05.03.2007. Ein-Euo-Jobber heißen im Behördendeutsch "erwerbsfähige Hilfebedürftige". Ihr Arbeitseinsatz in Betrieben, die zur Beschäftigung von Ein-Euo-Jobbern bereit sind, soll in erster Linie den Kontakt zur Arbeitswelt aufrecht erhalten.
Dementsprechend begründen die Unternehmen, in deren Betriebe Ein-Euo-Jobber eingesetzt werden, mit diesen kein Arbeitsverhältnis.
Trotzdem hat der Betriebsrat nach einer vor kurzem bekannt gewordenen Entscheidung des Arbeitsgerichts Reutlingen bei der Einstellung von Ein-Euro-Jobbern mitzubestimmen.
Er kann sich nämlich auf sein Mitbestimmungsrecht in personellen Angelegenheiten berufen, das ihm gemäß § 99 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) unter anderem bei Einstellungen zusteht: Arbeitsgericht Reutlingen, Beschluss vom 18.01.2007, 2 BV 5/06.
Gemäß § 99 Abs.1 BetrVG hat der Arbeitgeber, wenn er in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigte Arbeitnehmern beschäftigt, den Betriebsrat vor jeder Einstellung, Eingruppierung, Umgruppierung und Versetzung zu unterrichten, ihm die erforderlichen Bewerbungsunterlagen vorzulegen und Auskunft über die Person der Beteiligten zu geben.
Dabei muss er dem Betriebsrat unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen Auskunft über die Auswirkungen der geplanten Maßnahme geben und seine Zustimmung einholen. Bei Einstellungen hat der Arbeitgeber auch den in Aussicht genommenen Arbeitsplatz und die vorgesehene Eingruppierung mitzuteilen.
Der Betriebsrat kann sich sodann überlegen, ob er zustimmt oder der Maßnahme seine Zustimmung verweigert. Eine Verweigerung ist allerdings nur unter bestimmten, im Gesetz genannten Voraussetzungen möglich (§ 99 Abs.2 BetrVG).
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) kommt es für den Begriff der "Einstellung" im Sinne von § 99 Abs. 1 BetrVG nicht auf das Rechtsverhältnis an, in dem die betroffene Person zum Arbeitgeber steht.
Das Mitbestimmungsrecht besteht vielmehr immer dann, wenn bislang betriebsfremde Personen in den Betrieb bzw. die betrieblichen Abläufe "eingegliedert" werden sollen. Das wiederum ist immer dann der Fall, wenn der Arbeitgeber der im Betrieb anwesenden Person Arbeitsanweisungen erteilen kann.
Demzufolge werden auch dann Personen im Sinne von § 99 Abs.1 BetrVG "eingestellt", wenn ihr Arbeitsverhältnis nicht mit dem Arbeitgeber besteht, in dessen Betrieb sie arbeiten sollen, sondern zu einem Dritten, wie es etwa bei Leiharbeitnehmern der Fall ist. § 99 BetrVG kann auch anzuwenden sein, wenn die "einzugliedernden" Personen überhaupt nicht in einem Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber stehen, also etwa selbständig sind oder im Betrieb eine Ausbildung machen sollen oder in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehen wie etwa Zivildienstleistende.
Fraglich ist, ob das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gemäß § 99 BetrVG auch bei der Einstellung von "erwerbsfähigen Hilfebedürftigen" im Sinne von § 16 Abs.3 Satz 2 SGB II, d.h. von sog. Ein-Euro-Jobbern besteht. Zu dieser Frage hat das Arbeitsgericht Reutlingen in seinem Beschluss vom 18.01.2007 (2 BV 5/06) Stellung bezogen.
Im Streitfall ging es um einen gemeinnützigen Verein, der nach seiner Satzung den Zweck verfolgt, Maßnahmen und Einrichtungen zu fördern, die eine wirksame Hilfe für Menschen mit Behinderung und alte Menschen bedeuten.
Der Verein betreibt mit rund 1.200 Arbeitnehmern u.a. eine Körperbehindertenschule, Schulkindergärten sowie Einrichtungen für alte Menschen.
Er setzt in seinem Betrieb regelmäßig viele Ein-Euro-Jobber ein, deren Auswahl nach entsprechenden schriftlichen Vermittlungsvorschlägen der Agentur für Arbeit auf Grund der vom Arbeitgeber geführten Vorstellungsgespräche erfolgt.
Eine Beteiligung des Betriebsrats nach § 99 BetrVG vor der Tätigkeitsaufnahme führt Der Verein nicht durch.
Das ließ sich der im Betrieb bestehende Betriebsrat nicht gefalln. Er war der Auffassung, der Einsatz der Ein-Euro-Jobber stelle eine nach § 99 BetrVG mitbestimmungspflichtige Einstellung dar. Unabhängig von Einzelfällen bestehe ein generelles Bedürfnis zur Klärung dieser Streitfrage, weil der Arbeitgeber regelmäßig Beschäftigungen von Ein-Euro-Jobbern vornehme und dabei der Ansicht sei, dass eine Beteiligung des Betriebsrats nicht erfolgen müsse.
Das Arbeitsgericht Reutlingen hat zugunsten des Betriebsrats entschieden und daher festgestellt, daß dem Betriebsrat bei der Einstellung von Ein-Euro-Jobbern mitzubestimmen hat.
Zur Begründung heißt es in dem Beschluss, es komme für § 99 BetrVG nicht darauf an, dass gem. § 16 Abs.3 Satz 2, 2. Halbsatz Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) mit dem Einsatz von Ein-Euro-Jobbern kein Arbeitsverhältnis begründet wird.
Denn Mitbestimmungsrecht nach § 99 Abs. 1 BetrVG, so das Arbeitsgericht, dient erst einmal den Interessen der schon vorhandenen Belegschaft. Deren mögliche Gefährdung beruht auf der tatsächlichen Eingliederung eines neuen Mitarbeiters und hängt nicht davon ab, auf welcher Rechtsgrundlage dieser tätig werden soll, so das Gericht unter Berufung auf Entscheidungen des BAG.
Entscheidend ist daher, ob Ein-Euro-Jobber wie Arbeitnehmer eingesetzt werden, d.h. weisungsgebunden sind und in die betriebliche Arbeitsorganisation eingegliedert werden. Und genau das ist im Allgemeinen und auch hier im Streitfall gegeben, so das Arbeitsgericht Reutlingen.
Fazit: Der Arbeitgeber ist gemäß § 99 Abs.1 S.1 BetrVG gegenüber dem Betriebsrat dazu verpflichtet, ihn über die Person eines jeden Ein-Euro-Jobbers zu informieren und unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen in jedem Einzelfall Auskunft über die Auswirkungen der Beschäftigung von Ein-Euro-Jobbern auf Betrieb und Belegschaft zu geben. Und er braucht vor der Aufnahme der Beschäftigung die Zustimmung des Betriebsrats. Das gilt auch dann, wenn sich der Betriebsrat sich mit der Beschäftigung von Ein-Euro-Jobbern "grundsätzlich" einverstanden erklärt hat und wenn er eine entsprechende positive Stellungnahme zur Vorlage beim Jobcenter abgegeben hat.
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Letzte Überarbeitung: 20. Dezember 2017
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