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HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

ArbG Bre­men-Bre­mer­ha­ven, Ur­teil vom 23.09.2010, 5 Ca 5142/10

   
Schlagworte: Leistungsentgelt, TVöD
   
Gericht: Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven
Aktenzeichen: 5 Ca 5142/10
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 23.09.2010
   
Leitsätze:
Vorinstanzen:
   

Ak­ten­zei­chen: 5 Ca 5142/10


IM NA­MEN DES VOL­KES

UR­TEIL

In dem Rechts­streit

Kläger

ge­gen

Be­klag­te

Proz.-Bev.:
hat die 5. Kam­mer des Ar­beits­ge­richts Bre­men-Bre­mer­ha­ven
auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 23. Sep­tem­ber 2010 durch
den Di­rek­tor des Ar­beits­ge­richts als Vor­sit­zen­den,
den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter,
den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter
für Recht er­kannt:

1. Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, an den Kläger € 199,81 brut­to nebst Zin­sen in Höhe von fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz seit dem 01.01.2010 zu zah­len.


2. Die Be­klag­te trägt die Kos­ten des Rechts­streits.

3. Der Wert des Streit­ge­gen­stan­des wird auf € 199,81 fest­ge­setzt.

4. Das Ur­teil ist vorläufig voll­streck­bar.

5. Die Be­ru­fung wird zu­ge­las­sen.

Rechts­mit­tel­be­leh­rung


Ge­gen die­ses Ur­teil kann die Be­klag­te Be­ru­fung ein­le­gen. Für den Kläger ist kein Rechts­mit­tel ge­ge­ben.
Die Be­ru­fung muss in­ner­halb ei­ner Not­frist von ei­nem Mo­nat schrift­lich bei dem

Lan­des­ar­beits­ge­richt Bre­men

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Jus­tiz­zen­trum Am Wall 198
28195 Bre­men
 


ein­ge­gan­gen sein. Sie ist gleich­zei­tig oder in­ner­halb ei­ner Frist von zwei Mo­na­ten in glei­cher Form schrift­lich zu be­gründen.


Bei­de Fris­ten be­gin­nen mit Zu­stel­lung des in vollständi­ger Form ab­ge­setz­ten Ur­teils, spä-tes­tens aber mit Ab­lauf von fünf Mo­na­ten nach der Verkündung.


Die Be­ru­fung kann nur durch ei­nen/ei­ne bei ei­nem deut­schen Ge­richt zu­ge­las­se­nen Rechts­an­walt/Rechts­anwältin oder durch ei­ne der nach § 11 Ab­satz 2 Satz 2 des Ar­beits-ge­richts­ge­set­zes zu­ge­las­se­nen Per­so­nen (z. B. Ver­tre­ter/-in von Ge­werk­schaf­ten oder Ar­beit­ge­ber­verbänden) ein­ge­legt wer­den. Es wird ge­be­ten, sämt­li­che Schriftsätze in fünf-fa­cher Aus­fer­ti­gung - für je­den wei­te­ren Be­tei­lig­ten ei­ne Aus­fer­ti­gung mehr - bei dem Lan­des­ar­beits­ge­richt ein­zu­rei­chen.

Wer­den die vor­ge­nann­ten Vor­schrif­ten nicht ein­ge­hal­ten, kann das Lan­des­ar­beits-ge­richt - von sel­te­nen Aus­nah­mefällen ab­ge­se­hen - das Ur­teil nicht mehr abändern.



TAT­BESTAND

Mit sei­ner am 12.05.2010 ein­ge­gan­ge­nen Kla­ge macht der Kläger ei­nen ta­rif­li­chen Zah-lungs­an­spruch gel­tend.

Der Kläger ist seit 1993 bei der Be­klag­ten als Kfz-Hand­wer­ker tätig. Seit dem 01.10.2005 be­stimmt sich das Ar­beits­verhält­nis nach dem Ta­rif­ver­trag für den öffent­li­chen Dienst (TVöD – VKA).


Dem Kläger stand im Sep­tem­ber 2008 ein Ta­bel­len­ent­gelt in Höhe von € 3.330,13 brut­to zu. Mit der Ab­rech­nung für De­zem­ber 2008 zahl­te die Be­klag­te 6% des Ta­bel­len­ent­gelts für Sep­tem­ber 2008 (€ 199,81 brut­to) als pau­scha­lier­tes Leis­tungs­ent­gelt aus (vgl. die Ab­rech­nung De­zem­ber 2008, Bl. 11 d. A.).

Im Be­trieb der Be­klag­ten ist ein Be­triebs­rat gewählt. Ei­ne Be­triebs­ver­ein­ba­rung gem. § 18 Abs. 6 Satz 3 TVöD (VKA) be­steht nicht.

Mit der Ab­rech­nung für De­zem­ber 2009 wur­den dem Kläger auf Grund­la­ge ei­nes im Sep-tem­ber 2009 in Höhe von € 3.423,37 brut­to be­zo­ge­nen Ta­bel­len­ent­gelts € 205,40 brut­to als pau­scha­lier­tes Leis­tungs­ent­gelt aus­ge­zahlt (Bl. 13 d. A.). Dies ent­spricht 6% des Ta-bel­len­ent­gelts aus Sep­tem­ber 2009.

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Mit Schrei­ben vom 12.01.2010 mach­te der Kläger Zah­lung des Dif­fe­renz­be­tra­ges zwi-schen dem im De­zem­ber 2008 ge­zahl­ten 6% Leis­tungs­ent­gelt und der zu zah­len­den 1% des Jah­res­brut­to 2008 zuzüglich Zin­sen ab dem 01.01.2009 gel­tend (Bl. 14 d. A.).

Der Kläger ist der Auf­fas­sung, er ha­be ei­nen An­spruch auf wei­te­re € 199,81 brut­to Leis-tungs­ent­gelt aus Satz 5 i.V.m. Satz 4 der 1. Pro­to­kollerklärung zu § 18 Abs. 4 TVöD (VKA). Die­se Re­ge­lung be­wir­ke, dass sich das im De­zem­ber 2009 aus­zu­zah­len­de Leis­tungs­ent­gelt um den Teil des für das Jahr 2008 zur Verfügung ste­hen­den, aber nicht aus­geschütte­ten Ge­samt­vo­lu­mens des Leis­tungs­ent­gelts erhöhe. Ihm ständen da­her mit der De­zem­be­r­ab­rech­nung 2009 fälli­ge wei­te­re € 199,81 brut­to zu.


Der Kläger be­an­tragt,

die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an ihn € 199,81 brut­to nebst 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz lie­gen­den Zin­sen seit dem 01.01.2010 zu zah­len.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.


Sie ist der Auf­fas­sung, dass ein Zah­lungs­an­spruch des Klägers je­den­falls zur Zeit nicht be­ste­he. Die Re­ge­lung in der Pro­to­kollerklärung 1 zu Abs. 4 von § 18 TVöD (VKA) sei so zu ver­ste­hen, dass nur 6% des Ta­bel­len­ent­gelts für Sep­tem­ber aus­zu­zah­len sei­en, so­lan­ge kei­ne be­trieb­li­che Re­ge­lung in Form ei­ner Be­triebs­ver­ein­ba­rung oder Dienst­ver­ein­ba­rung über die Aus­ge­stal­tung des Leis­tungs­ent­gelts zu Stan­de ge­kom­men sei. Die Rest­beträge des für das Leis­tungs­ent­gelt zur Verfügung ste­hen­den Vo­lu­mens würden viel­mehr je­weils auf das Fol­ge­jahr über­tra­gen und the­sau­ri­ert.

We­gen des wei­te­ren Vor­brin­gens der Par­tei­en, die zu ih­ren Rechts­stand­punk­ten je­weils ausführ­lich vor­tra­gen, wird auf die ge­wech­sel­ten Schriftsätze nebst An­la­gen Be­zug ge­nom­men.

 

ENT­SCHEI­DUN­GSGRÜNDE

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Die Kla­ge ist zulässig und be­gründet.


Dem Kläger steht der gel­tend ge­mach­te Zah­lungs­an­spruch zu. Er folgt aus der Pro­to­kollerklärung Nr. 1 zu Abs. 4 von § 18 TVöD (VKA) i.V.m. dem Ar­beits­ver­trag der Par­tei­en und – da of­fen­bar beid­sei­ti­ge Ta­rif­bin­dung be­steht – § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG.


Die ge­nann­te Pro­to­kollerklärung stellt ei­ne hin­rei­chen­de An­spruchs­grund­la­ge dar, da sie ei­ne Ta­rif­ver­ein­ba­rung und nicht le­dig­lich ei­ne In­ter­pre­ta­ti­ons­hil­fe ist (LAG Hes­sen, 19/3 Sa 213/09 vom 18.12.2009, LAG Hamm, 17 Sa 701/09 vom 20.08.2009, bei­de nach Ju-ris).

Die Pro­to­kollerklärung lau­tet:

„Die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en sind sich darüber ei­nig, dass die zeit­ge­rech­te Einführung des Leis­tungs­ent­gelts sinn­voll, not­wen­dig und des­halb bei­der­seits ge­wollt ist. Sie for­dern des-halb die Be­triebs­par­tei­en da­zu auf, recht­zei­tig vor dem 01. Ja­nu­ar 2007 die be­trieb­li­chen Sys­te­me zu ver­ein­ba­ren. Kommt bis zum 30. Sep­tem­ber 2007 kei­ne be­trieb­li­che Re­ge­lung zu Stan­de, er­hal­ten die Beschäftig­ten mit dem Ta­bel­len­ent­gelt des Mo­nats De­zem­ber 2008 6 v. H. des für den Mo­nat Sep­tem­ber je­weils zu­ste­hen­den Ta­bel­len­ent­gelts. Das Leis­tungs­ent­gelt erhöht sich im Fol­ge­jahr um den Rest­be­trag des Ge­samt­vo­lu­mens. So lan­ge auch in den Fol­ge­jah­ren kei­ne Ei­ni­gung ent­spre­chend Satz 2 zu Stan­de kommt, gel­ten die Sätze 3 und 4 eben­falls. Für das Jahr 2007 er­hal­ten die Beschäftig­ten mit dem Ta­bel­len­ent­gelt des Mo­nats De­zem­ber 2007 12 v. H. des für den Mo­nat Sep­tem­ber 2007 je­weils zu­ste­hen­den Ta­bel­len­ent­gelts aus­be­zahlt, ins­ge­samt je­doch nicht mehr als das Ge­samt­vo­lu­men gemäß Abs. 3 Satz 1, wenn bis zum 31. Ju­li 2007 kei­ne Ei­ni­gung nach Satz 3 zu Stan­de ge­kom­men ist.“


Die­se Ta­rif­re­ge­lung be­darf der Aus­le­gung. Sie enthält für das Jahr 2007 ei­ne ab­sch­lie-ßen­de Re­ge­lung. Für die Fol­ge­jah­re ist mit hin­rei­chen­der Klar­heit de­fi­niert, dass die Ar-beit­neh­mer je­den­falls 6 v. H. des Sep­tem­ber-Ta­bel­len­ent­gelts aus­be­zahlt be­kom­men, so lan­ge kei­ne be­trieb­li­che Re­ge­lung zu­stan­de ge­kom­men ist. Fer­ner ist ge­re­gelt, dass sich das Leis­tungs­ent­gelt in den Fol­ge­jah­ren um den Rest­be­trag des Ge­samt­vo­lu­mens aus dem Vor­jahr erhöht. Zur Höhe die­ses Rest­be­tra­ges ist nichts aus­drück­lich ver­ein­bart, er er­gibt sich aber aus dem je­wei­li­gen Ge­samt­vo­lu­men für das Leis­tungs­ent­gelt gem. § 18 Abs. 3 TVöD (VKA) abzüglich der 6%. So­lan­ge kei­ne Ei­ni­gung über ein höhe­res Vo­lu­men er­zielt ist, ist das Ge­samt­vo­lu­men 1 % der ständi­gen Mo­nats­ent­gel­te des Vor­jah­res al­ler un­ter den Gel­tungs­be­reich des TVöD fal­len­den Beschäftig­ten des je­wei­li­gen Ar­beit­ge­bers.


Was mit dem über die aus­ge­zahl­ten 6% hin­aus­ge­hen­den Rest­be­trag des Ge­samt­vo­lu­mens in den Fol­ge­jah­ren nach 2007 ge­sche­hen soll, re­gelt die Pro­to­kollerklärung nicht aus­drück­lich. We­der heißt es dar­in, dass ne­ben den 6% des Sep­tem­ber-Ta­bel­len­ent­gelts

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des Fol­ge­jah­res der Rest aus dem Vor­jahr zu ei­nem be­stimm­ten Zeit­punkt aus­zu­zah­len ist, noch re­gelt die Pro­to­kollerklärung aus­drück­lich, dass die Rest­beträge je­weils jähr­lich an­wach­sen und ei­ne Ge­samt­aus­zah­lung er­folgt, wenn ei­ne Be­triebs- oder Dienst­ver­ein­ba­rung zu­stan­de ge­kom­men ist.

In der Li­te­ra­tur wer­den zu die­ser Fra­ge un­ter­schied­li­che Stand­punk­te ver­tre­ten (Dan­nen­berg, Der Per­so­nal­rat 2008, 406ff. so­wie Be­p­ler u. a., TVöD Kom­men­tar, § 18 (VKA), Rn. 29 ei­ner­seits und Spo­ner/St­ein­herr, TVöD, Vor­be­mer­kung zu § 18 TVöD (VKA), Brei­er u.a., Rn. 107 zu § 18 TVöD (VKA), Kers­ten, ZTR 2009, 240f. an­de­rer­seits).

Für die Aus­le­gung von Ta­rif­verträgen gel­ten die fol­gen­den Recht­spre­chungs­grundsätze:

Nach ständi­ger Recht­spre­chung des BAG sind Ta­rif­verträge wie Ge­set­ze aus­zu­le­gen. Es ist da­her un­ter Be­ach­tung der Re­geln des Sprach­ge­brauchs und der Gram­ma­tik zunächst vom Wort­laut aus­zu­ge­hen. Über den rei­nen Ta­rif­wort­laut hin­aus ist je­doch der wirk­li­che Wil­le der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en und der da­mit von ih­nen be­ab­sich­tig­te Sinn und Zweck der Ta­rif­nor­men mit zu berück­sich­ti­gen, so­fern und so­weit sie in den ta­rif­li­chen Nor­men ih­ren Nie­der­schlag ge­fun­den ha­ben. Hier­zu ist auch auf den ta­rif­li­chen Ge­samt­zu­sam­men­hang ab­zu­stel­len, der häufig schon des­we­gen mit berück­sich­tigt wer­den muss, weil nur dar­aus und nicht aus der ein­zel­nen Ta­rif­norm auf den wirk­li­chen Wil­len der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ge­schlos­sen und nur so der Sinn und Zweck der Ta­rif­nor­men zu­tref­fend er­mit­telt wer­den kann. Ver­blei­ben da­nach im Ein­zel­fall noch Zwei­fel, so kann zur Er­mitt­lung des wirk­li­chen Wil­lens der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en auf wei­te­re Kri­te­ri­en wie Ta­rif­ge­schich­te, die prak­ti­sche Ta­rifübung und die Ent­ste­hungs­ge­schich­te des je­wei­li­gen Ta­rif­ver­tra­ges zurück­ge­grif­fen wer­den, wo­bei es kei­ne Bin­dung an ei­ne be­stimm­te Rei­hen­fol­ge bei der Her­an­zie­hung die­ser wei­te­ren Aus­le­gungs­mit­tel gibt (vgl. BAG AP Nr. 135 zu § 1 TVG Aus­le­gung mit wei­te­ren Nach­wei­sen). Im Zwei­fel gebührt der­je­ni­gen Ta­rif­aus­le­gung der Vor­zug, die zu ei­ner vernünf­ti­gen, sach­ge­rech­ten, zweck­ori­en­tier­ten und prak­tisch brauch­ba­ren Re­ge­lung führt (BAG 4 AZR 578/98 v. 5.10.1999).

Für den vor­lie­gen­den Fall folgt hier­aus:

Der Wort­laut der Ta­rif­re­ge­lung, der ta­rif­li­che Ge­samt­zu­sam­men­hang so­wie die Ta­rif­ge­schich­te las­sen zur Über­zeu­gung der Kam­mer bei­de Aus­le­gun­gen zu. So ist rich­tig, dass die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en die zügi­ge Einführung der be­trieb­li­chen Sys­te­me zum Leis­tungs­ent­gelt woll­ten. Dies macht sach­ge­recht, ei­ne The­sau­rie­rung zu ver­ein­ba­ren, um den Druck auf die Be­triebs­part­ner zu erhöhen, die noch kei­ne be­trieb­li­chen Re­ge­lun­gen ge­trof­fen ha­ben. Hierfür spricht auch, dass im Ge­gen­satz zur Pau­schal­zah­lung von 6% hin-

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sicht­lich des Rest­be­tra­ges nicht ge­re­gelt ist, dass die­ser im Fol­ge­jahr eben­falls aus­zu­zah­len ist, wenn noch kei­ne be­trieb­li­che Re­ge­lung be­steht.

An­de­rer­seits ist ver­tret­bar, dass es ei­ner dies­bezügli­chen aus­drück­li­chen Re­ge­lung nicht be­darf, da nach § 18 Abs. 3 TVöD (VKA) ei­ne aus­drück­li­che Ver­pflich­tung zu jähr­li­cher Aus­zah­lung der Leis­tungs­ent­gel­te be­steht. Dies kann sich auch auf das über­tra­ge­ne Rest­vo­lu­men be­zie­hen, Satz 5 der Pro­to­kollerklärung be­zieht sich dem ent­spre­chend auch auf die Fol­ge­jah­re, nicht nur auf das Fol­ge­jahr wie Satz 4.

Die Kam­mer ist aber der Über­zeu­gung, dass nur die Ta­rif­aus­le­gung des Klägers zu ei­ner vernünf­ti­gen, sach­ge­rech­ten, zweck­ori­en­tier­ten und prak­tisch brauch­ba­ren Re­ge­lung führt (BAG, 4 AZR 578/98 vom 05.10.1999) und die wei­te­ren Aus­le­gungs­kri­te­ri­en nicht zu ei­ner zwin­gen­den Aus­le­gung führen. Die­se Über­zeu­gung be­ruht auf den fol­gen­den Erwägun­gen:


Zwar ge­lingt den Ta­rif­par­tei­en des öffent­li­chen Diens­tes nicht im­mer, Re­ge­lun­gen so zu for­mu­lie­ren, dass sie klar, nach­voll­zieh­bar und verständ­lich sind. Dies zeigt auch der vor-lie­gen­de Fall. Un­ge­ach­tet des­sen ist aber zu un­ter­stel­len, dass die er­fah­re­nen Ta­rif­ex­per­ten der Ta­rif­par­tei­en des öffent­li­chen Diens­tes bei ih­ren Ver­ein­ba­run­gen auf der Hand lie­gen­de Fol­ge­fra­gen bei ih­ren Re­ge­lun­gen berück­sich­ti­gen. Im vor­lie­gen­den Fall führt die „The­sau­rie­rungs­the­se“ zu ei­ner der­ar­ti­gen Viel­zahl von un­geklärten Fol­ge­pro­ble­men, von de­nen kein ein­zi­ges auch nur an­ge­spro­chen wird, dass hier­aus zur Über­zeu­gung der Kam­mer folgt, dass ei­ne The­sau­rie­rung nicht ge­wollt sein kann.

Zwar ist rich­tig, dass die Ta­rif­par­tei­en nach dem Ein­gangs­satz der Pro­to­kollerklärung schnel­le Re­ge­lun­gen für er­for­der­lich hiel­ten, was die Er­zeu­gung ei­nes Ei­ni­gungs­drucks auf die be­trieb­lich Ver­ant­wort­li­chen plau­si­bel macht. Hier­aus kann aber nicht ge­schlos­sen wer­den, dass die durch mehrjähri­ge The­sau­rie­rung ent­ste­hen­den Fol­ge­pro­ble­me als un­be­acht­lich an­ge­se­hen wur­den. Denn die mit der Re­ge­lungs­pra­xis und der zu­wei­len recht zeit­in­ten­si­ven Re­ge­lungs­fin­dung von Dienst- und Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen im öffent­li­chen Dienst ver­trau­ten Ta­rif­ex­per­ten der Ta­rif­par­tei­en ha­ben in den Sätzen 4 und 5 der Pro­to­kollerklärung aus­drück­lich Re­ge­lun­gen für Fol­ge­jah­re (Plu­ral!) ge­trof­fen. Sie ha­ben da­her be­wusst Fälle ein­kal­ku­liert, in de­nen es mehrjähri­ger An­stren­gun­gen bis zur Er­zie­lung be­trieb­li­cher Re­ge­lun­gen be­darf. Wes­halb die Ta­rif­par­tei­en gleich­wohl nicht ernst­haft da­mit ge­rech­net ha­ben sol­len, dass Be­triebs­par­tei­en sich nicht zeit­nah ei­ni­gen (so z.B. LAG Hamm, a.a.O., Rd­nr.78), ist an­ge­sichts der aus­drück­lich für die­sen Fall und für ei­ne un-

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be­stimm­te Viel­zahl von Jah­ren ge­trof­fe­nen Re­ge­lung ei­ne nicht über­zeu­gen­de Ver­mu­tung.

Bei ei­ner The­sau­rie­rung ent­ste­hen nicht zu ver­nachlässi­gen­de Fol­ge­pro­ble­me. Zum Ei­nen hätte na­he­ge­le­gen, ei­ne Ver­zin­sung der the­sau­ri­er­ten Rest­vo­lu­mi­na zu ver­ein­ba­ren, wenn die­se Gel­der langjährig im Be­stand des Ar­beit­ge­bers ver­blei­ben soll­ten bzw. könn­ten. Sch­ließlich han­delt es sich bei den für Leis­tungs­ent­gel­te zur Verfügung ste­hen­den Vo­lu­mi­na um fi­nan­zi­el­le Mit­tel, die durch Um­wid­mung von Ent­gelt im Rah­men des neu­en Ta­rif­rechts ge­won­nen wur­den (Bre­de­mei­er u.a., TVöD/TVL, Rn. 22 zu § 18 TVöD). Da die Ta­rif­par­tei­en ei­ne zügi­ge Re­ge­lung woll­ten, wäre es zu­dem kon­tra­pro­duk­tiv, den Ar­beit­ge­bern die Zins­ge­win­ne zu über­las­sen und da­durch für sie ei­nen An­reiz zu schaf­fen, sich mit der Re­ge­lung Zeit zu las­sen.


Fer­ner stellt sich die Fra­ge, wes­halb kei­ne Re­ge­lun­gen zur In­sol­venz­si­che­rung ver­ein­bart wur­den, wenn die Ta­rif­par­tei­en mehrjähri­ge The­sau­rie­run­gen für möglich ge­hal­ten ha­ben und schon aus der Nen­nung von Be­triebsräten folgt, dass der Ta­rif­ver­trag auch auf pri­vat-recht­lich ver­fass­te Un­ter­neh­men An­wen­dung fin­det. Zur Über­zeu­gung der Kam­mer ist nicht sehr wahr­schein­lich, dass ei­ne Ge­werk­schaft der Um­wid­mung von Ent­gelt­be­stand-tei­len und ih­rer The­sau­rie­rung zu­stimmt, oh­ne hin­sicht­lich der Ver­zin­sung und der In­sol­venz­si­che­rung Re­ge­lun­gen zu ver­ein­ba­ren, die ei­nem Zins- oder Ka­pi­tal­ver­lust vor­beu­gen.


Glei­ches gilt für den Fall, dass der Be­trieb vor Er­zie­lung ei­ner be­trieb­li­chen Re­ge­lung ge­schlos­sen wird. Auch hier­zu ist nichts ge­re­gelt mit der dro­hen­den Kon­se­quenz, dass die the­sau­ri­er­ten Gel­der ver­fal­len könn­ten.


Nicht erklärbar wäre fer­ner die aus der The­sau­rie­rungs­the­se fol­gen­de Un­gleich­be­hand­lung von Be­trie­ben mit oder oh­ne Per­so­nal­rat. Nach § 18 Abs. 6 Satz 3 TVöD (VKA) kann die Aus­ge­stal­tung des Leis­tungs­ent­gelts in Be­trie­ben bzw. Ver­wal­tun­gen mit ei­nem Per­so­nal­rat nur durch ein­ver­nehm­li­che Dienst­ver­ein­ba­rung er­fol­gen. Das heißt, dass ei­ne Ent­schei­dung durch die Ei­ni­gungs­stel­le aus­ge­schlos­sen ist (§ 38 Abs. 3 TVöD) und nur ei­ne frei­wil­li­ge Ver­ein­ba­rung möglich ist. Kommt die­se nicht zu­stan­de, zum Bei­spiel weil der Ar­beit­ge­ber die Zins­ge­win­ne aus der The­sau­rie­rung der Rest­vo­lu­mi­na für sei­ne Zwe­cke ver­wen­den möch­te, wären die Beschäfti­gen in ei­nem Be­trieb oder ei­ner Ver­wal­tung mit ei­nem gewähl­ten Per­so­nal­rat schlech­ter ge­stellt als die Beschäftig­ten ei­nes Be­trie­bes oder Ver­wal­tung oh­ne In­ter­es­sen­ver­tre­tung. Denn nach der Pro­to­kollerklärung zu Abs. 6 von § 18 TVöD (VKA) hat in Dienst­stel­len bzw. Un­ter­neh­men oh­ne Per­so­nal- oder Be-

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triebs­rat der Dienst­stel­len­lei­ter / Ar­beit­ge­ber die jähr­li­che Ausschüttung der Leis­tungs­ent­gel­te si­cher­zu­stel­len, so­lan­ge ei­ne Kom­mis­si­on i.S.d. Abs. 7 nicht be­steht, wel­che nicht be­ste­hen kann, so­lan­ge kein Be­triebs- oder Per­so­nal­rat gewählt ist. Die Mit­ar­bei­ter von Be­trie­ben bzw. Dienst­stel­len oh­ne Per­so­nal­rat oder Be­triebs­rat würden al­so jähr­lich in den Ge­nuss ei­ner vol­len Ausschüttung der für Leis­tungs­ent­gel­te zur Verfügung ste­hen­den Vo­lu­mi­na kom­men, die in Ein­hei­ten mit Per­so­nal­rat hin­ge­gen nur in Höhe der 6%, so­lan­ge kei­ne Ver­ein­ba­rung ge­trof­fen wird. Der Kam­mer er­scheint nicht son­der­lich wahr­schein­lich, dass ei­ne der­ar­ti­ge Kon­se­quenz von Mit­be­stim­mung im Rah­men von Per­so­nal­ver­tre­tung für die Ta­rif­part­ner ak­zep­ta­bel wäre. Die­se mögli­che Kon­se­quenz träfe zwar nur die Beschäftig­ten in per­so­nal­ratsfähi­gen Ein­hei­ten, da die Be­triebsräte in den dem Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz un­ter­fal­len­den Ein­hei­ten gem. §§ 76, 87 Abs. 1 Zif­fer 10 Be­trVG die Ei­ni­gungs­stel­le an­ru­fen könn­ten und so ei­ne Re­ge­lung er­zwin­gen könn­ten. Da die dem Per­so­nal­ver­tre­tungs­recht un­ter­fal­len­den Ein­hei­ten aber über­wie­gen dürf­ten, ist das ge­nann­te Pro­blem auch quan­ti­ta­tiv nicht zu ver­nachlässi­gen.


Sch­ließlich stellt sich die un­geklärte Fra­ge nach Un­gleich­be­hand­lung von Ar­beit­neh­mern. Zum Bei­spiel hätte na­he­ge­le­gen, das Schick­sal der Ansprüche von aus­ge­schie­de­nen Ar­beit­neh­mern zu re­geln, wenn ei­ne The­sau­rie­rung ge­wollt ge­we­sen wäre. Da die Ta­rif­par­tei­en im­mer­hin ei­ne mehrjähri­ge The­sau­rie­rung für möglich ge­hal­ten hätten, liegt als Re­ge­lungs­er­for­der­nis auf der Hand, was aus den the­sau­ri­er­ten Ansprüchen der Ar­beit­neh­mer wer­den würde, die zum Zeit­punkt der be­trieb­li­chen Ver­ein­ba­rung be­reits aus dem Be­trieb aus­ge­schie­den sind. Nach dem Wort­laut der Pro­to­kollerklärung spricht al­les dafür, dass die­se Beschäftig­ten leer aus­ge­hen würden, da sie als aus­ge­schie­de­ne Kräfte kein Ta­bel­len­ent­gelt mehr be­zie­hen. So­weit hier­ge­gen ein­ge­wandt wird, dass Stich­tags­re­ge­lun­gen häufig zu Härten im Ein­zel­fall führen, kann dem nicht ge­folgt wer­den. Mit der The­sau­rie­rung wäre kei­ne Stich­tags­re­ge­lung ge­schaf­fen, son­dern ei­ne Dau­er­re­ge­lung, die Ent­gelt­ansprüche von Ar­beit­neh­mern be­trifft, wel­che stets aufs Neue er­ar­bei­tet wer­den. Wes­halb langjährig Beschäftig­te, dar­un­ter si­cher auch be­son­ders leis­tungsfähi­ge Ar­beit­neh­mer dann nur des­we­gen von Leis­tun­gen aus­ge­schlos­sen sein sol­len, weil sie zu ei­nem noch nicht ein­mal im Vor­aus fest­ste­hen­den Tag (der Gel­tung der be­trieb­li­chen Re­ge­lung) nicht mehr beschäftigt sind und kein Ta­bel­len­ent­gelt be­zie­hen, ist we­der sach­ge­recht noch nach­voll­zieh­bar. Ei­ne der­ar­ti­ge Kon­se­quenz ei­nes als „Leis­tungs­ent­gelt“ be­zeich­ne­ten Ent­gelt­be­stand­teils wäre eher ge­eig­net, die Leis­tungs­be­reit­schaft de­rer ein­zu­schränken, die se­hen­den Au­ges von die­ser Kon­se­quenz be­trof­fen wären, als sie zu fördern.

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Ge­gen die Erwägun­gen der Kam­mer kann auch nicht mit Er­folg ein­ge­wen­det wer­den, dass es ja nicht um viel (Geld) ge­he (so aber das LAG Hamm a.a.O., Rd­nr. 91). Denn zum Ei­nen ist ja be­ab­sich­tigt, das Vo­lu­men für Leis­tungs­prämi­en er­heb­lich zu erhöhen (§ 18 Abs. 3 TVöD-VKA). Zum An­de­ren ist z.B. der hier in Re­de ste­hen­de Be­trag für ei­nen Hand­wer­ker oder Müll­wer­ker durch­aus be­acht­lich, da bei nied­ri­ge­ren Ein­kom­men auch klei­ne­re Stei­ge­rungs­beträge un­mit­tel­bar zu ei­ner Ver­bes­se­rung des Le­bens­stan­darts führen können.


Im Er­geb­nis be­steht ei­ne der­ar­ti­ge Viel­zahl von of­fe­nen Fol­ge­fra­gen, de­ren Re­ge­lungs­bedürf­tig­keit of­fen­sicht­lich ge­we­sen wäre, dass zur Über­zeu­gung der Kam­mer aus­ge­schlos­sen ist, dass die Ta­rif­par­tei­en ei­ne der­art un­zu­rei­chen­de, un­vollständi­ge und so­wohl kol­lek­tiv- wie in­di­vi­du­al­recht­lich un­aus­ge­wo­ge­ne Re­ge­lung im Sin­ne ei­ner The­sau­rie­rung ver­ein­ba­ren woll­ten.


Als sach­ge­recht er­scheint dem­ge­genüber die vom Kläger vor­ge­nom­me­ne Aus­le­gung, die nicht zu der­ar­ti­gen Fol­ge­fra­gen führt. Dem­nach sind die Rest­vo­lu­mi­na im Fol­ge­jahr aus-zu­zah­len, wenn kei­ne be­trieb­li­che Re­ge­lung be­steht.
Der Höhe nach ist die For­de­rung des Klägers nicht im Streit, der Kla­ge war da­her statt­zu­ge­ben.


Die Zins­for­de­rung ist be­gründet aus §§ 286, 288 BGB i.V.m. § 24 Abs. 1 Satz 2 TVöD.

Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 91 ZPO. Der Wert des Streit­ge­gen­stan­des war gem. § 61 Abs. 1 ArbGG im Ur­teil fest­zu­set­zen, sei­ne Höhe folgt aus §§ 3ff. ZPO. Die Be­ru­fung war gem. § 64 Abs. 3 ArbGG zu­zu­las­sen.

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