HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

LAG Hamm, Ur­teil vom 04.07.2011, 8 Sa 726/11

   
Schlagworte: Annahmeverzug, Arbeitsunfähigkeit
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Aktenzeichen: 8 Sa 726/11
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 04.07.2011
   
Leitsätze:

1. Bietet der Arbeitnehmer nach längerer psychischer Erkrankung unter Vorlage einer vom behandelnden Facharzt ausgestellten "Arbeitsfähigkeitsbescheinigung" erfolglos seine Arbeitskraft an und verlangt er aus diesem Grunde Vergütungszahlung wegen Annahmeverzuges, so hat der Arbeitgeber die fehlende Arbeitsfähigkeit zu beweisen (h. M.).

2. Verneint der gerichtlich bestellte Sachverständige aufgrund eigener Untersuchung und Beurteilung, jedoch ohne Beiziehung der fachärztlichen Behandlungsunterlagen die vom Arbeitgeber behauptete Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit zu dem in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt, so ist der auf Ergänzung des Gutachtens gerichtete Beweisantrag des Arbeitgebers, der Gutachter möge die fachärztlichen Behandlungsunterlagen beiziehen, zum Nachweis der fehlenden Arbeitsfähigkeit nur geeignet, wenn zugleich die Möglichkeit dargelegt wird, dass deren Auswertung einen solchen Widerspruch zwischen ärztlicher Dokumentation einerseits und diagnostizierter Besserung der Symptomatik nebst Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit andererseits aufzeigt, dass hieraus überzeugungskräftig das Gegenteil - die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit - herzuleiten sei.

3. Zu den gebotenen Maßnahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX gehört auch die Durchführung einer ärztlich empfohlenen stufenweisen Wiedereingliederung. Die frühere Auffassung, dem Arbeitgeber stehe die Entscheidung hierüber frei, ist nach Einführung des § 84 SGB IX überholt. Im Weigerungsfall kommen Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers gemäß § 280 BGB, § 823 Abs. 2 i.V.m. § 84 Abs. 2 SGB IX in Betracht.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Gelsenkirchen, Urteil vom 28.09.2010, 8 Sa 726/11
   

8 Sa 726/11  

5 Ca 1035/10
ArbG Gel­sen­kir­chen

 

Verkündet am 04.07.2011

Gre­watsch Re­gie­rungs­beschäftig­te als Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

 

Lan­des­ar­beits­ge­richt Hamm

Im Na­men des Vol­kes

Ur­teil

In Sa­chen

hat die 8. Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Hamm
auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 04.07.2011
durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt Dr. Du­den­bos­tel
so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Gott­schalk und Strehl

für Recht er­kannt:

Die Be­ru­fung des Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Gel­sen­kir­chen vom 28.09.2010 – 5 Ca 1035/10 – wird auf Kos­ten des Be­klag­ten zurück­ge­wie­sen.

Die Re­vi­si­on wird nicht zu­ge­las­sen.

 

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Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten im zwei­ten Rechts­zu­ge über die Zah­lung von Ar­beits­vergütung un­ter dem Ge­sichts­punkt von An­nah­me­ver­zug und/oder Scha­dens­er­satz für den Zeit­raum vom 01. bis 26.03.2009 und vom 09.04. bis 30.04.2009, während des­sen der Kläger nicht beschäftigt wor­den ist. Außer­ge­richt­lich hat der Kläger Ansprüche auch für nach­fol­gen­de Mo­na­te gel­tend ge­macht.

Der Kläger ist seit dem 01.07.2003 auf­grund schrift­li­chen Ar­beits­ver­tra­ges (Bl. 10 f. d. A.) beim be­klag­ten DRK-Kreis­ver­band ge­gen ein mo­nat­li­ches Brut­to­ent­gelt von durch­schnitt­lich 1.812,37 € beschäftigt und war zu­letzt als Dis­po­nent in der Si­cher­heits­zen­tra­le ein­ge­setzt. Ab dem 30.04.2008 und je­den­falls bis zum 03.11.2008 war der Kläger auf­grund ei­ner de­pres­si­ven Er­kran­kung ar­beits­unfähig er­krankt und nicht für den Be­klag­ten tätig. Nach­dem der Be­klag­te mit Schrei­ben vom 20.10.2008 (Bl. 15 d. A.) ei­ne ärzt­li­cher­seits vor­ge­schla­ge­nen stu­fen­wei­se Wie­der­ein­glie­de­rung un­ter Hin­weis auf Si­cher­heits­be­den­ken ab­ge­lehnt hat­te, bot der Kläger un­ter Vor­la­ge ei­ner ärzt­li­chen Ar­beitsfähig­keits­be­schei­ni­gung vom 04.11.2008 (Bl. 21 d. A) er­folg­los sei­ne Ar­beits­kraft an und leg­te wei­ter mit Schrei­ben vom 20.11.2008 ei­ne Bestäti­gung der Tech­ni­ker-Kran­ken­kas­se (Bl. 24 d. A.) vor, wel­che auf­grund ei­ner Vor­stel­lung des Klägers beim MDK die Fähig­keit zur Wie­der­auf­nah­me der Ar­beit bestätig­te. Auf Ver­an­las­sung des Be­klag­ten stell­te sich der Kläger so­dann am 09.03.2009 beim „Werks­arzt­zen­trum D" vor, wel­ches in sei­ner Stel­lung­nah­me vom 19.03.2009 (Bl. 25 d. A.) ge­gen ei­nen Ein­satz des Klägers Be­den­ken er­hob und zunächst ei­ne zweiwöchi­ge Wie­der­ein­glie­de­rung un­ter Auf­sicht emp­fahl, was der Be­klag­te mit Schrei­ben vom 26.03.2009 (Bl. 26 d. A.) er­neut we­gen be­ste­hen­der Si­cher­heits­be­den­ken ab­lehn­te. Hier­auf er­litt der Kläger ei­nen Rück­fall und war vom 27.03 bis 08.04.2009 er­neut ar­beits­unfähig. Nach­fol­gend bestätig­te der MDK mit Schrei­ben vom 08.04.2009 (Bl. 28 ff.) die Ein­satzfähig­keit des Klägers für die zu­letzt aus­geübte Tätig­keit als Dis­po­nent. Wei­ter heißt es in­so­weit, ei­ne Per­so­nen­beförde­rung sol­le we­gen der Me­di­ka­ti­on mit Ci­talo­pram aus Vor­sichts­gründen nicht er­fol­gen. Am 11.04.2009 bot der Kläger er­neut er­folg­los sei­ne Ar­beits­kraft an.

 

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Nach­dem die Be­klag­te die Ar­beits­vergütung für die Mo­na­te No­vem­ber und De­zem­ber 2008 ge­zahlt hat­te, stell­te sie in der Fol­ge die Zah­lung ein und for­der­te vom Kläger die ge­leis­te­te Vergütung zurück.

Der Kläger hat vor­ge­tra­gen, sei­ne vor­an­ge­hen­de Ar­beits­unfähig­keit sei be­reits ab dem 03.11.2008 be­en­det ge­we­sen, wes­we­gen der Be­klag­te zu Un­recht Beschäfti­gung und Zah­lung ver­wei­ge­re. Dem­ge­genüber hat der Be­klag­te gel­tend ge­macht, ab­wei­chend von der Be­ur­tei­lung der be­han­deln­den Ärz­tin und des me­di­zi­ni­schen Diens­tes der Kran­ken­kas­se sei der Kläger wei­ter für die zu­letzt aus­geübte Tätig­keit in der Si­cher­heits­zen­tra­le ar­beits­unfähig ge­we­sen. We­gen der wei­ter er­for­der­li­chen Ein­nah­me des Me­di­ka­ments Ci­talo­pram sei es im Übri­gen un­zu­mut­bar ge­we­sen, den Kläger mit der zu­letzt aus­geübten Tätig­keit in der Si­cher­heits­zen­tra­le zu be­trau­en, da die hier an­fal­len­den Tätig­kei­ten ei­ne un­ein­ge­schränk­te psy­chi­sche Be­last­bar­keit und die Fähig­keit zu si­che­ren und schnel­len Ent­schei­dun­gen vor­aus­set­ze. Eben aus die­sem Grun­de ha­be auch der ärzt­li­cher­seits vor­ge­schla­ge­nen stu­fen­wei­sen Wie­der­ein­glie­de­rung ab dem 23.10.2008 nicht zu­ge­stimmt wer­den können. Schon die Tat­sa­che, dass die be­han­deln­de Ärz­tin zunächst selbst von der Not­wen­dig­keit ei­ner stu­fen­wei­sen Wie­der­ein­glie­de­rung aus­ge­gan­gen sei, dann aber – nach Ver­wei­ge­rung der Zu­stim­mung durch den Be­klag­ten – dem Kläger Ar­beitsfähig­keit ab dem 03.11.2008 at­tes­tiert ha­be, be­gründe er­heb­li­che Zwei­fel dar­an, dass der Kläger zu die­sem Zeit­punkt und auch im hier maßgeb­li­chen An­spruchs­zeit­raum den An­for­de­run­gen des Ar­beits­plat­zes ge­sund­heit­lich ge­wach­sen und da­mit ar­beitsfähig ge­we­sen sei. Auch das von der Be­klag­ten be­auf­trag­te Werks­arzt­zen­trum ha­be in sei­ner Stel­lung­nah­me vom 19.03.2009 (Bl. 25 d. A.) ge­sund­heit­li­che Be­den­ken ge­gen die Beschäfti­gung des Klägers in den bis­her durch­geführ­ten Tätig­keits­be­rei­chen er­ho­ben und je­den­falls ei­ne Wie­der­ein­glie­de­rungs­maßnah­me für er­for­der­lich ge­hal­ten. Ge­gen die vollständi­ge Wie­der­her­stel­lung der Ar­beitsfähig­keit spre­che auch der Rück­fall in der Zeit vom 27.03. bis 08.04.2009 So­weit der Kläger auf an­der­wei­ti­ge Ein­satzmöglich­kei­ten ver­wei­se, feh­le es teils auch dies­bezüglich an der ge­sund­heit­li­chen Eig­nung des Klägers, im Übri­gen feh­le es für an­de­re Tätig­kei­ten an der er­for­der­li­chen Qua­li­fi­ka­ti­on des Klägers oder ei­nem ent­spre­chen­den Be­darf. Erst nach­dem im Zu­ge des vor­lie­gen­den Rechts­streits durch das vom Ar­beits­ge­richt

 

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ein­ge­hol­te Sach­verständi­gen­gut­ach­ten die be­ste­hen­den Be­den­ken ge­gen ei­nen Ein­satz des Klägers in der Si­cher­heits­zen­tra­le aus­geräumt wor­den sei­en, sei ab die­sem Zeit­punkt Ar­beitsfähig­keit des Klägers an­zu­neh­men, wes­we­gen der Kläger nun­mehr seit dem 07.06.2010 wei­ter­beschäftigt wer­de. Dem­ge­genüber könne der Kläger für die Ver­gan­gen­heit und ins­be­son­de­re für den streit­ge­genständ­li­chen Zeit­raum kei­ne Zah­lung von Ar­beits­vergütung be­an­spru­chen.

Durch Ur­teil vom 28.09.2010 (Bl. 286 ff. d. A.), auf wel­ches we­gen der Fas­sung der Kla­ge­anträge und des wei­te­ren erst­in­stanz­li­chen Par­tei­vor­brin­gens Be­zug ge­nom­men wird, hat das Ar­beits­ge­richt nach Ein­ho­lung ei­nes Sach­verständi­gen­gut­ach­tens des Fach­arz­tes für Neu­ro­lo­gie und Psych­ia­trie Dr. B1 (Bl. 236 ff. d. A.) gemäß dem Be­weis­be­schluss vom 25.03.2010 (Bl. 214 d. A.) den Be­klag­ten an­trags­gemäß zur Zah­lung von Ar­beits­vergütung für die Zeit vom 01.03.2009 bis ein­sch­ließlich 26.03.2009 und 09.04.2009 bis ein­sch­ließlich 30.04.2009 ver­ur­teilt und dem Be­klag­ten die Kos­ten des Rechts­streits, auch so­weit die Par­tei­en den zunächst vom Kläger ver­folg­ten Beschäfti­gungs­an­spruch übe­rein­stim­mend für er­le­digt erklärt ha­ben, auf­er­legt. Zur Be­gründung ist im We­sent­li­chen aus­geführt wor­den, gemäß § 615 BGB könne der Kläger die Zah­lung von Ar­beits­vergütung un­ter dem Ge­sichts­punkt des An­nah­me­ver­zu­ges ver­lan­gen, nach­dem er die ge­schul­de­te Ar­beits­leis­tung ab dem 03.11.2008 ord­nungs­gemäß an­ge­bo­ten ha­be. Ab­wei­chend vom Stand­punkt des Be­klag­ten sei der An­nah­me­ver­zug we­der we­gen feh­len­der Leis­tungsfähig­keit des Klägers aus­ge­schlos­sen, noch sei dem Be­klag­ten die An­nah­me der Ar­beits­leis­tung des Klägers un­zu­mut­bar ge­we­sen. Wie sich aus dem ein­ge­hol­ten Gut­ach­ten des Sach­verständi­gen Dr. B1 er­ge­be, sei der Kläger für die Tätig­keit als Dis­po­nent in der Ein­satz­zen­tra­le des Be­klag­ten ab dem 03.11.2008 un­ein­ge­schränkt ar­beitsfähig ge­we­sen. Dies ha­be der Sach­verständi­ge über­zeu­gend auf der Grund­la­ge ei­ge­ner Un­ter­su­chun­gen und Aus­wer­tung der Ge­richts­ak­te be­gründet. So­weit der Be­klag­te be­an­stan­de, dass der Gut­ach­ter die Be­fund­be­rich­te der be­han­deln­den Ärz­tin R1 nicht bei­ge­zo­gen ha­be, stel­le dies kei­nen Man­gel des Gut­ach­tens dar, da der Sach­verständi­ge lt. Mit­tei­lung sei­ner Pra­xis die ge­nann­ten Un­ter­la­gen nicht benötigt ha­be. So­weit das Gut­ach­ten bei der Ein­nah­me von Ci­talo­pram aus Vor­sichts­gründen von ei­ner Fahr­untüch­tig­keit des Klägers aus­ge­he, ste­he dies dem ver­folg­ten Ver­zugs­lohn­an­spruch nicht ent­ge­gen. Selbst wenn nämlich der Ar­beit­neh­mer aus

 

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ge­sund­heit­li­chen Gründen nicht mehr sämt­li­che ver­trag­lich ver­ein­bar­ten Tätig­kei­ten ausüben könne, sei der Ar­beit­ge­ber je­den­falls ge­hal­ten, sein Wei­sungs­recht nach bil­li­gem Er­mes­sen aus­zuüben und ge­ge­be­nen­falls dem nur ein­ge­schränkt leis­tungsfähi­gen Ar­beit­neh­mer ei­ne lei­dens­ge­rech­te Tätig­keit zu­zu­wei­sen. Da der Kläger nach dem In­halt des Ar­beits­ver­tra­ges um­fas­send ein­setz­bar sei, ha­be der Be­klag­te dem Kläger ge­ge­be­nen­falls ei­ne Tätig­keit oh­ne Fahrtätig­kei­ten zu­wei­sen müssen. Sch­ließlich sei dem Be­klag­ten die An­nah­me der Ar­beits­leis­tung auch nicht des­halb un­zu­mut­bar ge­we­sen, weil sich der Kläger ge­wei­gert ha­be, die be­han­deln­den Ärz­te ihm – dem Be­klag­ten - ge­genüber um­fas­send von der ge­setz­li­chen Schwei­ge­pflicht zu ent­bin­den. Zwar könne der Ar­beit­ge­ber bei be­gründe­ten Zwei­feln an der Ar­beitsfähig­keit des Ar­beit­neh­mers vom Ar­beit­neh­mer ver­lan­gen, dass die­ser kon­kret sei­ne Leis­tungsfähig­keit über­prüfbar be­le­ge, die­se Pflicht ha­be der Kläger je­doch durch die Vor­la­ge der Be­schei­ni­gun­gen der be­han­deln­den Ärz­tin so­wie des so­zi­al­me­di­zi­ni­schen Gut­ach­tens des MDK vom 08.04.2009 erfüllt. Dem­ge­genüber schei­de ei­ne wei­ter­ge­hen­de Ver­pflich­tung des Klägers zur um­fas­sen­den Of­fen­le­gung sämt­li­cher Dia­gno­sen ge­genüber dem Be­klag­ten aus. Der Höhe nach ste­he dem Kläger nach dem Lohn­aus­fall­prin­zip die ent­gan­ge­ne Ar­beits­vergütung als Brut­to­be­trag zu, oh­ne dass die Be­klag­te ge­gen die Be­rech­nung Ein­wen­dun­gen er­ho­ben ha­be. Je­den­falls mit Kla­ge­zu­stel­lung ha­be der Kläger auch die ein­schlägi­ge Aus­schluss­frist des § 37 TVöD/VKA ge­wahrt.

Mit sei­ner recht­zei­tig ein­ge­leg­ten und be­gründe­ten Be­ru­fung hält der Be­klag­te un­ter Wie­der­ho­lung und Ver­tie­fung sei­nes erst­in­stanz­li­chen Vor­brin­gens an sei­ner Be­haup­tung fest, im An­spruchs­zeit­raum sei der Kläger ar­beits­unfähig ge­we­sen. Dies er­ge­be sich zum ei­nen aus dem Um­stand, dass die be­han­deln­de Ärz­tin R1 den Kläger noch am 27.10.2008 wei­ter­hin nicht für voll ar­beitsfähig ge­hal­ten, son­dern ei­ne stu­fen­wei­se Wie­der­ein­glie­de­rung emp­foh­len ha­be. Erst nach­dem der Be­klag­te ei­ne sol­che Maßnah­me als un­zu­mut­bar ab­ge­lehnt ha­be, ha­be ihn die Ärz­tin of­fen­sicht­lich „aus tak­ti­schen Gründen" ge­sund ge­schrie­ben. Zum an­de­ren fol­ge auch aus dem Um­stand, dass der Kläger über den Zeit­punkt der an­geb­li­chen Wie­der­her­stel­lung der Ar­beitsfähig­keit hin­aus das Me­di­ka­ment Ci­talo­pram ver­ord­net er­hal­ten ha­be, dass ei­ne vol­le Ein­satzfähig­keit des Klägers im hier streit­be­fan­ge­nen Zeit­raum nicht vor­ge­le­gen ha­ben könne. Bei dem be­nann­ten Me­di­ka­ment han­de­le es sich um ein An­ti­de­pres­si­vum mit ei­ner Viel­zahl von Ne­ben­wir­kun­gen, wel­ches bei

 

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plötz­li­chem Ab­set­zen zu er­heb­li­chen körper­li­chen und psy­chi­schen Ent­zugs­er­schei­nun­gen führen könne. Eben we­gen der sich hier­aus er­ge­ben­den Si­cher­heits­be­den­ken ha­be der Be­klag­te das Werks­arzt­zen­trum Deutsch­land als un­abhängi­ge In­sti­tu­ti­on mit der Be­gut­ach­tung be­auf­tragt, wel­ches die er­ho­be­nen Be­den­ken ge­gen ei­nen Ein­satz des Klägers ge­teilt und zunächst die Durchführung ei­ner Wie­der­ein­glie­de­rungs­maßnah­me emp­foh­len ha­be. Ab­wei­chend von der Dar­stel­lung des Klägers tref­fe es auch nicht zu, dass ei­ne ärzt­li­che Un­ter­su­chung in die­sem Zu­sam­men­hang nicht statt­ge­fun­den ha­be, im Ge­gen­teil ha­be ei­ne um­fang­rei­che Un­ter­su­chung statt­ge­fun­den. Zum Be­weis hierfür be­ruft sich der Be­klag­te auf den bei der Ge­richts­ak­te be­find­li­chen Be­richt des Werks­arzt­zen­trums, das sach­verständi­ge Zeug­nis des geschäftsführen­den Arz­tes Dr. N1 und die Ein­ho­lung ei­nes Sach­verständi­gen­gut­ach­tens. So­weit dem­ge­genüber der vom Ge­richt be­auf­trag­te Sach­verständi­ge Dr. B1 zu ei­ner ab­wei­chen­den Einschätzung ge­kom­men sei, lie­ge je­den­falls ein ein­deu­ti­ges und zwei­fels­frei­es Er­geb­nis nicht vor, da der Gut­ach­ter die Be­fund­un­ter­la­gen der be­han­deln­den Ärz­tin nicht zur Hand ge­habt und sich al­lein auf die ei­ge­ne Un­ter­su­chung des Klägers gestützt ha­be. Ei­ne rück­wir­ken­de Be­ur­tei­lung der Ar­beitsfähig­keit des Klägers für den hier maßgeb­li­chen Zeit­punkt müsse auf die­ser Grund­la­ge aus­schei­den. Selbst wenn aber vom Be­klag­ten der Nach­weis nicht geführt wer­den könne, dass im An­spruchs­zeit­raum wei­ter Ar­beits­unfähig­keit be­stan­den ha­be, müsse aus recht­li­chen Gründen be­ach­tet wer­den, dass al­len­falls ein An­spruch auf Scha­dens­er­satz, nicht hin­ge­gen auf Zah­lung von Ver­zugs­lohn gemäß § 615 BGB in Be­tracht kom­me. Wie sich aus dem Sach­verständi­gen­gut­ach­ten er­ge­be, sei der Kläger nach Auf­fas­sung des Gut­ach­ters zwar in der Auf­ga­ben­stel­lung des Dis­po­nen­ten ein­setz­bar, dem­ge­genüber ha­be der Kläger auch nach Auf­fas­sung des Gut­ach­ters we­gen der Ein­nah­me des Me­di­ka­men­tes Ce­talo­pram nicht in dem Rah­men der Per­so­nenförde­rung ein­ge­setzt wer­den können. Vor­aus­set­zung für ei­nen An­spruch auf Zah­lung des Ver­zugs­lohns sei je­doch nach der neue­ren Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts, dass der Ar­beit­neh­mer für al­le ar­beits­ver­trag­lich ge­schul­de­ten Tätig­kei­ten ar­beitsfähig sei. Könne er nur ei­nen Teil der ver­trag­lich vor­ge­se­he­nen Ar­beits­auf­ga­ben er­le­di­gen, kom­me al­lein ein Scha­dens­er­satz­an­spruch in Be­tracht, wenn der Ar­beit­ge­ber schuld­haft die Pflicht zur Zu­wei­sung lei­dens­ge­rech­ter Ar­beit ver­let­ze. Dies set­ze vor­aus, dass der Ar­beit­neh­mer die Um­set­zung auf ei­nen lei­dens­ge­rech­ten Ar­beits­platz ver­langt und dem Ar­beit­ge­ber mit­ge­teilt ha­be, wie er sich sei­ne wei­te­re

 

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Tätig­keit vor­stel­le. Zwar be­zie­he sich die zi­tier­te Ent­schei­dung des Bun­des­ar­beits­ge­richts aus­drück­lich nur auf die Fall­ge­stal­tung, dass die zu­letzt aus­geübte Tätig­keit nicht mehr aus­geübt wer­den könne; wei­ter­ge­hend müsse je­doch ganz all­ge­mein an­ge­nom­men wer­den, dass die Ver­pflich­tung des Ar­beit­ge­bers zur Neu­be­stim­mung der Tätig­keit vor­aus­set­ze, dass der Ar­beit­neh­mer die Um­set­zung auf ei­nen lei­dens­ge­rech­ten Ar­beits­platz ver­langt und mit­ge­teilt ha­be, wie er sich sei­ne Wei­ter­beschäfti­gung vor­stel­le. Un­ter Berück­sich­ti­gung die­ser Maßstäbe schei­de der ver­folg­te An­spruch auf Zah­lung von Vergütung aus. We­gen der Me­di­ka­men­ten­ein­nah­me sei der Kläger nicht un­ein­ge­schränkt ar­beitsfähig ge­we­sen. In wel­chem Rah­men der Kläger tatsächlich ein­satzfähig ge­we­sen sei, ha­be der Be­klag­te nicht be­ur­tei­len können, da der Kläger sei­ne Mit­wir­kung an der Aufklärung des Sach­ver­halts ver­wei­gert ha­be.

Der Be­klag­te be­an­tragt,

un­ter Abände­rung des am 12.10.2010 verkünde­ten und am 18.10.2010 zu­ge­stell­ten Ur­teils des Ar­beits­ge­richts Gel­sen­kir­chen – 5 Ca 1035/10 – die Kla­ge ab­zu­wei­sen und die Kos­ten des Rechts­streits dem Kläger auf­zu­er­le­gen.

Der Kläger be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Er ver­tei­digt die ar­beits­ge­richt­li­che Ent­schei­dung un­ter Wie­der­ho­lung und Ver­tie­fung sei­nes erst­in­stanz­li­chen Vor­brin­gens als zu­tref­fend und tritt ins­be­son­de­re dem Stand­punkt des ar­beits­ge­richt­li­chen Ur­teils bei, der Be­klag­te ha­be den ihr ob­lie­gen­den Be­weis ei­ner feh­len­den Ar­beitsfähig­keit nicht geführt. Nach­dem der ge­richt­lich be­stell­te Sach­verständi­ge sämt­li­che zur Verfügung ge­stell­ten Un­ter­la­gen aus­ge­wer­tet und das von der Be­klag­ten ein­ge­hol­te werksärzt­li­che Gut­ach­ten als nicht nach­voll­zieh­bar be­ur­teilt ha­be, sei­en die vom Be­klag­ten vor­ge­tra­ge­nen Zwei­fel an der Ar­beitsfähig­keit aus­geräumt, oh­ne dass die all­ge­mei­nen Ausführun­gen des Be­klag­ten zu mögli­chen Ne­ben­wir­kun­gen des Me­di­ka­ments Ci­talo­pram ei­ne

 

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ab­wei­chen­de Be­ur­tei­lung recht­fer­tig­ten. Im Übri­gen ha­be selbst das vom Be­klag­ten be­auf­trag­te Werks­arzt­zen­trum sei­ner­zeit ei­ne stu­fen­wei­se Wie­der­ein­glie­de­rung befürwor­tet, nicht hin­ge­gen ei­ne Fort­dau­er der Ar­beits­unfähig­keit fest­ge­stellt. In An­be­tracht der Tat­sa­che, dass der Be­klag­te zwi­schen­zeit­lich selbst dem Werks­arzt­zen­trum un­ter Hin­weis auf ei­ne „Falsch­be­gut­ach­tung" den Streit verkündet ha­be, sei der Ver­such, den ein­ge­nom­me­nen Stand­punkt auch im Be­ru­fungs­rechts­zug zu ver­tei­di­gen, we­nig über­zeu­gend. So­fern das Ge­richt dies für er­for­der­lich hal­te, möge der Sach­verständi­ge sein Gut­ach­ten un­ter Berück­sich­ti­gung der Be­fund­be­rich­te der be­han­deln­den Ärz­tin ergänzen. Un­abhängig hier­von müsse bei der recht­li­chen Be­ur­tei­lung des Sach­ver­halts auch der Um­stand berück­sich­tigt wer­den, dass der Be­klag­te mit sei­ner Wei­ge­rung, ei­ne stu­fen­wei­se Ein­glie­de­rung des Klägers zu ermögli­chen, die Ver­pflich­tung zur Durchführung ei­nes be­trieb­li­chen Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ments ver­letzt ha­be. Bei Durchführung der stu­fen­wei­sen Wie­der­ein­glie­de­rung wäre die­se be­reits im De­zem­ber 2008 be­en­det ge­we­sen, so dass sich je­den­falls für den hier maßgeb­li­chen Zeit­raum ei­ne Fort­dau­er der Ar­beits­unfähig­keit des Klägers nicht be­gründen las­se. Die Ein­nah­me des Me­di­ka­ments Ci­talo­pram ste­he je­den­falls der zu­letzt aus­geübten Tätig­keit in der Ein­satz­zen­tra­le nicht ent­ge­gen, da hier Fahrtätig­kei­ten nicht an­fie­len.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Be­ru­fung des Be­klag­ten ist un­be­gründet.

I. In Übe­rein­stim­mung mit dem ar­beits­ge­richt­li­chen Ur­teil steht dem Kläger für die Zeiträume vom 01.03. bis 26.03.2009 und vom 09.04. bis 30.04.2009 ein An­spruch auf Zah­lung von Ar­beits­vergütung zu, und zwar in ers­ter Li­nie un­ter dem Ge­sichts­punkt des An­nah­me­ver­zu­ges gem. § 615 BGB (1). Zu­gleich recht­fer­tigt sich das Kla­ge­be­geh­ren auch un­ter dem Ge­sichts­punkt des Scha­dens­er­sat­zes we­gen un­zu­rei­chen­der Durchführung des Be­trieb­li­chen Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ments gem. § 280 BGB i.V.m. § 84 Abs. 2 SGB IX (2).

 

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1. Zu­tref­fend hat das Ar­beits­ge­richt den vom Kläger ver­folg­ten Zah­lungs­an­spruch nach den Re­geln des An­nah­me­ver­zu­ges (§ 615 BGB) ge­prüft und auf der Grund­la­ge des ein­ge­hol­ten Sach­verständi­gen­gut­ach­tens die vom Be­klag­ten er­ho­be­nen Be­den­ken ge­gen die Ar­beitsfähig­keit des Klägers als un­be­gründet an­ge­se­hen. Die mit der Be­ru­fung vor­ge­tra­ge­nen Ge­sichts­punk­te sind nicht ge­eig­net, die Vollständig­keit und Brauch­bar­keit des ein­ge­hol­ten Gut­ach­tens in Fra­ge zu stel­len.

a) So­weit der Be­klag­te auch im zwei­ten Rechts­zu­ge an sei­ner Be­haup­tung festhält, der Kläger sei im An­spruchs­zeit­raum wei­ter ar­beits­unfähig für die zu­letzt aus­geübte Tätig­keit in der Si­cher­heits­zen­tra­le ge­we­sen, vermögen die vor­ge­tra­ge­nen Einwände ge­gen das vor­lie­gen­de Sach­verständi­gen­gut­ach­ten nicht zu über­zeu­gen.

(1) We­der die Tat­sa­che, dass der Kläger über ei­nen länge­ren Zeit­raum we­gen ei­ner psy­chi­schen Er­kran­kung ar­beits­unfähig krank war und die­se Er­kran­kung nach Einschätzung der be­han­deln­den Ärz­tin wei­ter­hin die Ein­nah­me des Me­di­ka­ments Ci­talo­pram er­for­der­lich mach­te, noch der „Rück­fall" des Klägers in der Zeit vom 27.03. bis 08.04.2009 sind ge­eig­net, die vom ge­richt­lich be­stell­ten Gut­ach­ter im Ein­zel­nen be­gründe­te Schluss­fol­ge­rung in Zwei­fel zu zie­hen, der Kläger sei im strei­ti­gen Zeit­raum ar­beitsfähig ge­we­sen. Berück­sich­tigt man die ge­setz­li­che Be­weis­last­ver­tei­lung und da­mit die Tat­sa­che, dass nicht die Ar­beitsfähig­keit, son­dern de­ren Feh­len zu be­wei­sen ist, bleibt fest­zu­hal­ten, dass das ein­ge­hol­te Sach­verständi­gen­gut­ach­ten nicht ge­eig­net ist, den Stand­punkt der Be­klag­ten zu stützen.

Der Sach­verständi­ge hat bei der Be­ant­wor­tung der Be­weis­fra­ge die Kran­ken­ge­schich­te und die Ein­nah­me des Me­di­ka­ments Ci­talo­pram in sei­ne fach­li­che Be­ur­tei­lung ein­be­zo­gen, oh­ne dass der Vor­trag des Be­klag­ten ei­ne Un­rich­tig­keit der ge­trof­fe­nen Fest­stel­lun­gen er­ken­nen lässt. Dass der Sach­verständi­ge hier­bei ei­ne Be­ur­tei­lung der Ar­beitsfähig­keit bzw. Ar­beits­unfähig­keit für ei­nen länger zurück­lie­gen­den Zeit­raum tref­fen muss, stellt nichts Un­gewöhn­li­ches dar und kann da­mit kei­nen durch­grei­fen­den Ein­wand ge­gen die Brauch­bar­keit des Gut­ach­tens be­gründen.

 

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(2) Rich­tig ist zwar, dass der Sach­verständi­ge bei sei­ner Be­ur­tei­lung al­lein die aus der Ge­richts­ak­te er­sicht­li­chen ärzt­li­chen Un­ter­la­gen und Gut­ach­ten, nicht hin­ge­gen die Be­fund­be­rich­te der be­han­deln­den Ärz­tin R1 aus­ge­wer­tet hat. Hier­in kann in­des­sen un­ter Berück­sich­ti­gung der Umstände des Ein­zel­falls kein me­tho­di­scher Man­gel der Be­gut­ach­tung oder ei­ne Un­vollständig­keit des Gut­ach­tens ge­se­hen wer­den, wel­cher die Ergänzung des Gut­ach­tens er­for­dert. Nach­dem der Be­klag­te die Rich­tig­keit der von der be­han­deln­den Ärz­tin ge­trof­fe­nen Fest­stel­lung – Wie­der­her­stel­lung der Ar­beitsfähig­keit – aus­drück­lich als „tak­tisch mo­ti­viert" und feh­ler­haft an­greift, ist nicht er­sicht­lich, in­wie­fern der ge­richt­lich be­stell­te Sach­verständi­ge eben durch Aus­wer­tung der zu­grun­de­lie­gen­den ärzt­li­che Auf­zeich­nun­gen zu ei­nem für die Be­klag­te güns­ti­gen Be­gut­ach­tungs­er­geb­nis (Fest­stel­lung der Ar­beits­unfähig­keit) ge­lan­gen soll. Der­ar­ti­ges wäre al­lein ganz für den un­gewöhn­li­chen Fall denk­bar, dass zwi­schen ärzt­lich at­tes­tier­ter Ar­beitsfähig­keit und do­ku­men­tier­tem Be­fund ein of­fen­sicht­li­cher Wi­der­spruch läge, wel­cher nicht nur Zwei­fel an der Rich­tig­keit der ärzt­li­chen Be­ur­tei­lung, son­dern wei­ter­ge­hend die vol­le Über­zeu­gung des Ge­richts be­gründen könn­te, ab­wei­chend vom gut­ach­ter­lich er­ho­be­nen Be­fund ha­be im maßgeb­li­chen Zeit­punkt wei­ter­hin Ar­beits­unfähig­keit vor­ge­le­gen. Auch wenn ein Wi­der­spruch zwi­schen do­ku­men­tier­tem Be­fund und ärzt­li­cher Dia­gno­se nicht in je­dem Fal­le aus­zu­sch­ließen ist – so et­wa bei der feh­ler­haf­ten Aus­wer­tung von Rönt­gen­bil­dern - , ist für die vor­lie­gen­de Fall­ge­stal­tung ei­ner psy­chi­schen Er­kran­kung zu be­ach­ten, dass der be­han­deln­de Fach­arzt in sei­nen Un­ter­la­gen die von ihm selbst er­ho­be­nen Be­fun­de – so über die kla­re ge­dank­li­che Ori­en­tie­rung des Pa­ti­en­ten und sei­ne psy­chi­sche Sta­bi­lität - do­ku­men­tiert. Dass sich zwi­schen dem vom Fach­arzt selbst er­ho­be­nen und do­ku­men­tier­ten Be­fund ei­ner­seits und der po­si­ti­ven Fest­stel­lung der Ar­beitsfähig­keit an­de­rer­seits ein der­art of­fen­sicht­li­cher Wi­der­spruch zeigt, dass hier­aus die po­si­ti­ve Über­zeu­gung des Ge­gen­teils ge­won­nen wer­den kann, er­scheint da­nach als aus­ge­spro­chen un­rea­lis­tisch und kann oh­ne nähe­re An­halts­punk­te nicht an­ge­nom­men wer­den. Die vom Be­klag­ten für er­for­der­lich ge­hal­te­ne Bei­zie­hung der Be­hand­lungs­un­ter­la­gen des be­han­deln­den Arz­tes er­weist sich da­mit als zur Be­weisführung un­ge­eig­net. Träfe den Kläger die Be­weis­last für das Be­ste­hen von Ar­beitsfähig­keit, könn­te mit dem Be­weis­an­trag des Be­klag­ten mögli­cher­wei­se das dem Kläger güns­ti­ge Sach­verständi­gen­gut­ach­ten zu Fall ge­bracht wer­den. Dem­ge­genüber ist nicht er­sicht­lich, in­wie­fern mit der be­an­trag­ten Bei­zie­hung der –

 

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vom Be­klag­ten selbst für un­brauch­bar ge­hal­te­nen – fachärzt­li­chen Be­fund­un­ter­la­gen der Nach­weis geführt wer­den könn­te, der Kläger sei ab­wei­chend vom ge­richt­lich ein­ge­hol­ten Sach­verständi­gen­gut­ach­ten je­den­falls im An­spruchs­zeit­raum noch wei­ter­hin ar­beits­unfähig krank ge­we­sen.

b) Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Be­klag­ten schei­tert der ver­folg­te An­spruch auf Zah­lung von Ver­zugs­lohn gemäß § 615 BGB auch nicht an dem Um­stand, dass der Kläger nicht sämt­li­che ar­beits­ver­trag­lich ge­schul­de­ten Tätig­kei­ten ausüben konn­te, son­dern – wie zu­guns­ten des Be­klag­ten an­ge­nom­men wird – je­den­falls Fahrtätig­kei­ten mit ei­ner Per­so­nen­beförde­rung we­gen der Ein­nah­me des Me­di­ka­ments Ci­talo­pram nicht ausführen konn­te. Die vom Be­klag­ten zi­tier­te Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts zur Ab­gren­zung von Vergütungs­ansprüchen aus An­nah­me­ver­zug und Ansprüchen auf Scha­dens­er­satz be­trifft, wie der Be­klag­te selbst ausführt, den Fall, dass der Ar­beit­neh­mer die ihm auf­grund des Di­rek­ti­ons­rechts zu­ge­wie­se­ne Tätig­keit nicht ausüben kann, je­doch im Rah­men der ver­trag­lich ge­schul­de­ten Tätig­keit ei­ne an­de­re, lei­dens­ge­rech­te Tätig­keit ausüben könn­te. Für die­sen Fall schei­tert nach dem Stand­punkt des Bun­des­ar­beits­ge­richts ein An­spruch auf Zah­lung von Ver­zugs­lohn dar­an, dass der Ar­beit­neh­mer die ihm kraft Di­rek­ti­ons­rechts kon­kret zu­ge­wie­se­ne Tätig­keit nicht ausüben kann. Die in § 296 BGB vor­aus­ge­setz­te Mit­wir­kungs­hand­lung des Ar­beit­ge­bers be­schränkt sich auf die Be­reit­stel­lung der Beschäfti­gungsmöglich­keit am zu­ge­wie­se­nen Ar­beits­platz. Hier­von zu un­ter­schei­den ist die Ver­pflich­tung des Ar­beit­ge­bers, dem Ar­beit­neh­mer im Rah­men bil­li­gen Er­mes­sens ei­nen an­de­ren, lei­dens­ge­rech­ten Ar­beits­platz zu­zu­wei­sen. Der Ver­s­toß ge­gen die­se Ver­pflich­tung be­gründet kei­nen An­spruch auf Zah­lung von Ver­zugs­lohn, son­dern führt zur Ver­pflich­tung zum Scha­dens­er­satz (so be­reits LAG Hamm, 14.01.1999, LA­GE § 14 SchwbG 1986 Nr.2; BAG, 23.01.2001, NZA 2001,1020).

Zu Un­recht fol­gert der Be­klag­te aus der zi­tier­ten Ent­schei­dung des BAG, dass der An­spruch auf Zah­lung von Ver­zugs­lohn ei­ne Leis­tungsfähig­keit für sämt­li­che, nach dem In­halt des Ar­beits­ver­tra­ges ge­schul­de­te Tätig­kei­ten vor­aus­setzt. So wie die Fra­ge der Ar­beits­unfähig­keit auf die kon­kret zu­ge­wie­se­ne Tätig­keit (und nicht auf sämt­li­che ver­trag­li­che zu­weis­ba­ren Tätig­kei­ten) be­zo­gen ist und der Ar­beit­neh­mer sei­ne Ar­beit nicht nach Maßga­be des weit ge­fass­ten Ar­beits­ver­tra­ges, son­dern al­lein

 

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für die ihm zu­ge­wie­se­ne Tätig­keit an­bie­ten kann, weil der In­halt der Ar­beits­pflicht durch die Ausübung des Wei­sungs­rechts kon­kre­ti­siert wor­den ist, kommt es bei der vor­lie­gen­den Sach­ver­halts­ge­stal­tung dar­auf an, ob der Kläger die ihm vor der Er­kran­kung zu­ge­wie­se­ne Tätig­keit in der Not­ruf­zen­tra­le ausüben kann. Hier­zu gehört un­strei­tig nicht die Er­le­di­gung von Fahr­diens­ten oder gar der Per­so­nen­beförde­rung. Dass der Be­klag­te nach dem In­halt des Ar­beits­ver­tra­ges be­rech­tigt wäre, dem Kläger auch ei­ne Fahrtätig­keit oder Per­so­nen­beförde­rung zu­zu­wei­sen, ist für die Ab­gren­zung von Ver­zugs­lohn­ansprüchen und Ansprüchen auf Scha­dens­er­satz oh­ne Be­lang. Dem­ent­spre­chend hat das Ar­beits­ge­richt zu Recht das Be­geh­ren des Klägers un­ter dem Ge­sichts­punkt des An­nah­me­ver­zu­ges be­ur­teilt.

c) Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Be­klag­ten war die Beschäfti­gung des Klägers in der Not­ruf­zen­tra­le auch nicht un­zu­mut­bar, weil sie be­rech­tig­te Si­cher­heits­be­den­ken heg­te und vom Kläger zu Recht ei­ne Mit­wir­kung bei der Klärung sei­ner Ar­beitsfähig­keit ver­lan­gen konn­te.

(1) Un­strei­tig hat sich der Kläger schon im Zu­sam­men­hang mit dem Auf­for­de­rungs­schrei­ben der Be­klag­ten vom 21.08.2008 (Bl. 12 d. A.) – al­so weiträum­ig vor dem streit­ge­genständ­li­chen Zeit­raum - be­reit erklärt, sich un­ter­su­chen zu las­sen und al­lein die Durchführung ei­nes Dro­gen­tes­tes ver­wei­gert, da in­so­weit kei­ne er­kenn­ba­ren Gründe an­ge­ge­ben sei­en. Dass sich die Un­ter­su­chung durch das Werks­arzt­zen­trum so­dann bis zum Mo­nat März 2009 hin­ge­zo­gen hat, ist er­sicht­lich nicht dem Kläger an­zu­las­ten. In An­be­tracht der ge­gensätz­li­chen ärzt­li­chen Stel­lung­nah­men – be­han­deln­de Ärz­tin und me­di­zi­ni­scher Dienst der Kran­ken­kas­se ei­ner­seits, Un­ter­su­chungs­be­richt des Werks­arzt­zen­trums an­de­rer­seits - ver­blieb es zwar aus Sicht der Be­klag­ten bei der be­ste­hen­den Un­si­cher­heit. Hier­aus folgt je­doch nicht die Be­rech­ti­gung des Be­klag­ten, dau­er­haft die Beschäfti­gung des Klägers bzw. die An­nah­me der an­ge­bo­te­nen Ar­beits­leis­tung zu ver­wei­gern. Viel­mehr muss der Be­klag­te das Ri­si­ko tra­gen, dass sich im Nach­hin­ein – im Zu­ge des ge­richt­li­chen Ver­fah­rens - die Be­den­ken ge­gen ei­nen Ein­satz des Klägers in der Not­fall­zen­tra­le nicht ha­ben bestäti­gen las­sen. Im Übri­gen hätte der Be­klag­te bei zügi­ger und sach­ge­rech­ter Vor­ge­hens­wei­se noch weit vor dem streit­ge­genständ­li­chen Zeit­raum ei­ne zu­verlässi­ge­re Klärung der Fra­ge­stel­lung

 

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er­rei­chen können, als dies mit der verzögert ein­ge­hol­ten und aus­ge­spro­chen knap­pen Stel­lung­nah­me des Werks­arzt­zen­trums ver­sucht wor­den ist.

(2) Et­was an­de­res er­gibt auch nicht aus dem Um­stand, dass der Kläger kei­ne um­fas­sen­de Schwei­ge­pflichts­ent­bin­dung zu­guns­ten des Be­klag­ten ab­ge­ge­ben, son­dern sich al­lein da­mit ein­ver­stan­den erklärt hat, dass das Er­geb­nis der ärzt­li­chen Un­ter­su­chun­gen dem Be­klag­ten mit­ge­teilt wird. Zu Un­recht be­ruft sich der Be­klag­te für ih­ren ge­gen­tei­li­gen Stand­punkt auf die Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts zur Fra­ge der Ent­gelt­fort­zah­lung bei Fort­set­zungs­er­kran­kun­gen. Rich­tig ist zwar, dass der Ar­beit­neh­mer, wel­cher bei er­neu­ter Er­kran­kung vom Ar­beit­ge­ber Ent­gelt­fort­zah­lung ver­langt, dem Ar­beit­ge­ber die­je­ni­gen Tat­sa­chen of­fen­le­gen muss, wel­che die Be­ant­wor­tung der Fra­ge ermögli­chen, in­wie­fern frühe­re und er­neu­te Er­kran­kung „die­sel­be" Krank­heit dar­stel­len. Dies wird re­gelmäßig nur bei kon­kre­ter Be­nen­nung der maßgeb­li­chen Dia­gno­se möglich sein. Dem­ge­genüber geht es so­wohl beim Streit um die Fra­ge der Ar­beits­unfähig­keit als auch bei der hier maßgeb­li­chen Fra­ge der Wie­der­er­lan­gung der Ar­beitsfähig­keit nicht un­mit­tel­bar um die zu­grun­de­lie­gen­de Er­kran­kung, son­dern um de­ren Aus­wir­kun­gen auf die Ar­beitsfähig­keit. Be­steht hierüber Streit, genügt es re­gelmäßig den In­ter­es­sen des Ar­beit­ge­bers, dass sich der Ar­beit­neh­mer der vom Ar­beit­ge­ber ge­for­der­ten Un­ter­su­chung durch den Werks­arzt un­ter­zieht. Ver­wei­gert der Ar­beit­neh­mer ei­ne sol­che Un­ter­su­chung, so mag dies je nach den Umständen den Ar­beit­ge­ber be­rech­ti­gen, Beschäfti­gung und Vergütungs­zah­lung zu ver­wei­gern mit der Fol­ge, dass der Ar­beit­neh­mer auch dann kei­ne Ar­beits­vergütung zu be­an­spru­chen hat, wenn sich im Nach­hin­ein die vom Ar­beit­ge­ber geäußer­ten Si­cher­heits­be­den­ken als un­be­gründet her­aus­stel­len. Hat sich dem­ge­genüber der Ar­beit­neh­mer der ge­for­der­ten werksärzt­li­chen Un­ter­su­chung un­ter­zo­gen, be­steht für ein Leis­tungs­ver­wei­ge­rungs­recht des Ar­beit­ge­bers kei­ne Grund­la­ge. Hält die durch­geführ­te werksärzt­li­che Un­ter­su­chung ei­ner fach­li­chen Über­prüfung nicht stand, trifft den Ar­beit­ge­ber das Vergütungs­ri­si­ko.

d) Der Höhe nach sind ge­gen die Be­rech­nung der Kla­ge­for­de­rung Be­den­ken nicht zu er­ken­nen. Zin­sen ste­hen dem Kläger seit Rechtshängig­keit zu.

 

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2. Un­abhängig von der Fra­ge des An­nah­me­ver­zu­ges kann der Kläger sei­nen An­spruch im Übri­gen auch auf die Vor­schrif­ten­der §§ 280, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 84 Abs.2 SGB IX stützen. Zu­tref­fend hat der Kläger dar­auf hin­ge­wie­sen, dass so­wohl die be­han­deln­de Ärz­tin als auch das Werks­arzt­zen­trum ei­ne stu­fen­wei­se Wie­der­ein­glie­de­rung vor­ge­schla­gen hat­ten, um auf die­sem We­ge die Wie­der­er­lan­gung der Ar­beitsfähig­keit zu fördern.

a) Auch wenn die Durchführung der stu­fen­wei­sen Wie­der­ein­glie­de­rung während be­ste­hen­der Ar­beits­unfähig­keit er­folgt und dem­ent­spre­chend den Ar­beit­ge­ber während die­ses Zeit­raums kei­ne Beschäfti­gungs- und Vergütungs­pflicht trifft und die so­zi­al­recht­li­chen Vor­schrif­ten we­der ei­nen klag­ba­ren An­spruch des Ar­beit­neh­mers auf Durchführung ei­ner stu­fen­wei­sen Wie­der­ein­glie­de­rung noch ei­ne dies­bezügli­che so­zi­al­recht­li­che Ver­pflich­tung des Ar­beit­ge­bers be­gründen (Ro­se/Gho­rai, BB 2011,949,951), steht dem Ar­beit­ge­ber in ar­beits­recht­li­cher Hin­sicht die Ent­schei­dung nicht frei, sich auf ei­ne ärzt­li­che emp­foh­le­ne stu­fen­wei­se Wie­der­ein­glie­de­rung ein­zu­las­sen oder nicht. Wie sich aus der Vor­schrift des § 84 Abs. 2 SGB IX er­gibt, trifft den Ar­beit­ge­ber un­ter den dort ge­nann­ten Vor­aus­set­zun­gen die Ver­pflich­tung zur Durchführung ei­nes be­trieb­li­chen Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ments. Ziel die­ser Maßnah­me ist die Su­che nach Möglich­kei­ten, dem länger oder häufi­ger er­krank­ten
Ar­beit­neh­mer sei­nen Ar­beits­platz zu er­hal­ten und ge­eig­ne­te Beschäfti­gungsmöglich­kei­ten zu prüfen. Zu den­je­ni­gen Maßnah­men, wel­che im Zu­ge ei­nes be­trieb­li­chen Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ments zur Verfügung ste­hen, gehört auch die stu­fen­wei­se Wie­der­ein­glie­de­rung (Fel­des/Koh­te/Ste­vens-Bar­tol, SGB IX, § 84 Rn 60). Un­terlässt der Ar­beit­ge­ber die Durchführung des be­trieb­li­chen Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ments oder der in die­sem Zu­ge als ge­eig­net in Be­tracht kom­men­den Maßnah­men, so zieht dies ei­ne Ver­pflich­tung zum Scha­dens­er­satz gemäß § 280 BGB nach sich (Dau/Düwell/Jous­sen, SGB IX, 3. Aufl., § 84 Rn 89 m.w.N.; vgl. auch Ka­man­ab­rou in Dorn­busch/Fi­scher­mei­er/Löwisch 2. Aufl., § 611 BGB Rn 335). So­weit dem­ge­genüber ein­ge­wandt wird, es feh­le an ei­ner ne­ben­ver­trag­li­chen Rechts­pflicht, de­ren Ver­let­zung zu Scha­dens­er­satz­ansprüchen be­gründen könne, da das BEM le­dig­lich ein Ver­fah­ren zur Su­che nach be­ste­hen­den Möglich­kei­ten dar­stel­le, über­zeugt dies nicht. Al­lein die Tat­sa­che, dass § 84 SGB IX selbst kei­ne Rechts­fol­gen­re­ge­lung um­fasst, recht­fer­tigt nicht die An­nah­me ei­ner recht­li­chen Un­ver­bind­lich­keit und Fol­gen­lo­sig­keit ei­nes Ge­set­zes­ver­s­toßes. In

 

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Übe­rein­stim­mung mit Düwell (a.a.O.) und von Seg­gern (in Däubler/Hjort/Hum­mel/Wol­merath, Ar­beits­recht, § 84 SGB IX Rn 5) dient § 84 Abs. 2 SGB IX dem Schutz länger er­krank­ter Ar­beit­neh­mer vor nach­tei­li­gen Aus­wir­kun­gen auf die Möglich­keit der Beschäfti­gung und stellt da­mit zu­gleich ein Schutz­ge­setz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB dar.

b) Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Be­klag­ten stan­den der Durchführung der ärzt­li­cher­seits emp­foh­le­nen stu­fen­wei­sen Wie­der­ein­glie­de­rungs­maßnah­me kei­ne un­ab­weis­ba­ren Si­cher­heits­be­den­ken ent­ge­gen. Auch wenn nach­voll­zo­gen wer­den kann, dass der Be­klag­te dem Kläger ei­ne al­lein­ver­ant­wort­li­che Tätig­keit in der Not­dienst­zen­tra­le während der noch fort­be­ste­hen­den Ar­beits­unfähig­keit nicht zu­trau­te, war da­mit die Möglich­keit ei­ner stu­fen­wei­sen Wie­der­ein­glie­de­rung nicht aus­ge­schlos­sen. Un­strei­tig ist die Not­dienst­zen­tra­le mit meh­re­ren Ar­beit­neh­mern be­setzt, so dass ei­ne Über­wa­chung der Auf­ga­ben­er­le­di­gung möglich war und für den Fall, dass sich der Kläger der Auf­ga­ben­stel­lung nicht als ge­wach­sen ge­zeigt hätte, Ein­griffsmöglich­kei­ten be­stan­den. Darüber hin­aus folgt aus der Ver­pflich­tung des Ar­beit­ge­bers zur Durchführung ei­nes be­trieb­li­chen Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ments, dass sich der Ar­beit­ge­ber nicht dar­auf be­schränken kann, ei­ne dem ak­tu­el­len Ge­sund­heits­zu­stand des Ar­beit­neh­mers an­ge­pass­te und da­mit gg­fls. hin­sicht­lich der über­tra­ge­nen Ver­ant­wor­tung ein­ge­schränk­te an­der­wei­ti­ge Beschäfti­gungsmöglich­keit zu su­chen. Viel­mehr soll mit dem be­trieb­li­chen Ein­glie­de­rungs­ma­nage­ment in ers­ter Li­nie das Ziel er­reicht wer­den, dem Ar­beit­neh­mer die Wei­ter­beschäfti­gung am bis­he­ri­gen Ar­beits­platz zu ermögli­chen. Hier­aus er­gibt sich die Not­wen­dig­keit, durch ge­eig­ne­te or­ga­ni­sa­to­ri­sche Maßnah­men die Wie­der­auf­nah­me der bis­he­ri­gen Tätig­keit zu fördern, so­weit dies den Umständen nach möglich und zu­mut­bar er­scheint. So­weit al­so der Kläger sei­ne frühe­re Tätig­keit im Rah­men der ärzt­lich emp­foh­le­nen stu­fen­wei­sen Wie­der­ein­glie­de­rung mit Rück­sicht auf die be­son­de­ren Si­cher­heits­be­den­ken nur un­ter Auf­sicht durchführen konn­te, kann der Be­klag­te nicht mit dem all­ge­mei­nen Ein­wand durch­drin­gen, er sei zu ei­ner sol­chen Maßnah­me schon im Grund­satz nicht ver­pflich­tet. In­wie­fern der mit der Be­auf­sich­ti­gung des Klägers für die Dau­er der stu­fen­wei­sen Wie­der­ein­glie­de­rung ver­bun­de­ne Auf­wand aus tatsächli­chen Gründen nicht zu leis­ten oder wirt­schaft­lich nicht trag­bar ge­we­sen sei, lässt sich dem Vor­brin­gen des Be­klag­ten auch nicht an­satz­wei­se ent­neh­men.

 

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c) Al­lein aus dem Ver­s­toß des Be­klag­ten ge­gen die Ver­pflich­tung zur Durchführung ei­nes ef­fek­ti­ven be­trieb­li­chen Wie­der­ein­glie­de­rungs­ma­nage­ments folgt al­ler­dings nicht zwin­gend, dass der Kläger hier­durch die Ar­beitsfähig­keit zum Zeit­punkt der vor­ge­se­he­nen Be­en­di­gung der Wie­der­ein­glie­de­rungs­maßnah­me bzw. im hier maßgeb­li­chen An­spruchs­zeit­raum wie­der­er­langt hätte. Auch wenn die Be­weis­last für die Vor­aus­set­zun­gen ei­nes Scha­dens­er­satz­an­spruchs beim An­spruch­stel­ler liegt und dem­ent­spre­chend der Kau­sal­zu­sam­men­hang zwi­schen pflicht­wid­ri­gem Un­ter­las­sen der Wie­der­ein­glie­de­rungs­maßnah­me und der verzöger­ten Ge­ne­sung den Kläger trifft, wäre es zu­min­dest Sa­che des Be­klag­ten, An­halts­punk­te dafür zu be­nen­nen, dass die vor­ge­schla­ge­ne stu­fen­wei­se Wie­der­ein­glie­de­rung et­wa we­gen der Be­son­der­hei­ten des Krank­heits­bil­des oder aus sons­ti­gen Gründen oh­ne­hin nicht ge­eig­net war, ei­ne zeit­na­he Wie­der­er­lan­gung der Ar­beitsfähig­keit bzw. ei­ne Wie­der­er­lan­gung der Ar­beitsfähig­keit ab dem Mo­nat März 2009 zu be­wir­ken. Letzt­lich be­ruft sich der Be­klag­te al­lein auf die Un­zu­mut­bar­keit der Durchführung ei­ner Wie­der­ein­glie­de­rungs­maßnah­me und be­haup­tet, die Ar­beits­unfähig­keit des Klägers ha­be noch im April 2009 an­ge­dau­ert. Dass der Kläger bei zeit­ge­rech­ter Durchführung der stu­fen­wei­sen Wie­der­ein­glie­de­rung noch im Jah­re 2008 auch noch im streit­ge­genständ­li­chen Zeit­raum ar­beits­unfähig ge­we­sen wäre, weil oh­ne­hin kei­ner­lei Bes­se­rungs­aus­sich­ten be­stan­den hätten und der Ver­such ei­ner Wie­der­ein­glie­de­rung me­di­zi­nisch sinn­los ge­we­sen sei, be­haup­tet der Be­klag­te we­der aus­drück­lich, noch lässt sich dies aus der Art der Er­kran­kung und dem wei­te­ren Ge­sche­hens­ab­lauf her­lei­ten.

d) Auf die­ser Grund­la­ge kann der Kläger die Zah­lung von Ar­beits­vergütung für die Mo­na­te März und April 2009 un­ter dem Ge­sichts­punkt des Scha­dens­er­sat­zes selbst dann ver­lan­gen, wenn er – wie der Be­klag­te be­haup­tet – wei­ter­hin als ar­beits­unfähig an­zu­se­hen war.

II. Die Kos­ten der er­folg­lo­sen Be­ru­fung hat die Be­klag­te zu tra­gen.

 

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III. Die Vor­aus­set­zun­gen für die Zu­las­sung der Re­vi­si­on gemäß § 72 ArbGG lie­gen nicht vor.

RECH­TSMIT­TEL­BE­LEH­RUNG

Ge­gen die­ses Ur­teil ist ein Rechts­mit­tel nicht ge­ge­ben.
We­gen der Möglich­keit der Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de wird auf § 72a ArbGG ver­wie­sen.

 

Der eh­ren­amt­li­che Rich­ter
Gott­schalk ist an der Un­ter­schrift we­gen Be­en­di­gung sei­ner Amts­zeit ver­hin­dert.

Dr. Du­den­bos­tel 

Dr. Du­den­bos­tel 

Strehl

/Gr.
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