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ARBEITSRECHT AKTUELL // 12/205

Ta­rif­ver­trag­li­cher Mehr­ur­laub und Krank­heit

§ 26 Abs.2 TVöD ent­hält ei­ne ei­gen­stän­di­ge Re­ge­lung der Ur­laubs­über­tra­gung in Krank­heits­fäl­len: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 22.05.2012, 9 AZR 575/10
Urlaub am Meer, Palme, Luftmatratze, Sonnenhut und Badestrand Ta­rif­li­cher Mehr­ur­laub nach dem TVöD ver­fällt bei Krank­heit rasch
23.05.2012. Seit der Ent­schei­dung des Eu­ro­päi­schen Ge­richts­hofs (EuGH) in der Sa­che Schultz-Hoff (EuGH, Ur­teil vom 20.01.2009, C-350/06) darf der vier­wö­chi­ge Min­des­t­ur­laub nicht zum 31. De­zem­ber oder zum 31. März des Fol­ge­jah­res ver­fal­len, wenn der Ar­beit­neh­mer ihn in­fol­ge ei­ner län­ge­ren Krank­heit nicht neh­men konn­te. Bei mehr­jäh­ri­ger Er­kran­kung ver­län­gert sich dem­zu­fol­ge der Ur­laubs­an­spruch im­mer wei­ter.

Frag­lich ist al­ler­dings, ob das auch für den tar­f­li­chen Mehr­ur­laub gilt, d.h. für die zu­sätz­li­chen Ur­laubs­ta­ge, die vie­le Ar­beit­neh­mer auf der Grund­la­ge ei­nes Ta­rif­ver­trags über ih­ren vier­wö­chi­gen Min­des­t­ur­laub hin­aus ver­lan­gen kön­nen. Mit den Vor­ga­ben des EuGH wä­re es zu ver­ein­ba­ren, wenn ein sol­cher Mehr­ur­laub in Krank­heits­fäl­len kurz nach Ab­lauf des Ur­laubs­jah­res ver­fal­len wür­de. Von die­ser Mög­lich­keit muss ein Ta­rif­ver­trag dann aber auch Ge­brauch ma­chen, d.h. er muss ei­ne ge­gen­über dem BUrlG ei­gen­stän­di­ge Re­ge­lung der Fra­ge be­inhal­ten, was mit dem Mehr­ur­laub in Fäl­len lang an­dau­ern­den Krank­heit ge­sche­hen soll.

In ei­nem Ur­teil vom gest­ri­gen Diens­tag hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) ent­schie­den, dass der Mehr­ur­laub auf der Grund­la­ge von § 26 Ta­rif­ver­trag für den öf­fent­li­chen Dienst (TVöD) ei­ne ei­gen­stän­di­ge Re­ge­lung der Fra­ge ent­hält, wie lan­ge nicht ge­nom­me­ner ta­rif­li­cher Mehr­ur­laub in Krank­heits­fäl­len auf­recht er­hal­ten blei­ben soll: BAG, Ur­teil vom 22.05.2012, 9 AZR 575/10.

Wo­von hängt es ab, ob sich der ta­rif­li­che Mehr­ur­laub in Krank­heitsfällen nach dem BUrlG rich­tet?

Ob bei mehrjähri­ger, Krank­heit nicht nur der vierwöchi­ge ge­setz­li­che Min­des­t­ur­laub auf­recht er­hal­ten wird, son­dern außer­dem der ta­rif­li­che Mehr­ur­laub, hängt da­von ab, ob der je­weils an­zu­wen­den­de Ta­rif­ver­trag ei­ge­ne, d.h. vom BUrlG un­abhängi­ge Re­ge­lun­gen zum The­ma Ur­laubsüber­tra­gung und/oder Ur­laubs­ab­gel­tung enthält oder nicht.

Gibt es in dem Ta­rif­ver­trag sol­che ein­geständi­gen Über­tra­gungs- und Ab­gel­tungs­re­ge­lun­gen, kann sich aus ih­nen er­ge­ben, dass der we­gen Krank­heit nicht ge­nom­me­ne Mehr­ur­laub zu ei­nem be­stimm­ten Zeit­punkt verfällt.

Enthält der Ta­rif­ver­trag da­ge­gen kei­ne ein­geständi­gen Über­tra­gungs- und Ab­gel­tungs­re­ge­lun­gen, gilt für den ta­rif­li­chen Mehr­ur­laub das BUrlG und die zum BUrlG er­gan­ge­ne Recht­spre­chung, die den Ar­beit­neh­mer da­vor si­chert, sei­nen Ur­laubs­an­spruch durch ei­ne länge­re Er­kran­kung zu ver­lie­ren ("Gleich­lauf mit dem BUrlG").

Mehr­ur­laub gemäß § 26 Abs.2 TVöD - Gleich­lauf mit dem BUrlG oder ei­genständi­ge Re­ge­lung?

Im Streit­fall ging es um ei­nen im öffent­li­chen Dienst beschäftig­ten An­ge­stell­ter, der nach länge­rer Er­kran­kung auf der Ba­sis des TVöD für 2007 und 2008 je­weils 10 Ta­ge ta­rif­li­chen Mehr­ur­laub ver­lang­te. Den Mehr­ur­laub für die­se Jah­re konn­te der An­ge­stell­te we­der in die­sen Jah­ren noch bis zum 31. Mai des je­wei­li­gen Fol­ge­jah­res an­tre­ten, weil er von Ju­ni 2007 bis Ok­to­ber 2009 ar­beits­unfähig krank war.

Mit sei­ner Kla­ge ver­lang­te er Ur­laubs­gewährung, hat­te da­mit aber we­der vor dem Ar­beits­ge­richt Ko­blenz (Ur­teil vom 15.04.2010, 10 Ca 3118/09) noch vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt Rhein­land-Pfalz Er­folg (Ur­teil vom 19.08.2010, 10 Sa 244/10). Denn § 26 Abs. 2 Buchst. a TVöD be­stimmt ab­wei­chend von § 7 Abs. 3 BUrlG, dass der Er­ho­lungs­ur­laub bis zum 31. Mai des Fol­ge­jah­res an­ge­tre­ten wer­den muss, wenn er we­gen Ar­beits­unfähig­keit nicht bis zum 31. März des Fol­ge­jah­res an­ge­tre­ten wer­den konn­te. Da­mit enthält der TVöD ei­ne ei­genständi­ge, d.h. vom BUrlG un­abhängi­ge Re­ge­lung der Fra­ge, wann der krank­heits­be­dingt nicht ge­nom­me­ne Ur­laub ver­fal­len soll (nämlich zum 31. Mai des Fol­ge­jah­res).

Die­ser Aus­le­gung von § 26 TVöD hat sich das BAG an­ge­schlos­sen und da­her eben­falls ge­gen den Ar­beit­neh­mer ent­schie­den. Oh­ne wei­te­res klar ist die­se Ent­schei­dung al­ler­dings nicht, auch wenn al­le drei In­stan­zen zum sel­ben Er­geb­nis ge­kom­men sind. Denn § 26 TVöD un­ter­schei­det nicht zwi­schen dem ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laub und dem ta­rif­li­chen Mehr­ur­laub. Trotz­dem hat sich § 26 Abs. 2 TVöD deut­lich vom ge­setz­li­chen Fris­ten­re­gime in § 7 Abs. 3 BUrlG gelöst, in­dem er die Über­tra­gung und den Ver­fall des krank­heits­be­dingt nicht ge­nom­me­nen Ur­laubs "ei­genständig" re­gelt, so das BAG.

Fa­zit: Im Fal­le des ta­rif­li­chen Mehr­ur­laubs gemäß § 26 TVöD gibt es kei­nen „Gleich­lauf“ von ge­setz­li­chem Min­des­t­ur­laubs und ta­rif­li­chem Mehr­ur­laub. Das hat zur Fol­ge, dass der krank­heits­be­dingt nicht ge­nom­me­ne Mehr­ur­laub je­weils am 31. Mai des Fol­ge­jah­res verfällt.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das BAG sei­ne Ent­schei­dungs­gründe veröffent­licht. Das vollständig be­gründe­te Ur­teil des BAG fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 4. Juni 2019

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