09.04.2014. Manchmal streiten Arbeitnehmer und Arbeitgeber über das Vorliegen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit "verkehrt herum", d.h. der Arbeitnehmer möchte gerne arbeiten, aber der Arbeitsgeber meint, es läge Arbeitsunfähigkeit vor.
In einem heute entschiedenen Fall hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) klargestellt, dass eine langjährig beschäftigte Krankenschwester, die aus gesundheitlichen Gründen keine Nachtschichten mehr machen kann, von einem großen Krankenhaus verlangen kann, nur tagsüber eingesetzt zu werden.
Weist der Arbeitgeber keine leidensgerechte Arbeit im Tagdienst zu, übt er sein Weisungsrecht nicht richtig aus und befindet sich im Annahmeverzug: BAG, Urteil vom 09.04.2014, 10 AZR 637/13.
Arbeitnehmer sind arbeitsunfähig erkrankt, wenn sie aufgrund einer (unverschuldeten) Erkrankung ihre arbeitsvertraglichen Aufgaben nicht mehr erledigen können.
Sie können und brauchen dann nicht zu arbeiten, d.h. der Anspruch auf Beschäftigung entfällt vorübergehend ebenso wie die Arbeitspflicht. An sich würde dann infolge des Arbeitsausfalls auch der Lohnanspruch entfallen, doch greift hier § 3 Abs.1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) ein, wonach erkrankte Arbeitnehmer (trotz des Arbeitsausfalls) ihren Gehaltsanspruch sechs Wochen lang behalten.
Zur Krankheit im arbeitsrechtlichen Sinne gehören daher nicht nur ein medizinisches Leiden, sondern auch die arbeitsvertraglichen Aufgaben, die durch das Leiden unmöglich werden:
So kann eine Halsentzündung bei einer Lehrerin Arbeitsunfähigkeit verursachen (weil sie nicht mehr sprechen und daher nicht unterrichten kann), während ein Produktionshelfer mit demselben medizinischen Leiden noch arbeiten gehen könnte. Und umgekehrt kann eine Fußverstauchung den Produktionshelfer arbeitsunfähig machen, je nach Art der Verstauchung aber nicht unbedingt die Lehrerin.
Wenn der Arbeitgeber daher meint, der Arbeitnehmer sei arbeitsunfähig erkrankt und wenn er aus diesem Grund die ihm angebotene Arbeitsleistung zurückweist, kommt es für den Anspruch auf Beschäftigung entscheidend darauf an,
Dass die Arbeitsanweisungen wichtig sind, hat das BAG 2010 klargestellt: Soll der Arbeitnehmer gemäß der ihm zuletzt erteilten Weisungen einen bestimmten Aufgabenkreis erledigen, ist er arbeitsunfähig, wenn er das nicht kann (BAG, Urteil vom 19.05.2010, 5 AZR 162/09).
Die Zuweisung anderer Aufgaben kann er im Allgemeinen nicht verlangen, auch nicht als Schonarbeitsplatz unter Hinweis auf seine Erkrankung, weil ja dann er (und nicht der Arbeitgeber) das Recht zur Aufgabenzuweisung hätte. Obwohl Beschäftigungsansprüche in solchen Fällen dem BAG zufolge nicht durchsetzbar sind, kann sich der Arbeitgeber schadensersatzpflichtig machen und schuldet dann letztlich doch die Lohnzahlung, wenn er zumutbare Schonarbeitsplätze nicht zuweist.
Fraglich ist vor diesem Hintergrund, ob eine Krankenschwester, die krankheitsbedingt keine Nachtschichten mehr machen kann, von der Klinik verklangen kann, tagsüber eingesetzt zu werden. Dann müsste sie trotz ihrer Nachtdienstuntauglichkeit im Rahmen der zuletzt zugewiesenen Aufgaben als Krankenschwester einsetzbar sein.
Im Streitfall war eine 49jährige Krankenschwester seit über 29 Jahren im Potsdamer Klinikum Ernst von Bergmann (EvB) beschäftigt. Sie konnte aufgrund einer Medikamentenbehandlung nicht mehr in Nachtschichten arbeiten und wurde daher im Juni 2012 vom Pflegedirektor nach Hause geschickt, da sie aus seiner Sicht arbeitsunfähig war.
Die Krankenschwester bot postwendend ihre Arbeit an und verwies auf die Möglichkeit, sie tagsüber einzusetzen. Das wollte die Klinik aber nicht. Daher erhob die Krankenschwester Klage auf Beschäftigung und auf Zahlung von Annahmeverzugslohn. Denn nachdem der Arbeitgeber sechs Wochen lang "Entgeltfortzahlung" geleistet hatte, musste die Schwester Arbeitslosengeld in Anspruch nehmen, da ihre Krankenkasse keine Arbeitsunfähigkeit erkennen konnte und daher kein Krankengeld zahlte.
Mit dieser Klage hatte sie vor dem Arbeitsgericht Potsdam (Urteil vom 14.11.2012, 8 Ca 1434/12) und in der Berufung vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg Erfolg (Urteil vom 30.05.2013, 5 Sa 78/13). Beide Gerichte waren der Meinung, dass das EvB mit seinen über 1.000 Betten und seinen mehr als 2.300 Arbeitnehmern in der Lage sein sollte, eine Krankenschwester in den Tagschichten einzusetzen.
So sah es heute auch das BAG und wies die Revision des Krankenhauses zurück. In der derzeit allein vorliegenden Pressemeldung des BAG heißt es zur Begründung:
Kann eine Krankenschwester aus gesundheitlichen Gründen keine Nachtschichten im Krankenhaus mehr leisten, ist sie allein aus diesem Grund noch lange nicht arbeitsunfähig krank, so das BAG. Sie kann daher Beschäftigung verlangen, ohne für Nachtschichten eingeteilt zu werden.
Hier im Streitfall konnte die Klägerin alle vertraglich geschuldeten Tätigkeiten einer Krankenschwester ausführen. Im übrigen musste das EvB bei der Schichteinteilung auf das gesundheitliche Defizit der Klägerin Rücksicht nehmen. Und weil die Krankenschwester ihre Arbeit ordnungsgemäß angeboten hat und die Klinik diese abgelehnt hatte, hatte sie auch Anspruch auf die Vergütung für die Zeit des Annahmeverzugs.
Fazit: Für die Schwester gab es bislang nur die Arbeitszuweisung, als Krankenschwester im Schichtdienst zu arbeiten. Diese Aufgaben konnte sie erfüllen, wenn auch mit geringfügigen zeitlichen Einschränkungen. Diese Einschränkungen allein führen aber nicht zur Arbeitsunfähigkeit. Daher war sie arbeitsfähig und zwar in vollem Umfang und nicht etwa nur teilweise.
Auf die Frage, ob die Klägerin einen Schonarbeitsplatz verlangen konnte, kam es daher gar nicht an, ebenso wenig wie auf die Frage, ob die Nachtschichtuntauglichkeit eine "Behinderung" im Sinne von § 106 Satz 3 Gewerbeordnung (GewO) ist, auf die der Arbeitgeber bei seinen Weisungen Rücksicht nehmen muss. Denn die Weisung der Klinik, als Schwester zu arbeiten, hatte rechtlichen Bestand, konnte erfüllt werden und eine andere gab es nicht.
Die Klägerin hatte hier alles richtig gemacht und sich nicht einfach nach Hause schicken lassen. Zu ihrem Glück lehnte die Krankenkasse die Leistung von Krankengeld ab, so dass sie gezwungen war, sich mit Erfolg gegen ihre kalte Kündigung zu wehren.
Viele andere Arbeitnehmer machen das nicht, weil sie sich "vorerst" mit dem Krankengeld anfreunden können und darüber vergessen, dass ein Arbeitsverhältnis nach eineinhalb Jahren Krankengeldbezug nur sehr schwer wieder reaktiviert werden kann. Denn dann verlangen Arbeitgeber ein Positivattest nach dem anderen und auch Gerichte sind nach langem Krankengeldbezug nicht so leicht von der (wieder hergestellten) Arbeitsfähigkeit zu überzeugen.
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Letzte Überarbeitung: 11. April 2018
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