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HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

LAG Nie­der­sach­sen, Ur­teil vom 18.12.2007, 11 Sa 372/07

   
Schlagworte: Kündigung, Kündigung: Verhaltensbedingt
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Aktenzeichen: 11 Sa 372/07
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 18.12.2007
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Hannover
   


LAN­DES­AR­BEITS­GERICHT NIE­DERSACHSEN

Verkündet am:
18.12.2007


Ge­richts­an­ge­stell­te
als Ur­kunds­be­am­tin
der Geschäfts­stel­le


IM NA­MEN DES VOL­KES


UR­TEIL

11 Sa 372/07
5 Ca 193/06
ArbG Han­no­ver

In dem Rechts­streit

Kläger und Be­ru­fungs­be­klag­ter,

ge­gen

Be­klag­te und Be­ru­fungskläge­rin,

hat die 11. Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Nie­der­sach­sen auf die münd­li­che Ver-hand­lung vom 05. No­vem­ber 2007 durch

den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt Dr. Voigt,
den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Herrn Bert­sche
den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Herrn Hess

für Recht er­kannt:
 

Die Be­ru­fung der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Han­no­ver vom 20.12.2006 - 5 Ca 193/06 - wird kos­ten­pflich­tig zurück­ge­wie­sen.

Die Re­vi­si­on wird nicht zu­ge­las­sen.

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Tat­be­stand


Die Par­tei­en strei­ten um die Wirk­sam­keit ei­ner ver­hal­tens­be­ding­ten Kündi­gung.

Der am 00.00.1944 ge­bo­re­ne Kläger ist bei der Be­klag­ten seit dem 01.04.1965 als Pres-se­fo­to­graf/Bild­re­dak­teur tätig. Sein Ein­kom­men be­trug zu­letzt 4.748,71 € brut­to. Der Kläger hat in der Ver­gan­gen­heit be­reits er­folg­reich die Un­wirk­sam­keit ei­ner Ab­mah­nung vom 06.09.2001 und ei­ner Ab­mah­nung vom 23.09.2004 fest­stel­len las­sen. Mit Schrei­ben vom 15.09.2005 sprach die Be­klag­te ei­ne wei­te­re Ab­mah­nung we­gen des Ver­hal­tens des Klä-gers bei der Ver­lei­hung des Paul-Lincke-Prei­ses bei der Stadt G. aus. In­so­weit hat die Kam­mer mit Ur­teil vom glei­chen Tag die Be­ru­fung der Be­klag­ten zurück­ge­wie­sen und die Ab­mah­nung für un­wirk­sam er­ach­tet (11 Sa 384/07).

Die Be­klag­te sprach mit Schrei­ben vom 27.03.2006 (Bl. 22 d. A.) ei­ne ver­hal­tens­be­ding­te or­dent­li­che Kündi­gung aus. Zu­vor hat­te sie mit Schrei­ben vom 23.03.2006 (Bl. 60 – 61 d.A.) den Be­triebs­rat um Zu­stim­mung ge­be­ten. Der Be­triebs­rat hat­te mit Email vom 27.03.2006 (Bl. 21 d. A.) sei­ne Zu­stim­mung erklärt.
Der Kündi­gung lag fol­gen­der Sach­ver­halt zu Grun­de: Am 22.11.2005 war es in der Nähe des Bahn­hofs Hil­des­heim zu ei­nem Ei­sen­bahn­unglück ge­kom­men, bei dem ei­ne Lo­ko­mo­ti­ve ent­gleist war. Der Kläger such­te die Un­fall­stel­le auf, um Fo­tos zu ma­chen. An dem auf frei­er Stre­cke ge­le­ge­nen Unglücks­ort an­we­sen­de Po­li­zis­ten for­der­ten den Kläger auf, sich aus­zu­wei­sen. Er gab sich münd­lich als Fo­to­jour­na­list zu er­ken­nen, zeig­te sei­nen Pres­se­aus­weis je­doch nicht vor. Die Po­li­zis­ten for­der­ten ihn dar­auf­hin auf, den Gleis­be-reich zu ver­las­sen, was der Kläger auch tat. Zu die­sem Zeit­punkt hat­te er be­reits sei­ne Auf­nah­men ge­macht, die auch veröffent­licht wur­den. Mit E-Mail vom 28.02.2006 teil­te die Pres­se­stel­le des Bun­des­po­li­zei­am­tes C-Stadt der Be­klag­ten den Sach­ver­halt mit. Da der Kläger den Ort zunächst nicht frei­wil­lig ver­las­sen ha­be, sei ein Platz­ver­weis aus­ge­spro-chen wor­den, dem er dann aber nach­ge­kom­men sei. Die E-Mail schließt mit dem Satz „Mit Ver­las­sen der Un­fall­stel­le war der Vor­gang für uns er­le­digt“.

Das Ar­beits­ge­richt Han­no­ver hat der Kündi­gungs­schutz­kla­ge des Klägers mit Ur­teil vom 20.12.2006 – 5 Ca 193/06 – statt­ge­ge­ben. Zur Be­gründung hat es aus­geführt, die Kündi­gung vom 27.03.2006 ver­s­toße ge­gen den Grund­satz der Verhält­nismäßig­keit. Der Kläger sei vor Aus­spruch der Kündi­gung nicht wirk­sam ab­ge­mahnt wor­den. Ei­ne vor­he­ri­ge Ab-

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mah­nung sei auch nicht aus­nahms­wei­se ent­behr­lich oder nicht er­folg­ver­spre­chend ge­we­sen.

Ge­gen die­ses ihr am 13.02.2007 zu­ge­stell­te Ur­teil hat die Be­klag­te am 07.03.2007 Be­ru­fung ein­ge­legt und die­se nach Verlänge­rung der Be­gründungs­frist frist­ge­recht am 10.05.2007 be­gründet.

Wenn auch rechts­kräftig fest­ge­stellt sei, dass die Ab­mah­nung vom 23.09.2004 aus der Per­so­nal­ak­te des Klägers zu ent­fer­nen sei, blei­be doch fest­zu­hal­ten, dass die Be­klag­te zwei­mal we­gen Ver­let­zun­gen des­sel­ben Pflich­ten­krei­ses ge­genüber dem Kläger Ab­mah­nun­gen aus­ge­spro­chen ha­be. Wie das Lan­des­ar­beits­ge­richt Köln in der Ent­schei­dung vom 05.02.1999 – 11 Sa 565/98 – fest­ge­stellt ha­be, erfülle auch ei­ne in ih­rer Be­rech­ti­gung be­strit­te­ne Ab­mah­nung die er­for­der­li­che Warn­funk­ti­on. Dem Kläger sei al­so in An­be­tracht der Ab­mah­nun­gen hinläng­lich be­kannt ge­we­sen, dass die Be­klag­te in höchs­tem Maße Wert auf das Auf­tre­ten und die Außen­dar­stel­lung von bei ihr beschäftig­ten Mit­ar­bei­tern legt. Der Kläger sei je­doch of­fen­kun­dig we­der wil­lens noch in der La­ge, in der Ausübung sei­ner Tätig­keit ge­genüber Drit­ten in ge­bo­te­nem Maße auf­zu­tre­ten. Die Be­klag­te könne es nicht hin­neh­men, dass der Kläger durch sein bes­ten­falls als un­gebühr­lich zu be­zeich­nen­des Auf­tre­ten den Ruf und das An­se­hen der Be­klag­ten schädi­ge und so­mit Geschäfts­be­zie­hun­gen störe bzw. ge­genüber wich­ti­gen In­for­ma­ti­ons­quel­len wie der Po­li­zei auf ei­ne Art und Wei­se auf­tre­te, so dass die zukünf­ti­ge In­for­ma­ti­ons­la­ge gefähr­det sein könn­te. In An­be­tracht des Ver­hal­tens des Klägers sei im Übri­gen das Vor­lie­gen ei­ner Ab­mah­nung ent­behr­lich, da der Kläger of­fen­bar in kei­ner Wei­se ge­willt sei, sein Fehl­ver­hal­ten für die Zu­kunft ein­zu­stel­len. Im Rah­men der In­ter­es­sen­abwägung sei ar­beit­ge­ber­sei­tig zu berück­sich­ti­gen, dass es der Kläger in ho­hem Maße an Ar­beits­dis­zi­plin man­geln las­se. So­wohl der Nord­deut­sche Rund­funk als Kun­de der Be­klag­ten, Frau Rit­ters als Ver­tre­te­rin der Stadt Gos­lar hätten sich ge­hal­ten ge­se­hen, sich of­fi­zi­ell bei der Be­klag­ten über den Kläger zu be­schwe­ren. In­fol­ge­des­sen ha­be die Be­klag­te von ei­ner Wie­der­ho­lungs­ge­fahr aus­zu­ge­hen. Zwar wäre zu Guns­ten des Klägers die Dau­er der Be­triebs­zu­gehörig­keit zu berück­sich­ti­gen. Da­bei sei je­doch zu be­ach­ten, dass das Ar­beits­verhält­nis be­reits seit länge­rem nicht mehr un­gestört be­stan­den ha­be. In An­be­tracht des ho­hen Le-bens­al­ters und der lan­gen Be­rufstätig­keit sei es dem Kläger auch möglich, nach Ab­lauf der Kündi­gungs­frist nach Be­zug von Ar­beits­lo­sen­geld Ren­ten­leis­tun­gen zu be­zie­hen.

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Die Be­klag­te und Be­ru­fungskläge­rin be­an­tragt,

das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Han­no­ver vom 20.12.2006, Az. 5 Ca 193/06, ab­zuändern und die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Der Kläger und Be­ru­fungs­be­klag­te be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Er ver­tei­digt das an­ge­foch­te­ne Ur­teil in tatsäch­li­cher und recht­li­cher Hin­sicht. Die Be­klag­te be­ru­fe sich zur Be­gründung ih­res Rechts­mit­tels primär auf die pau­scha­le, un­be­gründe­te und sach­lich fal­sche Un­ter­stel­lung, der Kläger sei nicht in der La­ge, ein von ihr als „sach­ge­recht“ be­ur­teil­tes Ar­beits­ver­hal­ten an den Tag zu le­gen. Ent­ge­gen der Be­haup-tun­gen der Be­klag­ten sei der Kläger sehr wohl kri­tikfähig und auch be­reit, sich über die ein­zel­nen Vorgänge, auch mit den sons­ti­gen Be­tei­lig­ten, aus­ein­an­der zu set­zen. So­fern die Be­klag­te bemüht sei, ei­nen ge­gen­tei­li­gen Ein­druck her­vor­zu­ru­fen, han­de­le sie ge­gen bes­se­res Wis­sen. Mit der aus­ge­spro­che­nen Kündi­gung ha­be die Be­klag­te das ul­ti­ma ra­tio-Prin­zip miss­ach­tet, wo­nach ei­ne Kündi­gung stets erst das letz­te Mit­tel sein könne, ins-be­son­de­re bei ei­nem seit 42 Jah­ren be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis.

We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des Par­tei­vor­brin­gens wird auf die ge­wech­sel­ten Schriftsätze so­wie die Pro­to­kollerklärun­gen der Par­tei­en Be­zug ge­nom­men.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Be­ru­fung der Be­klag­ten ist gemäß §§ 519, 520 ZPO, §§ 64, 66 ArbGG zulässig.

Sie ist je­doch nicht be­gründet. Das Ar­beits­ge­richt hat der Kündi­gungs­schutz­kla­ge des Klägers zu Recht statt­ge­ge­ben.

Ei­ne or­dent­li­che ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung kann ge­recht­fer­tigt sein, wenn der Ar­beit­neh­mer ge­gen ar­beits­ver­trag­li­che Haupt- oder Ne­ben­pflich­ten verstößt und bei um­fass­sen­der Würdi­gung der bei­der­sei­ti­gen In­ter­es­sen dem Ar­beit­ge­ber ei­ne Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht wei­ter zu­zu­mu­ten ist. Die Vor­aus­set­zun­gen dafür lie­gen in der Re­gel erst vor, wenn der Ar­beit­neh­mer zu­vor min­des­tens ein­mal, ggf. auch mehr­fach we-

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gen ei­nes gleich­ge­la­ger­ten Pflich­ten­ver­s­toßes er­folg­los ab­ge­mahnt wor­den ist (et­wa zu­sam­men­fas­send et­wa BAG Ur­teil vom 12.01.2006 – 2 AZR 179/05 – AP § 1 KSchG 1969 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 54). Die­se Vor­aus­set­zun­gen sind im vor­lie­gen­den Fall nicht erfüllt.

Zwar ist da­von aus­zu­ge­hen, dass der Kläger mit sei­nem Ver­hal­ten am 22.11.2005 ge­gen ihm aus dem Ar­beits­ver­trag ob­lie­gen­de Ne­ben­pflich­ten ver­s­toßen hat. Der Kläger hat, oh­ne dass dafür ein auch nur an­satz­wei­se er­kenn­ba­rer Grund ge­ge­ben war, sich an ei­nem Un­fall­ort ge­genüber den dort mit der Si­che­rung be­fass­ten Po­li­zis­ten in ei­ner Wei­se persönlich ver­hal­ten, dass die­se sich ver­an­lasst sa­hen, ei­nen münd­li­chen Platz­ver­weis aus­zu­spre­chen. Ein der­ar­ti­ger Vor­gang ist ge­eig­net, das An­se­hen ei­ner se­riösen Nach­rich­ten­agen­tur ge­genüber der Po­li­zei zu be­ein­träch­ti­gen und sich in­so­weit ne­ga­tiv auf die künf­ti­ge Zu­sam­men­ar­beit so­wohl mit dem Kläger als auch an­de­ren Beschäftig­ten der Be-klag­ten aus­zu­wir­ken.

Den­noch ent­spricht es nicht dem Grund­satz der Verhält­nismäßig­keit, wenn die Be­klag­te auf die­se Pflicht­ver­let­zung des Klägers mit ei­ner Kündi­gung re­agiert. Die Un­wirk­sam­keit der im Sep­tem­ber 2004 von der Be­klag­ten aus­ge­spro­che­nen Ab­mah­nung ist rechts­kräftig fest­ge­stellt. Bezüglich der wei­te­ren Ab­mah­nung vom 15. Sep­tem­ber 2005 hat die Kam­mer mit Ur­teil vom glei­chen Tag in dem Rechts­streit 11 Sa 384/07 die Be­ru­fung der Be­klag­ten als un­be­gründet zurück­ge­wie­sen. Da­mit lag im Zeit­punkt des Aus­spruchs der Kündi­gung nicht ein­mal ei­ne wirk­sa­me Ab­mah­nung des Klägers we­gen un­an­ge­mes­se­nen Auf­tre­tens bei dienst­li­chen Anlässen vor. Zwar kann der recht­li­chen Erwägung des Ur­teils des Lan­des­ar­beits­ge­richts Köln vom 05.02. 1999 - 11 Sa 545/05 - dar­in zu­ge­stimmt wer­den, dass auch ei­ne un­wirk­sa­me Ab­mah­nung dem Ar­beit­neh­mer deut­lich macht, dass der Ar­beit­ge­ber be­stimm­te Ver­hal­tens­wei­sen nicht zu dul­den be­reit ist.
Darüber hin­aus ist aber zu for­dern, dass in der Ver­gan­gen­heit be­reits tatsächlich gleich­ge­la­ger­te Ver­trags­pflicht­ver­let­zun­gen statt­ge­fun­den ha­ben. In dem Er­for­der­nis der Ab­mah­nung kom­men nämlich ne­ben der Warn­funk­ti­on auch der Pro­gno­se­ge­dan­ke so­wie der Verhält­nismäßig­keits­grund­satz zum Aus­druck (BAG vom 12.01.06 aaO.). Da­nach ist ei­ne Kündi­gung re­gelmäßig erst dann ge­recht­fer­tigt, wenn es be­reits - min­des­tens - ein­mal zu ei­ner kon­kre­ten Ver­tragsstörung ge­kom­men ist. Erst dann be­steht ei­ne tatsächli­che Grund­la­ge für ei­ne ob­jek­ti­vier­ba­re ne­ga­ti­ve Ver­hal­tens­pro­gno­se für die Zu­kunft. Die Fra­ge, ob und ggf. wie oft der Ar­beit­neh­mer be­reits in der Ver­gan­gen­heit ge­gen gleich­ge­la­ger­te ver­trag­li­che Pflich­ten ver­s­toßen hat, stellt im Rah­men der Verhält­nismäßig­keitsprüfung darüber hin­aus ein ge­wich­ti­ges Abwägungs­kri­te­ri­um dar. Im vor­lie­gen­den Fall

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sind aber nach dem Ob­sie­gen des Klägers in den bei­den Ab­mah­nungs­pro­zes­sen für die Ver­gan­gen­heit ge­ra­de kei­ne ver­trags­wid­ri­gen Hand­lun­gen ein­deu­tig fest­stell­bar. Der so­for­ti­ge Aus­spruch ei­ner or­dent­li­chen Kündi­gung oh­ne vor­an­ge­gan­ge­ne Pflicht­ver­let­zun­gen ist aber nur in sel­te­nen Aus­nah­mefällen ge­recht­fer­tigt. Dies gilt et­wa dann, wenn es sich um ei­nen schwe­ren Pflich­ten­ver­s­toß des Ar­beit­neh­mers han­delt und die Hin­nah­me des Ver­hal­tens durch den Ar­beit­ge­ber of­fen­sicht­lich aus­ge­schlos­sen ist, oder wenn ei­ne Ver­hal­tensände­rung für die Zu­kunft auch bei Aus­spruch ei­ner – ggf. er­neu­ten - Ab­mah­nung nicht er­war­tet wer­den kann. Bei­des ist bei dem Vor­fall vom 22.11.2005 bei ob­jek­ti­ver Be­trach­tungs­wei­se nicht fest­zu­stel­len. Die Bun­des­po­li­zei selbst hat mit­ge­teilt, mit dem Ver­las­sen des Un­fall­or­tes durch den Kläger sei aus Sicht der be­tei­lig­ten Po­li­zis­ten der Vor­gang er­le­digt ge­we­sen. Auch für die An­nah­me der Be­klag­ten, der Kläger wer­de auch zukünf­tig nicht zu ei­nem an­ge­mes­se­nen Auf­tre­ten be­reit oder in der La­ge sein, fehlt es an ei­ner ob­jek­ti­vier­ba­ren Grund­la­ge.

Wie so­wohl in der an­ge­foch­te­nen Ent­schei­dung als auch in den Be­ru­fungs­schriftsätzen zu­tref­fend erörtert wor­den ist, stel­len das Le­bens­al­ter und die außer­gewöhn­li­che ho­he Be­triebs­zu­gehörig­keit von über 40 Jah­ren auf Sei­ten des Klägers sehr ge­wich­ti­ge As­pek­te für den Be­stands­schutz dar. Das In­ter­es­se des Klägers, auch sei­ne letz­ten Be­rufs­jah­re im Ar­beits­verhält­nis zu ver­blei­ben, ver­dient un­ver­min­der­ten recht­li­chen Schutz. An der Qua­lität der ge­lie­fer­ten Ar­beits­er­geb­nis­se hat die Be­klag­te zu kei­nem Zeit­punkt et­was be­an­stan­det. Auf der an­de­ren Sei­te legt die Be­klag­te be­rech­tigt ho­hen Wert auf das an­ge­mes­se­ne Auf­tre­ten ih­rer Mit­ar­bei­ter ge­genüber Kun­den und öffent­li­chen In­sti­tu­tio­nen. Wenn der Kläger die­se Er­war­tun­gen nicht erfüllt, sind je­doch zunächst ge­stuft die viel­fa­chen In­stru­men­ta­ri­en der Per­so­nalführung ein­zu­set­zen, um den Kläger zu dem ge-wünsch­ten Ver­hal­ten zu ver­an­las­sen, et­wa Per­so­nal­gespräche, psy­cho­lo­gi­sche Un­terstützung, persönli­ches „coa­ching“ o.ä., ggf. auch ex­akt ge­fass­te Ab­mah­nun­gen. Erst wenn der­ar­ti­ge Maßnah­men in nach­voll­zieh­ba­rer Wei­se durch­geführt und auch über ei­nen länge­ren Zeit­raum oh­ne Wir­kung ge­blie­ben sind, kann ei­ne Auflösung des Ar­beits­verhält­nis­ses in Be­tracht kom­men. Der Vor­gang vom 22.11.2005 ist da­her bei wei­tem nicht ge­eig­net, in der Ge­samt­abwägung ei­ne Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses so­zi­al zu recht­fer­ti­gen i. S. des § 1 Abs. 2 KSchG.

Be­den­ken be­ste­hen auch im Hin­blick auf ei­ne ord­nungs­gemäße Anhörung des Be­triebs-ra­tes nach § 102 Abs. 1 Be­trVG, weil die Be­klag­te den letz­ten Satz der E-Mail, wo­nach mit Ver­las­sen der Un­fall­stel­le der Vor­gang für die Po­li­zei er­le­digt war, dem Be­triebs­rat nicht mit­ge­teilt hat. Der Ar­beit­ge­ber ist im Rah­men der In­for­ma­ti­ons­pflicht des § 102

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Abs.1 Be­trVG aber auch ver­pflich­tet, ge­gen die Kündi­gung spre­chen­de Umstände dem Be-triebs­rat mit­zu­tei­len (BAG vom 22.09.94 – 2 AZR 31/94 – AP § 102 Be­trVG 1972 Nr. 68). Dies braucht je­doch nicht ab­sch­ließend ent­schie­den zu wer­den.

Die Kos­ten­ent­schei­dung er­folgt aus § 97 ZPO.

Ein Grund, die Re­vi­si­on zu­zu­las­sen, lag nicht vor (§ 64 Abs. 3 ArbGG).


Rechts­mit­tel­be­leh­rung

Ge­gen die Nicht­zu­las­sung der Re­vi­si­on fin­det die Be­schwer­de statt.

Die Be­schwer­de kann nur dar­auf gestützt wer­den, dass

1. ei­ne ent­schei­dungs­er­heb­li­che Rechts­fra­ge grundsätz­li­che Be­deu­tung hat,

2. das Ur­teil von ei­ner Ent­schei­dung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts, von ei­ner Ent­schei­dung des Ge­mein­sa­men Se­nats der obers­ten Ge­richtshöfe, des Bun­des, von ei­ner Ent­schei­dung des Bun­des­ar­beits­ge­richts oder, so­lan­ge ei­ne Ent­schei­dung des Bun­des­ar­beits­ge­richts in der Rechts­fra­ge nicht er­gan­gen ist, von ei­ner Ent­schei­dung ei­ner an­de­ren Kam­mer des­sel­ben Lan­des­ar­beits­ge­richts oder ei­nes an­de­ren Lan­des­ar­beits­ge­richts ab­weicht und die Ent­schei­dung auf die­ser Ab­wei­chung be­ruht,

oder

3. ein ab­so­lu­ter Rechts­be­schwer­de­grund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zi­vil­pro­zess­ord­nung oder ei­ner ent­schei­dungs­er­heb­li­chen Ver­let­zung des An­spruchs auf recht­li­ches Gehör gel­tend ge­macht wird und vor­liegt.

Die Be­schwer­de muss bin­nen ei­ner Not­frist von ei­nem Mo­nat nach Zu­stel­lung die­ses Be­schlus­ses bei dem Bun­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­legt wer­den.

Die An­schrift des Bun­des­ar­beits­ge­richts lau­tet:

Hu­go-Preuß-Platz 1, 99084 Er­furt.
Te­le­fax-Nr.: (0361) 26 36 – 20 00

Die Be­schwer­de ist in­ner­halb ei­ner Not­frist von zwei Mo­na­ten nach Zu­stel­lung des Be­schlus­ses zu be­gründen. In der Be­schwer­de­be­gründung müssen die Vor­aus­set­zun­gen der obi­gen Nr. 2 dar­ge­legt oder die Ent­schei­dung be­zeich­net wer­den, von der der Be­schluss ab­weicht.

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Die Be­schwer­de- und die Be­schwer­de­be­gründungs­schrift müssen von ei­nem Rechts­an­walt un­ter­zeich­net sein.

Die Be­schwer­de­schrift, die Be­schwer­de­be­gründungs­schrift und die sons­ti­gen wech­sel­sei­ti­gen Schriftsätze im Be­schwer­de­ver­fah­ren sol­len 7-fach – für je­den wei­te­ren Be­tei­lig­ten ein Ex­em­plar mehr – bei dem Bun­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­reicht wer­den.

Dr. Voigt

Bert­sche

Hess

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