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EuGH, Ur­teil vom 23.04.2009, C-378/07 bis C-380/07 - An­gel­i­da­ki u.a.

   
Schlagworte: Befristung, Kettenbefristung
   
Gericht: Europäischer Gerichtshof
Aktenzeichen: C-378/07 bis C-380/07
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 23.04.2009
   
Leitsätze:

1. Paragraf 5 Nr. 1 der am 18. März 1999 geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge ist dahin auszulegen, dass er einen Mitgliedstaat, wenn es im innerstaatlichen Recht – was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist – bereits eine „gleichwertige gesetzliche Maßnahme“ im Sinne dieses Paragrafen wie Art. 8 Abs. 3 des Gesetzes 2112/1920 über die Zwangskündigung von Arbeitsverträgen Angestellter im Privatsektor gibt, nicht daran hindert, eine nationale Regelung wie das Präsidialdekret 164/2004 mit Regelungen für Arbeitnehmer mit befristeten Verträgen im öffentlichen Sektor zu erlassen, die der Umsetzung der Richtlinie 1999/70 speziell im öffentlichen Sektor dient und die Durchführung der in Paragraf 5 Nr. 1 Buchst. a bis c angeführten Maßnahmen zur Vermeidung von Missbrauch durch aufeinander folgende befristete Arbeitsverträge oder -verhältnisse vorsieht, vorausgesetzt jedoch, dass die genannte Regelung zum einen nicht die Wirksamkeit der Vermeidung von Missbrauch durch befristete Arbeitsverträge oder -verhältnisse, wie sie sich aus der gleichwertigen gesetzlichen Maßnahme ergibt, beeinträchtigt und zum anderen das Gemeinschaftsrecht, insbesondere Paragraf 8 Nr. 3 der Rahmenvereinbarung, beachtet.
2. Paragraf 5 Nr. 1 Buchst. a der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge ist dahin auszulegen, dass er einer Anwendung der nationalen Regelung wie der in den Ausgangsverfahren fraglichen durch die Stellen des betreffenden Mitgliedstaats entgegensteht, der zufolge die Verlängerung aufeinander folgender befristeter Arbeitsverträge im öffentlichen Sektor allein deshalb als aus „sachlichen Gründen“ im Sinne dieses Paragrafen gerechtfertigt angesehen wird, weil die Verträge auf Rechtsvorschriften, die die Vertragsverlängerung zur Deckung eines bestimmten zeitweiligen Bedarfs zulassen, gestützt sind, während in Wirklichkeit der Bedarf ständig und dauernd ist. Für den Abschluss eines ersten oder einzigen befristeten Arbeitsvertrags oder -verhältnisses gilt der genannte Paragraf hingegen nicht.

3. Paragraf 8 Nr. 3 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge ist dahin auszulegen, dass die „Senkung“ im Sinne dieses Paragrafen anhand des allgemeinen Schutzniveaus zu prüfen ist, das in dem betreffenden Mitgliedstaat sowohl für Arbeitnehmer mit aufeinander folgenden befristeten Arbeitsverträgen als auch für Arbeitnehmer mit einem ersten oder einzigen befristeten Arbeitsvertrag galt.
4. Paragraf 8 Nr. 3 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie dem Präsidialdekret 164/2004 nicht entgegensteht, die im Unterschied zu einer älteren innerstaatlichen Rechtsvorschrift wie Art. 8 Abs. 3 des Gesetzes 2112/1920 zum einen bei missbräuchlicher Inanspruchnahme befristeter Arbeitsverträge im öffentlichen Sektor die Umqualifizierung dieser Verträge in unbefristete Arbeitsverträge nicht mehr vorsieht oder an die Beachtung bestimmter kumulativer und einschränkender Voraussetzungen knüpft und zum anderen von den Schutzmaßnahmen, die sie vorsieht, Arbeitnehmer ausschließt, die einen ersten oder einzigen befristeten Arbeitsvertrag geschlossen haben, wenn solche Änderungen, was vom vorlegenden Gericht zu prüfen ist, eine begrenzte Gruppe von Arbeitnehmern mit einem befristeten Arbeitsvertrag betreffen oder durch den Erlass von Maßnahmen zur Verhinderung von Missbrauch durch befristete Arbeitsverträge im Sinne von Paragraf 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung ausgeglichen werden. Die Umsetzung dieser Rahmenvereinbarung durch eine nationale Regelung wie das Präsidialdekret 164/2004 darf jedoch nicht dazu führen, dass der nach nationalem Recht zuvor für befristet beschäftigte Arbeitnehmer geltende Schutz auf ein Niveau herabgesetzt wird, das unter dem liegt, das durch die von der Rahmenvereinbarung vorgesehenen Mindestschutzbestimmungen festgelegt wird. Insbesondere erfordert die Beachtung von Paragraf 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung, dass eine solche Regelung, was den Missbrauch durch aufeinander folgende befristete Arbeitsverträge betrifft, wirksame und zwingende Maßnahmen zur Vorbeugung gegen einen solchen Missbrauch vorsieht sowie Sanktionen, die wirksam und abschreckend genug sind, um die volle Wirksamkeit dieser Vorbeugemaßnahmen zu garantieren. Es ist deshalb Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind.
5. Unter Umständen wie denen der Ausgangsverfahren ist die Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge dahin auszulegen, dass sie, wenn das innerstaatliche Recht des betroffenen Mitgliedstaats in dem betreffenden Sektor andere wirksame Maßnahmen enthält, um den Missbrauch durch aufeinander folgende befristete Arbeitsverträge im Sinne von Paragraf 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung zu verhindern und gegebenenfalls zu ahnden, der Anwendung einer Vorschrift des nationalen Rechts nicht entgegensteht, die es nur im öffentlichen Sektor absolut untersagt, aufeinander folgende befristete Arbeitsverträge, die, da sie der Deckung eines ständigen und dauernden Bedarfs des Arbeitgebers dienen sollten, als missbräuchlich anzusehen sind, in einen unbefristeten Arbeitsvertrag umzuwandeln. Dem vorlegenden Gericht obliegt jedoch, zu beurteilen, inwieweit die maßgeblichen Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts unter Berücksichtigung ihrer Anwendungsvoraussetzungen und ihrer tatsächlichen Anwendung eine Maßnahme bilden, die geeignet ist, den missbräuchlichen Einsatz aufeinander folgender befristeter Arbeitsverträge oder -verhältnisse durch die öffentliche Verwaltung zu verhindern und gegebenenfalls zu ahnden. Dagegen verpflichtet Paragraf 5 Nr. 1 dieser Rahmenvereinbarung, da er auf Arbeitnehmer mit einem ersten oder einzigen befristeten Arbeitsvertrag keine Anwendung findet, die Mitgliedstaaten nicht, Sanktionen für den Fall vorzusehen, dass ein solcher Vertrag in Wirklichkeit einen ständigen und dauernden Bedarf des Arbeitgebers deckt.
6. Das vorlegende Gericht muss die einschlägigen Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts so weit wie möglich im Einklang mit den Paragrafen 5 Nr. 1 und 8 Nr. 3 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge auslegen und hat in diesem Rahmen zu entscheiden, ob in den Ausgangsverfahren anstelle bestimmter anderer innerstaatlicher Rechtsvorschriften eine „gleichwertige gesetzliche Maßnahme“ im Sinne des genannten Paragrafen 5 wie die in Art. 8 Abs. 3 des Gesetzes 2112/1920 vorgesehene anzuwenden ist.

Vorinstanzen:
   

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