21.02.2008. Das Diakonische Werk in Hamburg schrieb eine Sozialarbeiterstelle und machte die Zugehörigkeit zu einer christlicen Kirche in der Stellenausschreibung zur Voraussetzung für eine Einstellung.
Daraufhin bewarb sich eine gebürtige Türkin und Moslemin um die Stelle und wurde abgelehnt, nachdem sie einen ihr nahegelegten Kirchenbeitritt abgelehnt hatte.
Das Arbeitsgericht Hamburg kam zu dem Ergebnis, dass hier eine verbotene Diskriminierung wegen der Religion vorlag und verurteilte das Diakonische Werk zu einer Geldentschädigung: Arbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 04.12.2007, 20 Ca 105/07.
Mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das am 18.08.2006 in Kraft getreten ist, hat der Gesetzgeber verschiedene europäische Antidiskriminierungs-Richtlinien in deutsches Recht umgesetzt, unter anderem die Richtlinie 2000/78/EG.
AGG und Richtlinie verbieten gleichermaßen die Benachteiligung von Arbeitnehmern bei der Einstellung wegen ihrer Religion, lassen von diesem Grundsatz aber eine Ausnahme zu, wenn eine bestimmte Religion aus Sicht der Religionsgemeinschaft „im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit“ (§ 9 Abs.1 AGG) gerechtfertigt ist.
Will daher zum Beispiel eine evangelische Landeskirche eine Pfarrstelle besetzen, ist es ihr erlaubt, Moslems, Buddhisten und Katholiken wegen ihres „falschen“ Glaubens zu „benachteiligen“, d.h. eine solche Art der Personalauswahl verstößt nicht gegen die Vorschriften des AGG oder die Ziele der Richtlinie 2000/78/EG.
Fraglich ist dagegen, ob ein solches Vorgehen auch bei Einstellung einer Pfarramtssekretärin rechtens wäre, d.h. in welchem Umfang die Kirchen auch bei der Besetzung weniger herausgehobener Positionen Bewerber mit dem „falschen“ Glauben abweisen können. Zu dieser Frage hat das Arbeitsgericht Hamburg in einem Urteil vom 04.12.2007 (20 Ca 105/07) Stellung bezogen.
Das der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) angehörende Diakonische Werk in Hamburg schrieb im November 2006 eine projektbedingt auf elf Monate befristete Stelle als Sozialarbeiter / Sozialarbeiterin zu einem Gehalt von 1.300,00 EUR pro Monat aus.
Finanziert wurde diese Stelle eines „Integrationslotsen“ aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds und der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen eines Projekts zur beruflichen Integration von Migrantinnen und Migranten. Im Zuwendungsbescheid des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, das als nationale Koordinierungsstelle für die Vergabe der EU-Mittel verantwortlich ist, findet sich der folgende „Hinweis“:
„Der Grundgedanke der Gemeinschaftsinitiative EQUAL sollte auch bei der Einstellungspraxis berücksichtigt werden. Insbesondere wird dringend empfohlen, keine den Bewerberkreis einschränkenden Vorgaben zu machen und auch die Auswahl von Mitarbeitern in dieser Hinsicht neutral durchzuführen."
Die auf dieser Grundlage von dem Beklagten erstellte öffentliche Stellenausschreibung verlangte von den Bewerbern die Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche.
Die Klägerin, eine gebürtige Türkin und nicht praktizierende Moslemin bewarb sich um die Stelle, woraufhin ihr telefonisch der Kirchenbeitritt nahegelegt wurde. Hierzu war die Klägerin nicht bereit. Nach ihrer Ablehnung verlangte sie eine Geldentschädigung gemäß § 15 Abs.2 AGG wegen der aus ihrer Sicht erlittenen glaubensbedingten Diskriminierung.
Das Arbeitsgericht Hamburg hat der Klage stattgegeben und der Klägerin eine Geldentschädigung von drei Monatsgehältern zugesprochen. Zur Begründung heißt es:
Der Ausschluss der Klägerin aus dem Auswahlverfahren wegen Nichtzugehörigkeit zur christlichen Religion verstoße gegen § 7 AGG und begründe daher einen Anspruch auf Geldentschädigung gemäß § 15 Abs.2 AGG.
Die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise rechtmäßige unterschiedliche Behandlung wegen der Religion - im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht der Kirche oder auf eine gerechtfertigte berufliche Anforderung (§ 9 AGG) - lägen hier nicht vor, da die Tätigkeit als Sozialarbeiterin keine ausreichend große „Verkündungsnähe“ aufwiese.
Im Weiteren meint das Gericht im Anschluss an einige Äußerungen in der juristischen Literatur, dass die für Religionsgemeinschaften geltende Ausnahmevorschrift des § 9 Abs.1 AGG über das Maß an „legaler Diskriminierung“ hinausginge, das die Richtlinie 2000/78/EG bzw. deren Art.4 Abs.2 den Mitgliedstaaten erlaube.
Die Richtlinie sehe nur einen „Tendenzschutz“ für Kirchen vor, während § 9 Abs.1 AGG ein darüber hinausgehendes „Selbstbestimmungsrecht“ anerkenne. Vor diesem Hintergrund sieht sich das Arbeitsgericht veranlasst, § 9 Abs.1 AGG richtlinienkonform auszulegen, d.h. die dort enthaltene, für die Kirchen geltende Ausnahmevorschrift möglichst eng zu interpretieren.
U.E. ist das Urteil im Ergebnis richtig, nicht aber in der Begründung.
Die Verurteilung des Diakonischen Werkes ist korrekt, da das DW keine eigenen, sondern zweckgebundene fremde Gelder für die Schaffung der Stelle ausgegeben hat. Auch wenn der oben wiedergegebene, im Zuwendungsbescheid enthaltene „Hinweis“ keine Rechtsverbindlichkeit für das DW gehabt haben sollte, konkretisiert es doch die Zwecksetzung des Fördermittelgebers, so dass das DW bei der Umsetzung dieser Zuwendung nicht allein im Bereich eigener, d.h. kirchlicher bzw. diakonischer, sondern auch im Bereich fremder bzw. staatlicher Zwecke tätig war. Folglich hat der Gesichtspunkt der kirchlichen Selbstbestimmung bei der Auswahl von Stellenbewerbern weniger Gewicht als er zum Beispiel hätte, wenn das DW aus eigenen Mitteln die Stelle eines „Integrationslotsen“ schaffen würde: Wer die Musik bezahlt, bestimmt was gespielt wird.
Die Begründung des Urteils ist dagegen weniger überzeugend, insbesondere was den angeblich so harten Antidiskriminierungsgehalt der Richtlinie angeht. Der von der Richtlinie in der Lesart des Arbeitsgerichts den Kirchen zugestandene Tendenzschutz ist nämlich bereits in Art.4 Abs.1 der Richtlinie enthalten. Daher fragt sich, wozu der speziell für Religionsgemeinschaften geltende Art.4 Abs.2 in die Richtlinie aufgenommen wurde - wenn er nicht die Bedeutung hat, den Mitgliedstaaten in weitestgehendem Umfang die „Beibehaltung“ ihrer gewachsenen kirchenrechtlichen Regelungen zu erlauben.
Nähere Informationen zu diesem Vorgang finden Sie hier:
Hinweis: In der Zwischenzeit haben das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamburg und das Bundesarbeitsgericht (BAG) über den Fall entschieden und dem Arbeitgeber Recht gegeben, und zwar mit der Begründung, dass die Bewerberin nicht die vom Arbeitgeber verlangte Qualifikation (Studienabschluss) vorweisen konnte. Informationen zu diesen Urteilen finden Sie hier:
Letzte Überarbeitung: 29. März 2016
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