So auch im Fall eines Elternpaares aus Bielefeld, das während des Kita-Streiks seine Kinder nicht in der Kita betreuen lassen konnte. Die Eltern wollten dies nicht hinnehmen und versuchten in einem gerichtlichen Eilverfahren, den Streik vom Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm unterbinden zu lassen: LAG Hamm, Beschluss vom 29.10.2009, 8 SaGa 22/09.
Wenn die Gewerkschaft der Auffassung ist, dass Tarifverhandlungen, in denen sie sich befindet, am Scheitern sind, darf sie zum Streik aufrufen. Die Rechtsprechung hat dabei im Laufe der Zeit festgelegt, unter welchen Voraussetzungen ein Streik durchgeführt werden darf. Wenn die Beschäftigten streiken, verletzen sie „eigentlich“ die arbeitsvertragliche Pflicht zur Arbeit und begehen „eigentlich“ einen Rechtsverstoß. Aufgrund der in Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz (GG) geregelten Koalitionsfreiheit sind Streiks jedoch trotz des „eigentlichen“ Rechtsverstoßes zulässig.
Ein Streik ist nach der Rechtsprechung zulässig, wenn er von der Gewerkschaft getragen wird, ein tariflich zulässiges und regelbares Ziel hat, die bei noch laufenden Tarifverträgen ggfs. bestehende Friedenspflicht beachtet und erst nach versuchten Tarifverhandlungen durchgeführt wird. Der Streik selber darf zudem nicht unverhältnismäßig sein, haben Streikmaßnahmen also völlig untragbare oder existenzvernichtende Folgen für die Gegenseite, sind sie unzulässig.
Wenn diese Kriterien erfüllt sind, sind Streiks erlaubt, auch wenn „eigentlich“ ein Vertragsbruch vorliegt und zur wirtschaftlichen Schädigung des Arbeitgebers aufgerufen wird. Schließlich ist es gerade Sinn und Zweck eines Streiks, Druck auf den Arbeitgeber auszuüben, d.h. Streiks müssen dem Arbeitgeber „weh tun“, damit sie ihr Ziel erreichen können.
Streit gibt es mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit immer wieder über die politische Legitimität und rechtliche Zulässigkeit eines Streiks, von dem Dritte betroffen sind. Dies wird besonders in Bereichen diskutiert, die der Versorgung der Allgemeinheit dienen (Kitas, Krankenhäuser, Müllabfuhr, öffentlicher Nahverkehr). Kommen Arbeitnehmer zu spät zur Arbeit, weil der öffentliche Nahverkehr bestreikt wird oder bleiben Kindergärten streikbedingt geschlossen, liegen die Nerven der Betroffenen oft blank. Die grundsätzliche Sympathie mit den Zielen des Streiks mischt sich dann häufig mit der Empörung, selber von dem Streik betroffen zu sein. Auf Arbeitgeberseite bzw. von Streikgegnern werden die Nachteile, die Dritte durch den Streik erleiden und die sich daraus (angeblich) ergebende Schwierigkeit, Verständnis für die Streikziele zu wecken, als Argumente gegen den Streik ins Feld geführt.
Deshalb ist es nicht erstaunlich, dass danach gefragt wird, ob nicht nur Arbeitgeber und Arbeitgeberverbände sondern auch vom Streik betroffene Dritte einen Streik rechtlich unterbinden dürfen. Dies versuchte ein Bielefelder Elternpaar, das den im Jahr 2009 durchgeführten Kita-Streik nicht hinnehmen wollten. Diesen Fall hatte das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm zu entscheiden (Beschluss vom 29.10.2009, 8 SaGa 22/09).
Die Gewerkschaft Verdi und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) wollten mit dem öffentlichen Arbeitgeber über einen Tarifvertrag zum Gesundheitsschutz, insbesondere zum Schutz der Erzieher vor Lärmbelastungen, verhandeln und wandten sich deshalb Mitte 2009 an die Arbeitgeberseite. Da in dem laufenden Tarifvertrag Gesundheitsschutzregelungen fehlten, bestand diesbezüglich keine Friedenspflicht, d.h. wegen einer Gesundheitsschutzregelung durfte gestreikt werden. Die Arbeitgeberseite hielt die geforderte Gesundheitsschutzregelung allerdings für einen Vorwand der Gewerkschaften, um durch einen Streik auch ihre Position in den anstehenden Lohnverhandlungen zu stärken. Wegen der Lohnforderungen durfte nämlich nicht gestreikt werden, weil diesbezüglich noch bis Ende 2010 ein Tarifvertrag lief und das „Thema Lohn“ deshalb noch der Friedenspflicht unterlag.
Die beiden Kinder des Elternpaares Ralf und Simone Müller aus Bielefeld gingen 2009 in die kommunale Kita Siegfriedstraße in Gütersloh. Im Mai 2009 streikten auch dort die Beschäftigten. Die Eltern wollten das nicht hinnehmen und versuchten in einem Eilverfahren der Gewerkschaft gerichtlich den Streik zu verbieten. Vor dem Arbeitsgericht Bielefeld hatte sie damit keinen Erfolg (Urteil vom 17.06.2009, 5 Ga 30/09). Die Eltern legten deshalb Berufung zum Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm ein. Da der Streik zwischenzeitlich beendet war, erklärten beide Parteien den Rechtsstreit zwar für erledigt, das LAG musste jedoch entscheiden, wer die Kosten des Verfahrens zu tragen hatte und damit wer voraussichtlich der „Verlierer“ des Rechtsstreits gewesen wäre.
Das LAG entschied, dass die Eltern die Kosten des Rechtsstreits voll tragen mussten, weil sie in der Sache voraussichtlich unterlegen hätten.
Einen Anspruch, einen Streik zu verbieten, hat nämlich nur derjenige, der durch den Streik in so genannten „absolut geschützten Rechten“ (etwa Eigentum, Gesundheit) verletzt wird. Eine derartige Rechtsverletzung lag aber durch den Kita-Streik nicht vor. Auch wenn das Sorgerecht der Eltern die Entscheidung beinhalt, ob sie ihre Kinder zu Hause oder in der Kita betreuen, stellt die durch den Streik verhinderte Betreuung der Kinder in der Kita keinen Eingriff in die Gesundheit der Kinder oder das Erziehungsrecht der Eltern und damit absolut geschützte Rechte dar, meint das LAG. Die Eltern sind deshalb (unabhängig von der Frage, ob der Streik zulässig war oder nicht) schon nicht berechtigt, die Unterlassung des Streiks zu fordern.
Der von den Eltern behauptete Verstoß der Gewerkschaft gegen die Friedenspflicht geht sie deshalb aus rechtlicher Sicht nichts an, mit diesem Argument könnte nur die Arbeitgeberseite versuchen, den Streik zu unterbinden.
Fazit: Dritte, die durch Streiks Nachteile erleiden, müssen diese Nachteile hinnehmen. Ein Recht, einen Streik unterbinden zu lassen, haben sie nicht.
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Letzte Überarbeitung: 7. Juni 2015
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