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ARBEITSRECHT AKTUELL // 06/09

BSG: Kei­ne Sperr­zeit bei Kün­di­gung und Ab­schluß ei­nes Zeit­ver­trags

Wer ein si­che­res un­be­fris­te­tes Ar­beits­ver­hält­nis kün­digt und ei­nen be­fris­te­ten Job an­nimmt, ris­kiert bei des­sen Aus­lau­fen kei­ne Sperr­frist: Bun­des­so­zi­al­ge­richt, Ur­teil vom 12.07.2006, B 11a AL 55/05 R
Logo der Bundesagentur für Arbeit, weißes Dreieck auf rotem Hintergrund Beim The­ma Sperr­zeit zäh­len nicht nur die In­ter­es­sen der Ver­si­cher­ten­ge­mein­schaft

01.08.2006. Wer als Ar­beit­neh­mer ei­ne Kün­di­gung aus­spricht und dann Ar­beits­lo­sen­geld be­an­tragt, muss im Re­gel­fall mit ei­ner Sperr­zeit rech­nen, da er ja selbst ver­ant­wort­lich da­für ist, dass der Ver­si­che­rungs­fall der Ar­beits­lo­sig­keit ein­ge­tre­ten ist.

An­ders ist es da­ge­gen, wenn ein be­fris­te­tes Ar­beits­ver­hält­nis sein En­de fin­det. Dann kann die Ar­beits­ver­wal­tung dem Ar­beits­lo­sen schlecht vor­wer­fen, er hät­te doch bit­te bes­ser ei­nen un­be­fris­te­ten Ar­beits­ver­trag ab­ge­schlos­sen, dann wä­re er jetzt auch nicht ar­beits­los. Dann ist klar, dass ei­ne Sperr­zeit kein The­ma ist.

Aber was ist, wenn man ein si­che­res un­be­fris­te­tes Ar­beits­ver­hält­nis kün­digt, um sich be­ruf­lich zu ver­än­dern, und im An­schluss dar­an ein be­fris­te­tes Ar­beits­ver­hält­nis ein­geht? Muss man dann mit ei­ner Sperr­zeit rech­nen, wenn das be­fris­te­te Ar­beits­ver­hält­nis en­det?

Das Bun­des­so­zi­al­ge­richt (BSG) meint nein: BSG, Ur­teil vom 12.07.2006, B 11a AL 55/05 R.

Sperr­zeit als Fol­ge ei­ner Kündi­gung mit an­sch­ließen­dem zeit­lich be­fris­te­ten Ver­trag?

Gemäß § 159 Abs.1 Satz 1 Drit­tes Buch So­zi­al­ge­setz (SGB III) (früher: § 144 Abs.1 Satz 1 SGB III) verhängt die Agen­tur für Ar­beit ei­ne in der Re­gel zwölfwöchi­ge Sperr­zeit, wenn sich der Ar­beit­neh­mer "ver­si­che­rungs­wid­rig" ver­hal­ten hat, oh­ne dafür ei­nen wich­ti­gen Grund zu ha­ben.

Ein ver­si­che­rungs­wid­ri­ges Ver­hal­ten liegt un­ter an­de­rem dann vor, wenn der Ar­beits­lo­se das Beschäfti­gungs­verhält­nis gelöst oder durch ein ar­beits­ver­trags­wid­ri­ges Ver­hal­ten An­laß für die Lösung des Beschäfti­gungs­verhält­nis­ses ge­ge­ben und da­durch vorsätz­lich oder grob fahrlässig die Ar­beits­lo­sig­keit her­bei­geführt hat (§ 159 Abs.1 Satz 2 Nr.1 SGB III). In ei­nem sol­chen Fall verhängt die Ar­beits­agen­tur ei­ne Sperr­zeit we­gen Ar­beits­auf­ga­be.

Frag­lich ist, ob ei­ne Sperr­zeit we­gen Ar­beits­auf­ga­be auch dann ein­tritt, wenn ein Ar­beit­neh­mer ein un­be­fris­te­tes Ar­beits­verhält­nis kündigt, um im An­schluß dar­an ei­ne be­fris­te­te Beschäfti­gung ein­zu­ge­hen, und wenn er so­dann nach Aus­lau­fen des be­fris­te­ten Ar­beits­verhält­nis­ses ar­beits­los wird.

Aus Sicht der Ar­beits­agen­tu­ren ist dies ei­ne ver­si­che­rungs­wid­ri­ge "Ar­beits­auf­ga­be", da der Ar­beit­neh­mer ja auch "brav" in sei­nem al­ten, un­be­fris­te­ten Ar­beits­verhält­nis hätte blei­ben können: Dann wäre er ja nicht ar­beits­los ge­wor­den.

Aus Sicht des Ar­beits­lo­sen liegt da­ge­gen ein be­rech­tig­ter Ar­beits­platz­wech­sel vor, der nur mit­tel­bar, d.h. nach Aus­lau­fen des Zeit­ver­trags zur Ar­beits­lo­sig­keit geführt hat, und außer­dem auch nicht not­wen­di­ger­wei­se zur Ar­beits­lo­sig­keit führen mußte, da der Zeit­ver­trag ja auch hätte verlängert oder in ein un­be­fris­te­tes Ar­beits­verhält­nis hätte überführt wer­den können.

Zu die­ser Fra­ge hat­te das Bun­des­so­zi­al­ge­richt (BSG) in ei­nem Ur­teil vom 12.07.2006 zu ent­schei­den.

Wel­cher Sach­ver­halt lag der Ent­schei­dung des BSG zu­grun­de?

Dem Ur­teil des BSG lag fol­gen­der Fall zu­grun­de:

Die Ar­beit­neh­me­rin war seit 1995 un­be­fris­tet als An­ge­stell­te im Ver­triebs­in­nen­dienst zu ei­nem mo­nat­li­chen Brut­to­ge­halt von 4.516,00 DM beschäftigt. Sie kündig­te das un­be­fris­te­te Ar­beits­verhält­nis zum 31.03.2001 und trat zum 01.04.2001 ein zeit­lich bis zum 31.10.2001 be­fris­te­te Stel­le als Kin­der­ani­ma­teu­rin in der Schweiz an.

Ei­ne kon­kre­te Aus­sicht auf ei­ne Verlänge­rung die­ses Zeit­ver­trags be­stand nicht. Das Ge­halt, das die Kläge­rin als Kin­der­ani­ma­teu­rin be­zog, be­trug um­ge­rech­net et­wa die Hälf­te ih­rer zu­vor be­zo­ge­nen Vergütung.

Das Beschäfti­gungs­verhält­nis en­de­te mit Aus­lau­fen des Zeit­ver­trags am 31.10.2001. Die Ar­beit­neh­me­rin mel­de­te sich dar­auf­hin am 01.11.2001 ar­beits­los und be­an­trag­te Ar­beits­lo­sen­geld. Die Agen­tur für Ar­beit lehn­te den An­trag ab und teil­te mit, daß der An­spruch we­gen des Ein­tritts ei­ner Sperr­zeit mit ei­ner Dau­er von 12 Wo­chen ru­he.

Die Ar­beits­agen­tur verhäng­te dar­auf­hin ei­ne Sperr­zeit un­ter Ver­weis auf § 144 Abs.1 Satz 2 Nr.1 SGB III (heu­te: § 159 Abs.1 Satz 2 Nr.1 SGB III). Hier­ge­gen er­hob die Ar­beit­neh­me­rin nach er­folg­lo­sem Wi­der­spruch Kla­ge, d.h. sie woll­te Ar­beits­lo­sen­geld auch für die Dau­er der Sperr­zeit bzw. ei­ne ge­richt­li­che Auf­he­bung der Sperr­zeit.

Das So­zi­al­ge­richt wies die Kla­ge ab. Auch die Be­ru­fung der Kläge­rin war er­folg­los, d.h. das Lan­des­so­zi­al­ge­richt wies die Be­ru­fung zurück. Das Lan­des­so­zi­al­ge­richt be­gründe­te sei­ne ge­gen die Ar­beit­neh­me­rin er­gan­ge­ne Ent­schei­dung da­bei wie folgt:

Zwar ha­be die Kläge­rin nach ih­rer Ei­genkündi­gung zunächst wie­der in ei­nem Beschäfti­gungs­verhält­nis ge­stan­den, doch sei die­ses von vorn­her­ein be­fris­tet ge­we­sen. Da­mit ha­be sie zu­min­dest grob fahrlässig den Ein­tritt von Ar­beits­lo­sig­keit nach Aus­lau­fen des be­fris­te­ten Beschäfti­gungs­verhält­nis­ses in Kauf ge­nom­men, da es kei­ne Zu­sa­ge oder kon­kre­te Aus­sicht auf ei­ne An­schlußbeschäfti­gung nach Aus­lau­fen des Zeit­ver­trags ge­ge­ben ha­be.

Die Kläge­rin ha­be für ihr Ver­hal­ten auch kei­nen wich­ti­gen Grund. Zwar sei das Beschäfti­gungs­verhält­nis in der Schweiz für die Kläge­rin we­gen der da­mit ver­bun­de­nen Aus­lands­er­fah­run­gen und der Möglich­keit, Fremd­spra­chen­kennt­nis­se zu er­wei­tern, at­trak­tiv ge­we­sen.

Bei Abwägung al­ler Umstände sei es ihr aber zu­zu­mu­ten ge­we­sen, in ih­rem - oh­ne­hin bes­ser be­zahl­ten - Dau­er­ar­beits­verhält­nis zu blei­ben, bis ein dau­er­haf­tes An­schlußar­beits­verhält­nis hätte be­gründet wer­den können oder zu­min­dest ein be­fris­te­tes Beschäfti­gungs­verhält­nis mit kon­kre­ter Aus­sicht auf ei­ne Verlänge­rung.

Wie hat das BSG ent­schie­den?

Das BSG hat - an­ders als die Vor­in­stan­zen - im Sin­ne der Ar­beit­neh­me­rin ent­schie­den und die Sperr­zeitan­ord­nung auf­ge­ho­ben. Die­se Ent­schei­dung be­gründet das Bun­des­so­zi­al­ge­richt mit fol­gen­den Erwägun­gen.

Das BSG teilt zunächst die Auf­fas­sung des Lan­des­so­zi­al­ge­richts, daß die Ar­beit­neh­me­rin ih­re Ar­beits­lo­sig­keit durch ihr Ver­hal­ten ver­ur­sacht hat, nämlich durch die Auf­ga­be ei­nes un­be­fris­te­ten und durch die an­sch­ließen­de Be­gründung ei­nes be­fris­te­ten Ar­beits­verhält­nis­ses.

Außer­dem bestätigt das Bun­des­so­zi­al­ge­richt die Auf­fas­sung der Vor­in­stanz, daß die Kläge­rin ih­re Ar­beits­lo­sig­keit "grob fahrlässig" her­bei­geführt ha­be. Gro­be Fahrlässig­keit lie­ge nämlich im­mer dann vor, wenn der Ar­beit­neh­mer bei Kündi­gung sei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses kei­ne kon­kre­ten Aus­sich­ten auf ei­nen An­schlußar­beits­platz ha­be.

Die­se Grundsätze sind nach An­sicht des Bun­des­so­zi­al­ge­richts sinn­gemäß auf die Kündi­gung ei­nes un­be­fris­te­ten Ar­beits­verhält­nis­ses zum Zweck der Auf­nah­me ei­nes be­fris­te­ten Ar­beits­verhält­nis­ses zu über­tra­gen. Der Ar­beit­neh­mer führt in sol­chen Fällen sei­ne Ar­beits­lo­sig­keit nur dann nicht "grob fahrlässig" her­bei, wenn er bei Auf­ga­be des un­be­fris­te­ten Ar­beits­verhält­nis­ses be­reits kon­kre­te An­halts­punk­te dafür hat, daß nach Aus­lau­fen der Be­fris­tung ei­ne un­be­fris­te­te Beschäfti­gung möglich ist.

An­ders als das So­zi­al- und das Lan­des­so­zi­al­ge­richt bil­lig­te das BSG der Kläge­rin im vor­lie­gen­den Fall aber ei­nen "wich­ti­gen Grund" für die Her­beiführung der Ar­beits­lo­sig­keit zu.

Nach An­sicht des BSG kann sich ein Ar­beit­neh­mer nämlich auf ei­nen wich­ti­gen Grund im Sin­ne von § 144 Abs.1 Satz 1 SGB III (heu­te: § 159 Abs.1 Satz 1 SGB III) be­ru­fen, wenn die be­fris­te­te Beschäfti­gung naht­los an das auf­ge­ge­be­ne un­be­fris­te­te Ar­beits­verhält­nis an­knüpft, mit ei­nem Wech­sel in ein an­de­res Be­rufs­feld ver­bun­den ist und der Ar­beit­neh­mer da­her zusätz­li­che be­ruf­li­che Fer­tig­kei­ten er­wirbt.

In ei­nem sol­chen Fall, d.h. bei Auf­nah­me ei­nes an­de­ren Be­rufs, sei die durch Art.12 GG geschütz­te Be­rufs­wahl­frei­heit "in ih­rem Kern­be­reich be­trof­fen". Hier­zu führt das Bun­des­so­zi­al­ge­richt wei­ter aus:

"Wäre dem Ar­beit­neh­mer auf Grund der dro­hen­den wirt­schaft­li­chen Fol­gen ei­ner Sperr­zeit nur der Wech­sel in ein un­be­fris­te­tes Beschäfti­gungs­verhält­nis eröff­net, so wäre ihm ein Wech­sel in Be­rufs­fel­der prak­tisch ver­wehrt, in de­nen be­fris­te­te Ar­beits­verhält­nis­se die Re­gel bil­den. Hier­bei ist im Übri­gen an­zu­mer­ken, dass auch der Wech­sel in ein neu­es un­be­fris­te­tes Ar­beits­verhält­nis für den Ar­beit­neh­mer mit er­heb­li­chen Ri­si­ken ver­bun­den ist, weil zB der all­ge­mei­ne Kündi­gungs­schutz gemäß § 1 Kündi­gungs­schutz­ge­setz (KSchG) erst nach ei­ner War­te­zeit von sechs Mo­na­ten greift".

Ei­ne Ein­schränkung sei­ner Recht­spre­chung deu­tet das Bun­des­so­zi­al­ge­richt al­ler­dings für den Fall an, daß die be­fris­te­te Beschäfti­gung, die ge­gen das un­be­fris­te­te Ar­beits­verhält­nis ein­ge­tauscht wird, le­dig­lich von ganz kur­zer Dau­er ist, d.h. et­wa zwei oder drei Mo­na­te währt. In sol­chen Fällen ist ei­ne an­de­re, d.h. zu­las­ten des Ar­beit­neh­mers ge­hen­de Recht­spre­chung des Bun­des­so­zi­al­ge­richts denk­bar.

Fa­zit: Das Ur­teil des BSG er­leich­tert den Ar­beits­platz­wech­sel. In vie­len Fällen ist nämlich ein Ar­beits­platz­wech­sel un­ver­meid­lich da­mit ver­bun­den, daß man zunächst ein­mal ein be­fris­te­tes Ar­beits­verhält­nis in Kauf nimmt. In sol­chen Fällen be­steht nun­mehr Rechts­si­cher­heit für den kündi­gen­den Ar­beit­neh­mer, vor­aus­ge­setzt, das be­fris­te­te An­schlußar­beits­verhält­nis dau­ert nicht nur zwei oder drei Mo­na­te.

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Letzte Überarbeitung: 1. März 2015

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