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BAG, Ur­teil vom 10.06.2010, 2 AZR 541/09

   
Schlagworte: Kündigung: Fristlos
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 2 AZR 541/09
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 10.06.2010
   
Leitsätze:

1. Rechtswidrige und vorsätzliche Handlungen des Arbeitnehmers, die sich unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers richten, können auch dann ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung sein, wenn die Pflichtverletzung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder nur zu einem geringfügigen, möglicherweise gar keinem Schaden geführt hat.

2. Das Gesetz kennt auch im Zusammenhang mit strafbaren Handlungen des Arbeitnehmers keine absoluten Kündigungsgründe. Es bedarf stets einer umfassenden, auf den Einzelfall bezogenen Prüfung und Interessenabwägung dahingehend, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses trotz der eingetretenen Vertrauensstörung - zumindest bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 21.08.2008, 2 Ca 3632/08
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24.02.2009, 7 Sa 2017/08
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

2 AZR 541/09

7 Sa 2017/08

Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg

Verkündet am 10. Ju­ni 2010

Frei­tag, Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

 

Im Na­men des Vol­kes!

UR­TEIL

In Sa­chen

Kläge­rin, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Zwei­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 10. Ju­ni 2010 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Kreft, den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Schmitz-Scho­le­mann,


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die Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Ber­ger so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Dr. Bartz und Fal­ke für Recht er­kannt:

1. Auf die Re­vi­si­on der Kläge­rin wird das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ber­lin-Bran­den­burg vom 24. Fe­bru­ar 2009 - 7 Sa 2017/08 - auf­ge­ho­ben.

2. Auf die Be­ru­fung der Kläge­rin wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Ber­lin vom 21. Au­gust 2008 - 2 Ca 3632/08 - ab­geändert:

Es wird fest­ge­stellt, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en we­der durch die frist­lo­se Kündi­gung, noch durch die hilfs­wei­se erklärte or­dent­li­che Kündi­gung vom 22. Fe­bru­ar 2008 auf­gelöst wor­den ist.

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über die Wirk­sam­keit ei­ner außer­or­dent­li­chen, hilfs­wei­se or­dent­li­chen Kündi­gung.

Die 1958 ge­bo­re­ne Kläge­rin war seit April 1977 bei der Be­klag­ten und de­ren Rechts­vorgänge­rin­nen als Verkäufe­r­in mit Kas­sentätig­keit beschäftigt.

Die Be­klag­te ist ein über­re­gio­nal ver­tre­te­nes Ein­zel­han­dels­un­ter­neh­men. In ei­ni­gen ih­rer Fi­lia­len, so auch in der Beschäfti­gungs­fi­lia­le der Kläge­rin, be­steht die Möglich­keit, Leer­gut an ei­nem Au­to­ma­ten ge­gen Aus­stel­lung ei­nes Leer­gut­bons zurück­zu­ge­ben. Wird ein sol­cher Bon an der Kas­se ein­gelöst, ist er von der Kas­sie­re­rin/dem Kas­sie­rer ab­zu­zeich­nen. Mit­ar­bei­ter der Fi­lia­le sind an­ge­wie­sen, mit­ge­brach­tes Leer­gut beim Be­tre­ten des Markts dem Fi­li­al­lei­ter vor­zu­zei­gen und ei­nen am Au­to­ma­ten er­stell­ten Leer­gut­bon durch den Lei­ter ge­son­dert ab­zeich­nen zu las­sen, be­vor sie den Bon an der


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Kas­se einlösen. Dort wird er wie ein Kun­den­bon ein wei­te­res Mal ab­ge­zeich­net. Die­se Re­ge­lun­gen, die Ma­ni­pu­la­tio­nen beim Um­gang mit Leer­gut aus­sch­ließen sol­len, sind der Kläge­rin be­kannt.

Im Herbst 2007 be­tei­lig­te sich die Kläge­rin mit wei­te­ren sie­ben von ins­ge­samt 36 Beschäftig­ten ih­rer Fi­lia­le an ei­nem ge­werk­schaft­lich ge­tra­ge­nen Streik. Während die Streik­be­reit­schaft an­de­rer Ar­beit­neh­mer mit der Zeit nach­ließ, nahm die Kläge­rin bis zu­letzt an den Maßnah­men teil. Im Ja­nu­ar 2008 lud der Fi­li­al­lei­ter Beschäftig­te, die sich nicht am Ar­beits­kampf be­tei­ligt hat­ten, zu ei­ner Fei­er außer Hau­se ein. Aus die­sem Grund wur­de er später von der Be­klag­ten ab­ge­mahnt und in ei­ne an­de­re Fi­lia­le ver­setzt.

Am 12. Ja­nu­ar 2008 fand ei­ne Mit­ar­bei­te­rin im Kas­sen­be­reich ei­ner se­pa­ra­ten Backthe­ke zwei nicht ab­ge­zeich­ne­te Leer­gut­bons im Wert von 0,48 Eu­ro und 0,82 Eu­ro. Sie tru­gen das Da­tum des Ta­ges und wa­ren im Ab­stand von ca. ei­ner Drei­vier­tel­stun­de am Au­to­ma­ten er­stellt wor­den. Die Mit­ar­bei­te­rin leg­te die Bons dem Fi­li­al­lei­ter vor. Die­ser reich­te sie an die Kläge­rin mit der Maßga­be wei­ter, sie im Kas­senbüro auf­zu­be­wah­ren für den Fall, dass sich noch ein Kun­de mel­den und An­spruch dar­auf er­he­ben würde; an­dern­falls soll­ten sie als „Fehl­bons“ ver­bucht wer­den. Die Kläge­rin leg­te die Bons auf ei­ne - für al­le Mit­ar­bei­ter zugäng­li­che und ein­seh­ba­re - Ab­la­ge im Kas­senbüro.

Am 22. Ja­nu­ar 2008 kauf­te die Kläge­rin in der Fi­lia­le außer­halb ih­rer Ar­beits­zeit pri­vat ein. An der Kas­se über­reich­te sie ih­rer Kol­le­gin zwei nicht ab­ge­zeich­ne­te Leer­gut­bons. Laut Kas­sen­jour­nal wur­den die­se mit Wer­ten von 0,48 Eu­ro und 0,82 Eu­ro re­gis­triert. Beim Kas­sie­ren war auch die Kas­sen­lei­te­rin und Vor­ge­setz­te der Kläge­rin an­we­send.

Zur Klärung der Her­kunft der ein­ge­reich­ten Bons führ­te die Be­klag­te mit der Kläge­rin ab dem 25. Ja­nu­ar 2008 ins­ge­samt vier Gespräche, an de­nen - außer am ers­ten Gespräch - je­weils zwei Mit­glie­der des Be­triebs­rats teil­nah­men. Sie hielt ihr vor, die ein­gelösten Bons sei­en nicht ab­ge­zeich­net ge­we­sen und stimm­ten hin­sicht­lich Wert und Aus­ga­be­da­tum mit den im Kas­senbüro auf­be­wahr­ten Bons übe­rein. Es be­ste­he der drin­gen­de Ver­dacht, dass sie


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- die Kläge­rin - die dort ab­ge­leg­ten „Kun­den­bons“ an sich ge­nom­men und zu ih­rem Vor­teil ver­wen­det ha­be. Die Kläge­rin be­stritt dies und erklärte, selbst wenn die Bons übe­rein­stimm­ten, be­ste­he die Möglich­keit, dass ihr ent­spre­chen­de Bons durch ei­ne ih­rer Töch­ter oder durch Drit­te zu­ge­steckt wor­den sei­en. Bei­spiels­wei­se ha­be sie am 21. oder 22. Ja­nu­ar 2008 ei­ner Ar­beits­kol­le­gin ih­re Geldbörse aus­gehändigt mit der Bit­te, die­se in ih­ren Spind zu le­gen. Die Be­klag­te leg­te der Kläge­rin na­he, zur Un­ter­maue­rung ih­rer Be­haup­tung ei­ne ei­des­statt­li­che Erklärung ei­ner Toch­ter bei­zu­brin­gen. Außer­dem be­frag­te sie die be­nann­te Kol­le­gin, die die An­ga­ben der Kläge­rin be­stritt. Beim letz­ten, am 15. Fe­bru­ar 2008 geführ­ten Gespräch über­reich­te die Kläge­rin ei­ne schrift­li­che Erklärung, mit der ei­ne ih­rer Töch­ter bestätig­te, bei der Be­klag­ten hin und wie­der für ih­re Mut­ter ein­zu­kau­fen, da­bei auch Leer­gut ein­zulösen und „Um­gang“ mit der Geldbörse ih­rer Mut­ter „pfle­gen zu dürfen“.

Mit Schrei­ben vom 18. Fe­bru­ar 2008 hörte die Be­klag­te den Be­triebs­rat zu ei­ner be­ab­sich­tig­ten außer­or­dent­li­chen, hilfs­wei­se or­dent­li­chen Kündi­gung, gestützt auf den Ver­dacht der Einlösung der Bons, an. Der Be­triebs­rat äußer­te Be­den­ken ge­gen die frist­lo­se Kündi­gung, ei­ner or­dent­li­chen Kündi­gung wi­der­sprach er und ver­wies auf die Möglich­keit ei­ner ge­gen die Kläge­rin ge­rich­te­ten In­t­ri­ge.

Mit Schrei­ben vom 22. Fe­bru­ar 2008 kündig­te die Be­klag­te das Ar­beits­verhält­nis außer­or­dent­lich frist­los, hilfs­wei­se frist­gemäß zum 30. Sep­tem­ber 2008.

Die Kläge­rin hat Kündi­gungs­schutz­kla­ge er­ho­ben. Sie hat be­haup­tet, sie ha­be je­den­falls nicht be­wusst Leer­gut­bons ein­gelöst, die ihr nicht gehörten. Soll­te es sich bei den re­gis­trier­ten Bons tatsächlich um die im Kas­senbüro ab­ge­leg­ten Bons ge­han­delt ha­ben, müsse auch die Möglich­keit ei­nes Aus­tauschs der Bons während des Kas­sier­vor­gangs in Be­tracht ge­zo­gen wer­den. Denk­ba­res Mo­tiv hierfür sei ih­re Streik­teil­nah­me, die oh­ne­hin der wah­re Grund für die Kündi­gung sei. An­ders sei nicht zu erklären, wes­halb ih­re Kol­le­gin und die Vor­ge­setz­te sie - un­strei­tig - nicht be­reits beim Kas­sie­ren oder un­mit­tel­bar an­sch­ließend auf die feh­len­de Ab­zeich­nung der über­reich­ten Leer­gut­bons


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an­ge­spro­chen hätten. An­ge­sichts der streik­be­dingt auf­ge­tre­te­nen Span­nun­gen un­ter den Fi­li­al­mit­ar­bei­tern sei es le­bens­fremd an­zu­neh­men, sie ha­be aus­ge­rech­net bei ei­ner Kol­le­gin, mit der sie im Streit ge­stan­den ha­be, und in An­we­sen­heit ih­rer Vor­ge­setz­ten die im Kas­senbüro ver­wahr­ten, nicht ab­ge­zeich­ne­ten Bons ein­gelöst. Die Kläge­rin hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, ei­ne Ver­dachtskündi­gung sei we­gen der in Art. 6 Abs. 2 EM­RK ver­an­ker­ten Un­schulds­ver­mu­tung oh­ne­hin un­zulässig. Das gel­te in be­son­de­rem Maße, wenn sich der Ver­dacht auf die Ent­wen­dung ei­ner nur ge­ring­wer­ti­gen Sa­che be­zie­he. Selbst bei nach­ge­wie­se­ner Tat sei in ei­nem sol­chen Fall ein wich­ti­ger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht ge­ge­ben. Zu­min­dest sei in ih­rem Fall die Kündi­gung in An­be­tracht der Ein­ma­lig­keit des Vor­falls und ih­rer lan­gen Be­triebs­zu­gehörig­keit un­an­ge­mes­sen, zu­mal der Be­klag­ten kein Scha­den ent­stan­den sei.

Die Kläge­rin hat be­an­tragt

1. fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis we­der durch die frist­lo­se, noch durch die or­dent­li­che Kündi­gung der Be­klag­ten vom 22. Fe­bru­ar 2008 auf­gelöst wor­den ist;

2. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, sie ent­spre­chend den ar­beits­ver­trag­li­chen Be­din­gun­gen als Verkäufe­r­in mit Kas­sentätig­keit zu beschäfti­gen.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen. Sie hat gel­tend ge­macht, es be­ste­he der drin­gen­de Ver­dacht, dass die Kläge­rin die im Kas­senbüro hin­ter­leg­ten Leer­gut­bons für sich ver­wen­det ha­be. Dafür sprächen die in der Anhörung an­geführ­ten Tat­sa­chen so­wie der Um­stand, dass die­se Bons bei ei­ner un­mit­tel­bar nach dem Ein­kauf der Kläge­rin durch­geführ­ten Su­che nicht mehr auf­find­bar ge­we­sen sei­en. Es sei auch das mehr­fach geänder­te Ver-tei­di­gungs­vor­brin­gen der Kläge­rin zu berück­sich­ti­gen, das sich in kei­nem Punkt als halt­bar er­wie­sen ha­be. Da­mit sei das Ver­trau­en in die red­li­che Ausführung der Ar­beits­auf­ga­ben durch die Kläge­rin un­wie­der­bring­lich zerstört. Das Ar­beits­verhält­nis sei auch nicht un­be­las­tet ver­lau­fen. Sie ha­be die Kläge­rin im Jahr 2005 we­gen un­gebühr­li­chen Ver­hal­tens ge­genüber ei­nem Ar­beits­kol­le­gen ab­ge­mahnt. Außer­dem ha­be die Kläge­rin, wie ihr erst nachträglich be­kannt


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ge­wor­den sei, am 22. No­vem­ber 2007 bei ei­nem pri­va­ten Ein­kauf ei­nen Son­der­cou­pon aus ei­nem Bo­nus­sys­tem ein­gelöst, ob­wohl die Ein­kaufs­sum­me den dafür er­for­der­li­chen Be­trag nicht er­reicht ha­be. Der­sel­be Cou­pon sei drei­mal „über die Kas­se ge­zo­gen“ wor­den. Da­durch sei­en der Kläge­rin zu Un­recht Punk­te im Wert von 3,00 Eu­ro gut­ge­schrie­ben wor­den. De­ren Be­haup­tung, ih­re Vor­ge­setz­te ha­be sie zu ei­ner der­ar­ti­gen Ma­ni­pu­la­ti­on - ver­geb­lich - ver­lei­ten wol­len, sei nicht plau­si­bel; die Vor­ge­setz­te ha­be an dem be­tref­fen­den Tag - wie zu­letzt un­strei­tig - nicht ge­ar­bei­tet.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­ru­fung der Kläge­rin zurück­ge­wie­sen. Mit ih­rer durch das Bun­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt die Kläge­rin ihr Kla­ge­be­geh­ren wei­ter.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on ist be­gründet. Die Vor­in­stan­zen ha­ben die Kla­ge zu Un­recht ab­ge­wie­sen. Das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en ist we­der durch die außer­or­dent­li­che noch durch die or­dent­li­che Kündi­gung vom 22. Fe­bru­ar 2008 auf­gelöst wor­den. Das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts war des­halb auf­zu­he­ben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Ei­ner Zurück­ver­wei­sung be­durf­te es nicht. Die Sa­che war nach dem fest­ge­stell­ten Sach­verhält­nis zur End­ent­schei­dung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).

A. Die außer­or­dent­li­che Kündi­gung ist un­wirk­sam. Es fehlt an ei­nem wich­ti­gen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.

I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Ar­beits­verhält­nis aus wich­ti­gem Grund oh­ne Ein­hal­tung ei­ner Kündi­gungs­frist gekündigt wer­den, wenn Tat­sa­chen vor­lie­gen, auf­grund de­rer dem Kündi­gen­den un­ter Berück­sich­ti­gung al­ler Umstände des Ein­zel­falls und un­ter Abwägung der In­ter­es­sen bei­der Ver­trags­tei­le die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist nicht zu­ge­mu­tet wer­den kann. Das Ge­setz kennt folg­lich kei­ne


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„ab­so­lu­ten“ Kündi­gungs­gründe. Viel­mehr ist je­der Ein­zel­fall ge­son­dert zu be­ur­tei­len. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sach­ver­halt oh­ne sei­ne be­son­de­ren Umstände „an sich“, dh. ty­pi­scher­wei­se als wich­ti­ger Grund ge­eig­net ist. Als­dann be­darf es der wei­te­ren Prüfung, ob dem Kündi­gen­den die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses un­ter Berück­sich­ti­gung der kon­kre­ten Umstände des Falls und un­ter Abwägung der In­ter­es­sen bei­der Ver­trags­tei­le - je­den­falls bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist - zu­mut­bar ist oder nicht (st. Rspr., Se­nat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 19, BA­GE 118, 104).

Die Prüfung der Vor­aus­set­zun­gen des wich­ti­gen Grun­des ist in ers­ter Li­nie Sa­che der Tat­sa­chen­in­stan­zen. Den­noch geht es um Rechts­an­wen­dung, nicht um Tat­sa­chen­fest­stel­lung. Die Würdi­gung des Be­ru­fungs­ge­richts wird in der Re­vi­si­ons­in­stanz dar­auf hin über­prüft, ob es den an­zu­wen­den­den Rechts­be­griff in sei­ner all­ge­mei­nen Be­deu­tung ver­kannt hat, ob es bei der Un­ter­ord­nung des Sach­ver­halts un­ter die Rechts­nor­men Denk­ge­set­ze oder all­ge­mei­ne Er­fah­rungssätze ver­letzt und ob es al­le vernünf­ti­ger­wei­se in Be­tracht zu zie­hen­den Umstände wi­der­spruchs­frei berück­sich­tigt hat (st. Rspr., Se­nat 27. No­vem­ber 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219; 6. Sep­tem­ber 2007 - 2 AZR 722/06 - Rn. 40, BA­GE 124, 59).

Auch un­ter Be­ach­tung ei­nes in die­sem Sin­ne ein­ge­schränk­ten Maßstabs hält die Würdi­gung des Lan­des­ar­beits­ge­richts ei­ner re­vi­si­ons­recht­li­chen Prüfung nicht stand. Zwar liegt nach dem fest­ge­stell­ten Sach­ver­halt „an sich“ ein wich­ti­ger Grund zur Kündi­gung vor. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat je­doch bei der vor­zu­neh­men­den Ein­zel­fall­prüfung und In­ter­es­sen­abwägung nicht al­le we­sent­li­chen Ge­sichts­punk­te ein­be­zo­gen und zu­tref­fend ab­ge­wo­gen.

1. Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Re­vi­si­on ist die Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts nicht des­halb zu be­an­stan­den, weil die­ses sei­ner recht­li­chen Würdi­gung die frag­li­che Pflicht­ver­let­zung im Sin­ne ei­ner er­wie­se­nen Tat und nicht nur - wie die Be­klag­te selbst - ei­nen ent­spre­chen­den Ver­dacht zu­grun­de ge­legt hat.


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Das Lan­des­ar­beits­ge­richt ist vom Fund zwei­er Leer­gut­bons am 12. Ja­nu­ar 2008 und de­ren Aushändi­gung an die Kläge­rin durch den Markt­lei­ter aus­ge­gan­gen. Nach Be­weis­auf­nah­me hat es zu­dem für wahr er­ach­tet, dass die Kläge­rin die bei­den zunächst im Kas­senbüro ab­ge­leg­ten Bons im Wert von 0,48 Eu­ro und 0,82 Eu­ro zu ei­nem un­be­stimm­ten Zeit­punkt an sich nahm und am 22. Ja­nu­ar 2008 bei ei­nem Ein­kauf zu ih­ren Guns­ten einlöste; da­durch ermäßig­te sich die Kauf­sum­me für sie um 1,30 Eu­ro. Dar­in hat es ein vorsätz­li­ches, pflicht­wid­ri­ges Ver­hal­ten der Kläge­rin er­blickt.

An die vom Lan­des­ar­beits­ge­richt ge­trof­fe­nen tatsächli­chen Fest­stel­lun­gen ist der Se­nat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO ge­bun­den. Die Kläge­rin hat - auch wenn sie vorsätz­li­ches Fehl­ver­hal­ten wei­ter­hin in Ab­re­de stellt - von An­grif­fen ge­gen die Be­weiswürdi­gung des Lan­des­ar­beits­ge­richts aus­drück­lich ab­ge­se­hen.

Ei­ner Würdi­gung des Ge­sche­hens un­ter der An­nah­me, die Kläge­rin ha­be sich nach­weis­lich pflicht­wid­rig ver­hal­ten, steht nicht ent­ge­gen, dass die Be­klag­te sich zur Recht­fer­ti­gung der Kündi­gung nur auf ei­nen ent­spre­chen­den Ver­dacht be­ru­fen und den Be­triebs­rat auch nur zu ei­ner Ver­dachtskündi­gung an­gehört hat.

aa) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat auf die­se Wei­se nicht et­wa Vor­trag berück­sich­tigt, den die Be­klag­te nicht ge­hal­ten hätte. Der Ver­dacht ei­nes pflicht­wid­ri­gen Ver­hal­tens stellt zwar ge­genüber dem Tat­vor­wurf ei­nen ei­genständi­gen Kündi­gungs­grund dar (st. Rspr., Se­nat 23. Ju­ni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 8). Bei­de Gründe ste­hen je­doch nicht be­zie­hungs­los ne­ben­ein­an­der. Wird die Kündi­gung mit dem Ver­dacht pflicht­wid­ri­gen Ver­hal­tens be­gründet, steht in­des­sen zur Über­zeu­gung des Ge­richts die Pflicht­wid­rig­keit tatsächlich fest, lässt dies die ma­te­ri­ell-recht­li­che Wirk­sam­keit der Kündi­gung un­berührt. Maßge­bend ist al­lein der ob­jek­ti­ve Sach­ver­halt, wie er sich dem Ge­richt nach Par­tei­vor­brin­gen und ggf. Be­weis­auf­nah­me dar­stellt. Er­gibt sich dar­aus nach tatrich­ter­li­cher Würdi­gung das Vor­lie­gen ei­ner Pflicht­wid­rig­keit, ist das Ge­richt nicht ge­hin­dert, dies sei­ner


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Ent­schei­dung zu­grun­de zu le­gen. Es ist nicht er­for­der­lich, dass der Ar­beit­ge­ber sich während des Pro­zes­ses dar­auf be­ru­fen hat, er stütze die Kündi­gung auch auf die er­wie­se­ne Tat (Se­nat 23. Ju­ni 2009 - 2 AZR 474/07 - aaO mwN).

bb) Der Um­stand, dass der Be­triebs­rat aus­sch­ließlich zu ei­ner be­ab­sich­tig­ten Ver­dachtskündi­gung gehört wur­de, steht dem nicht ent­ge­gen. Die ge­richt­li­che Berück­sich­ti­gung des Ge­sche­hens als er­wie­se­ne Tat setzt vor­aus, dass dem Be­triebs­rat - ggf. im Rah­men zulässi­gen „Nach­schie­bens“ - die­je­ni­gen Umstände mit­ge­teilt wor­den sind, wel­che nicht nur den Tat­ver­dacht, son­dern zur Über­zeu­gung des Ge­richts auch den Tat­vor­wurf be­gründen (Se­nat 23. Ju­ni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, AP BGB § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 8). Bei die­ser Sach­la­ge ist dem Norm­zweck des § 102 Abs. 1 Be­trVG auch durch ei­ne Anhörung nur zur Ver­dachtskündi­gung genüge ge­tan. Dem Be­triebs­rat wird da­durch nichts vor­ent­hal­ten. Die Mit­tei­lung des Ar­beit­ge­bers, ei­nem Ar­beit­neh­mer sol­le schon und al­lein we­gen des Ver­dachts ei­ner pflicht­wid­ri­gen Hand­lung gekündigt wer­den, gibt ihm so­gar weit stärke­ren An­lass für ein um­fas­sen­des Tätig­wer­den als ei­ne Anhörung we­gen ei­ner als er­wie­sen be­haup­te­ten Tat (Se­nat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 18 = EzA Be­trVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fi­scher­mei­er 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Die­se Vor­aus­set­zun­gen sind im Streit­fall erfüllt. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat sei­ner Ent­schei­dung aus­sch­ließlich sol­che - aus sei­ner Sicht be­wie­se­ne - Tat­sa­chen zu­grun­de ge­legt, die Ge­gen­stand der Be­triebs­rats­anhörung wa­ren.

2. Der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt fest­ge­stell­te Sach­ver­halt ist „an sich“ als­wich­ti­ger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB ge­eig­net. Zum Nach­teil des Ar­beit­ge­bers be­gan­ge­ne Ei­gen­tums- oder Vermögens­de­lik­te, aber auch nicht straf­ba­re, ähn­lich schwer­wie­gen­de Hand­lun­gen un­mit­tel­bar ge­gen das Vermögen des Ar­beit­ge­bers kom­men ty­pi­scher­wei­se - un­abhängig vom Wert des Tat­ob­jekts und der Höhe ei­nes ein­ge­tre­te­nen Scha­dens - als Grund für ei­ne außeor­dent­li­che Kündi­gung in Be­tracht.


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a) Be­geht der Ar­beit­neh­mer bei oder im Zu­sam­men­hang mit sei­ner Ar­beit­rechts­wid­ri­ge und vorsätz­li­che - ggf. straf­ba­re - Hand­lun­gen un­mit­tel­bar ge­gen das Vermögen sei­nes Ar­beit­ge­bers, ver­letzt er zu­gleich in schwer­wie­gen­der Wei­se sei­ne schuld­recht­li­che Pflicht zur Rück­sicht­nah­me (§ 241 Abs. 2 BGB und miss­braucht das in ihn ge­setz­te Ver­trau­en. Ein sol­ches Ver­hal­ten kann auch dann ei­nen wich­ti­gen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB dar­stel­len, wenn die rechts­wid­ri­ge Hand­lung Sa­chen von nur ge­rin­gem Wert be­trifft oder zu ei­nem nur ge­ringfügi­gen, mögli­cher­wei­se zu gar kei­nem Scha­den geführt hat (Se­nat 13. De­zem­ber 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 16, 17, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 12. Au­gust 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BA­GE 92, 184; 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 14 = EzA BGB § 626 nF Nr. 90).

b) An die­ser Recht­spre­chung hält der Se­nat fest. Die ent­ge­gen­ste­hen­de An­sicht, die Pflicht­ver­let­zun­gen im Vermögens­be­reich bei Ge­ringfügig­keit be­reits aus dem An­wen­dungs­be­reich des § 626 Abs. 1 BGB her­aus­neh­men will (so LAG Köln 30. Sep­tem­ber 1999 - 5 Sa 872/99 - zu 2 der Gründe, NZA-RR 2001, 83; LAG Ham­burg 8. Ju­li 1998 - 4 Sa 38/97 - zu II 3 a aa der Gründe, NZA-RR 1999, 469; ArbG Reut­lin­gen 4. Ju­ni 1996 - 1 Ca 73/96 - RzK I 6 d Nr. 12; Däubler Das Ar­beits­recht 2 12. Aufl. Rn. 1128; ein­ge­schränkt Ger­hards BB 1996, 794, 796), über­zeugt nicht. Ein Ar­beit­neh­mer, der die In­te­grität von Ei­gen­tum und Vermögen sei­nes Ar­beit­ge­bers vorsätz­lich und rechts­wid­rig ver­letzt, zeigt ein Ver­hal­ten, das ge­eig­net ist, die Zu­mut­bar­keit sei­ner Wei­ter­beschäfti­gung in Fra­ge zu stel­len. Die durch ein sol­ches Ver­hal­ten aus­gelöste „Erschütte­rung“ der für die Ver­trags­be­zie­hung not­wen­di­gen Ver­trau­ens­grund­la­ge tritt un­abhängig da­von ein, wel­che kon­kre­ten wirt­schaft­li­chen Schäden mit ihm ver­bun­den sind. Aus die­sem Grund ist die Fest­le­gung ei­ner nach dem Wert be­stimm­ten Re­le­vanz­schwel­le mit dem of­fen ge­stal­te­ten Tat­be­stand des § 626 Abs. 1 BGB nicht zu ver­ein­ba­ren. Sie würfe im Übri­gen man­nig­fa­che Fol­ge­pro­ble­me auf - et­wa das ei­ner ex­ak­ten Wert­be­rech­nung, das der Fol­gen mehr­fa­cher, für sich be­trach­tet „ir­re­le­van­ter“ Verstöße so­wie das der Be­hand­lung nur mar­gi­na­ler Grenzüber­schrei­tun­gen - und vermöch­te schon des­halb ei­nem an­ge­mes­se­nen In­ter­es­sen­aus­gleich schwer­lich zu die­nen.


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c) Mit sei­ner Auf­fas­sung setzt sich der Se­nat nicht in Wi­der­spruch zu der in § 248a StGB ge­trof­fe­nen Wer­tung. Nach die­ser Be­stim­mung wer­den Dieb­stahl und Un­ter­schla­gung ge­ring­wer­ti­ger Sa­chen nur auf An­trag oder bei be­son­de­rem öffent­li­chem In­ter­es­se ver­folgt. Der Vor­schrift liegt ei­ne Einschätzung des Ge­setz­ge­bers darüber zu­grun­de, ab wel­cher Gren­ze staat­li­che Sank­tio­nen für Rechts­verstöße in die­sem Be­reich zwin­gend ge­bo­ten sind. Ein sol­cher An­satz ist dem Schuld­recht fremd. Hier geht es um störungs­frei­en Leis­tungs­aus­tausch. Die Be­rech­ti­gung ei­ner ver­hal­tens­be­ding­ten Kündi­gung ist nicht dar­an zu mes­sen, ob die­se - ver­gleich­bar ei­ner staat­li­chen Maßnah­me - als Sank­ti­on für den frag­li­chen Ver­trags­ver­s­toß an­ge­mes­sen ist. Statt des Sank­ti­ons- gilt das Pro­gno­se­prin­zip. Ei­ne ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung ist ge­recht­fer­tigt, wenn ei­ne störungs­freie Ver­trags­erfüllung in Zu­kunft nicht mehr zu er­war­ten steht, künf­ti­gen Pflicht­verstößen dem­nach nur durch die Be­en­di­gung der Ver­trags­be­zie­hung be­geg­net wer­den kann (st. Rspr., Se­nat 26. No­vem­ber 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Ab­mah­nung Nr. 5; 23. Ju­ni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 17).

d) Eben­so we­nig be­steht ein Wer­tungs­wi­der­spruch zwi­schen der Auf­fas­sung des Se­nats und der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts. Die­ses er­kennt zwar bei der dis­zi­pli­nar­recht­li­chen Be­ur­tei­lung ver­gleich­ba­rer Dienst­ver­ge­hen ei­nes Be­am­ten die Ge­ring­wer­tig­keit der be­trof­fe­nen Vermögens­ob­jek­te als Mil­de­rungs­grund an (BVerwG 13. Fe­bru­ar 2008 - 2 WD 9/07 - DÖV 2008, 1056; 24. No­vem­ber 1992 - 1 D 66/91 - zu 3 der Gründe, BVerw­GE 93, 314; bei kas­sen­ver­wal­ten­der Tätig­keit: BVerwG 11. No­vem­ber 2003 - 1 D 5/03 - zu 4 b der Gründe). Dies ge­schieht je­doch vor dem Hin­ter­grund ei­ner ab­ge­stuf­ten Rei­he von dis­zi­pli­na­ri­schen Re­ak­ti­onsmöglich­kei­ten des Dienst­herrn. Die­se rei­chen von der An­ord­nung ei­ner Geld­buße (§ 7 BDG) über die Kürzung von Dienst­bezügen (§ 8 BDG) und die Zurück­stu­fung (§ 9 BDG) bis zur Ent­fer­nung aus dem Dienst (§ 13 Abs. 2 BDG). Ei­ne sol­che Re­ak­ti­ons­brei­te kennt das Ar­beits­recht nicht. Der Ar­beit­ge­ber könn­te auf die


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„Ent­fer­nung aus dem Dienst“ nicht zu­guns­ten ei­ner Kürzung der Vergütung ver­zich­ten. Wer­tun­gen, wie sie für das in der Re­gel auf Le­bens­zeit an­ge­leg­te, durch be­son­de­re Treue- und Fürsor­ge­pflich­ten ge­prägte Dienst­verhält­nis der Be­am­ten und Sol­da­ten ge­trof­fen wer­den, las­sen sich des­halb auf ei­ne pri­vat­recht­li­che Leis­tungs­be­zie­hung re­gelmäßig nicht über­tra­gen (Kei­ser JR 2010, 55, 57 ff.; Reu­ter NZA 2009, 594, 595).

e) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat das Ver­hal­ten der Kläge­rin als „Vermögens­de­likt“ zu­las­ten der Be­klag­ten gewürdigt, hat aber of­fen ge­las­sen, wel­chen straf- und/oder zi­vil­recht­li­chen De­likt­stat­be­stand es als erfüllt an­sieht. Das ist im Er­geb­nis unschädlich. Das Ver­hal­ten der Kläge­rin kommt auch dann als wich­ti­ger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Be­tracht, wenn es - wie die Re­vi­si­on im An­schluss an Äußerun­gen in der Li­te­ra­tur (Hüpers Ju­ra 2010, 52 ff.; Schlösser HR­RS 2009, 509 ff.) meint - nicht straf­bar sein soll­te, je­den­falls nicht im Sin­ne ei­nes Vermögens­de­likts zum Nach­teil der Be­klag­ten. Für die kündi­gungs­recht­li­che Be­ur­tei­lung ist we­der die straf­recht­li­che noch die sa­chen-recht­li­che Be­wer­tung maßge­bend. Ent­schei­dend ist der Ver­s­toß ge­gen ver­trag­li­che Haupt- oder Ne­ben­pflich­ten und der mit ihm ver­bun­de­ne Ver­trau­ens­bruch (Se­nat 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Di­rek­ti­ons­recht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 8; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 29, AP BGB § 626 Krank­heit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BA­GE 114, 264; Preis AuR 2010, 242 f.). Auch ei­ne nicht straf­ba­re, gleich­wohl er­heb­li­che Ver­let­zung der sich aus dem Ar­beits­verhält­nis er­ge­ben­den Pflich­ten kann des­halb ein wich­ti­ger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein. Das gilt ins­be­son­de­re in Fällen, in de­nen die Pflicht­ver­let­zung mit ei­nem vorsätz­li­chen Ver­s­toß ge­gen ei­ne den un­mit­tel­ba­ren Vermögens­in­ter­es­sen des Ar­beit­ge­bers die­nen­de Wei­sung ein­her­geht (KR/Fi­scher­mei­er 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459).

f) Da­nach liegt ei­ne er­heb­li­che, die Schwel­le zum wich­ti­gen Grund über­schrei­ten­de Pflicht­ver­let­zung vor. Die Kläge­rin hat sich mit dem Einlösen der Leer­gut­bons ge­genüber der Be­klag­ten ei­nen Vermögens­vor­teil ver­schafft, der ihr nicht zu­stand. Ihr Ver­hal­ten wiegt um­so schwe­rer, als sie ei­ne kon­kre­te


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An­ord­nung des Markt­lei­ters zum Um­gang mit den Bons miss­ach­tet hat. Es kommt nicht dar­auf an, ob sie da­mit schon ge­gen ih­re Haupt­leis­tungs­pflich­ten als Kas­sie­re­rin oder ge­gen ih­re Pflicht zur Rück­sicht­nah­me aus § 241 Abs. 2 BGB ver­s­toßen hat. In je­dem Fall gehört die Pflicht zur ein­schränkungs­lo­sen Wah­rung der Vermögens­in­ter­es­sen der Be­klag­ten zum Kern­be­reich ih­rer Ar­beits­auf­ga­ben. Die Schwe­re der Pflicht­ver­let­zung hängt von ei­ner ex­ak­ten Zu­ord­nung nicht ab. Die Vor­ga­be des Markt­lei­ters, die Bons nach ei­ner ge­wis­sen Zeit als „Fehl­bons“ zu ver­bu­chen, soll­te si­cher­stel­len, dass die Be­klag­te in­so­weit nicht mehr in An­spruch ge­nom­men würde. Ob da­mit den In­ter­es­sen der Kun­den aus­rei­chend Rech­nung ge­tra­gen wur­de, ist im Verhält­nis der Par­tei­en oh­ne Be­deu­tung. Die Kläge­rin je­den­falls durf­te die Bons nicht zum ei­ge­nen Vor­teil einlösen.

3. Die frist­lo­se Kündi­gung ist bei Be­ach­tung al­ler Umstände des vor­lie­gen­den Falls und nach Abwägung der wi­der­strei­ten­den In­ter­es­sen gleich­wohl nicht ge­recht­fer­tigt. Als Re­ak­ti­on der Be­klag­ten auf das Fehl­ver­hal­ten der Kläge­rin hätte ei­ne Ab­mah­nung aus­ge­reicht. Dies ver­mag der Se­nat selbst zu ent­schei­den.

a) Dem Be­ru­fungs­ge­richt kommt bei der im Rah­men von § 626 Abs. 1 33 BGB vor­zu­neh­men­den In­ter­es­sen­abwägung zwar ein Be­ur­tei­lungs­spiel­raum zu (Se­nat 11. De­zem­ber 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5). Ei­ne ei­ge­ne Abwägung durch das Re­vi­si­ons­ge­richt ist aber möglich, wenn die des Be­ru­fungs­ge­richts feh­ler­haft oder un­vollständig ist und sämt­li­che re­le­van­ten Tat­sa­chen fest­ste­hen (Se­nat 23. Ju­ni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 17; 12. Ja­nu­ar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 68). Ein sol­cher Fall liegt hier vor.

b) Bei der Prüfung, ob dem Ar­beit­ge­ber ei­ne Wei­ter­beschäfti­gung des Ar­beit­neh­mers trotz Vor­lie­gens ei­ner er­heb­li­chen Pflicht­ver­let­zung je­den­falls bis zum Ab­lauf der Kündi­gungs­frist zu­mut­bar ist, ist in ei­ner Ge­samtwürdi­gung das


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In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers an der so­for­ti­gen Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses ge­gen das In­ter­es­se des Ar­beit­neh­mers an des­sen Fort­be­stand ab­zuwägen. Es hat ei­ne Be­wer­tung des Ein­zel­falls un­ter Be­ach­tung des Verhält­nis-mäßig­keits­grund­sat­zes zu er­fol­gen. Die Umstände, an­hand de­rer zu be­ur­tei­len ist, ob dem Ar­beit­ge­ber die Wei­ter­beschäfti­gung zu­mut­bar ist oder nicht, las­sen sich nicht ab­sch­ließend fest­le­gen. Zu berück­sich­ti­gen sind aber re­gelmäßig das Ge­wicht und die Aus­wir­kun­gen ei­ner Ver­trags­pflicht­ver­let­zung - et­wa im Hin­blick auf das Maß ei­nes durch sie be­wirk­ten Ver­trau­ens­ver­lusts und ih­re wirt­schaft­li­chen Fol­gen -, der Grad des Ver­schul­dens des Ar­beit­neh­mers, ei­ne mögli­che Wie­der­ho­lungs­ge­fahr so­wie die Dau­er des Ar­beits­verhält­nis­ses und des­sen störungs­frei­er Ver­lauf (Se­nat 28. Ja­nu­ar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, DB 2010, 1709; 10. No­vem­ber 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38 mwN, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11). Ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung kommt nur in Be­tracht, wenn es kei­nen an­ge­mes­se­nen Weg gibt, das Ar­beits­verhält­nis fort­zu­set­zen, weil dem Ar­beit­ge­ber sämt­li­che mil­de­ren Re­ak­ti­onsmöglich­kei­ten un­zu­mut­bar sind (st. Rspr., Se­nat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 7). Als mil­de­re Re­ak­tio­nen sind ins­be­son­de­re Ab­mah­nung und or­dent­li­che Kündi­gung an­zu­se­hen. Sie sind dann al­ter­na­ti­ve Ge­stal­tungs­mit­tel, wenn schon sie ge­eig­net sind, den mit der außer­or­dent­li­chen Kündi­gung ver­folg­ten Zweck - die Ver­mei­dung des Ri­si­kos künf­ti­ger Störun­gen - zu er­rei­chen (KR/Fi­scher­mei­er 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN).

c) Die Not­wen­dig­keit der Prüfung, ob ei­ne frist­ge­rech­te Kündi­gung als Re­ak­ti­on aus­ge­reicht hätte, folgt schon aus dem Wort­laut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Er­for­der­nis wei­ter­ge­hend zu prüfen, ob nicht schon ei­ne Ab­mah­nung aus­rei­chend ge­we­sen wäre, folgt aus dem Verhält­nismäßig­keits­grund­satz (die Kündi­gung als „ul­ti­ma ra­tio“) und trägt zu­gleich dem Pro­gno­se­prin­zip bei der ver­hal­tens­be­ding­ten Kündi­gung Rech­nung (Se­nat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 47 f., AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 7; 12. Ja­nu­ar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 55 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 54 = EzA KSchG


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§ 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 68). Das Er­for­der­nis gilt auch bei Störun­gen im Ver­trau­ens­be­reich. Es ist nicht stets und von vor­ne­her­ein aus­ge­schlos­sen, ver­lo­re­nes Ver­trau­en durch künf­ti­ge Ver­trags­treue zurück­zu­ge­win­nen (Se­nat 4. Ju­ni 1997 - 2 AZR 526/96 - zu II 1 b der Gründe, BA­GE 86, 95).

aa) Be­ruht die Ver­trags­pflicht­ver­let­zung auf steu­er­ba­rem Ver­hal­ten des 36

Ar­beit­neh­mers, ist grundsätz­lich da­von aus­zu­ge­hen, dass sein künf­ti­ges Ver­hal­ten schon durch die An­dro­hung von Fol­gen für den Be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses po­si­tiv be­ein­flusst wer­den kann (Schlach­ter NZA 2005, 433, 436). Die or­dent­li­che wie die außer­or­dent­li­che Kündi­gung we­gen ei­ner Ver­trags­pflicht­ver­let­zung set­zen des­halb re­gelmäßig ei­ne Ab­mah­nung vor­aus. Sie dient der Ob­jek­ti­vie­rung der ne­ga­ti­ven Pro­gno­se (Se­nat 23. Ju­ni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Ab­mah­nung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 75; Stau­din­ger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109). Ist der Ar­beit­neh­mer ord­nungs­gemäß ab­ge­mahnt wor­den und ver­letzt er den­noch sei­ne ar­beits­ver­trag­li­chen Pflich­ten er­neut, kann re­gelmäßig da­von aus­ge­gan­gen wer­den, es wer­de auch zukünf­tig zu wei­te­ren Ver­tragsstörun­gen kom­men (Se­nat 13. De­zem­ber 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).

bb) Nach dem Verhält­nismäßig­keits­grund­satz ist ei­ne Kündi­gung nicht 37

ge­recht­fer­tigt, wenn es mil­de­re Mit­tel gibt, ei­ne Ver­tragsstörung zukünf­tig zu be­sei­ti­gen. Die­ser As­pekt hat durch die Re­ge­lung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB ei­ne ge­setz­ge­be­ri­sche Bestäti­gung er­fah­ren (Se­nat 12. Ja­nu­ar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 56 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 68). Ei­ner Ab­mah­nung be­darf es in An­se­hung des Verhält­nis-mäßig­keits­grund­sat­zes des­halb nur dann nicht, wenn ei­ne Ver­hal­tensände­rung in Zu­kunft selbst nach Ab­mah­nung nicht zu er­war­ten steht oder es sich um ei­ne so schwe­re Pflicht­ver­let­zung han­delt, dass ei­ne Hin­nah­me durch den Ar­beit­ge­ber of­fen­sicht­lich - auch für den Ar­beit­neh­mer er­kenn­bar - aus­ge­schlos­sen ist (vgl. Se­nat 23. Ju­ni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1


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Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 17; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 7).

cc) Die­se Grundsätze gel­ten un­ein­ge­schränkt selbst bei Störun­gen des­Ver­trau­ens­be­reichs durch Straf­ta­ten ge­gen Vermögen oder Ei­gen­tum des Ar­beit­ge­bers (Se­nat 23. Ju­ni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 17; 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 203 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17). Auch in die­sem Be­reich gibt es kei­ne „ab­so­lu­ten“ Kündi­gungs­gründe. Stets ist kon­kret zu prüfen, ob nicht ob­jek­tiv die Pro­gno­se be­rech­tigt ist, der Ar­beit­neh­mer wer­de sich je­den­falls nach ei­ner Ab­mah­nung künf­tig wie­der ver­trags­treu ver­hal­ten (vgl. auch Er­man/Bel­ling BGB 12. Aufl. § 626 Rn. 62; KR/Fi­scher­mei­er 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264; Preis AuR 2010, 242, 244; Rei­chel AuR 2004, 252; Schlach­ter NZA 2005, 433, 437).

d) Da­nach war ei­ne Ab­mah­nung hier nicht ent­behr­lich.

aa) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt geht zunächst zu­tref­fend da­von aus, dass es ei­ner Ab­mah­nung nicht des­halb be­durf­te, um bei der Kläge­rin die mögli­che An­nah­me zu be­sei­ti­gen, die Be­klag­te könn­te mit der ei­gennützi­gen Ver­wen­dung der Bons ein­ver­stan­den sein. Ei­ner mut­maßli­chen Ein­wil­li­gung - die in an­de­ren Fällen, et­wa der Ver­wen­dung wert­lo­ser, als Ab­fall de­kla­rier­ter Ge­genstände zum Ei­gen­ver­brauch oder zur Wei­ter­ga­be an Hilfs­bedürf­ti­ge oder dem Auf­la­den ei­nes Mo­bil­te­le­fons im Strom­netz des Ar­beit­ge­bers, na­he­lie­gend sein mag - stand im Streit­fall die Wei­sung des Fi­li­al­lei­ters ent­ge­gen, die kei­ne Zwei­fel über den von der Be­klag­ten gewünsch­ten Um­gang mit den Bons auf­kom­men ließ. Auf mögli­che Un­klar­hei­ten in den all­ge­mei­nen An­wei­sun­gen der Be­klag­ten zur Be­hand­lung von Fund­sa­chen und Fund­geld kommt es des­halb nicht an.


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bb) Mit Recht hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­dem an­ge­nom­men, das Ver­hal­ten der Kläge­rin stel­le ei­ne ob­jek­tiv schwer­wie­gen­de, das Ver­trau­ens­verhält­nis der Par­tei­en er­heb­lich be­las­ten­de Pflicht­ver­let­zung dar.

(1) Mit der ei­gennützi­gen Ver­wen­dung der Leer­gut­bons hat sich die Kläge­rin be­wusst ge­gen die An­ord­nung des Fi­li­al­lei­ters ge­stellt. Schon dies ist ge­eig­net, das Ver­trau­en der Be­klag­ten in die zu­verlässi­ge Erfüllung der ihr über­tra­ge­nen Auf­ga­ben als Kas­sie­re­rin zu erschüttern. Er­schwe­rend kommt hin­zu, dass die Bons ge­ra­de ihr zur Ver­wah­rung und ggf. Bu­chung als „Fehl­bons“ über­ge­ben wor­den wa­ren. Das Fehl­ver­hal­ten der Kläge­rin berührt da­mit den Kern­be­reich ih­rer Ar­beits­auf­ga­ben. Sie war als Verkäufe­r­in mit Kas­sentätig­keit beschäftigt. Als sol­che hat sie den wei­sungs­gemäßen Um­gang mit Leer­gut­bons glei­cher­maßen si­cher zu stel­len wie den mit ihr an­ver­trau­tem Geld. Die Be­klag­te muss sich auf die Zu­verlässig­keit und Ehr­lich­keit ei­ner mit Kas­sentätig­kei­ten be­trau­ten Ar­beit­neh­me­rin in be­son­de­rem Maße ver­las­sen dürfen. Sie muss da­von aus­ge­hen können, dass ih­re Wei­sun­gen zum Um­gang mit Sach-und Vermögens­wer­ten un­abhängig von de­ren Wert und den je­wei­li­gen Ei­gen­tums­verhält­nis­sen kor­rekt ein­ge­hal­ten wer­den. Als Ein­zel­han­dels­un­ter­neh­men ist die Be­klag­te be­son­ders anfällig dafür, in der Sum­me ho­he Ein­bußen durch ei­ne Viel­zahl für sich ge­nom­men ge­ringfügi­ger Schädi­gun­gen zu er­lei­den. Verstößt ei­ne Ar­beit­neh­me­rin, de­ren ori­ginäre Auf­ga­be es ist, Ein­nah­men zu si­chern und zu ver­bu­chen, vorsätz­lich und zur persönli­chen Be­rei­che­rung ge­gen ei­ne Pflicht, die ge­ra­de dem Schutz des Ei­gen­tums und Vermögens des Ar­beit­ge­bers oder ei­nes Kun­den dient, liegt dar­in re­gelmäßig ein er­heb­li­cher, das Ver­trau­en in ih­re Red­lich­keit be­ein­träch­ti­gen­der Ver­trags­ver­s­toß.

(2) Der Ein­wand der Kläge­rin, ein Ver­trau­en auf Sei­ten der Be­klag­ten be­ste­he oh­ne­hin nicht, wie die in den Märk­ten prak­ti­zier­te Vi­deoüber­wa­chung zei­ge, geht fehl. Je­der Ar­beit­neh­mer hat die Pflicht, sich so zu ver­hal­ten, dass es um sei­net­wil­len ei­ner Kon­trol­le nicht bedürf­te. Er­weist sich ein zunächst un­spe­zi­fi­sches, nicht auf kon­kre­te Per­so­nen be­zo­ge­nes, ge­ne­rel­les „Miss­trau­en“ des Ar­beit­ge­bers schließlich im Hin­blick auf ei­nen be­stimm­ten Mit-


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ar­bei­ter als be­rech­tigt, wird erst und nur da­durch das Ver­trau­en in des­sen Red­lich­keit tatsächlich erschüttert.

cc) Auch wenn des­halb das Ver­hal­ten der Kläge­rin das Ver­trau­ens­verhält­nis zur Be­klag­ten er­heb­lich be­las­tet hat, so hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt doch den für die Kläge­rin spre­chen­den Be­son­der­hei­ten nicht hin­rei­chend Rech­nung ge­tra­gen.

(1) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat an­ge­nom­men, die Kläge­rin ha­be nicht da­mit rech­nen können, die Be­klag­te wer­de ihr Ver­hal­ten auch nur ein­ma­lig hin­neh­men, oh­ne ei­ne Kündi­gung aus­zu­spre­chen. Die Kläge­rin ha­be ih­re Pflich­ten als Kas­sie­re­rin „auf das Schwers­te“ ver­letzt. Mit die­ser Würdi­gung ist es den Be­son­der­hei­ten des Streit­falls nicht aus­rei­chend ge­recht ge­wor­den. Die Kläge­rin hat an der Kas­se in un­mit­tel­ba­rer An­we­sen­heit ih­rer Vor­ge­setz­ten bei ei­ner nicht be­freun­de­ten Kol­le­gin un­ab­ge­zeich­ne­te Leer­gut­bons ein­gelöst. Dass sie man­gels Ab­zeich­nung nach den be­trieb­li­chen Re­ge­lun­gen kei­nen An­spruch auf ei­ne Gut­schrift hat­te, war für die Kas­sen­mit­ar­bei­te­rin und die Vor­ge­setz­te of­fen­kun­dig und nicht zu über­se­hen. Das wuss­te auch die Kläge­rin, die des­halb aus ih­rer Sicht un­wei­ger­lich würde Auf­merk­sam­keit er­re­gen und Nach­fra­gen auslösen müssen. Das zeigt, dass sie ihr Ver­hal­ten - fälsch­lich - als not­falls to­le­ra­bel oder je­den­falls kor­ri­gier­bar ein­geschätzt ha­ben mag und sich ei­nes gra­vie­ren­den Un­rechts of­fen­bar nicht be­wusst war. Für den Grad des Ver­schul­dens und die Möglich­keit ei­ner Wie­der­her­stel­lung des Ver­trau­ens macht es ob­jek­tiv ei­nen Un­ter­schied, ob es sich bei ei­ner Pflicht­ver­let­zung um ein Ver­hal­ten han­delt, das ins­ge­samt - wie et­wa der ver­meint­lich un­be­ob­ach­te­te Griff in die Kas­se - auf Heim­lich­keit an­ge­legt ist oder nicht.

(2) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Ein­ma­lig­keit der Pflicht­ver­let­zung und die als be­an­stan­dungs­frei un­ter­stell­te Be­triebs­zu­gehörig­keit der Kläge­rin von gut drei Jahr­zehn­ten zwar erwähnt, ih­nen aber kein aus­rei­chen­des Ge­wicht bei­ge­mes­sen.

(a) Für die Zu­mut­bar­keit der Wei­ter­beschäfti­gung kann es von er­heb­li­cher Be­deu­tung sein, ob der Ar­beit­neh­mer be­reits ge­rau­me Zeit in ei­ner Ver­trau­ens-


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stel­lung beschäftigt war, oh­ne ver­gleich­ba­re Pflicht­ver­let­zun­gen be­gan­gen zu ha­ben. Das gilt auch bei Pflicht­verstößen im un­mit­tel­ba­ren Vermögens­be­reich (Se­nat 13. De­zem­ber 1984 - 2 AZR 454/83 - zu III 3 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 81 = EzA BGB § 626 nF Nr. 94). Ei­ne für lan­ge Jah­re un­gestörte Ver­trau­ens­be­zie­hung zwei­er Ver­trags­part­ner wird nicht not­wen­dig schon durch ei­ne erst­ma­li­ge Ver­trau­en­s­enttäuschung vollständig und un­wie­der­bring­lich zerstört. Je länger ei­ne Ver­trags­be­zie­hung un­gestört be­stan­den hat, des­to eher kann die Pro­gno­se be­rech­tigt sein, dass der da­durch er­ar­bei­te­te Vor­rat an Ver­trau­en durch ei­nen erst­ma­li­gen Vor­fall nicht vollständig auf­ge­zehrt wird. Da­bei kommt es nicht auf die sub­jek­ti­ve Be­find­lich­keit und Einschätzung des Ar­beit­ge­bers oder be­stimm­ter für ihn han­deln­der Per­so­nen an. Ent­schei­dend ist ein ob­jek­ti­ver Maßstab. Maßgeb­lich ist nicht, ob der Ar­beit­ge­ber hin­rei­chen­des Ver­trau­en in den Ar­beit­neh­mer tatsächlich noch hat. Maßgeb­lich ist, ob er es aus der Sicht ei­nes ob­jek­ti­ven Be­trach­ters ha­ben müss­te. Im Ar­beits­verhält­nis geht es nicht um ein um­fas­sen­des wech­sel­sei­ti­ges Ver­trau­en in die mo­ra­li­schen Qua­litäten der je an­de­ren Ver­trags­par­tei. Es geht al­lein um die von ei­nem ob­jek­ti­ven Stand­punkt aus zu be­ant­wor­ten­de Fra­ge, ob mit ei­ner kor­rek­ten Erfüllung der Ver­trags­pflich­ten zu rech­nen ist.

(b) Die Kläge­rin hat durch ei­ne be­an­stan­dungs­freie Tätig­keit als Verkäufe­r­in und Kas­sie­re­rin über dreißig Jah­re hin­weg Loya­lität zur Be­klag­ten ge­zeigt.

(aa) Der Se­nat hat­te da­von aus­zu­ge­hen, dass die­se Zeit oh­ne recht­lich re­le­van­te Be­an­stan­dun­gen ver­lau­fen ist. Ge­gen­stand ei­ner der Kläge­rin er­teil­ten Ab­mah­nung war ei­ne vor Kun­den ab­ge­ge­be­ne, abfälli­ge Äußerung ge­genüber ei­nem Ar­beits­kol­le­gen. Die­ses Ver­hal­ten steht mit dem Kündi­gungs­vor­wurf in kei­ner­lei Zu­sam­men­hang; im Übri­gen wur­de die Ab­mah­nung ein Jahr später aus der Per­so­nal­ak­te ent­fernt. Schon aus tatsächli­chen Gründen un-be­acht­lich ist das Ge­sche­hen im Zu­sam­men­hang mit der Einlösung ei­nes Son­der­cou­pons im No­vem­ber 2007. Die Kläge­rin hat im Ein­zel­nen und plau­si­bel dar­ge­legt, wes­halb ihr da­bei im Er­geb­nis kei­ne Bo­nus­punk­te zu-


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ge­schrie­ben wor­den sei­en, die ihr nicht zu­ge­stan­den hätten. Dem ist die Be­klag­te nicht hin­rei­chend sub­stan­ti­iert ent­ge­gen­ge­tre­ten.

(bb) Das in die­ser Beschäfti­gungs­zeit von der Kläge­rin er­wor­be­ne Maß an Ver­trau­en in die Kor­rekt­heit ih­rer Auf­ga­ben­erfüllung und in die Ach­tung der Vermögens­in­ter­es­sen der Be­klag­ten schlägt hoch zu Bu­che. An­ge­sichts des Um­stands, dass nach zehn Ta­gen War­te­zeit mit ei­ner Nach­fra­ge der in Wahr­heit be­rech­tig­ten Kun­den nach dem Ver­bleib von Leer­gut­bons über Cent-Beträge al­ler Er­fah­rung nach nicht mehr zu rech­nen war, und der wirt­schaft­li­chen Ge­ringfügig­keit ei­nes der Be­klag­ten ent­stan­de­nen Nach­teils ist es höher zu be­wer­ten als de­ren Wunsch, nur ei­ne sol­che Mit­ar­bei­te­rin wei­ter zu beschäfti­gen, die in je­der Hin­sicht und aus­nahms­los oh­ne Fehl und Ta­del ist. Die­ser als sol­cher be­rech­tig­te Wunsch macht der Be­klag­ten die Wei­ter­beschäfti­gung der Kläge­rin trotz ih­res Pflich­ten­ver­s­toßes mit Blick auf die bis­he­ri­ge Zu­sam­men­ar­beit nicht un­zu­mut­bar. Ob­jek­tiv ist das Ver­trau­en in die Zu­verlässig­keit der Kläge­rin nicht der­art erschüttert, dass des­sen vollständi­ge Wie­der­her­stel­lung und ein künf­tig er­neut störungs­frei­es Mit­ein­an­der der Par­tei­en nicht in Fra­ge käme.

(3) Das pro­zes­sua­le Ver­tei­di­gungs­vor­brin­gen der Kläge­rin steht die­ser Würdi­gung nicht ent­ge­gen.

(a) Die Wirk­sam­keit ei­ner Kündi­gung ist grundsätz­lich nach den ob­jek­ti­ven Verhält­nis­sen im Zeit­punkt ih­res Zu­gangs zu be­ur­tei­len. Die­ser Zeit­punkt ist im Rah­men von § 626 Abs. 1 BGB so­wohl für die Prüfung des Kündi­gungs­grun­des als auch für die In­ter­es­sen­abwägung maßge­bend. Umstände, die erst da­nach ent­stan­den sind, können die be­reits erklärte Kündi­gung nicht recht­fer­ti­gen. Sie können al­len­falls als Grund­la­ge für ei­ne wei­te­re Kündi­gung oder ei­nen Auflösungs­an­trag nach §§ 9, 10 KSchG die­nen (Se­nat 28. Ok­to­ber 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. De­zem­ber 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BA­GE 2, 245).

(b) Nachträglich ein­ge­tre­te­ne Umstände können nach der Recht­spre­chung des Se­nats für die ge­richt­li­che Be­ur­tei­lung al­ler­dings in­so­weit von Be­deu­tung


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sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündi­gung geführt ha­ben, in ei­nem neu­en Licht er­schei­nen las­sen (Se­nat 13. Ok­to­ber 1977 - 2 AZR 387/76 - zu III 3 d der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 1 = EzA Be­trVG 1972 § 74 Nr. 3; 28. Ok­to­ber 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. De­zem­ber 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BA­GE 2, 245). Da­zu müssen zwi­schen den neu­en Vorgängen und den al­ten Gründen so en­ge in­ne­re Be­zie­hun­gen be­ste­hen, dass je­ne nicht außer Acht ge­las­sen wer­den können, oh­ne dass ein ein­heit­li­cher Le­bens­vor­gang zer­ris­sen würde (Se­nat 15. De­zem­ber 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO; ErfK/Müller-Glöge 10. Aufl. § 626 Rn. 54; KR/Fi­scher­mei­er 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 177; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 551; vgl. auch Wal­ker NZA 2009, 921, 922). Es darf aber nicht et­wa ei­ne ursprüng­lich un­be­gründe­te Kündi­gung durch die Berück­sich­ti­gung späte­ren Ver­hal­tens rück­wir­kend zu ei­ner be­gründe­ten wer­den (Se­nat 15. De­zem­ber 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO). Außer­dem ist ge­nau zu prüfen, wel­che kon­kre­ten Rück­schlüsse auf den Kündi­gungs­grund späte­res Ver­hal­ten wirk­lich er­laubt. Im Hin­blick auf pro­zes­sua­les Vor­brin­gen (vgl. Se­nats­ent­schei­dun­gen vom 24. No­vem­ber 2005 - 2 AZR 39/05 - AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12 und 3. Ju­li 2003 - 2 AZR 437/02 - AP BGB § 626 Ver­dacht straf­ba­rer Hand­lung Nr. 38 = EzA KSchG § 1 Ver­dachtskündi­gung Nr. 2) gilt nichts an­de­res.

(c) Da­nach kommt dem Pro­zess­ver­hal­ten der Kläge­rin kei­ne ih­re Pflicht­ver­let­zung verstärken­de Be­deu­tung zu. Es ist nicht ge­eig­net, den Kündi­gungs­sach­ver­halt als sol­chen zu er­hel­len. Der be­steht dar­in, dass die Kläge­rin un­be­rech­tig­ter­wei­se ihr nicht gehören­de Leer­gut­bons zwei­er Kun­den zum ei­ge­nen Vor­teil ein­gelöst hat.

(aa) Die­ser Vor­gang er­scheint ins­be­son­de­re im Hin­blick auf ei­ne Wie­der­ho­lungs­ge­fahr nicht da­durch in ei­nem an­de­ren, für die Kläge­rin ungüns­ti­ge­ren Licht, dass die­se zunächst die Iden­tität der von ihr ein­gelösten und der im Kas­senbüro auf­be­wahr­ten Bons be­strit­ten hat. Das Glei­che gilt im Hin­blick dar­auf, dass die Kläge­rin auch noch im Pro­zess­ver­lauf die Möglich­keit be­stimm­ter Ge­sche­hens­abläufe ins Spiel ge­bracht hat, die erklären könn­ten,


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wes­halb sie - wie sie stets be­haup­tet hat - selbst bei Iden­tität der Bons nicht wuss­te, dass sie ihr nicht gehören­de Bons einlöste. Die von der Kläge­rin auf­ge­zeig­ten Möglich­kei­ten ein­sch­ließlich der ei­ner ge­gen sie geführ­ten In­t­ri­ge mögen sich we­gen der er­for­der­lich ge­wor­de­nen Be­fra­gun­gen der be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer nach­tei­lig auf den Be­triebs­frie­den aus­ge­wirkt ha­ben. Dies war aber nicht Kündi­gungs­grund. Un­abhängig da­von ziel­te das Ver­tei­di­gungs­vor­brin­gen der Kläge­rin er­kenn­bar nicht dar­auf, Drit­te ei­ner kon­kre­ten Pflicht­ver­let­zung zu be­zich­ti­gen. Der Kündi­gungs­grund wird auch nicht da­durch kla­rer, dass die Kläge­rin die Rechts­auf­fas­sung ver­tre­ten hat, erst­ma­li­ge Vermögens­de­lik­te zu­las­ten des Ar­beit­ge­bers könn­ten bei ge­rin­gem wirt­schaft­li­chem Scha­den ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung oh­ne vor­aus­ge­gan­ge­ne Ab­mah­nung nicht recht­fer­ti­gen. Da­mit hat sie le­dig­lich in ei­ner recht­lich um­strit­te­nen Fra­ge ei­nen für sie güns­ti­gen Stand­punkt ein­ge­nom­men. Dar­aus kann nicht ab­ge­lei­tet wer­den, sie wer­de sich künf­tig bei Ge­le­gen­heit in glei­cher Wei­se ver­trags­wid­rig ver­hal­ten.

(bb) Das Pro­zess­ver­hal­ten der Kläge­rin min­dert eben­so we­nig das bei der In­ter­es­sen­abwägung zu berück­sich­ti­gen­de Maß des ver­blie­be­nen Ver­trau­ens. Auch für des­sen Er­mitt­lung ist auf den Zeit­punkt des Kündi­gungs­zu­gangs ab­zu­stel­len. Aus die­ser Per­spek­ti­ve und im Hin­blick auf den bis da­hin ver­wirk­lich­ten Kündi­gungs­sach­ver­halt ist zu fra­gen, ob mit der Wie­der­her­stel­lung des Ver­trau­ens in ei­ne künf­tig kor­rek­te Ver­trags­erfüllung ge­rech­net wer­den kann. In die­ser Hin­sicht ist das Ver­tei­di­gungs­vor­brin­gen der Kläge­rin oh­ne Aus­sa­ge­kraft. Ihr wech­seln­der Vor­trag und be­harr­li­ches Leug­nen ei­ner vorsätz­li­chen Pflicht­wid­rig­keit las­sen kei­ne Rück­schlüsse auf ih­re künf­ti­ge Zu­verlässig­keit als Kas­sie­re­rin zu. Das gilt glei­cher­maßen für mögli­che, während des Pro­zes­ses auf­ge­stell­te Be­haup­tun­gen der Kläge­rin über ei­ne ihr an­geb­lich von der Kas­sen­lei­te­rin an­ge­tra­ge­ne Ma­ni­pu­la­ti­on im Zu­sam­men­hang mit der Einlösung von Son­der­cou­pons im No­vem­ber 2007 und mögli­che Äußerun­gen ge­genüber Pres­se­ver­tre­tern.

(cc) An­ders als die Be­klag­te meint, wird da­durch nicht Verstößen ge­gen die pro­zes­sua­le Wahr­heits­pflicht „Tür und Tor geöff­net“. Im Fall ei­nes be­wusst


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wahr­heits­wid­ri­gen Vor­brin­gens be­steht die Möglich­keit, ei­ne wei­te­re Kündi­gung aus­zu­spre­chen oder ei­nen Auflösungs­an­trag nach §§ 9, 10 KSchG an­zu­brin­gen. Da­bei kann nicht je­der un­zu­tref­fen­de Par­tei­vor­trag als „Lüge“ be­zeich­net wer­den. Die Wahr­neh­mung ei­nes Ge­sche­hens ist ge­ne­rell nicht un­be­ein­flusst vom äußeren und in­ne­ren Stand­punkt des Wahr­neh­men­den. Glei­ches gilt für Er­in­ne­rung und Wie­der­ga­be, zu­mal in ei­nem von star­ker Po­la­rität ge­prägten Verhält­nis, wie es zwi­schen Pro­zess­par­tei­en häufig be­steht. Wenn sich das Ge­richt nach den Re­geln des Pro­zess­rechts in §§ 138, 286 ZPO die - recht­lich bin­den­de, aber um des­wil­len nicht der Ge­fahr des Irr­tums ent­ho­be­ne - Über­zeu­gung bil­det, ein be­stimm­ter Sach­ver­halt ha­be sich so und nicht an­ders zu­ge­tra­gen, ist da­mit die frühe­re, mögli­cher­wei­se ab­wei­chen­de Dar­stel­lung ei­ner Par­tei nicht zu­gleich als ge­ziel­te Ir­reführung des Ge­richts oder der Ge­gen­par­tei aus­ge­wie­sen. Es be­darf viel­mehr be­son­de­rer An­halts­punk­te, um ei­nen sol­chen - schwe­ren - Vor­wurf zu be­gründen.

B. Die hilfs­wei­se erklärte or­dent­li­che Kündi­gung zum 30. Sep­tem­ber 2008 ist un­wirk­sam. Auch dies ver­mag der Se­nat selbst zu ent­schei­den. Die Kündi­gung ist so­zi­al un­ge­recht­fer­tigt. Sie ist nicht durch Gründe im Ver­hal­ten der Kläge­rin iSv. § 1 Abs. 2 KSchG be­dingt. Sie ist auf den­sel­ben Le­bens­sach­ver­halt gestützt wie die außer­or­dent­li­che Kündi­gung. Der Be­klag­ten war es aus den dar­ge­leg­ten Gründen zu­zu­mu­ten, auf das mil­de­re Mit­tel der Ab­mah­nung zurück­zu­grei­fen.

C. Der An­trag auf Beschäfti­gung, der sich er­sicht­lich auf die Dau­er des Kündi­gungs­rechts­streits be­schränk­te, kommt we­gen der Be­en­di­gung des Ver­fah­rens nicht mehr zum Tra­gen.

Kreft Schmitz-Scho­le­mann Ber­ger

Tors­ten Fal­ke Bartz

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