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BAG, Ur­teil vom 13.06.2002, 2 AZR 234/01

   
Schlagworte: Kündigung: Verhaltensbedingt, Stasi-Kontakte, Fragerecht
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 2 AZR 234/01
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 13.06.2002
   
Leitsätze:

1. Die Falschbeantwortung einer Frage des Arbeitgebers nach früheren "Stasi-Kontakten" kann eine ordentliche Kündigung rechtfertigen.

2. Das Fragerecht ist allerdings beschränkt durch das betriebliche Interesse und das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers. Damit der Arbeitnehmer die Zulässigkeit der Frage beurteilen kann, muß sie so konkret formuliert sein, daß der Arbeitnehmer zweifelsfrei erkennen kann, wonach gefragt wird.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Frankfurt (Oder), Urteil vom 12.04.2000, 3 Ca 4726/99
Landesarbeitsgericht Brandenburg, Urteil vom 16.11.2000, 3 Sa 398/00
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

2 AZR 234/01

3 Sa 398/00

Lan­des­ar­beits­ge­richt

Bran­den­burg

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am 13. Ju­ni 2002

UR­TEIL

An­derl, Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­onskläge­rin,

PP.

Kläge­rin, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Zwei­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf Grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 13. Ju­ni 2002 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Prof. Dr. Rost, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Bröhl und Schmitz-Scho­le­mann, die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Röder und Dr. Bar­tel für Recht er­kannt:


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Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Lan­de­sar­beits­ge­richts Bran­den­burg vom 16. No­vem­ber 2000 - 3 Sa 398/00 - wird auf Kos­ten der Be­klag­ten zurück­ge­wie­sen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über ei­ne ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung und über ei­nen Auflösungs­an­trag der Be­klag­ten.

Die 1953 ge­bo­re­ne Kläge­rin trat im Jah­re 1973 als Re­dak­teu­rin in die Diens­te der Ta­ges­zei­tung "D ", die von der da­ma­li­gen SED-Be­zirks­lei­tung her­aus­ge­ge­ben wur­de. Seit 1978 ar­bei­te­te die Kläge­rin in der S Lo­kal­re­dak­ti­on, de­ren ver­ant­wort­li­che Re­dak­teu­rin sie 1985 wur­de. Von 1981 bis No­vem­ber 1989 nutz­te das Mi­nis­te­ri­um für Staats­si­cher­heit (MfS) die Räume der Lo­kal­re­dak­ti­on für kon­spi­ra­ti­ve Zwe­cke.

Nach­dem "D " im März 1990 von der Be­klag­ten über­nom­men und in "M O-Z" (MOZ) um­be­nannt wor­den war, wur­de die Kläge­rin seit Mit­te 1992 nicht mehr als ver­ant­wort­li­che Re­dak­teu­rin, son­dern als Lo­kal­re­dak­teu­rin mit Zuständig­keit für den Be­reich R beschäftigt. Die Jah­res­brut­to­vergütung der Kläge­rin be­trug zu­letzt 116.790,00 DM. Nach dem Ar­beits­ver­trag der Par­tei­en ist die Kläge­rin "zur Ein­hal­tung der vom Her­aus­ge­ber vor­ge­ge­be­nen Richt­li­ni­en für die grundsätz­li­che Hal­tung der Zei­tung ver­pflich­tet". Die "pu­bli­zis­ti­schen Grundsätze" der Be­klag­ten se­hen die Befürwor­tung der frei­heit­li­chen, de­mo­kra­ti­schen Grund­ord­nung und der so­zia­len Markt­wirt­schaft vor.

An ei­nem 1993 be­gon­ne­nen For­schungs­pro­jekt mit dem Ti­tel "Staats­si­cher­heits­dienst und Be­zirks­par­tei­zei­tun­gen" wa­ren die Be­klag­te als Pro­jekt­part­ne­rin und ihr jet­zi­ger Pro­zeßbe­vollmäch­tig­ter, Herr Dr. W, als Pro­jekt­ko­or­di­na­tor, be­tei­ligt. Das Er­geb­nis des For­schungs­pro­jekts wur­de 1997 in Buch­form veröffent­licht. Im Vor­wort heißt es ua., "der Ein­druck, daß sei­tens der Pro­jekt­part­ner, ins­be­son­de­re vom Pro­jekt­ko­or­di­na­tor, ver­lags­in­te­re Per­so­na­lia zu an­de­ren als zu wis­sen­schaft­lich-struk­tur­ge­schicht­li­chen Zwe­cken be­nutzt wer­den würden", ha­be sich im­mer deut­li­cher er­ge­ben. Es sei die Ge­fahr ver­mu­tet wor­den, "daß das For­schungs­pro­jekt zur Lösung be­triebs­in­ter­ner Per­so­nal­pro­ble­me be­nutzt wer­den könn­te".


 

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Im Jah­re 1996 ließ die Chef­re­dak­ti­on der MOZ ge­genüber ih­ren Re­dak­teu­ren ver­lau­ten, daß im Rah­men ei­ner For­schungs­ar­beit even­tu­el­le Kon­tak­te zum ehe­ma­li­gen Mi­nis­te­ri­um für Staats­si­cher­heit (MfS) be­kannt wer­den könn­ten. Mit Aus­nah­me der Kläge­rin such­ten dar­auf­hin al­le Re­dak­teu­re der Lo­kal­re­dak­ti­on S das ver­trau­li­che Gespräch mit dem da­ma­li­gen Lei­ter der Lo­kal­re­dak­ti­on. In den bei­den fol­gen­den Jah­ren wur­de - ua. in ei­nem Fern­seh­bei­trag des ORB - wie­der­holt der Vor­wurf er­ho­ben, es sei­en noch nicht al­le kon­spi­ra­ti­ven Vorgänge in der Lo­kal­re­dak­ti­on S auf­geklärt.

Am 5. Ok­to­ber 1999 er­schien in der MOZ ein von der Kläge­rin ge­schrie­be­ner Ar­ti­kel mit der Über­schrift "Bio­gra­fi­en zu ver­bie­gen verstärkt die Kluft - Ura­nia-Frühschop­pen zum The­ma ost­deut­sche Wirt­schafts­ent­wick­lung". Dar­in sind Äußerun­gen von Teil­neh­mern des Frühschop­pens wie­der­ge­ge­ben, die den "Ost­auf­bau" kri­ti­sie­ren, zB als "Be­rei­che­rungs­pro­gramm für West­deut­sche".

Am 5. No­vem­ber 1999 fand ein Gespräch zwi­schen dem Chef­re­dak­teur und der Kläge­rin statt, an dem auch Herr Dr. W teil­nahm. Die Be­klag­te mach­te in dem Gespräch ih­ren Wunsch deut­lich, das Ar­beits­verhält­nis zu be­en­den. Die Kläge­rin er­bat sich Be­denk­zeit bis zum 9. No­vem­ber. Bis zu die­sem Tag wur­de die Kläge­rin be­ur­laubt. Der Chef­re­dak­teur erklärte, er - und nicht die Kläge­rin - wer­de ih­ren Vor­ge­setz­ten Rietz über die Be­ur­lau­bung un­ter­rich­ten. Ob, wie die Be­klag­te be­haup­tet, außer­dem Still­schwei­gen über den Gesprächs­in­halt ver­ein­bart wur­de, ist strei­tig. Im An­schluß an das Gespräch rief die Kläge­rin den Mit­ar­bei­ter Wa an. Ob sie ihm le­dig­lich mit­teil­te, sie sei bis zum 9. No­vem­ber frei­ge­stellt (so die Kläge­rin) oder ob sie darüber hin­aus­ge­hen­de An­ga­ben über den In­halt des Gesprächs mach­te (so die Be­klag­te), ist eben­falls strei­tig.

Nach Anhörung des Be­triebs­rats kündig­te die Be­klag­te durch Schrei­ben vom 15. De­zem­ber 1999 das Ar­beits­verhält­nis mit der Kläge­rin zum 30. Sep­tem­ber 2000 und be­rief sich dar­auf, die Kläge­rin ha­be die Be­klag­te nicht über ih­re Sta­si-Kon­tak­te in­for­miert. Ei­ne Re­cher­che ha­be er­ge­ben, daß die Re­dak­ti­onsräume als kon­spi­ra­ti­ve Woh­nung ge­nutzt wor­den sei­en. Fer­ner ha­be die Kläge­rin die über das Gespräch vom 5. No­vem­ber ver­ein­bar­te Ver­trau­lich­keit ge­bro­chen und mit ih­rem Ar­ti­kel vom 5. Ok­to­ber die pu­bli­zis­ti­schen Grundsätze der Be­klag­ten ver­letzt.

Mit der am 21. De­zem­ber 1999 er­ho­be­nen Kla­ge hat die Kläge­rin gel­tend ge­macht, die Kündi­gung sei so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt und man­gels aus­rei­chen­der Un­ter­rich­tung des Be­triebs­rats un­wirk­sam. Die Be­klag­te ha­be von der kon­spi­ra­ti­ven Nut­zung der Re­dak­ti­onsräume schon Mit­te 1996 er­fah­ren. Un­ter den Re­dak­teu­ren des "" sei­en


 

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die kon­spi­ra­ti­ven Ak­ti­vitäten ein of­fe­nes Ge­heim­nis ge­we­sen ("Wenn nachts in der Re­dak­ti­on Licht brennt ... dann tagt dort Horch und Guck"). Kon­kre­te Vorwürfe bezüglich ei­ner Sta­si-Mit­ar­beit ha­be die Be­klag­te nie er­ho­ben. Des­halb ha­be sie, die Kläge­rin, hier­zu auch nicht Stel­lung ge­nom­men. Über das Gespräch vom 5. No­vem­ber 1999 sei Ver­trau­lich­keit nicht ver­ein­bart, son­dern von der Be­klag­ten ein­sei­tig an­ge­ord­net wor­den. Die­ser An­ord­nung ha­be die Kläge­rin nicht zu­wi­der­ge­han­delt. Sie ha­be Herrn Wa le­dig­lich aus ar­beits­tech­ni­schen Gründen und al­lein über die Tat­sa­che und die Dau­er ih­rer Be­ur­lau­bung un­ter­rich­tet. In dem von der Be­klag­ten be­an­stan­de­ten Ar­ti­kel ha­be sie Mei­nungsäußerun­gen zi­tiert, und dies kor­rekt. Außer­dem könne ei­ne Kündi­gung auf ei­nen Ten­denz­ver­s­toß nur nach er­folg­lo­ser Ab­mah­nung gestützt wer­den.

Die Kläge­rin hat zu­letzt be­an­tragt

fest­zu­stel­len, daß das zwi­schen den Par­tei­en be­gründe­te Ar­beits­verhält­nis nicht durch die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 15. De­zem­ber 1999 auf­gelöst wor­den ist.

Die Be­klag­te hat um Kla­ge­ab­wei­sung ge­be­ten und im Be­ru­fungs­ver­fah­ren hilfs­wei­se be­an­tragt,

das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen den Par­tei­en gem. § 9 Abs. 1 KSchG auf­zulösen und sie zur Zah­lung ei­ner an­ge­mes­se­nen Ab­fin­dung zu ver­ur­tei­len.

Die Be­klag­te ist der Auf­fas­sung, sie ha­be den Be­triebs­rat ord­nungs­gemäß an­gehört. Die Kündi­gung sei so­zi­al ge­recht­fer­tigt. Es sei für die pu­bli­zis­ti­sche Glaubwürdig­keit der MOZ von großer Be­deu­tung, nicht mit ih­rer Rechts­vorgänge­rin iden­ti­fi­ziert zu wer­den. Das Ver­trau­en in die Ten­denz­treue der Kläge­rin sei zerstört: Die Kläge­rin sei der be­rech­tig­ten Auf­for­de­rung, sich zu of­fen­ba­ren, nicht nach­ge­kom­men. Sie ha­be dem Mit­ar­bei­ter Wag­ner am 5. No­vem­ber 1999 ge­sagt, ihr sol­le we­gen "Sta­si-Vorwürfen" gekündigt wer­den, was nicht nur den Bruch ei­ner kurz zu­vor ge­trof­fe­nen Ver­ein­ba­rung und ei­ne Ver­let­zung der im Pres­se­ko­dex nie­der­ge­leg­ten Ver­trau­lich­keit be­deu­te, son­dern auch in der Sa­che falsch sei, da die Kündi­gung nicht auf "Sta­si-Vorwürfe", son­dern auf das Schwei­gen der Kläge­rin gestützt wer­de. Des­halb könne die Wirk­sam­keit der Kündi­gung auch nicht an der an­geb­lich feh­len­den Kon­kre­ti­sie­rung der "Sta­si-Kon­tak­te" schei­tern. Außer­dem ha­be die Kläge­rin dis­tanz­lo­se, un­kri­ti­sche Be­rich­te veröffent­licht wie den vom 5. Ok­to­ber 1999, der im deut­li­chen Ge­gen­satz zur pu­bli­zis­ti­schen Ten­denz der Be­klag­ten ste­he. Zur Be­gründung ih­res Auflösungs­an­tra­ges hat die Be­klag­te der Kläge­rin "durchgängi­ge Igno­ranz" im Pro­zeß vor­ge­wor­fen.


 

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Schon vor­ge­richt­lich im No­vem­ber 1999 ha­be die Kläge­rin öffent­lich in S be­haup­tet, die Be­klag­te "wühle jetzt bei Gauck rum".

Die Kläge­rin hat um Ab­wei­sung des Auflösungs­an­trags ge­be­ten.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts ab­geändert, nach dem Kla­ge­an­trag er­kannt und den Auflösungs­an­trag ab­ge­wie­sen. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on be­gehrt die Be­klag­te Wie­der­her­stel­lung des erst­in­stanz­li­chen Ur­teils und hilfs­wei­se Auflösung des Ar­beits­verhält­nis­ses.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on ist un­be­gründet. Die Kündi­gung vom 15. De­zem­ber 1999 hat das Ar­beits­verhält­nis nicht auf­gelöst. Zu Recht hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt auch den Auflösungs­an­trag der Be­klag­ten zurück­ge­wie­sen.

A. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat es als na­he­lie­gend an­ge­se­hen, daß die Kläge­rin an­ge­sichts des grund­ge­setz­li­chen Schut­zes der Pres­se­un­ter­neh­men nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ver­pflich­tet war, die Fra­ge der Be­klag­ten nach ei­ner Tätig­keit für das MfS wahr­heits­gemäß zu be­ant­wor­ten. Es hat sich auf die Recht­spre­chung des Se­nats zur "Fra­ge­bo­genlüge" im öffent­li­chen Dienst be­zo­gen und aus­geführt, ei­ne Pflicht­ver­let­zung lie­ge erst dann vor, wenn der Ar­beit­neh­mer auf ei­ne zulässi­ge Fra­ge ei­ne ob­jek­tiv und sub­jek­tiv fal­sche Ant­wort ge­be. Dar­an feh­le es. Denn die Be­klag­te ha­be ei­ne kon­kre­te Zu­sam­men­ar­beit mit dem MfS nicht ein­mal be­haup­tet. Der von der Be­klag­ten be­haup­te­te Bruch der Ver­trau­lich­keit stel­le zwar mögli­cher­wei­se ei­ne Pflicht­ver­let­zung dar; es han­de­le sich aber um ei­nen ein­ma­li­gen Vor­gang nach fünf­und­zwan­zigjähri­gem Be­ste­hen des Ar­beits­verhält­nis­ses, der auch kei­nen Ver­s­toß ge­gen die im Pres­se­ko­dex ver­an­ker­te Ver­trau­lich­keit be­inhal­te. Der Ar­ti­kel vom 5. Ok­to­ber 1999 sei zwar ten­den­z­wid­rig und nicht be­son­ders fein­sin­nig, als ein­ma­li­ge Fehl­leis­tung rei­che er aber nicht zur Recht­fer­ti­gung der Kündi­gung. Die Kündi­gung sei auch nicht per­so­nen­be­dingt ge­recht­fer­tigt, da die Be­klag­te es an Dar­le­gun­gen ha­be feh­len las­sen, aus de­nen auf ei­ne grundsätz­li­che gro­be Un­ehr­lich­keit der Kläge­rin ge­schlos­sen wer­den könne. Zur Be­gründung des Auflösungs­an­trags sei der Be­klag­ten­vor­trag man­gels hin­rei­chen­der Sub­stanz un­ge­eig­net. Selbst wenn die Kläge­rin öffent­lich geäußert ha­ben soll­te, daß


 

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die Be­klag­te "bei Gauck rumwühle", so lie­ge doch ei­ne sol­che - frei­lich po­le­mi­sche - Äußerung noch im Rah­men der Wahr­neh­mung be­rech­tig­ter In­ter­es­sen.

B. Dem folgt der Se­nat im Er­geb­nis und im we­sent­li­chen auch in der Be­gründung.

I. Die Kündi­gung vom 15. De­zem­ber 1999 ist so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt iSd. § 1 KSchG.

1. Die Ent­schei­dung des Be­ru­fungs­ge­richts über die So­zi­al­wid­rig­keit ei­ner Kündi­gung ist in der Re­vi­si­ons­in­stanz nur be­schränkt nach­prüfbar; bei der Fra­ge der So­zi­al­wid­rig­keit (§ 1 Abs. 2 KSchG) han­delt es sich um die An­wen­dung ei­nes un­be­stimm­ten Rechts­be­griffs, die vom Re­vi­si­ons­ge­richt nur dar­auf ge­prüft wer­den kann, ob das Be­ru­fungs­ge­richt den Rechts­be­griff selbst ver­kannt hat, ob es bei der Un­ter­ord­nung des Sach­ver­halts un­ter die Rechts­nor­men des § 1 KSchG Denk­ge­set­ze und all­ge­mei­ne Er­fah­rungssätze ver­letzt hat, ob es bei der ge­bo­te­nen In­ter­es­sen­abwägung, bei der dem Tat­sa­chen­rich­ter ein Be­ur­tei­lungs­spiel­raum zu­steht, al­le we­sent­li­chen Umstände berück­sich­tigt hat und ob die Ent­schei­dung in sich wi­der­spruchs­frei ist (st. Rspr. vgl. ua. BAG 13. Ju­ni 1996 - 2 AZR 483/95 - BA­GE 83, 181, 187 und 4. De­zem­ber 1997 - 2 AZR 750/96 - AP KSchG 1969 § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 37 = EzA KSchG § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 53, zu II 2 a der Gründe). Die­sem Prü­fungs­maßstab hält das an­ge­grif­fe­ne Ur­teil stand.

2. Die Kündi­gung ist nicht aus ver­hal­tens­be­ding­ten Gründen iSd. § 1 Abs. 2 KSchG ge­recht­fer­tigt.

a) Die Fra­ge, ob die et­wai­ge MfS-Ver­stri­ckung der Kläge­rin - für sich ge­nom­men - die Kündi­gung aus ver­hal­tens­be­ding­tem Grund iSd. § 1 Abs. 2 KSchG recht­fer­tigt, hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt zu Recht nicht ge­prüft Zwar können be­wußte Tätig­kei­ten für das MfS je nach den Umständen des Ein­zel­fal­les ge­eig­net sein, ei­ne außer­or­dent­li­che oder or­dent­li­che Kündi­gung zu recht­fer­ti­gen (st. Rspr. vgl. BAG 25. Ok­to­ber 2001 - 2 AZR 559/00 -EzA BGB § 626 nF Nr. 191; 16. Sep­tem­ber 1999 - 2 AZR 902/98 - RzK 15 i Nr. 157; vgl. auch: BVerwG 13. Ju­li 2000 - 2 C 26/99 - ZBR 2001, 45; BVerfG 8. Ju­li 1997 -1 BvR 2111/94, 1 BvR 195/95, 1 BvR 2189/95 - BVerfGE 96, 171). In­des hat die Be­klag­te ih­re Kündi­gung aus­drück­lich nicht auf et­wai­ge Tätig­kei­ten der Kläge­rin für das MfS gestützt und sol­che Tätig­kei­ten nicht im ein­zel­nen vor­ge­tra­gen. In­so­weit wird auch von der Re­vi­si­on kei­ne Rüge er­ho­ben.


 

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b) Auch die Falsch­be­ant­wor­tung ei­ner zulässi­ger­wei­se ge­stell­ten Fra­ge nach frühe­rer MfS-Tätig­keit kann ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung ver­hal­tens­be­dingt recht­fer­ti­gen (st. Rspr. vgl. ua. BVerfG 8. Ju­li 1997 - 1 BvR 2111/94 ua. - BVerfGE 96, 171; BAG 26. Au­gust 1993 - 8 AZR 561/92 - BA­GE 74, 120; 13. Sep­tem­ber 1995 - 2 AZR 862/94 - AP Ei­ni­gungs­ver­trag Anl. I Kap. XIX Nr. 53 = EzA Ei­ni­gungs­ver­trag Art. 20 Nr. 46; 13. Ju­ni 1996 - 2 AZR 483/95 - BA­GE 83, 181; 29. April 1999 - 2 AZR 470/98 -nv.; 16. Sep­tem­ber 1999 - 2 AZR 902/98 - RzK 15 i Nr. 157). Das gilt vor al­lem im öf­fent­li­chen Dienst. Aber auch sonst kann es Ar­beits­stel­len ge­ben, de­ren Be­set­zung der Ar­beit­ge­ber von der wahr­heits­gemäßen Be­ant­wor­tung der Fra­gen nach et­wai­ger MfS-Ver­stri­ckung abhängig ma­chen kann (BAG 25. Ok­to­ber 2001 - 2 AZR 559/00 - EzA BGB § 626 nF Nr. 191). In­des be­steht das Fra­ge­recht nicht un­be­grenzt. Sei­ne Reich­wei­te ist viel­mehr be­schränkt durch das be­trieb­li­che In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers und das Persönlich­keits­recht des Ar­beit­neh­mers. Außer­dem muß die Fra­ge so for­mu­liert sein, daß der Ar­beit­neh­mer er­ken­nen kann, wo­nach ge­fragt ist. Der Ar­beit­neh­mer muß die Zulässig­keit der Fra­ge be­ur­tei­len können. Außer­dem darf ei­ne et­wai­ge Falsch­be­ant­wor­tung nicht iso­liert be­trach­tet wer­den. Viel­mehr kommt es auch bei be­wußt wahr­heits­wid­ri­ger Be­ant­wor­tung noch auf ei­ne ein­zel­fall­be­zo­ge­ne Würdi­gung an (st. Rspr. vgl. BAG 16. Sep­tem­ber 1999 - 2 AZR 902/98 - aaO; BVerwG 13. Ju­li 2000 - 2 C 26/99 - aaO; BVerfG 8. Ju­li 1997 - 1 BvR 2111/94 ua. - aaO). Zu die­ser Würdi­gung gehören nicht nur die In­ten­sität und die Vor­werf­bar­keit der frühe­ren Ver­stri­ckung, son­dern auch die nähe­ren Umstände der Be­fra­gung und der Be­ant­wor­tung. So muß zwi­schen ei­ner aus­wei­chen­den und ei­ner ein­deu­tig wahr­heits­wid­ri­gen Ant­wort un­ter­schie­den wer­den (BVerfG 8. Ju­li 1997 - 1 BvR 2111/94 ua. - aaO) und ein Ver­schwei­gen ist dann nicht pflicht­wid­rig, wenn die ver­schwie­ge­ne Tätig­keit als sol­che ei­ne Kündi­gung nicht recht­fer­ti­gen würde (BAG 10. De­zem­ber 1998 - 8 AZR 594/97 - nv.).

Im vor­lie­gen­den Fall ist die Kündi­gung nicht we­gen Falsch­be­ant­wor­tung ge­recht­fer­tigt. Denn die Be­klag­te be­haup­tet selbst nicht, daß die Kläge­rin ei­ne fal­sche Ant­wort ge­ge­ben ha­be. Auch die Re­vi­si­on macht nicht gel­tend, daß die Kläge­rin ei­ne fal­sche Erklärung über ih­re et­wai­ge MfS-Ver­stri­ckung ab­ge­ge­ben ha­be. Viel­mehr weist die Re­vi­si­on im Ge­gen­teil aus­drück­lich dar­auf hin, es kom­me ihr nicht auf Ein­zel­hei­ten ei­ner et­wai­gen MfS-Tätig­keit der Kläge­rin an. Selbst wenn man das Schwei­gen der Kläge­rin als ein Ab­strei­ten jeg­li­cher MfS-Tätig­keit verstünde, so wäre doch von der Be­klag­ten nicht dar­ge­legt, daß die­ses Ab­strei­ten wahr­heits­wid­rig er­folg­te.


 

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c) Oh­ne Er­folg rügt die Re­vi­si­on, das Lan­des­ar­beits­ge­richt ha­be nicht aus­rei­chend berück­sich­tigt, daß der Kern des ge­gen die Kläge­rin er­ho­be­nen Vor­wurfs in der Wei­ge­rung als sol­cher lie­ge, sich zu et­wai­gen "Sta­si-Kon­tak­ten" zu of­fen­ba­ren.

Die auch vom Lan­des­ar­beits­ge­richt nicht in Ab­re­de ge­stell­te Ver­pflich­tung des Ar­beit­neh­mers, bei ge­ge­be­nem An­laß zulässi­ge Fra­gen wahr­heits­gemäß zu be­ant­wor­ten, um­faßt al­ler­dings auch die Pflicht, "über­haupt" zu ant­wor­ten. Hier liegt aber in der Wei­ge­rung als sol­cher schon des­halb kei­ne Pflicht­ver­let­zung der Kläge­rin, weil die Be­klag­te kei­ne kon­kre­te - erst recht kei­ne zulässi­ge - Fra­ge an die Kläge­rin ge­rich­tet hat. Die Be­klag­te hat ge­genüber ih­ren Re­dak­teu­ren im Jah­re 1996 - oh­ne ei­ne spe­zi­fi­zier­te Fra­ge zu for­mu­lie­ren - in nicht näher be­schrie­be­ner Wei­se ver­lau­ten las­sen, sie er­war­te, daß die­se sich zu et­wai­gen Ver­stri­ckun­gen of­fen­bar­ten. Das be­rech­tig­te In­ter­es­se der Be­klag­ten liegt in der pu­bli­zis­ti­schen Glaubwürdig­keit. Die­se er­for­dert nicht den ge­ne­rel­len Aus­schluß sämt­li­cher wie auch im­mer ge­ar­te­ter Kon­tak­te oder Ver­stri­ckun­gen im Zu­sam­men­hang mit den Ak­ti­vitäten des MfS, zu­mal sol­che Kon­tak­te auch pas­si­ver, schuld­lo­ser oder mar­gi­na­ler Na­tur sein könn­ten. Außer­dem sind bei ei­nem so all­ge­mein ge­hal­te­nen "stum­men Wink" die Gren­zen der Be­rei­che mögli­cher wah­rer - und da­mit auch fal­scher - Ant­wor­ten zu weit ge­zo­gen. Je­mand kann sich schon dann über et­was of­fen­ba­ren, wenn er ei­ne gefühlsmäßige Ge­samt­einschätzung mit­teilt, wie es die Kläge­rin ge­genüber dem da­ma­li­gen Re­dak­ti­ons­lei­ter En­de 1996 ge­tan ha­ben will. Eben­so gut kann un­ter Of­fen­ba­rung die Preis­ga­be ei­nes oder auch meh­re­rer als be­las­tend emp­fun­de­ner De­tails ver­stan­den wer­den. In je­dem Fall bleibt un­klar, wann ei­ne Erklärung hin­rei­chend kon­kret und vollständig ist. Im Zwei­fel wird des­halb der­je­ni­ge, der sich "of­fen­ba­ren" soll, ver­an­laßt, mehr preis­zu­ge­ben als er ei­gent­lich müßte. Ei­ne sol­che über­schießen­de Ausübung des an sich ge­ge­be­nen Fra­ge­rechts ist rechts­wid­rig.

d) Die Kündi­gung ist auch nicht we­gen des von der Be­klag­ten be­haup­te­ten Bruchs der Ver­trau­lich­keit des Gesprächs vom 5. No­vem­ber 1999 aus ver­hal­tens­be­ding­ten Gründen so­zi­al ge­recht­fer­tigt. Das hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt oh­ne Rechts­feh­ler an­ge­nom­men.

aa) Die von der Be­klag­ten be­haup­te­te Pflicht­ver­let­zung be­trifft ein steu­er­ba­res Ver­hal­ten der Kläge­rin. Ei­ne Kündi­gung hätte des­halb ei­ner vor­he­ri­gen er­folg­lo­sen Ab­mah­nung be­durft, wor­an es, wie das Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­tref­fend er­kannt hat, fehlt. Die Ab­mah­nung war auch nicht aus­nahms­wei­se ent­behr­lich. Soll­te tatsächlich in dem von der Be­klag­ten be­haup­te­ten um­fas­sen­den Sinn Ver­trau­lich­keit ver­ein­bart wor-


 

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den sein, so würde es sich doch bei ei­nem Ver­s­toß der Kläge­rin um ei­nen ein­ma­li­gen Vor­gang in ei­ner für die Kläge­rin außer­or­dent­lich an­ge­spann­ten persönli­chen Si­tua­ti­on han­deln, von dem kei­ne für die Be­klag­te schädli­chen Fol­gen fest­ge­stellt sind. Die Wer­tung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, die Kläge­rin ha­be sich mögli­cher­wei­se "Luft ma­chen" wol­len, und der Vor­gang sei des­halb an­ge­sichts der Dau­er des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht so schwer­wie­gend, als daß er oh­ne vor­he­ri­ge Ab­mah­nung ei­ne Kündi­gung recht­fer­ti­gen könn­te, ist gut nach­voll­zieh­bar. Die Auf­fas­sung der Re­vi­si­on, die erwähn­te - be­haup­te­te - Pflicht­ver­let­zung müsse zu ei­nem weit­ge­hen­den Ver­trau­ens­ver­lust der Be­klag­ten führen, ist er­kenn­bar über­zo­gen.

bb) Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Re­vi­si­on ist es nicht zu be­an­stan­den, daß das Lan­des­ar­beits­ge­richt nicht aus­drück­lich auf die Be­haup­tung der Be­klag­ten ein­ge­gan­gen ist, die Kläge­rin ha­be nicht nur die Ver­trau­lich­keit des Gesprächs ver­letzt, son­dern dem von ihr an­ge­ru­fe­nen Herrn Wa auch die Un­wahr­heit über das Gespräch vom 5. No­vem­ber 1999 ge­sagt; sie ha­be nämlich wahr­heits­wid­rig erklärt, sie sol­le we­gen "Sta­si-Vorwürfen" gekündigt wer­den, während in Wahr­heit stets nur ei­ne Be­en­di­gung we­gen der wei­ger­li­chen Hal­tung der Kläge­rin in Re­de ge­stan­den ha­be. Dar­in liegt je­doch ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Re­vi­si­on kein ge­son­dert und er­schwe­rend zu berück­sich­ti­gen­der Um­stand. Die Kündi­gung der Be­klag­ten steht in ei­nem unlösba­ren Zu­sam­men­hang mit dem Vor­wurf, die Kläge­rin ha­be "Sta­si-Kon­tak­te" ge­habt. Daß sol­che Vorwürfe zu­min­dest mit­tel­bar auch im Gespräch vom 5. No­vem­ber 1999 erörtert wur­den, steht außer Streit. Es würde ei­ne un­ge­naue, im Kern aber nicht fal­sche Aus­sa­ge dar­stel­len, wenn die Kläge­rin, wie die Be­klag­te be­haup­tet, un­ter dem fri­schen Ein­druck des Gesprächs am Te­le­fon ge­sagt ha­ben soll­te, sie sol­le "we­gen Sta­si-Vorwürfen" gekündigt wer­den. Das gilt erst recht, wenn man hin­zu­nimmt, daß es sich um ei­ne münd­li­che, um­gangs­sprach­li­che und nicht wei­ter be­dach­te oder vor­be­rei­te­te Äußerung han­del­te.

e) Auch die Veröffent­li­chung des Ar­ti­kels vom 5. Ok­to­ber 1999 stellt kei­nen ver­hal­tens­be­ding­ten Grund zur Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses dar. Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Re­vi­si­on hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt zu Recht ent­schei­dend dar­auf ab­ge­stellt, daß es sich bei dem Ar­ti­kel um den ein­zi­gen von der Be­klag­ten be­haup­te­ten Ver­s­toß der Kläge­rin ge­gen ih­re Ten­denz­wah­rungs­pflicht han­delt. Der Ar­ti­kel gibt der Ver­gan­gen­heit zu­ge­wand­te po­li­ti­sche Emp­fin­dun­gen wie­der, die mit dem von der Be­klag­ten vor­ge­ge­be­nen pu­bli­zis­ti­schen Grund­ton nicht gut har­mo­nie­ren. Dies ge­schieht al­ler­dings nicht in der Form ei­ge­ner Mei­nungsäußerung der Kläge­rin, son­dern in ers­ter

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Li­nie durch die Wie­der­ga­be von Zi­ta­ten. Von ei­ner schwer­wie­gen­den, et­wa be­wußten Ten­denz­ver­let­zung kann des­halb nicht die Re­de sein. Außer­dem läßt der Ar­ti­kel in kei­ner Wei­se er­ken­nen, daß die Ur­he­be­rin des Ar­ti­kels sich die Einschätzun­gen im Sin­ne hartnäcki­ger Ein­sei­tig­keit zu ei­gen ge­macht hätte. Umstände, die ei­ne Ab­mah­nung ent­behr­lich oder aus­sichts­los er­schei­nen ließen, sind we­der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt fest­ge­stellt noch von der Be­klag­ten be­haup­tet wor­den.

f) Oh­ne Er­folg bleibt auch die Rüge der Re­vi­si­on, das Lan­des­ar­beits­ge­richt ha­be die Wirk­sam­keit der Kündi­gung nicht un­ter dem Ge­sichts­punkt ge­prüft, daß die er­ho­be­nen Vorwürfe in ih­rer Ge­samt­heit die Kündi­gung ver­hal­tens­be­dingt recht­fer­ti­gen könn­ten.

aa) Rich­tig ist zwar, daß dem Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts ei­ne sol­che ein

heit­li­che Würdi­gung der von der Be­klag­ten gel­tend ge­mach­ten Kündi­gungs­gründe un­ter dem Ge­sichts­punkt ei­ner ver­hal­tens­be­ding­ten Recht­fer­ti­gung der Kündi­gung nicht aus­drück­lich zu ent­neh­men ist. Das war aber mit Rück­sicht dar­auf, daß die Ent­schei­dungs­gründe nach § 313 Abs. 3 ZPO nur ei­ner kur­zen Zu­sam­men­fas­sung der Erwägun­gen bedürfen, hier nicht zwin­gend er­for­der­lich. Denn das Ar­beits­ge­richt hat­te die Kündi­gung ge­ra­de auf Grund ei­ner Ge­samtwürdi­gung für wirk­sam er­ach­tet. In­dem das Lan­des­ar­beits­ge­richt das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts abänder­te und die Kündi­gungs­vorwürfe je für sich be­han­del­te und als un­zu­rei­chend an­sah, hat es hin­rei­chend deut­lich ge­macht, daß es die Kündi­gung auch bei Ge­samtwürdi­gung der er­ho­be­nen Vorwürfe für so­zi­al­wid­rig hielt.

bb) Dem ist zu fol­gen. Die Kündi­gungs­vorwürfe las­sen auch in ih­rer Ge­samt­heit kein Ver­hal­ten der Kläge­rin er­ken­nen, das zu ei­ner un­be­heb­ba­ren Ver­trau­ensstörung geführt hätte. Die Wei­ge­rung der Kläge­rin, sich zu et­wai­gen MfS-Kon­tak­ten zu of­fen­ba­ren, ent­hielt be­reits ob­jek­tiv kei­ne Pflicht­ver­let­zung, wie das Lan­des­ar­beits­ge­richt zu Recht fest­ge­stellt hat. Dar­an kann sich auch dann nichts ändern, wenn man die­sen Vor­gang in ei­nen Zu­sam­men­hang mit dem an­geb­li­chen Bruch der Ver­trau­lich­keit und dem be­haup­te­ten Ten­denz­ver­s­toß rückt. Die­se bei­den Vorgänge - soll­ten sie Pflicht­ver­let­zun­gen be­inhal­ten - ste­hen un­ter­ein­an­der in ei­nem al­len­falls sehr mit­tel­ba­ren Zu­sam­men­hang. Der von der Be­klag­ten be­haup­te­te Bruch der Ver­trau­lich­keit ge­schah in ei­ner Aus­nah­me­si­tua­ti­on un­ter spe­zi­el­len Umständen, de­ren Wie­der­kehr un­wahr­schein­lich ist. Der be­haup­te­te Ten­denz­ver­s­toß lag zeit­lich vor dem Gespräch vom 5. No­vem­ber 1999 und war eben­so ein ein­ma­li­ger Vor­gang.


 

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3. Zu­tref­fend hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt an­ge­nom­men, die Kündi­gung sei auch nicht aus per­so­nen­be­ding­ten Gründen ge­recht­fer­tigt. An­halts­punk­te für ei­ne grundsätz­li­che gro­be Un­ehr­lich­keit oder ste­ti­ge Un­zu­verlässig­keit der Kläge­rin sind in der Tat nicht er­kenn­bar. Die Re­vi­si­on er­hebt in­so­weit auch kei­ne Rügen.

II. Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Re­vi­si­on hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt den Auflösungs­an­trag der Be­klag­ten zu Recht zurück­ge­wie­sen.

1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG ist das Ar­beits­verhält­nis auf An­trag des Ar­beit­ge­bers auf­zulösen, wenn Gründe vor­lie­gen, die ei­ne den Be­triebs­zwe­cken dien­li­che wei­te­re Zu­sam­men­ar­beit zwi­schen Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer nicht er­war­ten las­sen. An den Auflösungs­an­trag des Ar­beit­ge­bers sind stren­ge An­for­de­run­gen zu stel­len (BAG 5. No­vem­ber 1964 - 2 AZR 15/64 - BA­GE 16, 285; 16. Mai 1984 - 7 AZR 280/82 - BA­GE 46, 42; 21. Sep­tem­ber 2000 - 2 AZR 440/99 - BA­GE 95, 350).

2. Die von der Be­klag­ten be­haup­te­te Äußerung der Kläge­rin, "daß die jetzt bei Gauck rumwühlen und et­was ge­gen mich fin­den wol­len", ist, wie das Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­tref­fend aus­geführt hat, ge­wiß po­le­misch. In­des ist nicht fest­ge­stellt und hat die Be­klag­te auch nicht vor­ge­tra­gen, wann ge­nau, un­ter wel­chen Umständen und in wel­chem Zu­sam­men­hang die be­tref­fen­den - von der Kläge­rin be­strit­te­nen - Äußerun­gen ge­fal­len sein sol­len. Die Be­klag­te hat le­dig­lich aus­geführt, die Äußerung sei "Mit­te No­vem­ber 1999" öffent­lich in S ge­fal­len. Für die zu­tref­fen­de ar­beits­recht­li­che Be­wer­tung ei­ner Mei­nungsäußerung kommt es auf die nähe­ren Umstände ent­schei­dend an (st. Rspr. BVerfG 16. Ok­to­ber 1998 - 1 BvR 1685/92 - AP BGB § 611 Ab­mah­nung Nr. 24 = EzA BGB § 611 Ab­mah­nung Nr. 40). Da sol­che nähe­ren Umstände nicht fest­ge­stellt sind - zulässi­ge Ver­fah­rensrügen hat die Be­klag­te nicht er­ho­ben -, ist es je­den­falls re­vi­si­ons­recht­lich nicht zu be­an­stan­den, wenn das Lan­des­ar­beits­ge­richt an­ge­nom­men hat, die Äußerung ha­be noch im Rah­men der Wahr­neh­mung be­rech­tig­ter In­ter­es­sen ge­le­gen. Auch die Rüge der Re­vi­si­on, die be­haup­te­te Äußerung der Kläge­rin sei un­wahr, kann kei­nen Er­folg ha­ben. Schon das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat dar­auf hin­ge­wie­sen, daß die Be­klag­te in der Tat Kennt­nis­se auf Grund von Re­cher­chen bei der "Gauck-Behörde" ge­won­nen hat­te. Je­den­falls aus Sicht der Kläge­rin mag auch die im Vor­wort zur Buch­veröffent­li­chung der erwähn­ten Stu­die an­ge­spro­che­ne Ver­mi­schung wis­sen­schaft­li­cher und per­so­nal­wirt­schaft­li­cher Er­kennt­nis­in­ter­es­sen ei­ne Rol­le ge­spielt ha­ben. Der Aus­druck "rumwühlen" läßt sich dem­nach als ei­ne über­spitz­te, nicht aber als schlecht­hin un­wah­re Be­schrei­bung die­ser Umstände ver­ste­hen. Oh­ne Er­folg


 

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ver­weist die Re­vi­si­on auf das Pro­zeßver­hal­ten der Kläge­rin. Zwar kann auch das Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers im Kündi­gungs­schutz­pro­zeß zur Stützung ei­nes An­trags nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG her­an­ge­zo­gen wer­den (BAG 21. Sep­tem­ber 2000 - 2 AZR 440/99 - aaO). Der von der Be­klag­ten er­ho­be­ne Vor­wurf "durchgängi­ger Igno­ranz" ist aber sei­ner­seits po­le­misch und wird der Pro­zeßführung durch die Kläge­rin nicht ge­recht. Die Be­klag­te stützt ih­ren Vor­wurf im Kern dar­auf, daß die Kläge­rin an ih­rer Auf­fas­sung im Be­zug auf die ver­lang­te "Of­fen­ba­rung" fest­ge­hal­ten hat. Das ge­schah in­des zu Recht. Der Vor­wurf der Be­klag­ten ist folg­lich un­be­gründet.

C. Die Kos­ten ih­res oh­ne Er­folg ein­ge­leg­ten Rechts­mit­tels muß die Be­klag­te nach § 97 Abs. 1 ZPO tra­gen.

Rost Bröhl Schmitz-Scho­le­mann

Räder Bar­tel

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