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ARBEITSRECHT AKTUELL // 18/140

Streik­ver­bot für Be­am­te bleibt be­ste­hen

Karls­ru­he: Kein Streik­recht für be­am­te­te Leh­rer: Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt, Ur­teil vom 12.06.2018, 2 BvR 1738/12, 2 BvR 646/15, 2 BvR 1068/14, 2 BvR 1395/13
Streik viele Streikende

12.06.2018. Be­stimm­te Be­am­ten­grup­pen wie z.B. Leh­rer sind nicht oder nicht in ers­ter Li­nie „ho­heit­lich“ tä­tig, wie das bei Po­li­zis­ten, Staats­an­wäl­te oder Jus­tiz­voll­zugs­be­am­te der Fall ist.

Aber dür­fen Leh­rer und an­de­re, nicht pri­mär ho­heit­lich tä­ti­ge Be­am­te da­her auch strei­ken? Über die­se Fra­ge wird seit Jah­ren hef­tig ge­strit­ten.

Heu­te hat das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt (BVerfG) die­se Streit­fra­ge mit ei­nem kla­ren Nein be­ant­wor­tet: BVerfG, Ur­teil vom 12.06.2018, 2 BvR 1738/12, 2 BvR 646/15, 2 BvR 1068/14, 2 BvR 1395/13.

Streik­recht von Leh­rern und ähn­li­chen Be­am­ten­grup­pen: Pro-Ar­gu­men­te

Auch Be­am­te können sich auf die Ko­ali­ti­ons­frei­heit, d.h. auf Art.9 Abs.3 Grund­ge­setz (GG) be­ru­fen. Sie können da­her Be­am­ten­verbänden und Ge­werk­schaf­ten bei­tre­ten, wo­bei Ge­werk­schaf­ten wie­der­um nach ak­tu­el­ler Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) nicht nur Er­zwin­gungs­streiks in ei­ge­nen Ta­rif­strei­tig­kei­ten führen dürfen, son­dern auch zum sog. Sym­pa­thie- bzw. So­li­da­ritäts­streik auf­ru­fen können (BAG, Ur­teil vom 19.06.2007, 1 AZR 396/06, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 07/24 Bun­des­ar­beits­ge­richt: So­li­da­ritäts­streiks zulässig).

Mit Sym­pa­thie­streiks wol­len die Strei­ken­den an­de­re Ar­beit­neh­mer­grup­pen bzw. die Ge­werk­schafts­for­de­run­gen in an­de­ren Ta­rif­kon­flik­ten un­terstützen, wo­bei sich die sym­pa­thie­strei­ken­den Ar­beit­neh­mer und ih­re Ge­werk­schaf­ten oft mit­tel­ba­re Vor­tei­le für ih­re ei­ge­ne Po­si­ti­on ver­spre­chen.

Da­mit wei­sen Sym­pa­thie­streiks von Ar­beit­neh­mern und Be­am­ten­streiks vie­le Ge­mein­sam­kei­ten auf. Denn wenn z.B. ver­be­am­te­te Leh­rer die For­de­run­gen der Ge­werk­schaft Er­zie­hung und Wis­sen­schaft (GEW) durch ei­ne Streik­teil­nah­me un­terstützen, können sie dar­auf spe­ku­lie­ren, dass die nächs­te ge­setz­li­che Erhöhung der Be­am­ten­bezüge um­so höher aus­fal­len wird, je bes­ser der Ta­rif­ab­schluss der GEW ausfällt. Sol­che Be­am­ten­streiks kann man da­her als ei­ne Art von Sym­pa­thie- bzw. So­li­da­ritäts­streik an­se­hen.

Ein wei­te­res Pro-Ar­gu­ment im Streit um das Be­am­ten-Streik­recht folgt aus Art.11 der Eu­ropäischen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on (EM­RK) und der Recht­spre­chung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs für Men­schen­rech­te (EGMR) da­zu. Art.11 EM­RK lau­tet:

"Ver­samm­lungs- und Ver­ei­ni­gungs­frei­heit

(1) Je­de Per­son hat das Recht, sich frei und fried­lich mit an­de­ren zu ver­sam­meln und sich frei mit an­de­ren zu­sam­men­zu­sch­ließen; da­zu gehört auch das Recht, zum Schutz sei­ner In­ter­es­sen Ge­werk­schaf­ten zu gründen und Ge­werk­schaf­ten bei­zu­tre­ten.

(2) Die Ausübung die­ser Rech­te darf nur Ein­schränkun­gen un­ter­wor­fen wer­den, die ge­setz­lich vor­ge­se­hen und in ei­ner de­mo­kra­ti­schen Ge­sell­schaft not­wen­dig sind für die na­tio­na­le oder öffent­li­che Si­cher­heit, zur Auf­recht­er­hal­tung der Ord­nung oder zur Verhütung von Straf­ta­ten, zum Schutz der Ge­sund­heit oder der Mo­ral oder zum Schutz der Rech­te und Frei­hei­ten an­de­rer. Die­ser Ar­ti­kel steht rechtmäßigen Ein­schränkun­gen der Ausübung die­ser Rech­te für An­gehöri­ge der Streit­kräfte, der Po­li­zei oder der Staats­ver­wal­tung nicht ent­ge­gen."

Nach­dem Deutsch­land die EM­RK ra­ti­fi­ziert hat, gehören de­ren Vor­schrif­ten zum Bun­des­recht, d.h. sie sind Teil des ein­fa­chen, auf Bun­des­ebe­ne gel­ten­den Ge­set­zes­rechts. Als „ein­fa­ches“ Ge­set­zes­recht ist die EM­RK nicht Teil der Ver­fas­sung, d.h. des GG, son­dern steht im Rang un­ter dem GG.

Im­mer­hin be­inhal­tet Art.11 EM­RK nach der Recht­spre­chung des EGMR ein Streik­recht für al­le Staats­be­diens­te­ten, das (nur?) zu­las­ten der­je­ni­gen ein­ge­schränkt wer­den kann, die im Na­men des Staa­tes Ho­heits­ge­walt ausüben (EGMR, Ur­teil vom 21.04.2009, 68959/01 - En­er­ji Ya­pi-Yol Sen ./. Türkei, Rn.32). Sol­che Be­schränkun­gen des Streik­rechts müssen außer­dem möglichst ein­deu­tig und eng for­mu­liert sein (EGMR, Ur­teil vom 21.04.2009, 68959/01 - En­er­ji Ya­pi-Yol Sen ./. Türkei, Rn.32).

Dar­aus folgt, dass das deut­sche Be­am­ten­recht zu­min­dest „näher dran“ an Art.11 EM­RK wäre, wenn es zwi­schen streik­be­rech­tig­ten (= nicht ho­heit­lich täti­gen) Be­am­ten (wie z.B. Leh­rern) und nicht streik­be­rech­tig­ten (= ho­heit­lich täti­gen) Be­am­ten (wie z.B. Po­li­zis­ten) un­ter­schei­den würde.

In die­sem Sin­ne ha­ben in den ver­gan­ge­nen Jah­ren ei­ni­ge Ge­rich­te ent­schie­den. So war das Ver­wal­tungs­ge­richt (VG) Kas­sel der An­sicht, ver­be­am­te­te Leh­rer dürfen strei­ken (VG Kas­sel, Ur­teil vom 27.07.2011, 28 K 1208/10.KS.D). Und das VG Düssel­dorf lehn­te zwar ein Streik­recht ab, mein­te aber, ei­ne Streik­teil­nah­me dürf­te zu­min­dest nicht mit ei­ner Dis­zi­pli­nar­maßnah­me be­straft wer­den (VG Düssel­dorf, Ur­teil vom 15.12.2010, 31 K 3904/10.O, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell 11/110: Streik be­am­te­ter Leh­rer recht­fer­tigt kei­ne Dis­zi­pli­nar­stra­fe).

Streik­recht von Leh­rern und ähn­li­chen Be­am­ten­grup­pen: Con­tra-Ar­gu­men­te

Nach herr­schen­der Mei­nung dürfen deut­sche Be­am­te nicht strei­ken, und das gilt nach die­ser An­sicht auch für nicht ho­heit­lich täti­ge Be­am­ten­grup­pen.

Zur Be­gründung für die­ses um­fas­sen­de Streik­ver­bot hat man sich lan­ge Zeit mit dem Hin­weis dar­auf be­gnügt, dass die Be­am­ten­be­sol­dung in Bund und Ländern ge­setz­lich ge­re­gelt ist, d.h. nicht durch Ta­rif­ver­trag. Und da Streiks nur zulässig sind, wenn sie ge­werk­schaft­lich ge­tra­gen sind und die Ge­werk­schaft da­mit in Ta­rif­ver­hand­lun­gen Druck auf die Ar­beit­ge­ber­sei­te ausüben will, ha­ben Be­am­ten­streiks kei­ne recht­lich an­zu­er­ken­nen­de Funk­ti­on, und da­her sind sie eben il­le­gal.

So ein­fach lie­gen die Din­ge zwar heu­te nicht (mehr), doch ist die ge­setz­li­che Re­ge­lung der Be­am­ten­bezüge als Be­stand­teil der „her­ge­brach­ten Grundsätze des Be­rufs­be­am­ten­tums“ im­mer noch das wich­tigs­te Ar­gu­ment ge­gen ein Streik­recht von Be­am­ten. Es wird aus Art.33 Abs.5 GG her­ge­lei­tet, d.h. aus der in­sti­tu­tio­nel­len Ga­ran­tie der „her­ge­brach­ten Grundsätze des Be­rufs­be­am­ten­tums“ als Grund­la­ge der recht­li­chen Aus­ge­stal­tung des Be­am­ten­rechts in Deutsch­land. Da­bei wird be­haup­tet, das Streik­ver­bot gehöre (eben­so wie ge­setz­li­che Re­ge­lung der Be­sol­dung, die Treue­pflicht und das Ali­men­ta­ti­ons­prin­zip) zu die­sen her­ge­brach­ten Grundsätzen (worüber sich aber strei­ten lässt). Art.33 Abs.5 GG lau­tet:

„Das Recht des öffent­li­chen Diens­tes ist un­ter Berück­sich­ti­gung der her­ge­brach­ten Grundsätze des Be­rufs­be­am­ten­tums zu re­geln und fort­zu­ent­wi­ckeln.“

Gehört das Streik­ver­bot aber zu den durch Art.33 Abs.5 GG ga­ran­tier­ten Grund­prin­zi­pi­en des deut­schen Be­am­ten­rechts, setzt es auch der Ko­ali­ti­ons­frei­heit (Art.9 Abs.3 GG) Gren­zen.

Ein wei­te­res Con­tra-Ar­gu­ment be­zieht sich auf Art.11 EM­RK. Es lau­tet schlicht, dass al­le Be­am­ten zur "Staats­ver­wal­tung" im Sin­ne von Art.11 Abs.2 Satz 2 EM­RK gehören. Und in die­ser Vor­schrift heißt es ja aus­drück­lich, dass die Ga­ran­ti­en die­ses Ar­ti­kels den „rechtmäßigen Ein­schränkun­gen der Ausübung die­ser Rech­te für An­gehöri­ge (…) der Staats­ver­wal­tung nicht ent­ge­gen[ste­hen]“.

So ge­se­hen ist das nach deut­schem Recht für al­le Be­am­ten be­ste­hen­de Streik­ver­bot mit Art.11 EM­RK und mit der Recht­spre­chung des EGMR zu ver­ein­ba­ren.

In die­sem Sin­ne hat das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt (OVG) Nord­rhein-West­fa­len (NRW) im März 2012 ent­schie­den (OVG NRW, Ur­teil vom 07.03.2012, 3d A 317/11.O, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 12/104 Streik­recht für Be­am­te?), so­wie das VG Os­nabrück (Ur­teil vom 19.08.2011, 9 A 1/11, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 11/168 Streik­ver­bot für Be­am­te müssen auch Leh­rer be­ach­ten).

Muss der Ge­setz­ge­ber ak­tiv wer­den, um das Be­am­ten­streik­recht ge­setz­lich zu re­geln?

An­fang 2014 hat­te das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt (BVerwG) ei­nen Pro­zess zu ent­schei­den, in dem sich ei­ne ver­be­am­te­te Leh­re­rin ge­gen ei­ne Dis­zi­pli­nar­maßnah­me wehr­te, die ge­gen sie we­gen ei­ner Streik­be­tei­li­gung verhängt wor­den war (BVerwG, Ur­teil vom 27.02.2014, 2 C 1.13, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 14/082 Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt mahnt ge­setz­li­che Re­ge­lung des Be­am­ten­streik­rechts an).

In die­sem Ur­teil, das zu Un­guns­ten der Kläge­rin aus­ging, ver­trat das BVerwG ei­ne Art Kom­pro­miss zwi­schen den Befürwor­tern und den Geg­nern des Be­am­ten­streik­rechts:

Der EGMR, so je­den­falls das BVerwG, weicht in sei­ner Recht­spre­chung vom deut­schen Ver­fas­sungs­recht bzw. von Art.33 Abs.5 GG ab und in­ter­pre­tiert Art.11 EM­RK in der Wei­se, dass die­se Vor­schrift ein Recht al­ler (!) Staats­be­diens­te­ten auf Ta­rif­ver­hand­lun­gen und auf Streik be­inhal­te. Ein sol­ches Streik­recht kann auf der Grund­la­ge von Art.11 Abs.2 Satz 2 EM­RK nur für An­gehöri­ge der Streit­kräfte, der Po­li­zei und der ho­heit­li­chen Staats­ver­wal­tung aus­ge­schlos­sen wer­den, so die Aus­le­gung der EGMR-Recht­spre­chung durch das BVerwG.

Nach der EGMR-Recht­spre­chung (so wie sie das BVerwG ver­steht) gehören nur sol­che Be­am­ten zur ho­heit­li­chen Staats­ver­wal­tung, "die an der Ausübung ge­nu­in ho­heit­li­cher Be­fug­nis­se zu­min­dest be­tei­ligt" sind. Da­zu zählen die Leh­rer an öffent­li­chen Schu­len nicht, so das BVerwG (BVerwG, Ur­teil vom 27.02.2014, 2 C 1.13, S.21).

Da­mit er­gibt sich ein Wi­der­spruch zwi­schen dem gel­ten­den deut­schen Be­am­ten­recht und sei­ner ver­fas­sungs­recht­li­chen Grund­la­ge (Art.33 Abs.5 GG) ei­ner­seits und, an­de­rer­seits, dem Streik­recht für nicht ho­heit­lich täti­ge Be­am­te gemäß Art.11 EM­RK bzw. gemäß der Recht­spre­chung des EGMR, so je­den­falls das BVerwG.

Im Er­geb­nis muss da­her der Ge­setz­ge­ber ak­tiv wer­den, um das deut­sche Be­am­ten­recht an die Vor­ga­ben des Art.11 EM­RK bzw. der EGMR-Recht­spre­chung an­zu­pas­sen (BVerwG, Ur­teil vom 27.02.2014, 2 C 1.13, S.20). Kon­kret könn­te das nach den Vor­stel­lun­gen des BVerwG et­wa so aus­se­hen:

„Auf­grund die­ser Be­son­der­hei­ten kann die Be­am­ten­be­sol­dung in die Ta­rif­ver­hand­lun­gen für den öffent­li­chen Dienst ein­be­zo­gen wer­den, oh­ne die Ba­lan­ce des be­am­ten­recht­li­chen Re­ge­lungs­gefüges zu gefähr­den. Dies hätte zur Fol­ge, dass die Ge­werk­schaf­ten der Be­am­ten an den Ta­rif­ver­hand­lun­gen teil­neh­men und sich die Be­am­ten außer­halb der von Art.33 Abs.4 GG er­fass­ten Be­rei­che der öffent­li­chen Ver­wal­tung in­so­weit an kol­lek­ti­ven Kampf­maßnah­men be­tei­li­gen könn­ten.“ (BVerwG, Ur­teil vom 27.02.2014, 2 C 1.13, S.24)

Be­kannt­lich hat der Ge­setz­ge­ber die­sen Ge­setz­ge­bungs­auf­trag aus Leip­zig bis­lang nicht erfüllt. Da­mit lag er an­ge­sichts des ak­tu­el­len BVerfG-Ur­teils rich­tig.

Die Streitfälle der Be­schwer­deführer

In den vier Ver­fas­sungs­be­schwer­den ging es um zwei nie­dersäch­si­sche Lehr­kräfte, die ih­re Pro­zes­se je­weils bis zum Nie­dersäch­si­schen OVG ge­trie­ben hat­ten (2 BvR 1738/12 und 2 BvR 1395/13), um ei­ne schles­wig-hol­stei­ni­sche Leh­re­rin, de­ren Fall rechts­kräftig vom Schles­wig-Hol­stei­ni­schen OVG ent­schie­den wor­den war (2 BvR 646/15) so­wie um ei­ne Leh­re­rin aus Nord­rhein-West­fa­len.

Ihr Pro­zess beschäftig­te zunächst das VG Düssel­dorf (Ur­teil vom 15.12.2010, 31 K 3904/10.O, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell 11/110: Streik be­am­te­ter Leh­rer recht­fer­tigt kei­ne Dis­zi­pli­nar­stra­fe), dar­auf­hin das OVG Nord­rhein-West­fa­len (Ur­teil vom 07.03.2012, 3d A 317/11.O, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 12/104 Streik­recht für Be­am­te?) und in der Re­vi­si­on das BVerwG (BVerwG, Ur­teil vom 27.02.2014, 2 C 1.13, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 14/082 Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt mahnt ge­setz­li­che Re­ge­lung des Be­am­ten­streik­rechts an), um schluss­end­lich in Karls­ru­he beim BVerfG zu lan­den (2 BvR 646/15).

Al­le vier Be­schwer­deführer wa­ren be­am­te­te Leh­rer bzw. Leh­re­rin­nen, die sich an ge­werk­schaft­lich ge­tra­ge­nen Streik­ak­tio­nen be­tei­ligt hat­ten und dafür dis­zi­pli­nar­recht­lich be­langt wor­den wa­ren. Da­ge­gen hat­ten sie vor den Ver­wal­tungs­ge­rich­ten ge­klagt, letzt­lich aber oh­ne Er­folg. Da­her er­ho­ben sie ge­gen die dis­zi­pli­nar­recht­li­chen Sank­tio­nen und ge­gen die zu ih­ren Un­guns­ten er­gan­ge­nen ver­wal­tungs­ge­richt­li­chen Ent­schei­dun­gen Ver­fas­sungs­be­schwer­de.

BVerfG: Das Streik­ver­bot gilt für al­le Be­am­ten­grup­pen als her­ge­brach­ter Grund­satz des Be­rufs­be­am­ten­tums und ist vom Ge­setz­ge­ber zu re­spek­tie­ren

Das BVerfG wies die vier Ver­fas­sungs­be­schwer­den zurück, und zwar mit fol­gen­der Be­gründung:

Das Ko­ali­ti­ons­grund­recht (Art.9 Abs.3 GG) steht auch Be­am­ten zu und schützt zunächst ein­mal al­le ko­ali­ti­ons­spe­zi­fi­schen Betäti­gun­gen und da­mit auch die Be­tei­li­gung an ei­nem ge­werk­schaft­lich ge­tra­ge­nen Streik (Ur­teil, Rn.116, 140).

Al­ler­dings setzt sich die­se Grund­rechts­po­si­ti­on, d.h. das Ko­ali­ti­ons­grund­recht ein­sch­ließlich des Rechts zur Be­tei­li­gung an ei­nem Sym­pa­thie­streik, im Er­geb­nis der Abwägung ge­genüber den be­am­ten­recht­li­chen Vor­ga­ben des GG nicht durch, denn zu den her­ge­brach­ten Grundsätzen des Be­rufs­be­am­ten­tums (Art.33 Abs.5 GG) gehört auch das Streik­ver­bot (Ur­teil, Rn.144).

Das Streik­ver­bot galt für Be­am­te schon in der Wei­ma­rer Re­pu­blik, so das BVerfG, und hat da­her ei­ne aus­rei­chend lan­ge Tra­di­ti­on (Ur­teil, Rn.147, 148).

Außer­dem ist es sach­lich eng mit an­de­ren be­am­ten­recht­li­chen Ver­fas­sungs­grundsätzen ver­bun­den. Ih­nen zu­fol­ge sind Be­am­te im Rah­men ih­rer An­stel­lung auf Le­bens­zeit zur um­fas­sen­den persönli­chen Treue ge­genüber dem Staat und sei­nen recht­li­chen Re­geln ver­pflich­tet, wes­halb der Dienst­herr im Ge­gen­zug da­zu ver­pflich­tet ist, sie amts­an­ge­mes­sen und auf ge­setz­li­cher Grund­la­ge zu „ali­men­tie­ren“ (Ur­teil, Rn.120, 150 bis 152).

In die­ses recht­li­che Gefüge von wech­sel­sei­ti­gen Pflich­ten und Rech­ten passt ein Streik­recht der Be­am­ten nach An­sicht des Ge­richts nicht hin­ein. Vor al­lem würde es der Treue­pflicht des Be­am­ten wi­der­spre­chen (Ur­teil, Rn.121, 149 bis 152).

Auch ein Streik­recht für ein­zel­ne Be­am­ten­grup­pen wäre mit den be­am­ten­recht­li­chen in­sti­tu­tio­nel­len Ga­ran­ti­en des Art.33 Abs.5 GG nicht ver­ein­bar und wird da­her aus­drück­lich als künf­ti­ge ge­setz­ge­be­ri­sche Op­ti­on aus­ge­schlos­sen (Ur­teil, Rn.153, 161). Denn für den Ge­setz­ge­ber gilt die Pflicht, das Streik­ver­bot für al­le Be­am­ten­grup­pen als Teil der her­ge­brach­ten Grundsätze des Be­rufs­be­am­ten­tums zu be­ach­ten („Be­ach­tens­pflicht“).

Würde der Ge­setz­ge­ber da­her, wie vom BVerwG ge­for­dert (BVerwG, Ur­teil vom 27.02.2014, 2 C 1.13, S.24), ein Be­am­ten­streik­recht auf ge­setz­li­cher Grund­la­ge für ein­zel­ne Be­am­ten­grup­pen einführen, ver­stieße er da­mit ge­gen Art.33 Abs.5 GG. Hier­zu heißt es in dem Ur­teil (Rn.153):

„Ein Streik­recht für Be­am­te pass­te da­her nicht le­dig­lich die Aus­ge­stal­tung des Dienst­rechts den je­wei­li­gen Ent­wick­lun­gen der Staat­lich­keit an und stell­te das Be­am­ten­recht in die Zeit. Es grif­fe viel­mehr in den von Art.33 Abs.5 GG gewähr­leis­te­ten Kern­be­stand von Struk­tur­prin­zi­pi­en ein. Die für das Streik­ver­bot gel­ten­de Be­ach­tens­pflicht ver­sperrt da­her den Weg zu tief­grei­fen­den struk­tu­rel­len Verände­run­gen durch den ein­fa­chen Ge­setz­ge­ber (…).“

Sch­ließlich ver­sucht das BVerfG zu be­gründen, war­um das aus Art.33 Abs.5 GG fol­gen­de Streik­ver­bot für sämt­li­che Be­am­ten­grup­pen so­wohl mit Art.11 EM­RK als auch mit der Recht­spre­chung des EGMR ver­ein­bar ist (Ur­teil, Rn.163 bis 188), wo­bei es sich ausführ­lich mit den ein­schlägi­gen Ent­schei­dun­gen des EGMR aus­ein­an­der­setzt.

Fa­zit: Das BVerfG hat mit der heu­te er­gan­ge­nen Ent­schei­dung kla­re Kan­te ge­zeigt.

Es hat sich von vorn­her­ein nicht auf die Dis­kus­si­on ein­ge­las­sen, in wel­cher Wei­se ein Streik­recht für ei­ne mögli­che Son­der­grup­pe der „Ta­rif­be­am­ten“ oder „Rand­be­reichs­be­am­ten“ aus­ge­stal­tet wer­den könn­te und wie man die­se Be­am­ten­grup­pe von den nicht zum Streik be­rech­tig­ten „Kern­be­reichs­be­am­ten“ ab­gren­zen könn­te.

Ei­ne sol­che Dis­kus­si­on wäre auf der Grund­la­ge der heu­ti­gen Ent­schei­dung auch ge­gen­stands­los, weil in die­se Rich­tung ge­hen­de Ge­set­zes­re­for­men ver­fas­sungs­wid­rig wären.

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Letzte Überarbeitung: 28. Juni 2020

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