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BAG, Ur­teil vom 23.04.2013, 3 AZR 475/11

   
Schlagworte: Betriebsrente, Betriebliche Altersversorgung
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 3 AZR 475/11
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 23.04.2013
   
Leitsätze: Eine vor dem 1. Januar 2003 im Wege der Gesamtzusage getroffene Versorgungsvereinbarung, die für den Teil des versorgungsfähigen Einkommens oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung (BBG) höhere Versorgungsleistungen vorsieht als für den darunter liegenden Teil (sog. „gespaltene Rentenformel“), ist nach der außerplanmäßigen Anhebung der BBG durch § 275c SGB VI zum 1. Januar 2003 nicht ergänzend dahin auszulegen, dass die Betriebsrente so zu berechnen ist, als wäre die außerplanmäßige Anhebung der BBG nicht erfolgt. An der gegenteiligen Rechtsprechung aus den Urteilen vom 21. April 2009 (- 3 AZR 471/07 - und - 3 AZR 695/08 -) hält der Senat nicht fest. Ein Anspruch auf eine höhere Betriebsrente wegen der außerplanmäßigen Anhebung der BBG zum 1. Januar 2003 kann sich allenfalls nach den Regeln über die Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) ergeben.
Vorinstanzen: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 10.05.2011 - 2 Sa 115/10
Arbeitsgericht Stuttgart, Urteil vom 23.09.2010 - 4 Ca 11368/09
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


3 AZR 475/11
2 Sa 115/10
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Ba­den-Würt­tem­berg

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

23. April 2013

UR­TEIL

Kauf­hold, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläger, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­onskläger,

pp.

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Drit­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 23. April 2013 durch die Vor­sit­zen­de Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Gräfl, die Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Schlewing, den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Spin­ner so­wie den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Dr. Schmidt und die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin Nötzel für Recht er­kannt:



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Die Re­vi­si­on des Klägers ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ba­den-Würt­tem­berg vom 10. Mai 2011 - 2 Sa 115/10 - wird zurück­ge­wie­sen.


Der Kläger hat die Kos­ten der Re­vi­si­on zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über die Höhe der dem Kläger zu­ste­hen­den „vor­ge­zo­ge­nen Al­ters­ren­te“ und da­bei über die Aus­wir­kun­gen der „außer­planmäßigen“ An­he­bung der Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze in der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung zum 1. Ja­nu­ar 2003.


Der am 25. Au­gust 1946 ge­bo­re­ne Kläger war vom 1. Ja­nu­ar 1994 bis zum 31. De­zem­ber 2005 zunächst bei den Rechts­vorgänge­rin­nen der Be­klag­ten, der D GmbH und der C GmbH, und zu­letzt bei der Be­klag­ten beschäftigt. In der Zeit vom 1. Ja­nu­ar 2006 bis zum 30. Ju­ni 2008 be­zog der Kläger von der Be­klag­ten ei­ne „vor­ge­zo­ge­ne Al­ters­ren­te“ nach der „Ver­sor­gungs­ord­nung 1995 in der Fas­sung vom 01. Ju­li 1995“ der D GmbH (im Fol­gen­den: VO 95) iHv. mo­nat­lich 670,51 Eu­ro brut­to. Zum 1. Ju­li 2008 hob die Be­klag­te die Al­ters­ren­te des Klägers nach § 16 Be­trAVG an und zahl­te an den Kläger in der Zeit vom 1. Ju­li 2008 bis zum 30. No­vem­ber 2009 ei­ne „vor­ge­zo­ge­ne Al­ters­ren­te“ iHv. mo­nat­lich 714,01 Eu­ro brut­to. Seit dem 1. Sep­tem­ber 2008 be­zieht der Kläger Leis­tun­gen aus der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung.

Die VO 95, bei der es sich um ei­ne Ge­samt­zu­sa­ge han­delt, enthält aus­zugs­wei­se fol­gen­de Re­ge­lun­gen:

㤠1
Ver­sor­gungs­be­rech­tig­te


(1) Ver­sor­gungs­be­rech­tigt nach Maßga­be die­ser Ver­sor­gungs­ord­nung 1995 sind al­le Mit­ar­bei­ter, die am 01.07.1995 in ei­nem Beschäfti­gungs­verhält­nis mit D GmbH (=’D’) ste­hen oder später ein­tre­ten (‚Ver­sor-
 

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gungs­be­rech­tig­te’).
...


§ 2
Ver­sor­gungs­leis­tun­gen

(1) Nach Auf­nah­me in das Ver­sor­gungs­werk und nach Erfüllung der je­wei­li­gen An­spruchs­vor­aus­set­zun­gen wer­den als Ver­sor­gungs­leis­tun­gen gewährt:
a) Al­ters­ren­te (§ 6)
b) Vor­ge­zo­ge­ne Al­ters­ren­te (§ 7)
...
...


§ 5
Ru­he­geldfähi­ges Ein­kom­men

(1) Das ru­he­geldfähi­ge Ein­kom­men wird für je­den Ver­sor­gungs­be­rech­tig­ten erst­mals bei Dienstein­tritt und dann an je­dem nach­fol­gen­den 01. Ju­li (Be­rech­nungs­stich­tag) fest­ge­stellt. Ge­halts­verände­run­gen zwi­schen den je­wei­li­gen Be­rech­nungs­ter­mi­nen blei­ben un­berück­sich­tigt.


(2) Die Er­mitt­lung des ru­he­geldfähi­gen Ein­kom­mens er­folgt aus dem 13fachen des am Be­rech­nungs­stich­tag gel­ten­den ver­trag­lich ver­ein­bar­ten mo­nat­li­chen Grund­ge­hal­tes bei Ge­halts­empfängern bzw. bei Lohn­empfängern des Mo­nats­lohns (= Jah­res­ge­halt im Sin­ne der Leis­tungs­richt­li­ni­en).


Die­ses Jah­res­ge­halt wird auf­ge­teilt in den Be­trag bis zum 12fachen der je­weils am Be­rech­nungs­stich­tag gel­ten­den mo­nat­li­chen Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze in der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung (Teil A), und ggf. in den Teil, der das 12fache die­ser Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze (Teil B) über­steigt.


(3) Tritt der Ver­sor­gungs­fall 10 oder mehr Jah­re vor dem En­de des Mo­nats ein, in dem der Ver­sor­gungs­be­rech­tig­te sein 65. Le­bens­jahr voll­endet, so ist das ru­he­geldfähi­ge Ein­kom­men gleich dem Jah­res­ge­halt, das an dem Be­rech­nungs­stich­tag er­mit­telt wur­de, der dem Ein­tritt des Ver­sor­gungs­fal­les un­mit­tel­bar vor­aus­ge­gan­gen ist.

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Tritt je­doch der Ver­sor­gungs­fall in­ner­halb der letz­ten 10 Jah­re vor Er­rei­chen der nor­ma­len Al­ters­gren­ze (§ 4 Abs. 2) ein, so ist das ru­he­geldfähi­ge Ein­kom­men gleich dem Durch­schnitt der höchs­ten 5 Jah­res­gehälter, die an den Be­rech­nungs­stich­ta­gen nach dem En­de des Mo­nats, in dem der Ver­sor­gungs­be­rech­tig­te sein 55. Le­bens­jahr voll­endet hat, fest­ge­stellt wor­den sind; lie­gen bei Ein­tritt des Ver­sor­gungs­fal­les we­ni­ger als 5 Jah­res­gehälter vor, so wird für die Durch­schnitts­be­rech­nung für je­des feh­len­de Jah­res­ge­halt das zu­letzt fest­ge­stell­te Jah­res­ge­halt zu­grun­de ge­legt.

§ 6
Al­ters­ren­te

(1) Schei­det ein Ver­sor­gungs­be­rech­tig­ter zu sei­nem nor­ma­len Pen­sio­nie­rungs­tag (Al­ter 65) aus den Diens­ten von D aus, so erhält er ei­ne le­bens­lang zahl­ba­re Al­ters­ren­te.


(2) Die jähr­li­che Al­ters­ren­te beträgt 0,4 % des ru­he­geldfähi­gen Ein­kom­mens (Teil A) gem. § 5 bis zu den Bei­trags­be­mes­sungs­gren­zen in der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung (nach­fol­gend kurz ‚Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze’ ge­nannt) und 1,67 % des ru­he-geldfähi­gen Ein­kom­mens (Teil B) gem. § 5 ober­halb der Bei­trags­be­mes­sungs­gren­zen, bei­des mul­ti­pli­ziert mit der an­rech­nungsfähi­gen Dienst­zeit gem. § 4.


§ 7
Vor­ge­zo­ge­ne Al­ters­ren­te

(1) Schei­det ein Ver­sor­gungs­be­rech­tig­ter we­gen In­an­spruch­nah­me des vor­ge­zo­ge­nen Al­ters­ru­he­gel­des aus der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung aus den Diens­ten des Un­ter­neh­mens aus, so erhält er ei­ne vor­zei­ti­ge, so­fort be­gin­nen­de Al­ters­ren­te. Die­ses gilt ana­log für Begüns­tig­te, die von der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung be­freit sind.


(2) Un­abhängig von den Vor­aus­set­zun­gen des Abs. (1) können Ver­sor­gungs­be­rech­tig­te ei­ne vor­ge­zo­ge­ne Al­ters­ren­te be­an­tra­gen, wenn sie nach min­des­tens 10 Jah­ren an­rech­nungsfähi­ger Dienst­zeit und Voll­endung des 55. Le­bens­jah­res aus den Diens­ten von D aus­schei­den.



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(3) Die vor­ge­zo­ge­ne Al­ters­ren­te be­rech­net sich nach den glei­chen Grundsätzen wie die Al­ters­ren­te gem. § 6, je­doch un­ter Zu­grun­de­le­gung des ru­he­geldfähi­gen Ein­kom­mens zum Zeit­punkt der vor­zei­ti­gen Pen­sio­nie­rung und der bis da­hin zurück­ge­leg­ten an­rech­nungsfähi­gen Dienst­zeit. Er­folgt die ers­te Ren­ten­zah­lung frühes­tens ab dem Mo­nat, der auf die Voll­endung des 60. Le­bens­jah­res folgt, so wird die vor­ge­zo­ge­ne Al­ters­ren­te oh­ne ei­ne Re­duk­ti­on (we­gen des vor­ge­zo­ge­nen Ren­ten­zah­lungs­be­ginns) ge­zahlt.


Liegt der Ren­ten­zah­lungs­be­ginn je­doch vor Voll­endung des 60. Le­bens­jah­res, so er­folgt ei­ne Re­duk­ti­on der vor­ge­zo­ge­nen Al­ters­ren­te um 0,5 % für je­den Mo­nat, um den der Ren­ten­zah­lungs­be­ginn vor Voll­endung des 60. Le­bens­jah­res liegt.
...


§ 18
Vor­be­hal­te

(1) D behält sich vor, die Ver­sor­gungs­leis­tun­gen zu kürzen oder ein­zu­stel­len, wenn die bei In­kraft­tre­ten der Ver­sor­gungs­ord­nung maßge­ben­den Verhält­nis­se sich nach­hal­tig so we­sent­lich geändert ha­ben, daß D die Auf­recht­er­hal­tung der zu­ge­sag­ten Ver­sor­gungs­leis­tun­gen auch un­ter ob­jek­ti­ver Be­ach­tung der Be­lan­ge des Ver­sor­gungs­be­rech­tig­ten nicht mehr zu­ge­mu­tet wer­den können.
...


§ 20
An­pas­sung der lau­fen­den Leis­tun­gen

...
(2) Im übri­gen hat D ei­ne An­pas­sung al­ler lau­fen­den Ren­ten gem. § 16 Be­trAVG al­le drei Jah­re zu prüfen und hierüber nach bil­li­gem Er­mes­sen zu ent­schei­den; da­bei sind ins­be­son­de­re die Be­lan­ge des Ver­sor­gungs­empfängers und die wirt­schaft­li­che La­ge von D zu berück­sich­ti­gen. ...“


§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der nach § 160 SGB VI er­las­se­nen Ver­ord­nung über maßge­ben­de Re­chen­größen der So­zi­al­ver­si­che­rung für 2003 (So­zi­al­ver­si­che­rungs-Re­chen­größen­ver­ord­nung 2003) vom 17. De­zem­ber 2002 (BGBl. I
 


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S. 4561) hat­te die Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze in der Ren­ten­ver­si­che­rung der Ar­bei­ter und An­ge­stell­ten für das Jahr 2003 auf 55.200,00 Eu­ro jähr­lich und 4.600,00 Eu­ro mo­nat­lich fest­ge­setzt. Durch Art. 2 Nr. 4 des Ge­set­zes zur Si­che­rung der Bei­tragssätze in der ge­setz­li­chen Kran­ken­ver­si­che­rung und in der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung (Bei­trags­satz­si­che­rungs­ge­setz - BSSichG) vom 23. De­zem­ber 2002 (BGBl. I S. 4637) wur­de § 275c in das SGB VI ein­gefügt. Die­se Vor­schrift trat zum 1. Ja­nu­ar 2003 in Kraft und leg­te die Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze in der Ren­ten­ver­si­che­rung der Ar­bei­ter und An­ge­stell­ten (West) für das Jahr 2003 auf 61.200,00 Eu­ro jähr­lich und 5.100,00 Eu­ro mo­nat­lich fest. Zu­dem wur­den in § 275c Abs. 3 SGB VI die un­ge­run­de­ten Aus­gangs­wer­te für die Be­stim­mung der Bei­trags­be­mes­sungs-gren­ze des Jah­res 2004 fest­ge­legt. Dies hat­te und hat zur Fol­ge, dass sich die ein­ma­li­ge stärke­re Erhöhung der Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze des Jah­res 2003 im Er­geb­nis auch für die fol­gen­den Jah­re erhöhend bei der Fort­schrei­bung der Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze durch Ver­ord­nun­gen gemäß § 160 SGB VI aus-wirk­te und aus­wirkt. So wur­de die Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze in der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der wie­der­um nach § 160 SGB VI er­las­se­nen Ver­ord­nung über maßge­ben­de Re­chen­größen der So­zi­al­ver­si­che­rung für 2004 (So­zi­al­ver­si­che­rungs-Re­chen­größen­ver­ord­nung 2004) vom 9. De­zem­ber 2003 für das Jahr 2004 auf 61.800,00 Eu­ro jähr­lich und 5.150,00 Eu­ro mo­nat­lich und nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Ver­ord­nung über maßge­ben­de Re­chen­größen der So­zi­al­ver­si­che­rung für 2005 (So­zi­al­ver­si­che­rungs-Re­chen­größen­ver­ord­nung 2005) vom 29. No­vem­ber 2004 für das Jahr 2005 auf 62.400,00 Eu­ro jähr­lich und 5.200,00 Eu­ro mo­nat­lich fest­ge­setzt.


In­fol­ge der „außer­planmäßigen“ Erhöhung der Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze für das Jahr 2003 ver­rin­ger­te sich die „Aus­gangs­ren­te“ des Klägers nach § 7 VO 95 um mo­nat­lich 58,83 Eu­ro.


Mit der am 16. No­vem­ber 2009 beim Ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nen Kla­ge hat sich der Kläger un­ter Be­ru­fung auf die in den Ur­tei­len des Se­nats vom 21. April 2009 (- 3 AZR 695/08 - BA­GE 130, 214 und - 3 AZR 471/07 - AP SGB VI § 159 Nr. 1) auf­ge­stell­ten Grundsätze ge­gen die von der Be­klag­ten vor­ge­nom­me­ne Be­rech­nung sei­ner vor­zei­ti­gen Al­ters­leis­tung ge­wandt und die
 


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Auf­fas­sung ver­tre­ten, sei­ne Al­ters­ren­te sei oh­ne Berück­sich­ti­gung der „außer­planmäßigen“ An­he­bung der Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze im Jahr 2003 zu be­rech­nen. Die VO 95 sei durch die „außer­planmäßige“ An­he­bung der Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze in der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung zum 1. Ja­nu­ar 2003 lücken­haft ge­wor­den. Die Lücke sei im We­ge der ergänzen­den Aus­le­gung da­hin zu schließen, dass die vor­ge­zo­ge­ne Al­ters­ren­te un­ter Außer­acht­las­sung der „außer­planmäßigen“ An­he­bung der Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze be­rech­net wer­de und von dem so er­rech­ne­ten Be­trag für die Zeit ab dem 1. Sep­tem­ber 2008 die Beträge in Ab­zug zu brin­gen sei­en, um die sich sei­ne ge­setz­li­che Ren­te in­fol­ge höhe­rer Bei­trags­zah­lun­gen erhöht hat.


Der Kläger hat zu­letzt be­an­tragt, 


die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an ihn 2.611,60 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen iHv. fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz aus je­weils 58,83 Eu­ro seit dem je­wei­li­gen Ers­ten ei­nes Mo­nats, be­gin­nend mit dem 1. Fe­bru­ar 2006 und en­dend mit dem 1. Ju­li 2008, aus je­weils 62,75 Eu­ro seit dem 1. Au­gust 2008 und seit dem 1. Sep­tem­ber 2008 und aus je­weils 48,08 Eu­ro seit dem je­wei­li­gen Ers­ten ei­nes Mo­nats, be­gin­nend mit dem 1. Ok­to­ber 2008 und en­dend mit dem 1. De­zem­ber 2009 zu zah­len.


Die Be­klag­te hat Kla­ge­ab­wei­sung be­an­tragt. 


Die Vor­in­stan­zen ha­ben die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Mit der Re­vi­si­on ver­folgt der Kläger sei­nen Kla­ge­an­trag wei­ter. Die Be­klag­te be­an­tragt die Zurück­wei­sung der Re­vi­si­on.


Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on des Klägers ist un­be­gründet. Die Vor­in­stan­zen ha­ben die Kla­ge zu Recht ab­ge­wie­sen. Die Kla­ge ist un­be­gründet. Dem Kläger steht der gel­tend ge­mach­te Zah­lungs­an­spruch nicht zu. Die Be­klag­te hat die vor­ge­zo­ge­ne Al­ters­ren­te des Klägers nach der VO 95 zu­tref­fend be­rech­net. Ih­re Be­rech­nung ent­spricht den Vor­ga­ben der §§ 5 und 6 iVm. § 7 VO 95. Der Kläger kann we­der auf­grund ei­ner ergänzen­den Aus­le­gung der §§ 5 und 6 VO 95 noch

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we­gen ei­ner Störung der Geschäfts­grund­la­ge (§ 313 Abs. 1 BGB) ei­ne höhe­re als die von der Be­klag­ten ge­zahl­te Al­ters­ren­te be­an­spru­chen.


I. Der Kläger kann den von ihm gel­tend ge­mach­ten An­spruch auf ei­ne höhe­re Al­ters­ren­te nicht auf ei­ne ergänzen­de Aus­le­gung der §§ 5 und 6 VO 95 stützen. Da­bei kann da­hin­ste­hen, ob die VO 95 in­fol­ge der „außer­planmäßigen“ An­he­bung der Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze durch § 275c SGB VI zum 1. Ja­nu­ar 2003 über­haupt lücken­haft ge­wor­den ist. Ei­ne ergänzen­de Aus­le­gung der VO 95 schei­det je­den­falls des­halb aus, weil meh­re­re gleich­wer­ti­ge Möglich­kei­ten zur Sch­ließung ei­ner even­tu­el­len Re­ge­lungslücke be­ste­hen und es sich nicht fest­stel­len lässt, für wel­che Möglich­keit die Par­tei­en sich ent­schie­den hätten, wenn sie die „außer­planmäßige“ An­he­bung der Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze vor­her­ge­se­hen hätten.


1. Der Se­nat hat in den Ur­tei­len vom 21. April 2009 (- 3 AZR 695/08 - BA­GE 130, 214 und - 3 AZR 471/07 - AP SGB VI § 159 Nr. 1; zur Kri­tik an die­sen Ent­schei­dun­gen vgl. et­wa Böhm/Ul­brich BB 2010, 1341, 1342; Bor­mann Be­trAV 2011, 596, 597 ff.; Cisch/Bleeck BB 2010, 1215, 1219 f.; Dil­ler NZA 2012, 22, 23 ff.; Höfer Be­trAVG Stand Au­gust 2012 ART Rn. 816.4 f.; Hölscher/Jan­ker Be­trAV 2010, 141, 142 f.; Rolfs in Blo­mey­er/Rolfs/Ot­to Be­trAVG 5. Aufl. Anh § 1 Rn. 224a ff.; We­ber DB 2010, 1642, 1643 f.) an­ge­nom­men, Ver­sor­gungs­ord­nun­gen, die für den Teil des ver­sor­gungsfähi­gen Ein­kom­mens ober­halb der Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze in der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung höhe­re Ver­sor­gungs­leis­tun­gen vor­se­hen als für den dar­un­ter lie­gen­den Teil (sog. ge­spal­te­ne Ren­ten­for­mel), sei­en durch die „außer­planmäßige“ Erhöhung der Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze in der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung um 500,00 Eu­ro mo­nat­lich nach § 275c SGB VI zum 1. Ja­nu­ar 2003 re­gelmäßig lücken­haft ge­wor­den. Auch wenn die Ver­sor­gungs­zu­sa­ge nicht aus­drück­lich auf § 159 SGB VI und auch nicht auf § 160 SGB VI ver­wei­se, sei durch das Ab­stel­len auf die Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze in der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung zu­gleich die An­pas­sungs­re­gel des § 159 SGB VI in Be­zug ge­nom­men wor­den. Der Be­griff der Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze, wie er in Ver­sor­gungs­ord­nun­gen all­ge­mein ver­wen­det wer­de, sei mit dem Prin­zip der


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An­he­bung der Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze ent­spre­chend der durch­schnitt­li­chen Lohn- und Ge­halts­ent­wick­lung nach § 159 SGB VI ver­bun­den. Die­ses Prin­zip ha­be ei­ne lan­ge Tra­di­ti­on. Da­von sei der Ge­setz­ge­ber durch § 275c SGB VI ab­ge­wi­chen. Dies führe da­zu, dass der mit der ge­spal­te­nen Ren­ten­for­mel ver­folg­te Re­ge­lungs­zweck nicht mehr er­reicht wer­den könne. Die­ser lie­ge dar­in, den im Ein­kom­mens­be­reich über der Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze be­ste­hen­den höhe­ren Ver­sor­gungs­be­darf durch höhe­re Ver­sor­gungs­leis­tun­gen ab­zu­de­cken, da für die­sen Teil des ver­sor­gungsfähi­gen Ein­kom­mens kein An­spruch auf ge­setz­li­che Ren­te er­wor­ben wer­den könne. Die­ses Ver­sor­gungs­ziel wer­de auf­grund der „außer­planmäßigen“ An­he­bung der Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze zum 1. Ja­nu­ar 2003 ver­fehlt, da die Ein­kom­mens­be­stand­tei­le, die über dem all­ge­mei­nen An­stieg der Gehälter lie­gen, nun mit ei­nem nied­ri­ge­ren Ver­sor­gungs­pro­zent­satz be­wer­tet würden. Dies führe zu Ver­sor­gungs­ein­bußen, so­lan­ge den Bei­trags­zei­ten noch kei­ne ent­spre­chen­de Ver­bes­se­rung der ge­setz­li­chen Ren­te ge­genüber­ste­he. Die Re­ge­lungslücke sei im We­ge ergänzen­der Aus­le­gung ent­spre­chend dem ursprüng­li­chen Re­ge­lungs­plan da­hin zu schließen, dass die Be­triebs­ren­te oh­ne Berück­sich­ti­gung der „außer­planmäßigen“ An­he­bung der Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze be­rech­net wer­de und von dem so er­rech­ne­ten Be­trag die Beträge in Ab­zug zu brin­gen sei­en, um die sich die ge­setz­li­che Ren­te in­fol­ge höhe­rer Bei­trags­zah­lun­gen erhöht hat.


2. An die­ser Recht­spre­chung hält der Se­nat nicht mehr fest. Es kann da­hin­ste­hen, ob ei­ne ergänzen­de Aus­le­gung der VO 95 be­reits des­halb aus-schei­det, weil die VO 95 durch die „außer­planmäßige“ Erhöhung der Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze in der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung nicht lücken­haft ge­wor­den ist. Selbst wenn nachträglich ei­ne Re­ge­lungslücke in der VO 95 ent­stan­den sein soll­te, schei­det ei­ne Lücken­sch­ließung im We­ge ergänzen­der Ver­trags­aus­le­gung aus.


a) Vor­aus­set­zung für ei­ne ergänzen­de Ver­trags­aus­le­gung ist, dass die Ver­ein­ba­rung der Par­tei­en ei­ne Re­ge­lungslücke im Sin­ne ei­ner plan­wid­ri­gen Un­vollständig­keit auf­weist (BAG 9. De­zem­ber 2008 - 3 AZR 431/07 - Rn. 25). Ei­ne Re­ge­lungslücke liegt dann vor, wenn die Par­tei­en ei­nen Punkt über­se­hen
 


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oder wenn sie ihn zwar nicht über­se­hen, aber be­wusst of­fen­ge­las­sen ha­ben, weil sie ihn im Zeit­punkt des Ver­trags­schlus­ses nicht für re­ge­lungs­bedürf­tig ge­hal­ten ha­ben, und wenn sich die­se An­nah­me nachträglich als un­zu­tref­fend her­aus­stellt. Von ei­ner plan­wid­ri­gen Un­vollständig­keit kann nur ge­spro­chen wer­den, wenn der Ver­trag ei­ne Be­stim­mung ver­mis­sen lässt, die er­for­der­lich ist, um den ihm zu­grun­de lie­gen­den Re­ge­lungs­plan der Par­tei­en zu ver­wirk­li­chen, mit­hin oh­ne Ver­vollständi­gung des Ver­trags ei­ne an­ge­mes­se­ne, in­ter­es­sen­ge­rech­te Lösung nicht zu er­zie­len wäre (BAG 17. April 2012 - 3 AZR 803/09 - Rn. 24 mwN; BGH 15. No­vem­ber 2012 - VII ZR 99/10 - Rn. 15 mwN, NJW 2013, 678).

b) Es kann of­fen­blei­ben, ob hier ei­ne Re­ge­lungslücke in die­sem Sin­ne vor­liegt. Im We­ge der ergänzen­den Ver­trags­aus­le­gung tritt an die Stel­le der lücken­haf­ten Ver­trags­be­din­gung die­je­ni­ge Ge­stal­tung, die die Par­tei­en bei ei­ner an­ge­mes­se­nen Abwägung der bei­der­sei­ti­gen In­ter­es­sen nach Treu und Glau­ben als red­li­che Ver­trags­par­tei­en ver­ein­bart hätten, wenn ih­nen die Lücken­haf­tig­keit des Ver­trags be­kannt ge­we­sen wäre (st. Rspr., vgl. BAG 19. Mai 2010 - 4 AZR 796/08 - Rn. 31, BA­GE 134, 283; 25. April 2007 - 5 AZR 627/06 - Rn. 26, BA­GE 122, 182). Zunächst ist hierfür an den Ver­trag selbst an­zu­knüpfen, denn die in ihm ent­hal­te­nen Re­ge­lun­gen und Wer­tun­gen, sein Sinn und Zweck sind Aus­gangs­punkt der Ver­trags­ergänzung. So­weit ir­gend möglich, sind da­nach Lücken im We­ge der ergänzen­den Ver­trags­aus­le­gung in der Wei­se aus­zufüllen, dass die Grundzüge des kon­kre­ten Ver­trags „zu En­de ge­dacht“ wer­den (BAG 17. April 2012 - 3 AZR 803/09 - Rn. 31 mwN). Da es sich bei der dem Kläger er­teil­ten Ver­sor­gungs­zu­sa­ge nach den Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts, die von den Par­tei­en nicht an­ge­grif­fen wur­den, um ei­ne Ge­samt­zu­sa­ge han­delt, die Re­ge­lun­gen der VO 95 dem­nach All­ge­mei­ne Geschäfts­be­din­gun­gen sind, hat die ergänzen­de Aus­le­gung nach ei­nem ob­jek­tiv-ge­ne­ra­li­sie­ren­den Maßstab zu er­fol­gen, der am Wil­len und In­ter­es­se der ty­pi­scher­wei­se be­tei­lig­ten Ver­kehrs­krei­se (und nicht nur der kon­kret be­tei­lig­ten Par­tei­en) aus­ge­rich­tet sein muss. Die Ver­trags­ergänzung muss für den be­trof­fe­nen Ver­trags­typ als all­ge­mei­ne Lösung ei­nes im­mer wie­der­keh­ren­den In­ter­es­sen­ge­gen­sat­zes an­ge­mes­sen sein (vgl. BAG 29. Ju­ni 2011 - 5 AZR
 


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651/09 - Rn. 20, AP TVG § 1 Ta­rif­verträge: Arzt Nr. 45; 25. April 2007 - 5 AZR 627/06 - Rn. 26, BA­GE 122, 182; BGH 6. No­vem­ber 2009 - V ZR 63/09 - Rn. 43, NVwZ 2010, 531; 12. Ok­to­ber 2005 - IV ZR 162/03 - Rn. 47, BGHZ 164, 297). Las­sen sich nach die­sen Kri­te­ri­en hin­rei­chen­de An­halts­punk­te für ei­nen hy­po­the­ti­schen Par­tei­wil­len nicht fin­den, et­wa weil meh­re­re gleich­wer­ti­ge Möglich­kei­ten der Lücken­sch­ließung in Be­tracht kom­men, schei­det ei­ne ergänzen­de Ver­trags­aus­le­gung grundsätz­lich aus (BGH 10. Fe­bru­ar 2009 - VI ZR 28/08 - Rn. 24 mwN, NJW 2009, 1482; 20. Ju­li 2005 - VIII ZR 397/03 - zu II 3 b der Gründe, MDR 2006, 163; vgl. auch BAG 24. Ok­to­ber 2007 - 10 AZR 825/06 - BA­GE 124, 259). Hier­durch wer­den die Par­tei­en vor ei­ner Aus­wahl durch das Ge­richt nach des­sen ei­ge­nen Kri­te­ri­en geschützt, weil dies mit dem Grund­satz der Pri­vat­au­to­no­mie un­ver­ein­bar wäre (vgl. BGH 10. Ok­to­ber 2012 - IV ZR 12/11 - Rn. 73 mwN).


c) Vor­lie­gend kommt un­ter Berück­sich­ti­gung der In­ter­es­sen­la­ge ty­pi­scher Ver­trags­par­tei­en nicht nur ei­ne Ergänzung des Ver­trags da­hin in Be­tracht, dass bei der Be­rech­nung der Al­ters­ren­te von ei­ner um die „außer­planmäßige“ An­he­bung der durch § 275c SGB VI „be­rei­nig­ten“ Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze un­ter gleich­zei­ti­ger An­rech­nung der durch die­se An­he­bung in der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung er­ziel­ten höhe­ren ge­setz­li­chen Ren­te aus­zu­ge­hen ist. Viel­mehr be­ste­hen un­ter Berück­sich­ti­gung von Sinn und Zweck der in den §§ 5 und 6 VO 95 ge­trof­fe­nen Re­ge­lun­gen wei­te­re recht­lich zulässi­ge und in­ter­es­sen­ge­rech­te Möglich­kei­ten zur Sch­ließung ei­ner et­wai­gen nachträglich ein­ge­tre­te­nen Re­ge­lungslücke. Sinn und Zweck ei­ner „ge­spal­te­nen Ren­ten­for­mel“ wie der­je­ni­gen in §§ 5 und 6 VO 95 ist es, den im Ein­kom­mens­be­reich über der Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze be­ste­hen­den erhöhten Ver­sor­gungs­be­darf über die hierfür vor­ge­se­he­ne höhe­re Leis­tung ab­zu­de­cken, da die­ser Teil der Bezüge nicht durch die ge­setz­li­che Al­ters­ren­te ab­ge­si­chert ist (BAG 21. April 2009 - 3 AZR 695/08 - Rn. 23, BA­GE 130, 214). Des­halb wäre es eben­so denk­bar, dass sich die Par­tei­en im Hin­blick dar­auf, dass sich die Aus­wir­kun­gen der „außer­planmäßigen“ Erhöhung der Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze ver­rin­gern, je später nach dem 1. Ja­nu­ar 2003 der Ver­sor­gungs­fall ein­tritt, auf ei­ne we­ni­ge Jah­re be­grenz­te Über­g­angs­re­ge­lung für ren­ten­na­he Jahrgänge verständigt
 


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hätten. Eben­so wäre ei­ne Lücken­sch­ließung der­ge­stalt in Be­tracht ge­kom­men, dass die Be­triebs­zu­gehörig­keit bis zum 31. De­zem­ber 2002 und die Be­triebs­zu­gehörig­keit da­nach bei der Be­rech­nung des Al­ters­ru­he­gel­des ent­spre­chend der Be­rech­nungs­wei­se aus der „Bar­ber-Ent­schei­dung“ des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs (17. Mai 1990 - C-262/88 - Slg. 1990, I-1889; vgl. auch BAG 3. Ju­ni 1997 - 3 AZR 910/95 - BA­GE 86, 79) un­ter­schied­lich be­han­delt wer­den (so et­wa We­ber DB 2010, 1642). Da­nach könn­te für bis zum 31. De­zem­ber 2002 er­dien­te An­wart­schafts­tei­le ei­ne Kor­rek­tur der Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze um die „außer­planmäßige“ An­he­bung zum 1. Ja­nu­ar 2003 vor­ge­nom­men wer­den, weil in­so­weit kei­ne Ren­ten­stei­ge­run­gen in der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung er­reicht wer­den konn­ten; für ab dem 1. Ja­nu­ar 2003 er­dien­te Ver­sor­gungs­an­wart­schaf­ten wäre die erhöhte Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze zu­grun­de zu le­gen, weil ab die­sem Zeit­punkt auch An­wart­schaf­ten in der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung er­wor­ben wer­den. Dies hätte zur Fol­ge, dass für die Be­rech­nung des Teils der Ren­ten­an­wart­schaft ober­halb der Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze ei­ne Tren­nung in die Zeit vor dem 1. Ja­nu­ar 2003 und die Zeit da­nach vor­ge­nom­men wer­den müss­te (vgl. hier­zu ausführ­lich We­ber DB 2010, 1642).

II. Der Kläger kann sei­nen An­spruch auf ei­ne höhe­re Al­ters­ren­te auch nicht mit Er­folg auf ei­ne Störung der Geschäfts­grund­la­ge (§ 313 BGB) stützen. Nach § 313 Abs. 1 BGB kann ei­ne An­pas­sung des Ver­trags ver­langt wer­den, wenn sich Umstände, die zur Grund­la­ge des Ver­trags ge­wor­den sind, nach Ver­trags­schluss schwer­wie­gend verändert ha­ben und die Par­tei­en den Ver­trag nicht oder mit an­de­rem In­halt ge­schlos­sen hätten, wenn sie die­se Verände­rung vor­aus­ge­se­hen hätten; ei­ne Ver­trags­an­pas­sung kommt al­ler­dings nur in Be­tracht, so­weit ei­nem Teil un­ter Berück­sich­ti­gung al­ler Umstände des Ein­zel­falls, ins­be­son­de­re der ver­trag­li­chen oder ge­setz­li­chen Ri­si­ko­ver­tei­lung, das Fest­hal­ten am un­veränder­ten Ver­trag nicht zu­ge­mu­tet wer­den kann. Dar­an fehlt es. Ei­ne Ver­trags­an­pas­sung nach den Re­geln über die Störung der Geschäfts­grund­la­ge schei­tert zwar nicht von vorn­her­ein dar­an, dass die Ver­sor­gungs­ver­ein­ba­rung der Par­tei­en in­fol­ge der „außer­planmäßigen“ Erhöhung der Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze in der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung durch § 275c



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SGB VI lücken­haft ge­wor­den sein könn­te. Ei­ne Ver­tragslücke stünde der An­wen­dung der Re­geln über die Störung der Geschäfts­grund­la­ge nicht ent­ge­gen. Die durch die „außer­planmäßige“ An­he­bung der Bei­trags­be­mes­sungs-gren­ze in der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung zum 1. Ja­nu­ar 2003 ver­ur­sach­te Ver­sor­gungs­ein­buße des Klägers von ca. 8 % ist je­doch nicht so schwer­wie­gend, dass ihm ein Fest­hal­ten am un­veränder­ten Ver­trag un­zu­mut­bar wäre.

1. Selbst wenn die VO 95 durch die „außer­planmäßige“ An­he­bung der Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze in der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung lücken­haft ge­wor­den sein soll­te, weil der in §§ 5 und 6 VO 95 ver­wen­de­te Be­griff der Bei­trags­be­mes­sungs­gren­zen in der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung mit dem Prin­zip der An­he­bung der Bei­trags­be­mes­sungs­gren­zen ent­spre­chend der durch­schnitt­li­chen Lohn- und Ge­halts­ent­wick­lung nach § 159 SGB VI ver­bun­den wäre, stünde dies der An­wen­dung der Re­geln über die Störung der Geschäfts­grund­la­ge (§ 313 Abs. 1 BGB) nicht ent­ge­gen.


Zwar sind Geschäfts­grund­la­ge nur die nicht zum Ver­trags­in­halt ge­wor­de­nen, bei Ver­trags­schluss be­ste­hen­den ge­mein­sa­men Vor­stel­lun­gen bei­der Par­tei­en oder die dem Geschäfts­geg­ner er­kenn­ba­ren und von ihm nicht be­an­stan­de­ten Vor­stel­lun­gen der ei­nen Ver­trags­par­tei von dem Vor­han­den­sein oder dem künf­ti­gen Ein­tritt ge­wis­ser Umstände, so­fern der Geschäfts­wil­le der Par­tei­en auf die­ser Vor­stel­lung be­ruht (vgl. BAG 11. Ju­li 2012 - 2 AZR 42/11 - Rn. 32, EzA BGB 2002 § 123 Nr. 12; BGH 7. März 2013 - VII ZR 68/10 - Rn. 18; 8. Fe­bru­ar 2006 - VIII ZR 304/04 - Rn. 8 mwN, NJW-RR 2006, 1037). Was Ver­trags­in­halt ist, kann dem­nach nicht zu­gleich Geschäfts­grund­la­ge sein (vgl. BGH 27. Sep­tem­ber 1991 - V ZR 191/90 - zu 1 der Gründe, MDR 1992, 481). Al­ler­dings schei­det ei­ne An­pas­sung des Ver­trags gemäß § 313 Abs. 1 BGB nur dann aus, wenn der Ver­trag nach sei­nem durch Aus­le­gung und ggf. durch ergänzen­de Aus­le­gung zu er­mit­teln­den In­halt Re­geln für den Weg­fall, die Ände­rung oder das Feh­len be­stimm­ter Umstände enthält (vgl. BGH 9. Ja­nu­ar 2009 - V ZR 168/07 - Rn. 12, NJW 2009, 1348; 24. Ja­nu­ar 2008 - III ZR 79/07 - Rn. 12, NJW-RR 2008, 562; 1. Fe­bru­ar 1984 - VIII ZR 54/83 - zu II 3 b bb der Gründe, BGHZ 90, 69). Dies ist vor­lie­gend nicht der Fall, weil die

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§§ 5 und 6 VO 95 ei­ner ergänzen­den Aus­le­gung, die die „außer­planmäßige“ An­he­bung der Bei­trags­be­mes­sungs­gren­zen in der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung durch § 275c SGB VI berück­sich­tigt, nicht zugäng­lich sind.

2. Es kann da­hin­ste­hen, ob die Par­tei­en den Um­stand, dass die An­he­bung der Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze in der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung stets ent­spre­chend der durch­schnitt­li­chen Lohn- und Ge­halts­ent­wick­lung iSd. § 159 SGB VI er­folgt, zur Geschäfts­grund­la­ge der VO 95 ge­macht ha­ben. Selbst wenn dies der Fall sein soll­te, wäre die Geschäfts­grund­la­ge in­fol­ge der „außer­planmäßigen“ An­he­bung der Bei­trags­be­mes­sungs­gren­zen durch § 275c SGB VI nicht so schwer­wie­gend gestört, dass dem Kläger ein Fest­hal­ten an der ursprüng­li­chen Ver­ein­ba­rung nicht mehr zu­ge­mu­tet wer­den könn­te. Die „außer­planmäßige“ Erhöhung der Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze in der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung um 500,00 Eu­ro mo­nat­lich und 6.000,00 Eu­ro jähr­lich nach § 275c SGB VI führt für den Kläger, des­sen Al­ters­ren­te bei Ein­tritt des in § 7 VO 95 vor­ge­se­hen Ver­sor­gungs­falls 670,51 Eu­ro be­trug, zu ei­ner Ver­sor­gungs­ein­buße von ca. 8 %. Oh­ne die „außer­planmäßige“ An­he­bung der Bei­trags­be­mes­sungs­gren­ze in der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung durch § 275c SGB VI hätte sich die vor­ge­zo­ge­ne Al­ters­ren­te des Klägers auf 729,34 Eu­ro be­lau­fen. Die­se Ver­sor­gungs­ein­buße ist nicht so gra­vie­rend, dass ihm ein Fest­hal­ten an der un­veränder­ten Ver­ein­ba­rung nicht mehr zu­ge­mu­tet wer­den könn­te.


a) Nicht je­de ein­schnei­den­de Verände­rung der bei Ver­trags­ab­schluss be­ste­hen­den oder ge­mein­sam er­war­te­ten Verhält­nis­se recht­fer­tigt ei­ne Ver­trags­an­pas­sung. Er­for­der­lich ist nach § 313 Abs. 1 BGB viel­mehr, dass der be­trof­fe­nen Par­tei un­ter Berück­sich­ti­gung al­ler Umstände des Ein­zel­falls, ins­be­son­de­re der ver­trag­li­chen oder ge­setz­li­chen Ri­si­ko­ver­tei­lung, das Fest­hal­ten am un­veränder­ten Ver­trag nicht zu­ge­mu­tet wer­den kann. Dies kann nur an­ge­nom­men wer­den, wenn ein Fest­hal­ten an der ver­ein­bar­ten Re­ge­lung für die be­trof­fe­ne Par­tei zu ei­nem nicht mehr trag­ba­ren Er­geb­nis führt (BGH 1. Fe­bru­ar 2012 - VIII ZR 307/10 - Rn. 30 mwN, NJW 2012, 1718).
 


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b) Das Fest­hal­ten an der un­veränder­ten Ver­sor­gungs­re­ge­lung führt für den Kläger nicht zu ei­nem un­trag­ba­ren, mit Recht und Ge­rech­tig­keit nicht zu ver­ein­ba­ren­den Er­geb­nis.


Da­bei kann of­fen­blei­ben, ob die vom Kläger hin­zu­neh­men­de Ver­sor­gungs­ein­buße ent­spre­chend den Erwägun­gen des Se­nats in dem Ur­teil vom 30. März 1973 (- 3 AZR 26/72 - BA­GE 25, 146) bis zu 40 % beträgt. In die­ser vor In­kraft­tre­ten des § 16 Be­trAVG er­gan­ge­nen Ent­schei­dung hat­te der Se­nat an­ge­nom­men, dass der Ar­beit­ge­ber ver­pflich­tet war, An­pas­sungs­ver­hand­lun­gen mit dem Ar­beit­neh­mer auf­zu­neh­men, wenn der ein­ge­tre­te­ne Kauf­kraft­ver­lust 40 % be­trug. Es be­darf auch kei­ner Ent­schei­dung, ob die Schwel­le zur Un­zu­mut­bar­keit („Op­fer­gren­ze“) be­reits früher über­schrit­ten und ggf. in An­leh­nung an die Recht­spre­chung des Fünf­ten Se­nats des BAG (11. Ok­to­ber 2006 - 5 AZR 721/05 - Rn. 23 mwN, AP BGB § 308 Nr. 6 = EzA BGB 2002 § 308 Nr. 6; 12. Ja­nu­ar 2005 - 5 AZR 364/04 - zu B I 4 c bb der Gründe, BA­GE 113, 140) zur Wirk­sam­keit der Ver­ein­ba­rung ei­nes Wi­der­rufs­vor­be­halts zu be­stim­men sein könn­te. Da­nach ist ein Wi­der­rufs­vor­be­halt nicht nach § 308 Nr. 4 BGB un­wirk­sam, wenn der im Ge­gen­sei­tig­keits­verhält­nis ste­hen­de wi­der­ruf­li­che Teil des Ge­samt­ver­diens­tes un­ter 25 % liegt und der Ta­rif­lohn nicht un­ter­schrit­ten wird; bei Zah­lun­gen des Ar­beit­ge­bers, die kei­ne un­mit­tel­ba­re Ge­gen­leis­tung für die Ar­beits­leis­tung dar­stel­len, son­dern Er­satz für Auf­wen­dun­gen sind, die an sich vom Ar­beit­neh­mer selbst zu tra­gen wären, kann der wi­der­ruf­li­che Teil der Ar­beits­vergütung bis zu 30 % be­tra­gen; in die­sen Gren­zen ist die Ände­rung der ver­ein­bar­ten Leis­tung für den Ar­beit­neh­mer zu­mut­bar iSd. § 308 Nr. 4 BGB. Je­den­falls ist ei­ne Ver­sor­gungs­ein­buße von ca. 8 % auch vor dem Hin­ter­grund, dass die Al­ters­ren­te nach der VO 95 Ent­gelt für Be­triebs­zu­gehörig­keit ist, nicht so schwer­wie­gend, dass dem Kläger ein Fest­hal­ten an der ursprüng­li­chen Ver­ein­ba­rung nicht mehr zu­ge­mu­tet wer­den könn­te.
 


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C. Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. 

Gräfl 

Schlewing 

Spin­ner

Schmidt 

Sil­ke Nötzel

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