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Pri­va­ter E-Mail-Ver­kehr am Ar­beits­platz als Kün­di­gungs­grund

Bei hem­mungs­lo­ser Nut­zung des dienst­li­chen In­ter­net­zu­gangs droht ei­ne au­ßer­or­dent­li­che Kün­di­gung: Lan­des­ar­beits­ge­richt Nie­der­sach­sen, Ur­teil vom 31.05.2010, 12 Sa 875/09
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05.08.2010. Die pri­va­te Nut­zung des dienst­li­chen E-Mail-Zu­gan­ges oder In­ter­net-Zu­gan­ges ist weit ver­brei­tet. Dies gilt be­dau­er­li­cher­wei­se nicht für Re­ge­lun­gen, die klar­stel­len, ob Ar­beit­neh­mer ih­ren Dienst­com­pu­ter über­haupt auf die­se Wei­se ver­wen­den dür­fen.

Als Pro­blem wird das The­ma vom Ar­beit­ge­ber ty­pi­scher­wei­se erst dann wahr­ge­nom­men, wenn ein Ar­beit­neh­mer sei­nen Zu­gang so stark pri­vat nutzt, dass sei­ne Ar­beits­leis­tung dar­un­ter lei­det.

Statt hier z.B. durch ei­ne Be­triebs­ver­ein­ba­rung, Wei­sung, Er­mah­nung oder auch Ab­mah­nung für kla­re Ver­hält­nis­se zu sor­gen, wird nicht sel­ten un­mit­tel­bar mit ei­ner au­ßer­or­dent­li­chen ver­hal­tens­be­ding­ten Kün­di­gung re­agiert. Die­ses Vor­ge­hen kann sich leicht als "Schuss nach hin­ten" her­aus­stel­len, denn nur in ex­tre­men Fäl­len darf so­fort ge­kün­digt wer­den. Ein ak­tu­el­les Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts (LAG) Nie­der­sach­sen zeigt sehr schön, wie ein sol­cher Ex­trem­fall aus­se­hen kann: LAG Nie­der­sach­sen, Ur­teil vom 31.05.2010, 12 Sa 875/09.

pri­va­te eMail- und In­ter­net­nut­zung als ver­meid­ba­res be­trieb­li­ches Pro­blem

Idea­ler­wei­se ist die pri­va­te eMail- und In­ter­net­nut­zung klar re­gelt. Grundsätz­lich ste­hen da­bei zwei ein­fa­che Möglich­kei­ten zur Verfügung: Ent­we­der die Pri­vat­nut­zung ist er­laubt oder ver­bo­ten.

Recht­lich ge­se­hen ist das Ver­bot pri­va­ter eMails, etc. der ein­fa­che­re Weg, da vie­le schwie­ri­ge da­ten­schutz­recht­li­che Fra­gen nicht berück­sich­tigt wer­den müssen. Al­ler­dings lässt sich ein sol­ches aus­nahms­lo­ses Ver­bot in al­ler Re­gel Ar­beit­neh­mern nicht ver­mit­teln oder gar prak­tisch dau­er­haft durch­set­zen.

Die Al­ter­na­ti­ve sind kla­re Be­stim­mun­gen darüber, wer, wann und wel­chem Um­fang das In­ter­net zu pri­va­ten Zwe­cken nut­zen darf. Ne­ben ei­ner ar­beits­ver­trag­li­chen Re­ge­lung oder ei­ner Be­triebs­ver­ein­ba­rung zwi­schen Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat können die­se Re­geln je nach der be­trieb­li­chen Si­tua­ti­on bei­spiels­wei­se auch per Wei­sung fest­ge­legt wer­den.

Die Pra­xis ist von die­sen Ide­al­zuständen weit ent­fernt. Sehr häufig wird die Pri­vat­nut­zung des In­ter­nets als mögli­ches Pro­blem nicht wahr­ge­nom­men oder schlicht un­kon­trol­liert ge­dul­det. Al­ler­dings lässt sich im Ein­zel­fall schwer sa­gen, ob le­dig­lich kein aus­drück­li­ches Ver­bot oder ei­ne still­schwei­gen­de Dul­dung vor­liegt.

Für Ar­beit­neh­mer kann dies durch­aus zu ei­nem ernst zu neh­men­den Pro­blem wer­den, denn nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­rich­tes gilt: Ar­beit­neh­mer ver­letz­ten mit ei­ner in­ten­si­ven zeit­li­chen Nut­zung des In­ter­nets während der Ar­beits­zeit zu pri­va­ten Zwe­cken ih­re ar­beits­ver­trag­li­chen Pflich­ten. Die­se Pflicht­ver­let­zung kann ein wich­ti­ger Grund zur außer­or­dent­li­chen (frist­lo­sen) Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses sein.

Ob ei­ne außer­or­dent­li­che ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung we­gen pri­va­ter eMails oh­ne vor­he­ri­ge Ab­mah­nung wirk­sam ist oder nicht hängt da­mit in ers­ter Li­nie da­von ab, in wel­chem Um­fang pri­vat Nach­rich­ten aus­ge­tauscht wer­den bzw. wie viel Ar­beits­zeit dafür auf­ge­wen­det wird. Ei­ne fes­te Dau­men­re­gel gibt es hier lei­der nicht. Si­cher ist nur, dass die pri­va­te E-Mail-Nut­zung "an sich" ein ge­eig­ne­ter Kündi­gungs­grund ist.

Ein ak­tu­el­les Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­rich­tes (LAG) Nie­der­sach­sen ist da­her durch­aus be­mer­kens­wert, denn er hier wur­de über ei­nen un­gewöhn­lich kla­ren Fall un­zulässi­ger pri­va­ter E-Mail-Nut­zung ent­schie­den (Ur­teil vom 31.05.2010, 12 Sa 875/09).

Der Fall: 750 DIN-A4-Sei­ten E-Mails führen zu ei­ner außer­or­dent­li­chen Kündi­gung

Der kla­gen­de Ar­beit­neh­mer war bei der be­klag­ten Ge­mein­de seit mehr als 30 Jah­ren beschäftigt, zu­letzt in lei­ten­der Po­si­ti­on als stell­ver­tre­ten­der Lei­ter des Bau­am­tes. Ei­ne aus­drück­li­che Re­ge­lung zur pri­va­ten Nut­zung der E-Mail-Funk­ti­on der Büroar­beitsplätze gab es zwar nicht, doch wur­de es in der Ver­gan­gen­heit ge­dul­det, dass E-Mails ver­sandt wur­den.

Der Kläger nutz­te sei­nen dienst­li­chen Rech­ner zum Aus­tausch mit vie­len Gesprächs­part­ne­rin­nen, die er über ei­ne In­ter­net­sei­te für „Chat und Part­ner­su­che“ ken­nen­ge­lernt hat­te. Al­lein in der Zeit vom 12.03.2008 bis zum 02.05.2008 hat­te der Kläger auf sei­nem Dienst­rech­ner hun­der­te pri­va­ter, in­ti­mer oder so­gar por­no­gra­phi­scher E-Mails und Bil­der sei­ner Part­ne­rin­nen ge­spei­chert, ins­ge­samt mehr als 750 DIN-A4-Sei­ten Text. An ei­ni­gen Ta­gen hat­te der Kläger zwi­schen 110 und 180 Nach­rich­ten er­hal­ten. Sei­ne ei­ge­nen E-Mails hat­te der Kläger gelöscht.

Anläss­lich ei­ner (später ge­richt­lich für un­wirk­sam erklärten) Kündi­gung, die der Kläger aus ei­nem an­de­ren Grund er­hal­ten hat­te, wur­de sein PC vom Ar­beit­ge­ber zur Über­prüfung von Ar­beitsrückständen über­prüft. Die­se Über­prüfung wur­de dann auf den Um­fang des pri­va­ten E-Mail-Ver­kehrs aus­ge­wei­tet.

Nach ord­nungs­gemäßer Anhörung des Per­so­nal­ra­tes erklärte die Ge­mein­de dem - ta­rif­lich unkünd­ba­ren - Kläger die außer­or­dent­li­che Kündi­gung mit ei­ner Aus­lauf­frist von gut ei­nem hal­ben Jahr. Sei­ne da­ge­gen er­ho­be­ne Kündi­gungs­schutz­kla­ge war vor dem Ar­beits­ge­richt Nien­burg er­folg­reich (Ur­teil vom 26.02.2009, 3 Ca 311/08). Die Ge­mein­de leg­te Be­ru­fung ein.

Lan­des­ar­beits­ge­richt Nie­der­sach­sen: Bei ei­ner so um­fang­rei­chen pri­va­ten Nut­zung kann oh­ne Ab­mah­nung gekündigt wer­den

Das LAG Nie­der­sach­sen hielt die Kündi­gung für wirk­sam und gab der Ge­mein­de Recht.

Aus­schlag­ge­bend für die­se Auf­fas­sung wa­ren die vie­len, vom Ar­beit­ge­ber vor­ge­leg­ten E-Mails. Zwar hat­te der Ar­beit­neh­mer sei­ne Nach­rich­ten gelöscht. Die Ant­wor­ten sei­ner Gesprächs­part­ne­rin­nen wa­ren aber Hin­weis ge­nug auf den Um­fang sei­ner pri­va­ten Ak­ti­vitäten. Das Ge­richt hat­te er­rech­net, dass vor lau­ter Nach­rich­ten­aus­tausch an min­des­tens drei Ta­gen kei­ne Zeit mehr zum Ar­bei­ten ge­blie­ben sein konn­te. Da­mit war oh­ne Wei­te­res ein Grund ge­ge­ben, der "an sich" für ei­ne Kündi­gung ge­eig­net war.

Auch die bei je­der außer­or­dent­li­chen Kündi­gung durch­zuführen­de In­ter­es­sen­abwägung ging zum Nach­teil des Ar­beit­neh­mers aus. We­der sei­ne jahr­zehn­te­lan­ge Be­triebs­zu­gehörig­keit, sein fort­ge­schrit­te­nes Al­ter, sei­ne Un­ter­halts­pflich­ten noch sei­ne so­zi­al­recht­lich an­er­kann­te Körper­be­hin­de­rung konn­te et­was an der "außer­or­dent­li­chen In­ten­sität" der Pflicht­ver­let­zung ändern. Er­schwe­rend kam hin­zu, dass der Ar­beit­neh­mer sei­nen mo­na­te­lan­gen pri­va­ten Nach­rich­ten­aus­tausch durch das Löschen von Nach­rich­ten ver­tu­schen woll­te.

An­ders als bei ei­nem ein­ma­li­gen "Aus­rut­scher" kann dem­ent­spre­chend die außer­or­dent­li­che Kündi­gung ei­nes langjährig beschäftig­ten Ar­beit­neh­mers auch oh­ne vor­an­ge­gan­ge­ne ein­schlägi­ge Ab­mah­nung ge­recht­fer­tigt sein, wenn der Mit­ar­bei­ter über ei­nen Zeit­raum von mehr als 7 Wo­chen täglich meh­re­re St­un­den, teil­wei­se so­gar den gan­zen Tag, mit dem Schrei­ben und Be­ant­wor­ten pri­va­ter E-Mails ver­bringt.

Fa­zit: Der hier ent­schie­de­ne Fall ist ein­deu­tig. Nie­mand kann gu­ten Ge­wis­sens an­neh­men, dass er sei­ne Ar­beits­zeit größten­teils nut­zen darf, um über das dienst­li­che E-Mail-Sys­tem pri­va­te Kon­tak­te an­zu­bah­nen. Ab­ge­se­hen von sol­chen ex­tre­men Ein­z­elfällen bleibt die La­ge aber oh­ne kla­re Ab­spra­chen für al­le Be­tei­lig­ten un­si­cher. Je­dem Un­ter­neh­men und je­dem Be­triebs­rat kann da­her nur ans Herz ge­legt wer­den, bei­spiels­wei­se das Mit­be­stim­mungs­recht aus § 87 Abs.1 Nr.1 Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG) zu nut­zen und den zeit­li­chen Um­fang der er­laub­ten In­ter­net­nut­zung und E-Mail-Nut­zung ge­mein­sam klar­zu­stel­len. So las­sen sich vie­le Kon­flik­te auch im di­gi­ta­len Zeit­al­ter von An­fang an ver­hin­dern.

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Letzte Überarbeitung: 24. August 2016

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