wenn ei­ne be­stimm­te Re­li­gi­on un­ter Be­ach­tung des Selbst­verständ­nis­ses die­ser Re­li­gi­ons­ge­mein­schaft im Hin­blick auf ihr Selbst­be­stim­mungs­recht ei­ne ge­recht­fer­tig­te be­ruf­li­che An­for­de­rung dar­stellt, in ei­nem Rechts­streit wie hier un­an­ge­wen­det blei­ben?

3. So­fern die ers­te Fra­ge ver­neint wird, zu­dem:

Wel­che An­for­de­run­gen sind an die Art der Tätig­keit oder die Umstände ih­rer Ausübung als we­sent­li­che, rechtmäßige und ge­recht­fer­tig­te be­ruf­li­che An­for­de­rung an­ge­sichts des Ethos der Or­ga­ni­sa­ti­on gemäß Art. 4 Abs. 2 der Richt­li­nie 2000/78 zu stel­len?

Zu den Vor­la­ge­fra­gen

Zur ers­ten Fra­ge

42 Mit sei­ner ers­ten Fra­ge möch­te das vor­le­gen­de Ge­richt wis­sen, ob Art. 4 Abs. 2 der Richt­li­nie 2000/78 da­hin aus­zu­le­gen ist, dass ei­ne Kir­che oder ei­ne an­de­re Or­ga­ni­sa­ti­on, de­ren Ethos auf re­li­giösen Grundsätzen oder Welt­an­schau­un­gen be­ruht, im Rah­men ei­nes Be­wer­bungs­ver­fah­rens ver­bind­lich selbst be­stim­men kann, bei wel­chen be­ruf­li­chen Tätig­kei­ten die Re­li­gi­on nach der Art der frag­li­chen Tätig­keit oder den Umständen ih­rer Ausübung ei­ne we­sent­li­che, rechtmäßige und ge­recht­fer­tig­te be­ruf­li­che An­for­de­rung an­ge­sichts des Ethos die­ser Kir­che oder Or­ga­ni­sa­ti­on dar­stellt.
43 Ein­gangs ist fest­zu­stel­len, dass zwi­schen den Par­tei­en des Aus­gangs­ver­fah­rens un­strei­tig ist, dass die auf die Kon­fes­si­ons­lo­sig­keit von Frau Egen­ber­ger gestütz­te Ab­leh­nung ih­rer Be­wer­bung ei­ne Un­gleich­be­hand­lung we­gen der Re­li­gi­on im Sin­ne von Art. 4 Abs. 2 der Richt­li­nie 2000/78 dar­stellt.
44 So­dann ist auf die ständi­ge Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs hin­zu­wei­sen, wo­nach bei der Aus­le­gung ei­ner uni­ons­recht­li­chen Vor­schrift nicht nur ihr Wort­laut, son­dern auch ihr Kon­text und die Zie­le zu berück­sich­ti­gen sind, die mit der Re­ge­lung, zu der sie gehört, ver­folgt wer­den, und ins­be­son­de­re de­ren Ent­ste­hungs­ge­schich­te (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­teil vom 1. Ju­li 2015, Bund für Um­welt und Na­tur­schutz Deutsch­land, C-461/13, EU:C:2015:433, Rn. 30).
45 Ers­tens geht aus dem Wort­laut von Art.4 Abs.2 Un­terabs.1 der Richt­li­nie 2000/78 her­vor, dass ei­ne Kir­che oder ei­ne an­de­re Or­ga­ni­sa­ti­on, de­ren Ethos auf re­li­giösen Grundsätzen oder Welt­an­schau­un­gen be­ruht, ei­ne mit der Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung zu­sam­menhängen­de An­for­de­rung auf­stel­len kann, wenn die Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung nach der Art der frag­li­chen Tätig­keit oder den Umständen ih­rer Ausübung ei­ne we­sent­li­che, rechtmäßige und ge­recht­fer­tig­te be­ruf­li­che An­for­de­rung an­ge­sichts des Ethos der Or­ga­ni­sa­ti­on dar­stellt.
46 In­so­weit ist fest­zu­stel­len, dass die Kon­trol­le der Ein­hal­tung die­ser Kri­te­ri­en völlig ins Lee­re gin­ge, wenn sie in Zwei­felsfällen kei­ner un­abhängi­gen Stel­le wie ei­nem staat­li­chen Ge­richt obläge, son­dern der Kir­che oder der Or­ga­ni­sa­ti­on, die ei­ne Un­gleich­be­hand­lung we­gen der Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung vor­zu­neh­men be­ab­sich­tigt.
47 Zwei­tens ist zum Ziel der Richt­li­nie 2000/78 und zum Kon­text ih­res Art. 4 Abs. 2 dar­auf hin­zu­wei­sen, dass die Richt­li­nie nach ih­rem Art. 1 be­zweckt, im Hin­blick auf die Ver­wirk­li­chung des Grund­sat­zes der Gleich­be­hand­lung in den Mit­glied­staa­ten ei­nen all­ge­mei­nen Rah­men zur Bekämp­fung der Dis­kri­mi­nie­rung u. a. we­gen der Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung in Beschäfti­gung und Be­ruf zu schaf­fen. Da­mit kon­kre­ti­siert die Richt­li­nie in dem von ihr er­fass­ten Be­reich das nun­mehr in Art. 21 der Char­ta nie­der­ge­leg­te all­ge­mei­ne Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bot.
48 Um die Be­ach­tung die­ses all­ge­mei­nen Ver­bots zu gewähr­leis­ten, ver­pflich­tet Art.9 der Richt­li­nie 2000/78 im Licht ih­res 29. Erwägungs­grun­des die Mit­glied­staa­ten, Ver­fah­ren vor­zu­se­hen, mit de­nen Ansprüche aus die­ser Richt­li­nie ins­be­son­de­re ge­richt­lich gel­tend ge­macht wer­den können. Fer­ner müssen die Mit­glied­staa­ten nach Art. 10 der Richt­li­nie im Ein­klang mit ih­rem na­tio­na­len Ge­richts­we­sen die er­for­der­li­chen Maßnah­men er­grei­fen, um zu gewähr­leis­ten, dass im­mer dann, wenn Per­so­nen, die sich durch die Nicht­an­wen­dung des Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes für ver­letzt hal­ten und bei ei­nem Ge­richt oder ei­ner an­de­ren zuständi­gen Stel­le Tat­sa­chen glaub­haft ma­chen, die das Vor­lie­gen ei­ner un­mit­tel­ba­ren oder mit­tel­ba­ren Dis­kri­mi­nie­rung ver­mu­ten las­sen, es dem Be­klag­ten ob­liegt, zu be­wei­sen, dass kei­ne Ver­let­zung die­ses Grund­sat­zes vor­ge­le­gen hat.
49 Zu­dem hat nach Art.47 der Char­ta je­de Per­son das Recht auf wirk­sa­men ge­richt­li­chen Schutz der ihr aus dem Uni­ons­recht er­wach­sen­den Rech­te. Die Char­ta fin­det auf ei­nen Rechts­streit wie den des Aus­gangs­ver­fah­rens An­wen­dung, da mit dem AGG die Richt­li­nie 2000/78 im Sin­ne von Art. 51 Abs. 1 der Char­ta im deut­schen Recht durch­geführt wird und da der Rechts­streit ei­ne Per­son be­trifft, die im Rah­men des Zu­gangs zu ei­ner Beschäfti­gung ei­ne Un­gleich­be­hand­lung we­gen ih­rer Re­li­gi­on er­fah­ren hat (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­teil vom 16. Mai 2017, Ber­li­oz In­vest­ment Fund, C-682/15, EU:C:2017:373, Rn. 50).
50 Auch wenn die Richt­li­nie 2000/78 so­mit auf den Schutz des Grund­rechts der Ar­beit­neh­mer ab­zielt, nicht we­gen ih­rer Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung dis­kri­mi­niert zu wer­den, soll sie mit­tels ih­res Art.4 Abs.2 auch dem in Art.17 AEUV und in Art. 10 der Char­ta - der Art.9 der am 4. No­vem­ber 1950 in Rom un­ter­zeich­ne­ten Eu­ropäischen Kon­ven­ti­on zum Schutz der Men­schen­rech­te und Grund­frei­hei­ten ent­spricht - an­er­kann­ten Recht auf Au­to­no­mie der Kir­chen und der an­de­ren öffent­li­chen oder pri­va­ten Or­ga­ni­sa­tio­nen, de­ren Ethos auf re­li­giösen Grundsätzen oder Welt­an­schau­un­gen be­ruht, Rech­nung tra­gen.
51 Art.4 Abs.2 der Richt­li­nie 2000/78 be­zweckt al­so die Her­stel­lung ei­nes an­ge­mes­se­nen Aus­gleichs zwi­schen ei­ner­seits dem Recht auf Au­to­no­mie der Kir­chen und der an­de­ren Or­ga­ni­sa­tio­nen, de­ren Ethos auf re­li­giösen Grundsätzen oder Welt­an­schau­un­gen be­ruht, und an­de­rer­seits dem Recht der Ar­beit­neh­mer, ins­be­son­de­re bei der Ein­stel­lung nicht we­gen ih­rer Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung dis­kri­mi­niert zu wer­den, falls die­se Rech­te im Wi­der­streit ste­hen soll­ten.
52 Im Hin­blick dar­auf nennt die­se Be­stim­mung die Kri­te­ri­en, die im Rah­men der zur Her­stel­lung ei­nes an­ge­mes­se­nen Aus­gleichs zwi­schen den mögli­cher­wei­se wi­der­strei­ten­den Rech­ten vor­zu­neh­men­den Abwägung zu berück­sich­ti­gen sind.
53 Wenn es zu ei­nem Rechts­streit kommt, muss ei­ne sol­che Abwägung aber ge­ge­be­nen­falls von ei­ner un­abhängi­gen Stel­le und letzt­lich von ei­nem in­ner­staat­li­chen Ge­richt über­prüft wer­den können.
54 In die­sem Zu­sam­men­hang darf der Um­stand, dass Art.4 Abs.2 der Richt­li­nie 2000/78 auf die zum Zeit­punkt ih­rer An­nah­me gel­ten­den na­tio­na­len Rechts­vor­schrif­ten so­wie auf die zu die­sem Zeit­punkt be­ste­hen­den ein­zel­staat­li­chen Ge­pflo­gen­hei­ten Be­zug nimmt, nicht da­hin ge­hend ver­stan­den wer­den, dass er den Mit­glied­staa­ten ge­stat­tet, die Ein­hal­tung der in die­ser Be­stim­mung ge­nann­ten Kri­te­ri­en ei­ner wirk­sa­men ge­richt­li­chen Kon­trol­le zu ent­zie­hen.
55 Dar­aus ist für den Fall, dass ei­ne Kir­che oder ei­ne an­de­re Or­ga­ni­sa­ti­on, de­ren Ethos auf re­li­giösen Grundsätzen oder Welt­an­schau­un­gen be­ruht, zur Be­gründung ei­ner Hand­lung oder Ent­schei­dung wie der Ab­leh­nung ei­ner Be­wer­bung auf ei­ne bei ihr zu be­set­zen­de Stel­le gel­tend macht, die Re­li­gi­on sei nach der Art der be­tref­fen­den Tätig­kei­ten oder den vor­ge­se­he­nen Umständen ih­rer Ausübung ei­ne we­sent­li­che, rechtmäßige und ge­recht­fer­tig­te be­ruf­li­che An­for­de­rung an­ge­sichts des Ethos die­ser Kir­che oder Or­ga­ni­sa­ti­on, zu fol­gern, dass ein sol­ches Vor­brin­gen ge­ge­be­nen­falls Ge­gen­stand ei­ner wirk­sa­men ge­richt­li­chen Kon­trol­le sein können muss, da­mit si­cher­ge­stellt wird, dass die in Art.4 Abs.2 der Richt­li­nie 2000/78 ge­nann­ten Kri­te­ri­en im kon­kre­ten Fall erfüllt sind.
56 Art.17 AEUV ver­mag die­se Schluss­fol­ge­rung nicht in Fra­ge zu stel­len.
57 Zum ei­nen ent­spricht der Wort­laut die­ser Be­stim­mung nämlich im Kern dem der Erklärung Nr.11. Die aus­drück­li­che Be­zug­nah­me auf die­se Erklärung im 24. Erwägungs­grund der Richt­li­nie 2000/78 macht deut­lich, dass der Uni­ons­ge­setz­ge­ber sie beim Er­lass die­ser Richt­li­nie und ins­be­son­de­re ih­res Art.4 Abs.2 berück­sich­tigt ha­ben muss, da die­se Vor­schrift ge­ra­de auf die zum Zeit­punkt der An­nah­me der Richt­li­nie gel­ten­den Rechts­vor­schrif­ten und ein­zel­staat­li­chen Ge­pflo­gen­hei­ten ver­weist.
58

Zum an­de­ren ist fest­zu­stel­len, dass Art.17 AEUV die Neu­tra­lität der Uni­on dem­ge­genüber, wie die Mit­glied­staa­ten ih­re Be­zie­hun­gen zu den Kir­chen und re­li­giösen Ver­ei­ni­gun­gen oder Ge­mein­schaf­ten ge­stal­ten, zum Aus­druck bringt. Hin­ge­gen kann die­ser Ar­ti­kel nicht be­wir­ken, dass die Ein­hal­tung der in Art.4 Abs.2 der Richt­li­nie 2000/78 ge­nann­ten Kri­te­ri­en ei­ner wirk­sa­men ge­richt­li­chen Kon­trol­le ent­zo­gen wird.

59 Nach al­le­dem ist auf die ers­te Fra­ge zu ant­wor­ten, dass Art.4 Abs.2 der Richt­li­nie 2000/78 in Ver­bin­dung mit de­ren Art.9 und 10 so­wie mit Art.47 der Char­ta da­hin aus­zu­le­gen ist, dass für den Fall, dass ei­ne Kir­che oder ei­ne an­de­re Or­ga­ni­sa­ti­on, de­ren Ethos auf re­li­giösen Grundsätzen oder Welt­an­schau­un­gen be­ruht, zur Be­gründung ei­ner Hand­lung oder Ent­schei­dung wie der Ab­leh­nung ei­ner Be­wer­bung auf ei­ne bei ihr zu be­set­zen­de Stel­le gel­tend macht, die Re­li­gi­on sei nach der Art der be­tref­fen­den Tätig­kei­ten oder den vor­ge­se­he­nen Umständen ih­rer Ausübung ei­ne we­sent­li­che, rechtmäßige und ge­recht­fer­tig­te be­ruf­li­che An­for­de­rung an­ge­sichts des Ethos die­ser Kir­che oder Or­ga­ni­sa­ti­on, ein sol­ches Vor­brin­gen ge­ge­be­nen­falls Ge­gen­stand ei­ner wirk­sa­men ge­richt­li­chen Kon­trol­le sein können muss, da­mit si­cher­ge­stellt wird, dass die in Art.4 Abs.2 die­ser Richt­li­nie ge­nann­ten Kri­te­ri­en im kon­kre­ten Fall erfüllt sind.

Zur drit­ten Fra­ge

60 Mit sei­ner drit­ten Fra­ge, die vor der zwei­ten zu un­ter­su­chen ist, möch­te das vor­le­gen­de Ge­richt wis­sen, an­hand wel­cher Kri­te­ri­en im Ein­zel­fall zu prüfen ist, ob die Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung an­ge­sichts des Ethos der be­tref­fen­den Kir­che oder Or­ga­ni­sa­ti­on nach der Art der frag­li­chen Tätig­keit oder den Umständen ih­rer Ausübung ei­ne we­sent­li­che, rechtmäßige und ge­recht­fer­tig­te be­ruf­li­che An­for­de­rung im Sin­ne von Art.4 Abs.2 der Richt­li­nie 2000/78 dar­stellt.
61 Zwar müssen die Mit­glied­staa­ten und ih­re Behörden, ins­be­son­de­re ih­re Ge­rich­te, im Rah­men der nach Art.4 Abs.2 der Richt­li­nie 2000/78 er­for­der­li­chen Abwägung, auf die oben in den Rn.51 und 52 hin­ge­wie­sen wor­den ist, ab­ge­se­hen von ganz außer­gewöhn­li­chen Fällen, da­von Ab­stand neh­men, die Le­gi­ti­mität des Ethos der be­tref­fen­den Kir­che oder Or­ga­ni­sa­ti­on als sol­chen zu be­ur­tei­len (vgl. in die­sem Sin­ne EGMR, 12. Ju­ni 2014, Fernández Martínez/Spa­ni­en, CE:ECHR:2014:0612JUD005603007, Rn.129); gleich­wohl ha­ben sie darüber zu wa­chen, dass das Recht der Ar­beit­neh­mer, u.a. we­gen der Re­li­gi­on oder der Welt­an­schau­ung kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung zu er­fah­ren, nicht ver­letzt wird. So­mit ist nach Art.4 Abs.2 zu prüfen, ob die von der be­tref­fen­den Kir­che oder Or­ga­ni­sa­ti­on auf­ge­stell­te be­ruf­li­che An­for­de­rung im Hin­blick auf die­ses Ethos auf­grund der Art der frag­li­chen Tätig­kei­ten oder der Umstände ih­rer Ausübung we­sent­lich, rechtmäßig und ge­recht­fer­tigt ist.
62 Zur Aus­le­gung des Be­griffs „we­sent­li­che, rechtmäßige und ge­recht­fer­tig­te be­ruf­li­che An­for­de­rung“ in Art.4 Abs.2 der Richt­li­nie 2000/78 geht aus die­ser Vor­schrift aus­drück­lich her­vor, dass es von der „Art“ der frag­li­chen Tätig­kei­ten oder den „Umständen“ ih­rer Ausübung abhängt, ob die Re­li­gi­on oder Welt­an­schau­ung ei­ne sol­che be­ruf­li­che An­for­de­rung dar­stel­len kann.
63 Die Rechtmäßig­keit ei­ner Un­gleich­be­hand­lung we­gen der Re­li­gi­on oder der Welt­an­schau­ung nach Maßga­be die­ser Vor­schrift hängt al­so vom ob­jek­tiv über­prüfba­ren Vor­lie­gen ei­nes di­rek­ten Zu­sam­men­hangs zwi­schen der vom Ar­beit­ge­ber auf­ge­stell­ten be­ruf­li­chen An­for­de­rung und der frag­li­chen Tätig­keit ab. Ein sol­cher Zu­sam­men­hang kann sich ent­we­der aus der Art die­ser Tätig­keit er­ge­ben - z. B., wenn sie mit der Mit­wir­kung an der Be­stim­mung des Ethos der be­tref­fen­den Kir­che oder Or­ga­ni­sa­ti­on oder ei­nem Bei­trag zu de­ren Verkündi­gungs­auf­trag ver­bun­den ist - oder aus den Umständen ih­rer Ausübung, z. B. der Not­wen­dig­keit, für ei­ne glaubwürdi­ge Ver­tre­tung der Kir­che oder Or­ga­ni­sa­ti­on nach außen zu sor­gen.
64 Darüber hin­aus muss die­se be­ruf­li­che An­for­de­rung gemäß Art.4 Abs.2 der Richt­li­nie 2000/78 an­ge­sichts des Ethos der Kir­che oder Or­ga­ni­sa­ti­on „we­sent­lich, rechtmäßig und ge­recht­fer­tigt“ sein. Auch wenn es den staat­li­chen Ge­rich­ten, wie oben in Rn.61 her­vor­ge­ho­ben wor­den ist, im Re­gel­fall nicht zu­steht, über das der an­geführ­ten be­ruf­li­chen An­for­de­rung zu­grun­de lie­gen­de Ethos als sol­ches zu be­fin­den, ob­liegt es ih­nen je­doch, fest­zu­stel­len, ob die­se drei Kri­te­ri­en in An­be­tracht des be­tref­fen­den Ethos im Ein­zel­fall erfüllt sind.
65 Hin­sicht­lich die­ser Kri­te­ri­en ist ers­tens fest­zu­stel­len, dass die Ver­wen­dung des Ad­jek­tivs „we­sent­lich“ be­deu­tet, dass nach dem Wil­len des Uni­ons­ge­setz­ge­bers die Zu­gehörig­keit zu der Re­li­gi­on bzw. das Be­kennt­nis zu der Welt­an­schau­ung, auf der das Ethos der be­tref­fen­den Kir­che oder Or­ga­ni­sa­ti­on be­ruht, auf­grund der Be­deu­tung der be­tref­fen­den be­ruf­li­chen Tätig­keit für die Be­kun­dung die­ses Ethos oder die Ausübung des Rechts die­ser Kir­che oder Or­ga­ni­sa­ti­on auf Au­to­no­mie not­wen­dig er­schei­nen muss.
66 Zwei­tens zeigt die Ver­wen­dung des Aus­drucks „rechtmäßig“, dass der Uni­ons­ge­setz­ge­ber si­cher­stel­len woll­te, dass die die Zu­gehörig­keit zu der Re­li­gi­on bzw. das Be­kennt­nis zu der Welt­an­schau­ung, auf der das Ethos der in Re­de ste­hen­den Kir­che oder Or­ga­ni­sa­ti­on be­ruht, be­tref­fen­de An­for­de­rung nicht zur Ver­fol­gung ei­nes sach­frem­den Ziels oh­ne Be­zug zu die­sem Ethos oder zur Ausübung des Rechts die­ser Kir­che oder Or­ga­ni­sa­ti­on auf Au­to­no­mie dient.
67 Drit­tens im­pli­ziert der Aus­druck „ge­recht­fer­tigt“ nicht nur, dass die Ein­hal­tung der in Art.4 Abs.2 der Richt­li­nie 2000/78 ge­nann­ten Kri­te­ri­en durch ein in­ner­staat­li­ches Ge­richt über­prüfbar sein muss, son­dern auch, dass es der Kir­che oder Or­ga­ni­sa­ti­on, die die­se An­for­de­rung auf­ge­stellt hat, ob­liegt, im Licht der tatsächli­chen Umstände des Ein­zel­falls dar­zu­tun, dass die gel­tend ge­mach­te Ge­fahr ei­ner Be­ein­träch­ti­gung ih­res Ethos oder ih­res Rechts auf Au­to­no­mie wahr­schein­lich und er­heb­lich ist, so dass sich ei­ne sol­che An­for­de­rung tatsächlich als not­wen­dig er­weist.
68

Da­bei muss die An­for­de­rung, um die es in Art.4 Abs.2 der Richt­li­nie 2000/78 geht, mit dem Grund­satz der Verhält­nismäßig­keit im Ein­klang ste­hen. Denn auch wenn die­se Vor­schrift im Ge­gen­satz zu Art.4 Abs.1 der Richt­li­nie nicht aus­drück­lich vor­sieht, dass die An­for­de­rung „an­ge­mes­sen“ sein muss, be­stimmt sie je­doch, dass je­de Un­gleich­be­hand­lung u. a. die „all­ge­mei­nen Grundsätze des Ge­mein­schafts­rechts“ be­ach­ten muss. Da der Grund­satz der Verhält­nismäßig­keit zu den all­ge­mei­nen Grundsätzen des Uni­ons­rechts gehört (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­tei­le vom 6. März 2014, Si­ra­gu­sa, C-206/13, EU:C:2014:126, Rn.34 und die dort an­geführ­te Recht­spre­chung, so­wie vom 9. Ju­li 2015, K und A, C-153/14, EU:C:2015:453, Rn. 51), müssen die na­tio­na­len Ge­rich­te prüfen, ob die frag­li­che An­for­de­rung an­ge­mes­sen ist und nicht über das zur Er­rei­chung des an­ge­streb­ten Ziels Er­for­der­li­che hin­aus­geht.

69 Dem­nach ist auf die drit­te Fra­ge zu ant­wor­ten, dass Art.4 Abs.2 der Richt­li­nie 2000/78 da­hin aus­zu­le­gen ist, dass es sich bei der dort ge­nann­ten we­sent­li­chen, rechtmäßigen und ge­recht­fer­tig­ten be­ruf­li­chen An­for­de­rung um ei­ne An­for­de­rung han­delt, die not­wen­dig und an­ge­sichts des Ethos der be­tref­fen­den Kir­che oder Or­ga­ni­sa­ti­on auf­grund der Art der in Re­de ste­hen­den be­ruf­li­chen Tätig­keit oder der Umstände ih­rer Ausübung ob­jek­tiv ge­bo­ten ist und kei­ne sach­frem­den Erwägun­gen oh­ne Be­zug zu die­sem Ethos oder dem Recht die­ser Kir­che oder Or­ga­ni­sa­ti­on auf Au­to­no­mie um­fas­sen darf. Die An­for­de­rung muss mit dem Grund­satz der Verhält­nismäßig­keit im Ein­klang ste­hen.

Zur zwei­ten Fra­ge

70 Mit sei­ner zwei­ten Fra­ge möch­te das vor­le­gen­de Ge­richt wis­sen, ob ein na­tio­na­les Ge­richt im Rah­men ei­nes Rechts­streits zwi­schen Pri­vat­per­so­nen ver­pflich­tet ist, ei­ne na­tio­na­le Rechts­vor­schrift, die nicht im Ein­klang mit Art.4 Abs.2 der Richt­li­nie 2000/78 aus­ge­legt wer­den kann, un­an­ge­wen­det zu las­sen.
71 In­so­weit ist dar­auf hin­zu­wei­sen, dass es den na­tio­na­len Ge­rich­ten ob­liegt, un­ter Berück­sich­ti­gung sämt­li­cher na­tio­na­ler Rechts­nor­men und der im na­tio­na­len Recht an­er­kann­ten Aus­le­gungs­me­tho­den zu ent­schei­den, ob und in­wie­weit ei­ne na­tio­na­le Rechts­vor­schrift wie § 9 Abs.1 AGG im Ein­klang mit Art.4 Abs.2 der Richt­li­nie 2000/78 aus­ge­legt wer­den kann, oh­ne dass sie con­tra le­gem aus­ge­legt wird (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­teil vom 19. April 2016, DI, C-441/14, EU:C:2016:278, Rn. 31 und 32 so­wie die dort an­geführ­te Recht­spre­chung).
72 Außer­dem hat der Ge­richts­hof ent­schie­den, dass das Er­for­der­nis ei­ner uni­ons­rechts­kon­for­men Aus­le­gung die Ver­pflich­tung der na­tio­na­len Ge­rich­te um­fasst, ei­ne ge­fes­tig­te Recht­spre­chung ge­ge­be­nen­falls ab­zuändern, wenn sie auf ei­ner Aus­le­gung des na­tio­na­len Rechts be­ruht, die mit den Zie­len ei­ner Richt­li­nie un­ver­ein­bar ist (Ur­teil vom 19. April 2016, DI, C-441/14, EU:C:2016:278, Rn. 33 und die dort an­geführ­te Recht­spre­chung).
73 Folg­lich darf ein na­tio­na­les Ge­richt nicht da­von aus­ge­hen, dass es ei­ne na­tio­na­le Vor­schrift nicht im Ein­klang mit dem Uni­ons­recht aus­le­gen könne, nur weil sie in ständi­ger Recht­spre­chung in ei­nem nicht mit dem Uni­ons­recht ver­ein­ba­ren Sin­ne aus­ge­legt wor­den ist (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­teil vom 19. April 2016, DI, C-441/14, EU:C:2016:278, Rn.34).
74 Dem­nach ob­liegt es im vor­lie­gen­den Fall dem vor­le­gen­den Ge­richt, zu prüfen, ob die im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­de na­tio­na­le Vor­schrift ei­ner mit der Richt­li­nie 2000/78 im Ein­klang ste­hen­den Aus­le­gung zugäng­lich ist.
75 Für den Fall, dass ihm ei­ne sol­che richt­li­ni­en­kon­for­me Aus­le­gung der im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­den na­tio­na­len Vor­schrift nicht möglich sein soll­te, ist zum ei­nen klar­zu­stel­len, dass die Richt­li­nie 2000/78 den Grund­satz der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf, der sei­nen Ur­sprung in ver­schie­de­nen völker­recht­li­chen Verträgen und den ge­mein­sa­men Ver­fas­sungs­tra­di­tio­nen der Mit­glied­staa­ten hat, nicht selbst auf­stellt, son­dern in die­sem Be­reich le­dig­lich ei­nen all­ge­mei­nen Rah­men zur Bekämp­fung ver­schie­de­ner For­men der Dis­kri­mi­nie­rung - dar­un­ter die Dis­kri­mi­nie­rung we­gen der Re­li­gi­on oder der Welt­an­schau­ung - schaf­fen soll, wie aus ih­rem Ti­tel und ih­rem Art. 1 her­vor­geht (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­teil vom 10. Mai 2011, Römer, C-147/08, EU:C:2011:286, Rn.59 und die dort an­geführ­te Recht­spre­chung).
76 Das Ver­bot je­der Art von Dis­kri­mi­nie­rung we­gen der Re­li­gi­on oder der Welt­an­schau­ung hat als all­ge­mei­ner Grund­satz des Uni­ons­rechts zwin­gen­den Cha­rak­ter. Die­ses in Art.21 Abs.1 der Char­ta nie­der­ge­leg­te Ver­bot ver­leiht schon für sich al­lein dem Ein­zel­nen ein Recht, das er in ei­nem Rechts­streit, der ei­nen vom Uni­ons­recht er­fass­ten Be­reich be­trifft, als sol­ches gel­tend ma­chen kann (vgl., in Be­zug auf das Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters, Ur­teil vom 15. Ja­nu­ar 2014, As­so­cia­ti­on de média­ti­on so­cia­le, C-176/12, EU:C:2014:2, Rn.47).
77 Art.21 der Char­ta un­ter­schei­det sich in sei­ner Bin­dungs­wir­kung grundsätz­lich nicht von den ver­schie­de­nen Be­stim­mun­gen der Gründungs­verträge, die ver­schie­de­ne For­men der Dis­kri­mi­nie­rung auch dann ver­bie­ten, wenn sie aus Verträgen zwi­schen Pri­vat­per­so­nen re­sul­tie­ren (vgl. ent­spre­chend Ur­tei­le vom 8. April 1976, De­fren­ne, 43/75, EU:C:1976:56, Rn.39, vom 6. Ju­ni 2000, An­go­ne­se, C-281/98, EU:C:2000:296, Rn.33 bis 36, vom 3. Ok­to­ber 2000, Fer­li­ni, C-411/98, EU:C:2000:530, Rn.50, und vom 11. De­zem­ber 2007, In­ter­na­tio­nal Trans­port Workers’ Fe­de­ra­ti­on und Fin­nish Sea­men’s Uni­on, C-438/05, EU:C:2007:772, Rn.57 bis 61).
78 Zum an­de­ren ist her­vor­zu­he­ben, dass Art.47 der Char­ta, der das Recht auf wirk­sa­men ge­richt­li­chen Rechts­schutz be­trifft, eben­so wie Art.21 der Char­ta aus sich her­aus Wir­kung ent­fal­tet und nicht durch Be­stim­mun­gen des Uni­ons­rechts oder des na­tio­na­len Rechts kon­kre­ti­siert wer­den muss, um dem Ein­zel­nen ein Recht zu ver­lei­hen, das er als sol­ches gel­tend ma­chen kann.
79 Folg­lich wäre das na­tio­na­le Ge­richt in dem oben in Rn. 75 ge­nann­ten Fall ver­pflich­tet, im Rah­men sei­ner Be­fug­nis­se den dem Ein­zel­nen aus den Art.21 und 47 der Char­ta er­wach­sen­den Rechts­schutz zu gewähr­leis­ten und für die vol­le Wirk­sam­keit die­ser Be­stim­mun­gen zu sor­gen, in­dem es er­for­der­li­chen­falls je­de ent­ge­gen­ste­hen­de na­tio­na­le Vor­schrift un­an­ge­wen­det lässt.
80 Die­se Schluss­fol­ge­rung wird nicht da­durch in Fra­ge ge­stellt, dass sich ein Ge­richt in ei­nem Rechts­streit zwi­schen Pri­vat­per­so­nen da­zu ver­an­lasst se­hen kann, wi­der­strei­ten­de Grund­rech­te ab­zuwägen, die die Par­tei­en die­ses Rechts­streits aus dem AEU-Ver­trag oder der Char­ta her­lei­ten, und dass es im Rah­men der von ihm aus­zuüben­den Kon­trol­le so­gar ver­pflich­tet ist, sich zu ver­ge­wis­sern, dass der Grund­satz der Verhält­nismäßig­keit ein­ge­hal­ten wird. Ei­ne sol­che Ver­pflich­tung zur Her­stel­lung ei­nes Aus­gleichs zwi­schen den ver­schie­de­nen be­tei­lig­ten In­ter­es­sen be­ein­träch­tigt nämlich kei­nes­wegs die Möglich­keit, die frag­li­chen Rech­te in ei­nem der­ar­ti­gen Rechts­streit gel­tend zu ma­chen (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­tei­le vom 12. Ju­ni 2003, Schmid­ber­ger, C-112/00, EU:C:2003:333, Rn.77 bis 80, so­wie vom 11. De­zem­ber 2007, In­ter­na­tio­nal Trans­port Workers’ Fe­de­ra­ti­on und Fin­nish Sea­men’s Uni­on, C-438/05, EU:C:2007:772, Rn. 85 bis 89).
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Im Übri­gen ob­liegt es dem na­tio­na­len Ge­richt, wenn es über die Be­ach­tung der Art.21 und 47 der Char­ta zu wa­chen hat, bei der et­wai­gen Abwägung meh­re­rer be­tei­lig­ter In­ter­es­sen - wie et­wa der in Art.17 AEUV ver­an­ker­ten Ach­tung des Sta­tus der Kir­chen - ins­be­son­de­re den durch den Uni­ons­ge­setz­ge­ber in der Richt­li­nie 2000/78 ge­schaf­fe­nen Aus­gleich zwi­schen die­sen In­ter­es­sen zu berück­sich­ti­gen, um zu klären, wel­che Ver­pflich­tun­gen sich un­ter Umständen wie de­nen des Aus­gangs­ver­fah­rens aus der Char­ta er­ge­ben (vgl. ent­spre­chend Ur­teil vom 22. No­vem­ber 2005, Man­gold, C-144/04, EU:C:2005:709, Rn.76, und Be­schluss vom 23. April 2015, Kom­mis­si­on/Van­bre­da Risk & Be­ne­fits, C-35/15 P[R], EU:C:2015:275, Rn. 31).

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Nach al­le­dem ist auf die zwei­te Fra­ge zu ant­wor­ten, dass ein mit ei­nem Rechts­streit zwi­schen zwei Pri­vat­per­so­nen be­fass­tes na­tio­na­les Ge­richt, wenn es ihm nicht möglich ist, das ein­schlägi­ge na­tio­na­le Recht im Ein­klang mit Art. 4 Abs. 2 der Richt­li­nie 2000/78 aus­zu­le­gen, ver­pflich­tet ist, im Rah­men sei­ner Be­fug­nis­se den dem Ein­zel­nen aus den Art. 21 und 47 der Char­ta er­wach­sen­den Rechts­schutz zu gewähr­leis­ten und für die vol­le Wirk­sam­keit die­ser Be­stim­mun­gen zu sor­gen, in­dem es er­for­der­li­chen­falls je­de ent­ge­gen­ste­hen­de na­tio­na­le Vor­schrift un­an­ge­wen­det lässt.

Kos­ten

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Für die Par­tei­en des Aus­gangs­ver­fah­rens ist das Ver­fah­ren ein Zwi­schen­streit in dem beim vor­le­gen­den Ge­richt anhängi­gen Rechts­streit; die Kos­ten­ent­schei­dung ist da­her Sa­che die­ses Ge­richts. Die Aus­la­gen an­de­rer Be­tei­lig­ter für die Ab­ga­be von Erklärun­gen vor dem Ge­richts­hof sind nicht er­stat­tungsfähig.

Aus die­sen Gründen hat der Ge­richts­hof (Große Kam­mer) für Recht er­kannt:

1. Art.4 Abs.2 der Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27. No­vem­ber 2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf ist in Ver­bin­dung mit de­ren Art. 9 und 10 so­wie mit Art. 47 der Char­ta der Grund­rech­te der Eu­ropäischen Uni­on da­hin aus­zu­le­gen, dass für den Fall, dass ei­ne Kir­che oder ei­ne an­de­re Or­ga­ni­sa­ti­on, de­ren Ethos auf re­li­giösen Grundsätzen oder Welt­an­schau­un­gen be­ruht, zur Be­gründung ei­ner Hand­lung oder Ent­schei­dung wie der Ab­leh­nung ei­ner Be­wer­bung auf ei­ne bei ihr zu be­set­zen­de Stel­le gel­tend macht, die Re­li­gi­on sei nach der Art der be­tref­fen­den Tätig­kei­ten oder den vor­ge­se­he­nen Umständen ih­rer Ausübung ei­ne we­sent­li­che, rechtmäßige und ge­recht­fer­tig­te be­ruf­li­che An­for­de­rung an­ge­sichts des Ethos die­ser Kir­che oder Or­ga­ni­sa­ti­on, ein sol­ches Vor­brin­gen ge­ge­be­nen­falls Ge­gen­stand ei­ner wirk­sa­men ge­richt­li­chen Kon­trol­le sein können muss, da­mit si­cher­ge­stellt wird, dass die in Art. 4 Abs. 2 die­ser Richt­li­nie ge­nann­ten Kri­te­ri­en im kon­kre­ten Fall erfüllt sind.

2. Art.4 Abs.2 der Richt­li­nie 2000/78 ist da­hin aus­zu­le­gen, dass es sich bei der dort ge­nann­ten we­sent­li­chen, rechtmäßigen und ge­recht­fer­tig­ten be­ruf­li­chen An­for­de­rung um ei­ne An­for­de­rung han­delt, die not­wen­dig und an­ge­sichts des Ethos der be­tref­fen­den Kir­che oder Or­ga­ni­sa­ti­on auf­grund der Art der in Re­de ste­hen­den be­ruf­li­chen Tätig­keit oder der Umstände ih­rer Ausübung ob­jek­tiv ge­bo­ten ist und kei­ne sach­frem­den Erwägun­gen oh­ne Be­zug zu die­sem Ethos oder dem Recht die­ser Kir­che oder Or­ga­ni­sa­ti­on auf Au­to­no­mie um­fas­sen darf. Die An­for­de­rung muss mit dem Grund­satz der Verhält­nismäßig­keit im Ein­klang ste­hen.

3. Ein mit ei­nem Rechts­streit zwi­schen zwei Pri­vat­per­so­nen be­fass­tes na­tio­na­les Ge­richt ist, wenn es ihm nicht möglich ist, das ein­schlägi­ge na­tio­na­le Recht im Ein­klang mit Art.4 Abs.2 der Richt­li­nie 2000/78 aus­zu­le­gen, ver­pflich­tet, im Rah­men sei­ner Be­fug­nis­se den dem Ein­zel­nen aus den Art. 21 und 47 der Char­ta der Grund­rech­te der Eu­ropäischen Uni­on er­wach­sen­den Rechts­schutz zu gewähr­leis­ten und für die vol­le Wirk­sam­keit die­ser Be­stim­mun­gen zu sor­gen, in­dem es er­for­der­li­chen­falls je­de ent­ge­gen­ste­hen­de na­tio­na­le Vor­schrift un­an­ge­wen­det lässt.

Lena­erts

Tiz­za­no

Sil­va de La­pu­er­ta

von Dan­witz

Da Cruz Vi­laça

Ro­sas

Juhász

Saf­jan

Šváby

Ber­ger

Prechal

Ja­rašiūnas

Bilt­gen

Vil­a­ras

Re­gan

Verkündet in öffent­li­cher Sit­zung in Lu­xem­burg am 17. April 2018.

Der Kanz­ler

Der Präsi­dent

_______________________________________________

* Ver­fah­rens­spra­che: Deutsch.

Quel­le: Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on (EuGH), http://cu­ria.eu­ro­pa.eu

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