UPDATE
ARBEITSRECHT
Ausgabe
ENTSCHEIDUNGSREPORT FÜR DIE BETRIEBLICHE PRAXIS 07|2024

Update Arbeitsrecht 07|2024 vom 03.04.2024

Entscheidungsbesprechungen

LAG Düsseldorf: Vertragliches Wettbewerbsverbot im Kündigungsschutzprozess

Vertragliches Wettbewerbsverbot im Kündigungsschutzprozess: LAG Düsseldorf, Urteil vom 25.10.2023, 12 Sa 262/23

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 25.10.2023, 12 Sa 262/23

§ 60 Handelsgesetzbuch (HGB); § 241 Abs.2, 615 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB); Art.12 Grundgesetz (GG); § 11 Kündigungsschutzgesetz (KSchG)

Rechtlicher Hintergrund

Reicht ein gekündigter Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage ein, steht für die Dauer des Prozesses nicht fest, ob das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Arbeitgebers aufgelöst wurde oder nicht.

Während dieser Zeit der rechtlichen Ungewissheit kommt es vor, dass sich die Parteien nicht nur über die Wirksamkeit der Kündigung streiten, sondern auch über das Verhalten des Arbeitnehmers nach Ablauf der Kündigungsfrist bzw. (bei einer fristlosen Kündigung) nach Erhalt der Kündigung.

Denn der gekündigte Arbeitnehmer hat zwar, falls sich die Kündigung später als unwirksam herausstellt, für die Dauer der unberechtigten Entlassung einen Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung gemäß § 615 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). 

Er muss sich aber auf diesen Annahmeverzugslohn nicht nur einen bei einem anderen Arbeitgeber erzielten Zwischenverdienst anrechnen lassen, sondern auch einen hypothetischen Verdienst, den er durch eine zumutbare anderweitige Tätigkeit hätte erzielen können, wenn er diese Verdienstmöglichkeit nicht „böswillig“ unterlassen hätte, § 11 Nr.1, Nr.2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG).

Daraus folgt, dass gekündigte Arbeitnehmer während des Kündigungsschutzprozesses verpflichtet sind, die Belastung des Arbeitgebers mit Verzugslohnkosten (für den Fall der Unwirksamkeit der Kündigung) durch eine Zwischenbeschäftigung bei anderen Arbeitgebern möglichst zu vermindern.

Hier stellt sich aber die Frage, bei welchen anderen Arbeitgebern eine solche Zwischenbeschäftigung überhaupt zulässig ist.

Mit der Kündigungsschutzklage stellt sich der gekündigte Arbeitnehmer auf den Standpunkt, dass das Arbeitsverhältnis fortbesteht. Daher ist er auch an gesetzliche, d.h. aus dem Arbeitsverhältnis folgende Wettbewerbsverbot gemäß § 60 Abs.1 Handelsgesetzbuch (HGB) gebunden. Wer das als klagender Arbeitnehmer nicht möchte, handelt rechtlich widersprüchlich.

Aber auch der Arbeitgeber vertritt in einer solchen Situation eine in sich widersprüchliche Ansicht. Denn im Kündigungsschutzprozess argumentiert er, dass die Kündigung wirksam sei. Damit ist es aber nicht zu vereinbaren, vom gekündigten Arbeitnehmer zu verlangen, sich an das arbeitsvertragliche Wettbewerbsverbot bzw. § 60 Abs.1 HGB zu halten.

In einem aktuellen Urteil hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf entschieden, von welchen Umständen es abhängt, ob sich der gekündigte Arbeitnehmer während des Kündigungsschutzprozesses an das Wettbewerbsverbot des § 60 Abs.1 HGB halten muss.

Sachverhalt

Ein seit 2007 in einer Leverkusener Steuerkanzlei mit mehr als zehn Arbeitnehmern tätiger Steuerberater wurde im Dezember 2021 vom Kanzleiinhaber fristlos und hilfsweise ordentlich gekündigt. 

Angeblich hatte er durch eine - nach Ansicht des Kanzleiinhabers nicht genehmigte - kostenlose Beratung von Verwandten und Bekannten in unzulässiger Weise Wettbewerb gemacht. Dagegen reichte der Steuerberater Kündigungsschutzklage ein.

Nachdem der Kanzleiinhaber im Mai 2022 erfuhr, dass sein gekündigter (Ex-)Angestellter von seiner Privatwohnung aus und damit in kurzer Entfernung von zwei Kanzleibüros (2,8 km bzw. 4,2 km) einige Mandanten der Kanzlei bzw. des (Ex-)Arbeitgebers auf eigene Rechnung betreute, kündigte er im Juni 2022 erneut fristlos und hilfsweise ordentlich.

Das Arbeitsgericht Solingen bewertete die Kündigungen vom Dezember 2021 und vom Juni 2022 als unwirksam und gab der Kündigungsschutzklage daher im Herbst 2022 statt (Urteil vom 16.11.2022, 4 Ca 3/22). Dagegen legte der Kanzleiinhaber Berufung ein, über die noch nicht entschieden war.

In der Zwischenzeit war er seinerseits vor Gericht gezogen mit dem Ziel, seinem (Ex-)Angestellten die Konkurrenztätigkeit per Eilverfahren sowie im regulären Hauptsacheverfahren untersagen zu lassen. 

Der Eilantrag hatte zwar keinen Erfolg, doch konnte sich der Kanzleiinhaber mit seiner Unterlassungsklage im Hauptsacheverfahren vor dem Arbeitsgericht Solingen durchsetzen (Arbeitsgericht Solingen, Urteil vom 14.03.2023, 1 Ca 826/22).

Mit diesem Urteil untersagte das Arbeitsgericht dem (Ex-)Angestellten, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens wegen der o.g. Kündigungen in Leverkusen einer selbständigen oder angestellten Tätigkeit als Steuerberater nachzugehen.

Und obwohl arbeitsgerichtliche Urteile erster Instanz ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar sind (d.h. noch vor einer Entscheidung über eine Berufung), hielt sich der Angestellte nicht an das Urteil. 

Daher leitete der Kanzleiinhaber Maßnahmen der Zwangsvollstreckung ein und kündigte den Angestellten am 31.03.2023 ein weiteres Mal fristlos und hilfsweise ordentlich. Auch dagegen reichte der Angestellte Klage ein.

Entscheidung des LAG Düsseldorf

Die Berufung des Angestellten gegen das Unterlassungsurteil hatte vor dem LAG Düsseldorf teilweise Erfolg. Das LAG hielt das Urteil für die Zeit von seiner Verkündung (14.03.2023) bis zu der weiteren fristlosen Kündigung durch den Kanzleiinhaber vom 31.03.2023 für richtig, hob es aber für die Zeit danach auf. Denn, so das LAG:

Das aus dem Arbeitsverhältnis folgende vertragliche Wettbewerbsverbot gilt während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses. Auch ein fristlos gekündigter Arbeitnehmer darf nach Zugang der - von ihm mit einer Kündigungsschutzklage angegriffenen - Kündigung keine Konkurrenztätigkeit ausüben, falls sich die Kündigung später als unwirksam herausstellt. 

Maßgeblich ist die objektive Rechtslage. Die rechtliche Obliegenheit, anderweitigen Erwerb nicht böswillig zu unterlassen, rechtfertigt keine Konkurrenztätigkeit im Geschäftsbereich des Arbeitgebers, so das LAG unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG).

Für die Zeit der rechtlichen Ungewissheit über die Wirksamkeit der Kündigung kann nach Ansicht des LAG die BAG-Rechtsprechung zum allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch zurückgegriffen werden. 

Danach besteht ein Weiterbeschäftigungsanspruch (und daher eine Pflicht zum Unterlassen von Wettbewerb), wenn die Kündigung offensichtlich unwirksam ist und/oder wenn ein Arbeitsgericht deren Unwirksamkeit (erstinstanzlich) festgestellt hat.

In anderen Fällen, d.h. wenn die Kündigung weder offensichtlich unwirksam ist noch ein klagestattgebendes Urteil im Kündigungsschutzprozess vorliegt, besteht ein Unterlassungsanspruch nur ausnahmsweise, wenn die Interessenabwägung zugunsten des Arbeitgebers ausgeht.

Für den Streitfall folgte daraus, dass der Angestellte ab dem zu seinen Gunsten ergangenen Urteil des Arbeitsgerichts Solingen in dem Kündigungsschutzverfahren über die Kündigungen vom Dezember 2021 und Juni 2022 (Urteil vom 16.11.2022, 4 Ca 3/22) erst einmal zum Unterlassen von Wettbewerb verpflichtet war.

Daran änderte auch die Bewertung der beiderseitigen Interessen nichts. Denn der Angestellte hatte keine Investitionen getätigt, da er von zu Hause aus arbeitete. Außerdem erstreckte sich der Wettbewerb auf die Mandanten des (Ex-)Arbeitgebers und wurde am Ort der Kanzlei in Leverkusen ausgeübt, so dass er intensiv war.

Die Pflicht zum Unterlassen endete aber mit Ablauf des 31.03.2023, da die an diesem Tag erklärte weitere fristlose Kündigung bei summarischer Prüfung wirksam war. 

Denn der (Ex-)Angestellte ließ sich offenbar nicht durch das Unterlassungsurteil vom 14.03.2023 von einer weiteren Konkurrenztätigkeit abhalten, so dass der Kanzleiinhaber fristlos kündigen konnte.

Da nach dem 31.03.2023 somit aller Wahrscheinlichkeit nach kein Arbeitsverhältnis mehr bestand, konnte der (Ex-)Angestellte ab diesem Zeitpunkt Wettbewerb machen.

Praxishinweis

Dem LAG ist zuzustimmen. Die Ungewissheit über die Pflicht zur Wettbewerbskarenz ähnelt der Ungewissheit über die Pflicht zur weiteren Beschäftigung. 

Daher muss in beiden Fällen eine Interessenabwägung vorgenommen werden. Diese beruht im Wesentlichen auf einer rechtlichen Einschätzung der Wirksamkeit der streitigen Kündigung(en).

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 25.10.2023, 12 Sa 262/23

 

Handbuch Arbeitsrecht: Annahmeverzug des Arbeitgebers 

Handbuch Arbeitsrecht: Haftung des Arbeitgebers

Handbuch Arbeitsrecht: Haftung des Arbeitnehmers

Handbuch Arbeitsrecht: Kündigung des Arbeitsvertrags (Überblick)

Handbuch Arbeitsrecht: Kündigungsschutzklage

Handbuch Arbeitsrecht: Vergütung bei Arbeitsausfall

Handbuch Arbeitsrecht: Weiterbeschäftigung

Handbuch Arbeitsrecht: Wettbewerbsverbot

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

IMPRESSUM