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ARBEITSRECHT AKTUELL // 09/011

Eu­ro­pa­par­la­ment stoppt Re­form der Ar­beits­zeit­richt­li­nie

Bleibt beim The­ma Ar­beits­zeit nun doch al­les beim al­ten?: Be­schluss des Eu­ro­päi­schen Par­la­ments vom 17.12.2008
Europafahne Ist Be­reit­schafts­dienst nun Ar­beits­zeit oder nicht oder doch?

02.02.2009. Die Richt­li­nie 2003/88/EG des Eu­ro­päi­schen Par­la­ments und des Ra­tes vom 04.11.2003 über be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung (Richt­li­nie 2003/88/EG - „Ar­beits­zeit­richt­li­nie“) ent­hält Höchst­ar­beits­zei­ten für Ar­beit­neh­mer.

Sie gel­ten für al­le Staa­ten der Eu­ro­päi­schen Uni­on (EU), d.h. die­se Ar­beits­zeit­gren­zen sind von den EU-Mit­glieds­staa­ten in na­tio­na­les Recht um­zu­set­zen.

Der Um­set­zung der Ar­beits­zeit­richt­li­nie dient in Deutsch­land das Ar­beits­zeit­ge­setz (Arb­ZG), das 1994 die bis da­hin gel­ten­de, noch aus den 30er Jah­ren stam­men­de Ar­beits­zei­t­ord­nung (AZO) ab­lös­te.

We­sent­li­cher In­halt der AZO wie des Arb­ZG war und ist der seit 1920 an­er­kann­te Acht­stun­den­tag so­wie die Sechs­ta­ge­wo­che, wor­aus sich ei­ne im All­ge­mei­nen gel­ten­de Be­gren­zung der wö­chent­li­chen Ar­beits­zeit auf ma­xi­mal (8 x 6 =) 48 St­un­den er­gibt.

Den Be­griff der Ar­beits­zeit im Sin­ne der Richt­li­nie 2003/88/EG hat­te der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof (EuGH) in zwei Ent­schei­dun­gen aus den Jah­ren 2000 (Ur­teil vom 03.10.2000, C-303/98 - SI­MAP) und 2003 (Ur­teil vom 09.09.2003, C-151/02 - Ja­e­ger) so de­fi­niert, dass auch Zei­ten des „in­ak­ti­ven“ Be­reit­schafts­diens­tes als Ar­beits­zeit ge­zählt wer­den müs­sen.

Auf­grund des­sen war spä­tes­tens seit Sep­tem­ber 2003 klar, dass das Arb­ZG 1994 die Richt­li­nie 2003/88/EG nur man­gel­haft um­ge­setzt hat­te, da es den vom EuGH ver­tre­te­nen Grund­satz "Be­reit­schafts­dienst ist Ar­beits­zeit" nicht an­er­kann­te, son­dern nur Zei­ten der ak­ti­ven Be­reit­schafts­diens­tes („Her­an­zie­hungs­zei­ten“) als zu be­gren­zen­de Ar­beits­zeit an­sah.

In­fol­ge der Recht­spre­chung des EuGH in Sa­chen SI­MAP und Ja­e­ger muss­ten eu­ro­pa­weit die Ar­beits­zei­ten von Ärz­ten in Kli­ni­ken re­du­ziert wer­den, um nicht mit den durch die Richt­li­nie 2003/88/EG ge­for­der­ten Ar­beits­zeit­höchst­gren­zen in Kon­flikt zu ge­ra­ten.

Auch in Deutsch­land wur­de das Arb­ZG aus die­sem Grun­de, d.h. auf­grund man­gel­haf­ter Um­set­zung der Richt­li­nie 2003/88/EG im Be­reich des ärzt­li­chen Be­reit­schafts­diens­tes, zum 01.01.2004 no­vel­liert.

Seit­dem gilt auch in Deutsch­land der Grund­satz "Be­reit­schafts­dienst ist Ar­beits­zeit" - al­ler­dings mit ei­ner eu­ro­pa­recht­lich frag­wür­di­gen zwei­jäh­ri­gen Über­gangs­zeit zu­guns­ten be­ste­hen­der ta­rif­ver­trag­li­cher Ar­beits­zeit­re­ge­lun­gen (vgl. § 25 Arb­ZG).

Seit Ab­lauf die­ser letz­ten Schon­frist am 31.12.2006, d.h. ab dem 01.01.2007 gilt nun­mehr ge­ne­rell für den ärzt­li­chen Be­reit­schafts­dienst der Grund­satz, dass Be­reit­schafts­diens­te den für Ar­beits­zei­ten all­ge­mein gel­ten­den, aus der Richt­li­nie 2003/88/EG fol­gen­den und im Arb­ZG an­er­kann­ten Höchst­gren­zen un­ter­lie­gen, d.h. im ar­beits­zeit­recht­li­chen Sin­ne als Ar­beits­zeit an­zu­se­hen sind.

We­gen der durch die­se Rechts­ent­wick­lung ver­rin­ger­ten Höchst­ar­beits­zeit im ärzt­li­chen Dienst kam es zu fi­nan­zi­el­len Mehr­be­las­tun­gen für die Be­trei­ber von Kli­ni­ken.

In­fol­ge der jah­re­lan­gen in­ten­si­ven Lob­by­ar­beit der Kran­ken­haus­be­trei­ber ver­schie­de­ner eu­ro­päi­scher Staa­ten be­schloss der Mi­nis­ter­rat auf sei­ner Ta­gung vom 09./10.06.2008 ei­ne Än­de­rung der Ar­beits­zeit­richt­li­nie. Nach die­sem Ent­wurf soll es mög­lich sein, Zei­ten des „in­ak­ti­ven“ Be­reit­schafts­diens­tes nicht mehr als Ar­beits­zeit zu be­rück­sich­ti­gen.

Da­mit nicht ge­nug: Die der­zeit be­reits be­ste­hen­de Mög­lich­keit, die wö­chent­li­che Höchst­ar­beits­zeit von 48 St­un­den un­ter be­stimm­ten en­gen Vor­aus­set­zun­gen zu über­schrei­ten, falls der Ar­beit­neh­mer sein Ein­ver­ständ­nis hier­mit er­klärt hat („Opt-Out“, vgl. Art.17 Abs.5 Richt­li­nie 2003/88/EG), soll er­wei­tert wer­den (wir be­rich­te­ten dar­über in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 08/069 Ei­ni­gung über EU-Richt­li­ni­en zur Ar­beits­zeit und zur Leih­ar­beit).

Nun­mehr hat al­ler­dings das Eu­ro­päi­sche Par­la­ment dem Mi­nis­ter­rat ei­nen Strich durch die Rech­nung ge­macht und am 17.12.2008 den Neu­ent­wurf der Ar­beits­zeit­richt­li­nie mit ab­so­lu­ter Mehr­heit in zwei­ter Le­sung ab­ge­lehnt: Eu­ro­päi­sches Par­la­ment: 48 St­un­den wö­chent­li­che Höchst­ar­beits­zeit in EU, Pres­se­mel­dung vom 17.12.2008.

Das Par­la­ment sprach sich da­für aus, auch „in­ak­ti­ve“ Be­reit­schafts­dienst­zei­ten wie bis­her zwin­gend als Ar­beits­zeit an­zu­se­hen. Zu­dem müs­se die Opt-Out-Re­ge­lung in­ner­halb von drei Jah­ren aus­lau­fen, so dass ab die­sem Zeit­punkt die Mög­lich­keit, von der Höchst­ar­beit­zeit nach oben ab­zu­wei­chen, gar nicht mehr be­stün­de.

Jetzt müs­sen sich der Mi­nis­ter­rat und das Eu­ro­päi­sche Par­la­ment im Ver­mitt­lungs­aus­schuss in­ner­halb von drei Mo­na­ten über ei­nen ge­mein­sa­men Ent­wurf ei­ni­gen. An­sons­ten bleibt es bei der al­ten Ge­set­zes­la­ge (Art. 251 Abs. 2c, 3, 5, 6 EG-Ver­trag).

Nä­he­re In­for­ma­tio­nen zu die­sem Vor­gang fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 31. Januar 2019

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