HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

Säch­si­sches LAG, Ur­teil vom 17.03.2016, 6 Sa 631/15

   
Schlagworte: Arbeitsvertragsrichtlinien, AVR, Betriebsübergang, Gleichstellungsabrede
   
Gericht: Sächsisches Landesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 6 Sa 631/15
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 17.03.2016
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Dresden, Urteil vom 30.10.2015, 1 Ca 924/15
nachgehend:
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.11.2017, 6 AZR 683/16
   

Säch­si­sches
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Zwi­ckau­er Straße 54, 09112 Chem­nitz
Post­fach 7 04, 09007 Chem­nitz

Bit­te bei al­len Schrei­ben an­ge­ben:
Az.: 6 Sa 631/15
1 Ca 924/15 ArbG Dres­den

Verkündet am 17. März 2016

Im Na­men des Vol­kes

UR­TEIL

In dem Rechts­streit

...

hat das Säch­si­sche Lan­des­ar­beits­ge­richt - Kam­mer 6 - durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt ... als Vor­sit­zen­den und die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Herrn ... und Herrn ... auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 17. März 2016
für Recht er­kannt:

Die Be­ru­fung der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Dres­den vom 30.10.2015 – 1 Ca 924/15 – wird auf Kos­ten der Be­klag­ten

z u r ü c k g e w i e s e n .

Die Re­vi­si­on wird nicht zu­ge­las­sen.

Tat­be­stand:

Die Par­tei­en strei­ten über Dif­fe­renz­lohn für den Zeit­raum Ju­li 2014 bis Mai 2015 in rech­ne­risch un­strei­ti­ger Höhe von nun­mehr 757,91 € brut­to so­wie um die Fest­stel­lung, dass die Erhöhung der Ent­gel­te durch Be­schluss der ar­beits­recht­li­chen Kom­mis­si­on der ... in Deutsch­land auch über die­sen Zeit­raum hin­aus fort­gilt.

 

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Der Kläger ist bei der Be­klag­ten bzw. de­ren Rechts­vorgänger seit 1991 mit ei­ner durch­schnitt­li­chen wöchent­li­chen Ar­beits­zeit von 40 St­un­den im Ret­tungs­dienst beschäftigt. Vor dem 01.01.2014 war der Kläger bei der ... e. V. tätig. Mit dem 01.01.2014 ging sein Ar­beits­verhält­nis auf die Be­klag­te über.

Bei dem Rechts­vorgänger wur­de der Kläger un­ter An­wen­dung der AVR DW ein­grup­piert. In dem Ar­beits­ver­trag vom 14.08.1991 mit der ... e. V. ist in § 2 Fol­gen­des be­stimmt:

"...Für das Dienst­verhält­nis gel­ten die Ar­beits­ver­trags­richt­li­ni­en des Dia­ko­ni­schen Wer­kes der Evan­ge­li­schen Kir­che in Deutsch­land (AVR) in der je­weils gülti­gen Fas­sung. ...“

Mit Schrei­ben vom 16.07.2014 teil­te die ... Deutsch­land mit, dass durch Be­schluss vom 10.07.2014 rück­wir­kend zum 01.07.2014 die St­un­den­ent­gel­te um 1,9 % erhöht wer­den (vgl. Bl. 10 bis 11 d. A.). Mit Be­schluss vom 08.12.2014 er­folg­te ei­ne wei­te­rer Erhöhung um 2,7 % zum 01.03.2015 (Bl. 141 bis 142 d. A.). Die Loh­nerhöhun­gen hat die Be­klag­te nicht voll­zo­gen.

Un­ter An­wen­dung ei­ner Erhöhun­gen von 1,9 % bzw. wei­te­ren 2,7 % und un­ter Berück­sich­ti­gung der er­teil­ten Ge­halts­ab­rech­nun­gen er­gibt sich zu­guns­ten des Kläger für den Mo­nat Ju­li 2014 ein Be­trag von 49,53 € brut­to, für den Mo­nat Au­gust 2014 ein Be­trag von 49,70 € brut­to, für den Mo­nat Sep­tem­ber 2014 ein Be­trag von 47,87 € brut­to, für den Mo­nat Ok­to­ber 2014 ein Be­trag von 48,46 € brut­to, für den Mo­nat No­vem­ber 2014 ein Be­trag von 50,17 € brut­to, für den Mo­nat De­zem­ber 2014 ein Be­trag von 48,86 € brut­to, für den Mo­nat Ja­nu­ar 2015 ein Be­trag von 49,96 € brut­to, für den Mo­nat Fe­bru­ar 2015 ein Be­trag von 49,14 € brut­to, für den Mo­nat März 2015 ein Be­trag von 121,00 € brut­to, für den Mo­nat April 2015 ein Be­trag von 122,67 € brut­to und für den Mo­nat Mai 2015 ein Be­trag von 120,56 € brut­to.

Mit sei­ner am 02.04.2015 bei dem Ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nen und un­ter dem 11.09.2015 er­wei­ter­ten Kla­ge hat der Kläger die Vergütungs­dif­fe­ren­zen gel­tend ge­macht.

 

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Der Kläger hat die Mei­nung ver­tre­ten, ihm ste­he die Loh­nerhöhung um 1,9 % seit Ju­li 2014 und die wei­te­re Loh­nerhöhung um 2,7 % ab März 2015 zu. Er ver­weist in­so­weit auf ei­ne Ent­schei­dung des LAG Ber­lin-Bran­den­burg vom 24.02.2014 – 6 Sa 1943/11 –. Fer­ner ist der Kläger der Auf­fas­sung, dass die Ent­schei­dung des Hes­si­schen Lan­des­ar­beits­ge­richts vom 25.03.2014 zu dem Ak­ten­zei­chen 8 Sa 1150/13 zu sei­nen Guns­ten ein­grei­fe. Er meint, die im Ar­beits­ver­trag ent­hal­te­ne Klau­sel gel­te auch für den Er­wer­ber. Es sei letzt­lich freie Ent­schei­dung der Be­klag­ten ge­we­sen, die Ar­beits­verhält­nis­se mit dem je­wei­li­gen In­halt zu über­neh­men. Auch bestünde auf Sei­ten der Be­klag­ten die recht­li­che Möglich­keit, durch Ände­rungs­verträge oder durch Ände­rungskündi­gun­gen oder durch Ab­schluss ei­nes ei­ge­nen Haus­ta­rif­ver­tra­ges in­halt­li­che Ände­run­gen her­bei­zuführen.

Der Kläger hat be­an­tragt:

1. Die be­klag­te Par­tei wird ver­ur­teilt, an die kla­gen­de Par­tei 757,91 € brut­to nebst Zin­sen in Höhe von fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz aus, je­weils seit

49,53 € 16.07.2014;
49,70 € 16.08.2014,
47,87 € 16.09.2014,
48,46 € 16.10.2014,
50,17 € 16.11.2014,
48,86 € 16.12.2014,
49,96 € 16.01.2015,
49,14 € 16.02.2015,
121,00 € 16.03.2015,
122,67 € 16.04.2015,
120,56 € 16.05.2015

zu be­zah­len.

2. Es wird fest­ge­stellt, dass die be­klag­te Par­tei ver­pflich­tet ist, die von der ar­beits­recht­li­chen Kom­mis­si­on der ... in Deutsch­land mit Be­schluss vom 10.07.2014 be­schlos­se­ne Erhöhung der Ent­gel­te ab 01.07.2014 in Höhe von 1,9 % so­wie mit Be­schluss vom 08.12.2014 be­schlos­se­ne Erhöhung der Ent­gel­te ab 01.03.2015 in Höhe von 2,7 % der kla­gen­den Par­tei auch in Zu­kunft zu zah­len.

 

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3. Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, dem Kläger 14 h für ge­leis­te­te Ruf­be­reit­schaft auf dem St­un­den­kon­to gut­zu­schrei­ben.

4. Hilfs­wei­se für die Ab­wei­sung des Kla­ge­an­trags zu 3.:

fest­zu­stel­len, dass die kla­gen­de Par­tei zur Leis­tung der Sprin­ger­diens­te gemäß der Be­triebs­ver­ein­ba­rung bei der Be­klag­ten vom 7./17.03.2014 zur Dienst­plan­ge­stal­tung für den Ret­tungs­dienst und Kran­ken­trans­port nicht ver­pflich­tet ist.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Die Be­klag­te hat die Mei­nung ver­tre­ten, dass sie an die Erhöhung der Ent­gel­te nicht ge­bun­den sei. Die Klau­sel in § 2 des Ar­beits­ver­tra­ges sei im Fal­le ei­nes Be­triebsüber­gangs da­hin­ge­hend aus­zu­le­gen, dass die Rech­te des Ar­beit­neh­mers sta­tisch zum Zeit­punkt des Be­triebsüber­gangs auf den neu­en Ar­beit­ge­ber über­ge­hen und nach­fol­gen­de Verände­run­gen nicht gleich­sam In­halt des Ar­beits­ver­tra­ges zum Er­wer­ber wer­den würden.

Ei­ner dy­na­mi­schen An­wen­dung der Klau­sel ste­he die Ent­schei­dung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs vom 18.07.2013 zu dem Ak­ten­zei­chen C-426/11 ent­ge­gen; dar­aus er­ge­be sich, dass Klau­seln, die dy­na­misch auf nach dem Zeit­punkt des Über­gangs ver­han­del­te oder ab­ge­schlos­se­ne Kol­lek­tiv­verträge ver­wei­sen würden, nur dann ge­genüber dem Er­wer­ber durch­setz­bar sei­en, wenn die­ser die Möglich­keit ge­habt ha­be, an den Ver­hand­lun­gen über die­se nach dem Über­gang teil­zu­neh­men. Die­se Grundsätze würden auch im Streit­fall gel­ten. Die Be­klag­te fal­le nicht in den Gel­tungs­be­reich der AVR und gehöre nicht zum Kreis der ... Auf das Ver­hand­lungs­er­geb­nis ha­be die Be­klag­te kei­ner­lei Ein­fluss, so dass ei­ne Bin­dungs­wir­kung auf Sei­ten der Be­klag­ten nicht ge­ge­ben sei.

Das Ar­beits­ge­richt Dres­den hat mit Ur­teil vom 30.10.2015 der Kla­ge hin­sicht­lich Zif­fern 1 und 2 statt­ge­ge­ben. Das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts wur­de der Be­klag­ten am 05.11.2015 zu­ge­stellt. De­ren Be­ru­fung ging am 19.11.2015 bei dem Lan­de­sar-

 

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beits­ge­richt ein und wur­de – nach Verlänge­rung der Be­ru­fungs­be­gründungs­frist bis zum 05.02.2016 – mit ei­nem am 18.01.2016 bei dem Lan­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nen Schrift­satz be­gründet.

Die Be­klag­te ver­tritt un­ter Be­zug­nah­me auf ihr erst­in­stanz­li­ches Vor­brin­gen die An­sicht, das Ar­beits­ge­richt ha­be der Kla­ge zu Un­recht statt­ge­ge­ben. We­gen der Ein­zel­hei­ten wird auf die Be­ru­fungs­be­gründung Be­zug ge­nom­men.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Dres­den vom 30.10.2015 – 1 Ca 924/15 – ab­zuändern und

die Kla­ge in vol­lem Um­fang ab­zu­wei­sen.

Der Kläger be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Der Kläger ver­tei­digt das an­ge­foch­te­ne Ur­teil un­ter Ver­tie­fung sei­nes erst­in­stanz­li­chen Vor­brin­gens.

Bezüglich des wei­te­ren Vor­brin­gens der Par­tei­en im Be­ru­fungs­rechts­zug wird auf de­ren wech­sel­sei­ti­ge Schriftsätze und ih­re An­la­gen Be­zug ge­nom­men.

Ent­schei­dungs­gründe:

Die be­reits nach dem Be­schwer­de­wert statt­haf­te (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) so­wie form- und frist­ge­recht ein­ge­leg­te und be­gründe­te Be­ru­fung (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519 Abs. 1 und 2, 520 Abs. 3 ZPO) ist zulässig.

 

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Ihr ist in der Sa­che je­doch kein Er­folg be­schie­den. Der – zulässi­ger­wei­se teil­wei­se im Rah­men ei­nes Fest­stel­lungs­an­trags gel­tend ge­mach­te – An­spruch des Klägers er­gibt sich aus der durch Be­schlüsse der Ar­beits­recht­li­chen Kom­mis­si­on vom 10.07.2014 und 08.12.2014 er­folg­ten li­nea­ren Erhöhung der nach den AVR DW EKD zu zah­len­den Vergütun­gen. Die­se fin­den gemäß § 2 der zwi­schen den Par­tei­en fort­gel­ten­den Re­ge­lun­gen des Ar­beits­ver­trags vom 14.08.1991 auf das auf den Be­klag­ten gemäß § 613 a BGB über­ge­gan­ge­ne Ar­beits­verhält­nis in der je­weils gülti­gen Fas­sung An­wen­dung.

1. Die Aus­le­gung des zwi­schen den Par­tei­en ge­schlos­se­nen Ver­trags rich­tet sich gemäß §§ 133, 157 BGB nach den für Wil­lens­erklärun­gen gel­ten­den Re­geln. Maßgeb­lich ist der ob­jek­ti­ve Erklärungs­in­halt, der sich aus der Sicht des Empfängers be­stimmt (BAG, Ur­teil vom 19.01.1999 – 9 AZR 667/07 – zi­tiert nach Ju­ris). Da­bei ist gemäß §§ 133, 157 BGB vom Wort­laut aus­zu­ge­hen. Nach den Aus­le­gungs­maßstäben der §§ 133, 157 BGB ist der wirk­li­che Wil­le des Erklären­den zu er­for­schen und nicht am buchstäbli­chen Sinn des Aus­drucks zu haf­ten. Bei der Aus­le­gung sind al­le tatsächli­chen Be­gleit­umstände der Erklärung zu berück­sich­ti­gen, die für die Fra­ge von Be­deu­tung sein können, wel­chen Wil­len der Erklären­de bei sei­ner Erklärung ge­habt hat und wie die Erklärung von ih­rem Empfänger zu ver­ste­hen war (BAG, Ur­teil vom 23.05.2007 – 10 AZR 363/06 – zi­tiert nach Ju­ris; BAG, Ur­teil vom 20.09.2006 – 10 AZR 770/05 –, AP Nr. 41 zu § 1 TVG Be­zug­nah­me auf Ta­rif­ver­trag). Der wirk­li­che Wil­le der Be­tei­lig­ten kann sich da­bei auch aus an­de­ren Umständen, ins­be­son­de­re aus dem sys­te­ma­ti­schen Zu­sam­men­hang der Ge­samt­re­ge­lung er­ge­ben. Darüber hin­aus ist zu berück­sich­ti­gen, dass nach der all­ge­mei­nen Le­bens­er­fah­rung an­zu­neh­men ist, dass ei­ne ver­trag­li­che Be­stim­mung nach dem Wil­len der Par­tei­en ei­nen be­stimm­ten rechts­er­heb­li­chen In­halt auf­wei­sen soll. Dem­gemäß ist ei­ner mögli­chen Aus­le­gung der Vor­zug zu ge­ben, bei wel­cher der Ver­trags­re­ge­lung ei­ne tatsächli­che Be­deu­tung zu­kommt, wenn sich die­se an­sons­ten als überflüssig oder sinn­los er­wei­sen würde (BAG, Ur­teil vom 25.09.2002 – 10 AZR 7/02 –, AP Nr. 27 zu §§ 22, 23 BAT Zu­wen­dungs-TV; BAG, Ur­teil vom 14.11.2001 – 10 AZR 152/01 – zi­tiert nach Ju­ris; BGH, Ur­teil vom 18.05.1998 – II ZR 19/97 –, NJW 1998, 2966).

 

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Wen­det man die­se Grundsätze auf die ver­trag­li­chen Ver­ein­ba­run­gen vom 14.08.1991 an, so ist zu kon­sta­tie­ren, dass die Ver­trags­par­tei­en das Ar­beits­verhält­nis der dy­na­mi­schen An­wen­dung der Ar­beits­ver­trags­richt­li­ni­en des ... in Deutsch­land (AVR) un­ter­wor­fen ha­ben. Die Ver­trags­par­tei­en ha­ben nach dem Grund­satz der Ver­trags­frei­heit das Recht, ei­ne Ver­ein­ba­rung zur In­be­zug­nah­me ei­nes an­de­ren Re­ge­lungs­wer­kes zu schließen. Die in Be­zug ge­nom­me­nen Re­ge­lun­gen gehören zum ver­ein­bar­ten In­halt des Ar­beits­ver­tra­ges und sind als sol­che nur durch die Ver­trags­par­tei­en abänder­bar (vgl. BAG, Ur­teil vom 22.02.2012 – 4 AZR 24/10 –, zi­tiert nach JURIS). Bei kirch­li­chen Ar­beits­rechts­re­ge­lun­gen han­delt es sich nicht um Ta­rif­verträge im Sin­ne des Ta­rif­ver­trags­ge­set­zes, weil sie nicht nach des­sen Maßga­be, ins­be­son­de­re nicht un­ter Be­tei­li­gun­gen von Ge­werk­schaf­ten (§ 2 Abs. 1 TVG), zu­stan­de ge­kom­men sind (BAG, Ur­teil vom 19.02.2003 – 4 AZR 11/02 –; BAG, Ur­teil vom 20.03.2002 –4 AZR 101/01 –; BAG, Ur­teil vom 15.11.2001 – 6 AZR 88/01 –; sämt­lich zi­tiert nach Ju­ris). Die Ar­beits­rechts­re­ge­lun­gen wer­den viel­mehr durch Be­schluss der ARK-RWL fest­ge­legt, die auf­grund der Be­tei­li­gung der Mit­ar­bei­ter­sei­te nicht als Re­präsen­tan­tin des Ar­beit­ge­bers son­dern als Drit­te den In­halt der Ar­beits­verhält­nis­se der bei dem Be­klag­ten beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer be­stimmt (eben­so wie vor­ste­hend: BAG, Ur­teil vom 08.06.2005 – 4 AZR 412/04 –, zi­tiert nach Ju­ris); die in­halt­lich Kon­trol­le der AVR durch staat­li­che Ge­rich­te er­folgt des­halb als ei­ne Bil­lig­keits­kon­trol­le nach §§ 317, 319 BGB (BAG 17.04.1996 – 10 AZR 558/95 –, zi­tiert nach Ju­ris). Folg­lich sind die AVR als in­di­vi­du­al­recht­li­che Re­ge­lung zu ver­ste­hen, nicht aber als kol­lek­tiv­recht­li­che rang­gleich mit Ta­rif­verträgen (BAG, Ur­teil vom 22.02.2012 – 4 AZR 24/10 –, zi­tiert nach Ju­ris).

Vor die­sem Hin­ter­grund ist für ei­ne ein­schränken­de Aus­le­gung der Gel­tung der Dy­na­mik auf ei­nen kirch­li­chen Ar­beit­ge­ber kein Raum. Zwar wird ei­ne sol­che Aus­le­gung bei Be­zug­nah­me auf Ta­rif­verträge in sog. Alt­verträgen aus der Zeit vor dem 01.01.2002 aus Gründen des Ver­trau­ens­schut­zes für wei­ter­hin ge­bo­ten er­ach­tet (BAG, Ur­teil vom 18.04.2007 – 4 AZR 652/05 – zi­tiert nach Ju­ris). Vor­aus­set­zung dafür ist je­doch, dass es sich um ei­ne sog. Gleich­stel­lungs­ab­re­de han­delt, die ei­nem ta­rif­ge­bun­de­nen Ar­beit­ge­ber da­zu dient, auch die Ar­beits­verhält­nis­se zu nicht ta­rif­ge­bun­de­nen Ar­beit­neh­mern in­halt­lich wie bei Ge­werk­schafts­mit­glie­dern aus­zu-

 

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ge­stal­ten. Dies trifft in­des­sen bei AVR ge­ra­de nicht zu, da sie stets al­lein durch ar­beits­ver­trag­li­che Be­zug­nah­me Gel­tung zwi­schen Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer er­lan­gen können (BAG, Ur­teil vom 08.06.2005 – 4 AZR 412/04 –; eben­so: LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 24.02.2012 – 6 Sa 1943/11 –; sämt­lich zi­tiert nach Ju­ris). Dies führt auch nicht zu ei­nem für die Be­klag­te un­zu­mut­ba­ren Er­geb­nis, da die ar­beits­recht­li­che Kom­mis­si­on oh­ne­hin bei der ihr auf dem sog. drit­ten Weg über­tra­ge­nen Leis­tungs­be­stim­mung als Drit­ter gemäß § 319 Abs. 1 Satz 1 BGB bil­li­ges Er­mes­sen wal­ten las­sen muss (BAG Ur­teil vom 10.12.2008 – 4 AZR 801/07 –; eben­so: LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 24.02.2012 – 6 Sa 1943/11 –; sämt­lich zi­tiert nach Ju­ris).

2. Dem Über­gang der dy­na­misch ver­ein­bar­ten Gel­tung der AVR auf die Be­klag­te gemäß § 613 Abs. 1 Satz 1 BGB zum 01.01.2014 steht auch nicht die Richt­li­nie 2001/23/EG des Ra­tes vom 12.03.2001 zur An­glei­chung der Rechts­vor­schrif­ten der Mit­glieds­staa­ten über die Wah­rung von Ansprüchen der Ar­beit­neh­mer beim Über­gang von Un­ter­neh­men, Be­trie­ben und Un­ter­neh­mens- oder Be­triebs­tei­len ent­ge­gen. Die Ent­schei­dung des EuGH vom 18.07.2013 (C-426/11 – [Alemo-Her­ron], zi­tiert nach Ju­ris) zwingt nicht zu ei­ner eu­ro­pa­rechts­kon­for­men Aus­le­gung da­hin­ge­hend, dass die Be­klag­te als Be­triebsüber­neh­mer nicht an de­ren ver­ein­bar­te dy­na­mi­sche An­wen­dung ge­bun­den ist.

Zwar hat der EuGH un­ter dem 18.07.2013 (s. o.) ent­schie­den, dass Art. 3 der Richt­li­nie 2001/23/EG des Ra­tes vom 12.03.2001 zur An­glei­chung der Rechts­vor­schrif­ten der Mit­glied­staa­ten über die Wah­rung von Ansprüchen der Ar­beit­neh­mer bei Über­gang von Un­ter­neh­men, Be­trie­ben oder Un­ter­neh­mens- oder Be­triebs­tei­len da­hin­ge­hend aus­zu­le­gen sei, dass er es ei­nem Mit­glieds­staat ver­weh­re, vor­zu­se­hen, dass im Fal­le ei­nes Un­ter­neh­mensüber­gangs die Klau­seln, die dy­na­misch auf nach dem Zeit­punkt des Über­gangs ver­han­del­te und ab­ge­schlos­se­ne Kol­lek­tiv­verträge ver­wie­sen, ge­genüber dem Er­wer­ber durch­setz­bar sei­en, wenn die­ser nicht die Möglich­keit ha­be, an den Ver­hand­lun­gen über die­se nach dem Über­gang ab­ge­schlos­se­nen Kol­lek­tiv­verträge teil­zu­neh­men. Der EuGH hat dies da­mit be­gründet, dass Art. 3 der Richt­li­nie 2001/23/EG im Ein­klang mit Ar­ti­kel 16 der Char­ta

 

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zur un­ter­neh­me­ri­schen Frei­heit aus­zu­le­gen sei. Dem Be­triebs­er­wer­ber müsse es möglich sein, im Rah­men ei­nes zum Ver­trags­ab­schluss führen­den Ver­fah­rens, an dem er be­tei­ligt ist, sei­ne In­ter­es­sen wirk­sam gel­tend zu ma­chen und die die Ent­wick­lung der Ar­beits­be­din­gun­gen sei­ner Ar­beit­neh­mer be­stim­men­den Fak­to­ren mit Blick auf sei­ne künf­ti­ge wirt­schaft­li­che Tätig­keit aus­zu­han­deln. Sei dies nicht möglich, so sei die Ver­trags­frei­heit die­ses Be­triebs­er­wer­bers so er­heb­lich re­du­ziert, dass ei­ne sol­che Ein­schränkung den We­sens­ge­halt sei­ner Rech­te auf un­ter­neh­me­ri­sche Frei­heit be­ein­träch­ti­gen könne (EuGH vom 18.07.2013 – C-426/11 – [Alemo-Her­ron], zi­tiert nach Ju­ris).

Die Kam­mer hegt be­reits Zwei­fel, ob die­se zum eng­li­schen Recht er­gan­ge­ne Ent­schei­dung auf das deut­sche Recht über­trag­bar ist (vgl. BAG, Vor­la­ge­be­schluss vom 17.06.2015 – 4 AZR 61/14 [A] –, zi­tiert nach Ju­ris). Das eng­li­sche Recht kennt kei­ne un­mit­tel­ba­re und zwin­gen­de Wir­kung von Ta­rif­verträgen; viel­mehr wer­den die Kol­lek­tiv­verträge (sog. collec­tive agree­ments) aus­sch­ließlich über Be­zug­nah­me­klau­seln zum In­halt der Ar­beits­verträge. Das eng­li­sche Ta­rif­recht be­steht da­mit prak­tisch nur aus dy­na­mi­schen ar­beits­ver­trag­li­chen Be­zug­nah­me­klau­seln (Forst, DB, 2013, 1847, 1849). Im Fal­le ei­nes Be­triebsüber­gangs ge­hen nach eng­li­schem Recht die in den Ar­beits­ver­trag ein­be­zo­ge­nen dy­na­mi­schen Be­zug­nah­men auf Kol­lek­tiv­nor­men auf den Be­triebs­er­wer­ber über, oh­ne dass die Möglich­keit bestünde, durch frei­wil­li­ge Ver­ein­ba­rung mit dem Ar­beit­neh­mer von der dy­na­mi­schen Be­zug­nah­me im Ar­beits­ver­trag ab­zu­wei­chen, so­fern die Ände­rung auch nur ei­nen – ins­be­son­de­re zeit­li­chen – Be­zug zum Be­triebsüber­gang auf­weist (Mey­er, AP Nr. 10 zu Richt­li­nie 2001/23/EG Blatt 4 R, 6; Heu­schmid, AuR 2013, 500, 502). Im Ge­gen­satz zum eng­li­schen Recht sind im Fal­le ei­nes Be­triebsüber­gangs nach deut­schem Recht die nach § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Er­wer­ber über­ge­gan­ge­nen Rech­te und Pflich­ten durch Ver­ein­ba­rung oder durch Ände­rungskündi­gung ab­ding­bar; über­kom­me­ne ta­rif­ver­trag­li­che Re­ge­lun­gen sind durch die Ver­ein­ba­rung oder Gel­tung an­de­rer ta­rif­ver­trag­li­cher Nor­men ablösbar. Der Be­triebs­er­wer­ber hat folg­lich im We­ge der Ände­rungskündi­gung (hier­zu Kemp­ter BB 2014, 1785; Mückl ZiP 2014, 207, 212) die – wenn auch nicht ganz ein­fach zu rea­li­sie­ren­de – Möglich­keit, ei­ne dy­na­mi­sche Be­zug­nah­me in ei­ne sta­ti­sche Be­zug­nah­me zu ändern. Die­se

 

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Möglich­keit be­steht nach eng­li­schem Recht nicht. Im Hin­blick auf die ar­beits­ver­trag­li­chen Ände­rungsmöglich­kei­ten ist im Ge­gen­satz zum eng­li­schen Recht im deut­schen Recht die Ver­trags­frei­heit des Er­wer­bers nicht so er­heb­lich re­du­ziert, dass ei­ne sol­che Ein­schränkung den We­sens­ge­halt sei­nes Rechts auf un­ter­neh­me­ri­sche Frei­heit be­ein­träch­tigt (eben­so: Säch­si­sches LAG, Ur­teil vom 24.03.2015 – 1 Sa 541/14 –; Hess. LAG, Ur­teil vom 10.12.2013 – 8 Sa 537/13 –; an­de­rer An­sicht Sächs. LAG, Ur­teil vom 25.07.2014 – 3 Sa 128/14 –; sämt­lich zi­tiert nach Ju­ris).

Letzt­lich kann die­se Fra­ge je­doch da­hin­ste­hen, da es sich bei den AVR ge­ra­de nicht – wir oben ausführ­lich dar­ge­stellt – um kol­lek­tiv­recht­lich gel­ten­de Nor­men han­delt. Die An­wen­dungs­ver­ein­ba­rung stellt sich als in­di­vi­du­al­recht­li­che Ab­re­de dar, die wie je­de an­de­re Ver­trags­klau­sel der Dis­po­si­ti­on der Ver­trags­par­tei­en un­ter­liegt und grundsätz­lich durch Ver­ein­ba­rung bzw. (Ände­rungs-)Kündi­gung abänder­bar, aber auch ei­ner Über­prüfung nach §§ 317, 319 BGB zugäng­lich ist.

3. Die sei­tens der ar­beits­recht­li­chen Kom­mis­si­on er­folg­ten Leis­tungs­be­stim­mun­gen er­wei­sen sich auch nicht als of­fen­bar un­bil­lig im Sin­ne von § 319 Abs. 1 BGB. Dies ist dann der Fall, wenn die Be­stim­mung die Grundsätze von Treu und Glau­ben in gro­ber Wei­se ver­letzt und sich ih­re Un­bil­lig­keit ei­nem sach­kun­di­gen und un­be­fan­ge­nen Be­ob­ach­ter so­fort auf­drängt. Dies ist bei ei­ner sin­gulären Be­trach­tung der Erhöhun­gen ei­ner Grund­vergütung im Ju­li 2014 um 1,9 % und im März 2015 um 2,7 %, aber auch bei ge­mein­sa­mer Be­trach­tung der zu­vor in den Jah­ren 2013 und 2014 er­folg­ten Erhöhun­gen von 3,1 % und 1,3 % nicht der Fall. Es ist da­von aus­zu­ge­hen (aber nicht dar­ge­legt), dass auch in den Jah­ren 2013 bis 2015 in an­de­ren Bran­chen Ta­rif­stei­ge­run­gen statt­ge­fun­den ha­ben. Ins­ge­samt be­we­gen sich die sei­tens der ar­beits­recht­li­chen Kom­mis­si­on vor­ge­nom­me­nen Leis­tungs­be­stim­mun­gen nicht we­sent­lich außer­halb des an­sons­ten übli­chen Rah­mens, so dass ei­ne sich auf­drängen­de Un­bil­lig­keit nicht vor­liegt. Auch wenn man in die Be­rech­nung die West-Ost-An­pas­sung ein­be­zieht er­gibt sich kein an­de­res Bild. Die­se An­pas­sung ist viel­fach – ins­be­son­de­re im öffent­li­chen Sek­tor – be­reits in den Vor­jah­ren er­folgt und wur­de so­mit im Be­reich des Dia­ko­ni­schen Wer­kes nur nach­ge­holt. War­um ei­ne der­ar­ti­ge An­pas­sung der Ost­gehälter an das West­ni­veau grob un­bil­lig sein soll, er-

 

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schließt sich der Kam­mer nicht. Im Übri­gen sind Ge­sichts­punk­te, aus de­nen sich ei­ne übermäßige Be­las­tung ge­ra­de der Be­klag­ten er­ge­ben, de­ren Tat­sa­chen­vor­trag nicht zu ent­neh­men.

4. Die gel­tend ge­mach­ten Zin­sen recht­fer­ti­gen sich aus §§ 286 bis 288 BGB.

5. Die Be­klag­te hat gemäß § 97 ZPO die Kos­ten des er­folg­lo­sen Rechts­mit­tels zu tra­gen.

Ein An­lass, die Re­vi­si­on zu­zu­las­sen, be­stand nach den in § 72 Abs. 2 ArbGG ge­nann­ten Kri­te­ri­en nicht; die Kam­mer hat ei­nen Ein­zel­fall auf der Grund­la­ge höchst­rich­ter­li­cher Recht­spre­chung ent­schie­den.

Ge­gen die­ses Ur­teil ist ein Rechts­mit­tel nicht ge­ge­ben. Auf die Möglich­keit, die Nicht­zu­las­sung der Re­vi­si­on selbständig durch Be­schwer­de an­zu­fech­ten (§ 72 a ArbGG), wird hin­ge­wie­sen.

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